Heinz Strunk - Der goldene Handschuh

  • Titel: Der goldene Handschuh
    Autor: Heinz Strunk
    Verlag: Rowohlt
    Erschienen: März 2016
    Seitenzahl: 252
    ISBN-10: 3498064363
    ISBN-13: 978-3498064365
    Preis: 19.95 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Der schreckliche Held heißt Fritz Honka - für in den siebziger Jahren aufgewachsene Deutsche der schwarze Mann ihrer Kindheit, ein Frauenmörder aus der untersten Unterschicht, der 1976 in einem spektakulären Prozess schaurige Berühmtheit erlangte. Honka, ein Würstchen, wie es im Buche steht, geistig und körperlich gezeichnet durch eine grausame Jugend voller Missbrauch und Gewalt, nahm seine Opfer aus der Hamburger Absturzkneipe "Zum Goldenen Handschuh" mit. Immer wieder unternimmt der Roman indes Ausflüge in die oberen Etagen der Gesellschaft, zu den Angehörigen einer hanseatischen Reederdynastie mit Sitz in den Elbvororten, wo das Geld wohnt, die Menschlichkeit aber auch nicht unbedingt. Am Ende treffen sich Arm und Reich in der Vierundzwanzigstundenkaschemme am Hamburger Berg, zwischen Alkohol, Sex, Elend und Verbrechen: Menschen allesamt, bis zur letzten Stunde geschlagen mit dem Wunsch nach Glück.


    Der Autor:
    Heinz Strunk, Musiker und Schauspieler, wurde 1962 in Hamburg geboren. Er ist Gründungsmitglied des Humoristentrios Studio Braun und hatte auf VIVA eine eigene Fernsehshow. Bekannt wurde er durch seinen ersten Roman „Fleisch heisst mein Gemüse“.


    Meine Meinung:
    Nach gelesenen 252 Seiten lässt mich das Buch dann doch ziemlich enttäuscht zurück. Ich hatte mehr von diesem Strunk-Roman erwartet; viel mehr.
    Heinz Strunk bleibt immer zu sehr an der Oberfläche, verliert sich dann das eine ums andere Mal in Nebensächlichkeiten. Auch wenn ihm sicher das Atmosphärische ganz gut gelungen ist, so ist das Gesamtergebnis aber leider dann doch enttäuschend. Die Situation der untersten Schichten in den Absturzkneipen St. Paulis zu Beginn der Siebziger wird gut wiedergegeben, ist authentisch. Nur bleiben dabei die persönlichen Schicksale, die Ursachen für das Abgleiten in diese Hoffnungslosigkeit eher im Hintergrund. Auch hier bleibt der Autor nur an der Oberfläche, scheint nicht bereit zu sein, etwas tiefer zu graben. War vielleicht zu mühselig?
    Und man fragt sich als Leser: Ist das jetzt ein Buch über eine Kneipe auf St. Pauli in welchem der Mensch Honka auch vorkommt, oder ist es ein Buch über den Serienmörder Honka? Die Motive des Handelns dieses Fritz Honka bleiben mehr oder weniger in einem eher etwas nebulösen Bereich. Strunk schildert Menschen, die zur untersten Schicht gehören, die keine Chance mehr haben – aber der Leser erfährt über sie nur das Gegenwärtige, das Vergangene wird nicht erwähnt.
    Parallel zu der Honka-Geschichte befasst sich der Roman auch mit der oberen Etage der hanseatischen Gesellschaft. Was das eine jetzt aber mit dem anderen zu tun hat – wird nicht klar. Irgendwie laufen hier zwei Handlungsstränge nebeneinander her, die aber nicht zueinander finden.
    Die Schilderung von Trostlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, einhergehend mit dem totalen sozialen Abstieg beherrscht dieses Buch. Wobei – diese Thematik hätte man ganz sicher auch besser bearbeiten können.
    Ein in meinen Augen eher enttäuschender Roman – 4 Eulenpunkte.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich stimme dir zu, Voltaire. Hab´s gerade gelesen (aber ab der Mitte nur noch sporadisch) und stelle erneut fest: Strunk schreibt gekonnt, leider aber immer an der Oberfläche dahinplätscherndes Zeug, obwohl gerade hier aus der Verknüpfung von ungewöhnlichem Milieu und unfassbarer Täterpersönlichkeit mehr Tiefe zu ziehen gewesen wäre. Schade drum.

  • Meine Meinung:


    Ich muss sagen, ich hatte mir mehr "Story* vorgestellt, irgendwie kam mir alles so runtergespult vor. Die widerliche Ausdrucksweise ist dem Milieu geschuldet, in dem sich Honka tagtäglich sehen lässt, denn in der 24-Stunden-Kneipe *Goldener Handschuh* treiben sich nur gestrandete und heruntergekommen Personen rum, die kein richtiges geregeltes Leben mehr haben. Sozusagen, die unterste Schicht Hamburgs. Obdachlose, Alkoholiker, Nutten, Arbeitslose und Zuhälter.
    Honka gabelt dort Frauen auf und nimmt sie mit zu sich, außer Sex, will er die Macht über Frauen ausüben, da er sonst ein ziemlicher Versager ist und somit eigentlich auch ein armes Würstchen. Detailliert wird nicht direkt auf die Frauenmorde eingegangen, aber ansatzweise wird beschrieben was er mit ihnen macht. Da die Frauen oftmals selber niemanden mehr haben, werden sie auch nicht vermisst.
    Ausschweifend beschrieben und extrem unnötig in die Länge gezogen finde ich die Beschreibungen mancher Personen und deren Eigenschaften. Und der Schreibstil von Heinz Strunk ist so gar nicht meiner, mir zu abgehackt und zu wiederholend.
    Interessanter Fall, schlecht wiedergegeben.

  • Mir hat das Buch gut gefallen. Auch wenn es vielleicht nicht die vom Feuilleton hochgepriesene Granate ist, fand ich es klar überdurchschnittlich. Nachdem ich gelesen habe, dass sowohl Voltaire als auch Dieter, auf deren Meinung ich durchaus etwas gebe, dem Buch unisono "mangelnde Tiefe" bescheinigten, bin ich nochmals in mich gegangen, habe mich gefragt, ob ich zu leichtfertig an die Lektüre herangegangen bin, aber ich fand es definitiv weder oberflächlich noch dahinplätschernd. Vielleicht lag es an der unterschiedlichen Erwartungshaltung, dass wir zu so unterschiedlichen Urteilen gelangt sind?


    Für mich ist der Goldene Handschuh in erster Linie ein Roman, kein soziologisches, kein psychologisches Werk und schon gar keine Biographie des Fritz Honka, obwohl ihm in der Geschichte viel Raum gegeben wird. Ich denke, Strunk nutzt ihn, den berüchtigten Serienmörder, um den Abgestürzten, dem verlorenen Bodensatz unserer Gesellschaft beispielhaft ein Gesicht zu geben, das uns durch Wiedererkennen erreicht, während die Namenlosen längst jede Aufmerksamkeit außerhalb ihres eigenen traurigen Kreises verloren haben. Strunk liefert eine erfrischend wenig wertende Momentaufnahme aus der Perspektive einer relativ distanzierten Draufsicht, die zu tiefes Eintauchen in die Lebensläufe sowie Ursachenforschung in Bezug auf das gesellschaftliche wie persönliche Versagen der Protagonisten geradezu verbietet, um sich nicht selbst zu verraten.


    Mir hat diese Darstellung ohne weitere Erklärung der Hintergründe ausgereicht, um ein anschauliches und umfassendes Bild der sozialen (Miss-)Verhältnisse "ganz unten" zu bekommen, exemplarisch dargestellt, am (Über-)Leben, Leiden und Sterben in einer der wahrscheinlich härtesten Absturzkneipen Deutschlands. Ich muss gestehen, dass mich das Buch sehr bewegt hat, was ziemlich selten vorkommt. Ich habe davon geträumt und noch nach Beendigung der Lektüre tagelang darüber nachgedacht, was Strunk mir da geschildert hat, abwechselnd von Mitleid, Abscheu, Verzweiflung und Schuldgefühlen ob meiner alltäglichen Gleichgültigkeit geplagt. Ja, geplagt, das Wort ist bewusst gewählt. Jedesmal wenn z.B. die Sprache auf die "Schimmligen" im Hinterzimmer kam, lief es mir unangenehm kalt über den Rücken, im Bewusstsein, dass diese menschlichen Dramen sich auch jetzt, genau in diesem Moment, nur wenige Kilometer von meiner Wohnung entfernt abspielen. Ich war vor Jahren einmal als Gast im Handschuh und habe als Taxifahrer mehrfach Leute dort abgeholt (eine Tour, vor der sich jeder Kutscher gern drückt, wenn es möglich ist). Für Jugendliche aus der Vorstadt und die selbsternannten Hipster vom Kiez mag es ja einen gewissen Thrill darstellen, sich unter die Verlorenen zu mischen, aber ich kann sagen, dass es weder cool noch lustig ist, und das schildert Strunk sehr gut - eine Welt, die mit den Lebensumständen der Allermeisten von uns nichts zu tun hat, und darum sollten wir froh sein. Nur die Reaktion, einfach nicht hinzuschauen und diese Menschen in ihrem Elend verrecken zu lassen, ist mies, Asche auch auf mein Haupt.


    Recht geben muss ich Voltaire, was den Handlungsstrang der Reederfamilie angeht - es bereitet zwar kurzfristig Schadenfreude, zu lesen, dass die Reichen genauso unter die Räder (die Flasche) geraten können, aber für meinen Geschmack ist dieser Teil zu sehr an den Haaren herbeigezogen und dient zu offensichtlich als erhobener Zeigefinger. Sonst habe ich nichts zu meckern, außer dass die Welt für manche eben so übel ist, wie sie ist.


    LG harimau :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann