J.L. Carr: Ein Monat auf dem Land

  • J.L. Carr: Ein Monat auf dem Land
    DuMont Buchverlag 2016. 144 Seiten. Hardcover
    ISBN-13: 978-3832198350. 18,00€
    Originaltitel: A Month in the Country (1980)
    Übersetzerin: Monika Köpfer


    Verlagstext
    Sommer 1920 im nordenglischen Oxgodby: Als auf dem Bahnhof ein Londoner aus dem Zug steigt, weiß gleich das ganze Dorf Bescheid: Er ist der Restaurator, der das mittelalterliche Wandgemälde in der örtlichen Kirche freilegen soll. Doch was steckt hinter der Fassade des stotternden und unter chronischen Gesichtszuckungen leidenden Mannes? Tom Birkin hat im Ersten Weltkrieg gekämpft, als traumatisierter Veteran wurde er von seiner Frau verlassen. Er hofft, in der Ruhe und Einfachheit Yorkshires zu gesunden. Und tatsächlich: Langsam gelingt es ihm, sich der Welt um sich herum zu öffnen, vielleicht sogar der Liebe … J.L. Carr erzählt von einem Mann, der überlebt, und von der Rettung, die in uns wie den anderen liegt. Dieser moderne Klassiker der englischen Literatur ist in seiner sprachlichen Leichtigkeit und Eleganz eine echte Wiederentdeckung.


    Der Autor
    J.L. Carr wurde 1912 in der Grafschaft Yorkshire geboren und starb 1994 an Leukämie. Nachdem er jahrelang als Lehrer gearbeitet hatte, gründete er 1966 einen eigenen Verlag und verfasste acht Romane. "Ein Monat auf dem Land" ist Carrs bekanntestes Werk und war 1980 für den Booker-Preis nominiert.


    Die Übersetzerin
    Monika Köpfer war Lektorin bei zwei Münchener Publikumsverlagen und ist heute als Übersetzerin und freie Lektorin tätig. Zu den von ihr übersetzten Autoren zählen u. a. Mohsin Hamid, Naomi J. Williams, Richard C. Morais, Milena Agus, Fabio Stassi und Theresa Révay.


    Inhalt
    Vor knapp einhundert Jahren verbringt der Restaurator Tom Birkin einen Monat auf dem Land in Yorkshire. Tom hat vor dem ersten Weltkrieg Kunst studiert; er interessiert sich dafür, wie Gebäude und Gegenstände konstruiert sind und wie sie funktionieren. Die Kirchengemeinde, eine von mehreren Kirchen unterschiedlicher Glaubensrichtungen, hat eine Erbschaft erhalten, die erst ausgezahlt wird, nachdem ein übermaltes Deckengemälde aus dem 14. Jahrhundert frei gelegt ist. Tom erwartet unter der Farbe ein Meisterwerk, das sich zur Entstehungszeit nur Klöster leisten konnten. Mit der Freilegung ist der Pastor nicht einverstanden, weil ein Bild seiner Ansicht nach die Gemeinde vom Gottesdienst ablenken wird. Auf die Erbschaft will er jedoch nicht verzichten.


    Tom ist vom Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs traumatisiert zurückgekehrt; seine Ehe zerbrach an der psychischen Belastung. In dem Restaurierungsauftrag sucht er nun einen Neuanfang. In die Arbeit kann Tom sich vor den Menschen zurückziehen und seine Gedanken ungestört schweifen lassen. Weil er möglichst viel seines Honorars sparen will, übernachtet Tom direkt am Arbeitsplatz in der Glockenkammer der Kirche. Parallel zu Tom erfüllt Charles Moon einen archäologischen Auftrag in der Gemeinde. Die Stifterin hat offenbar im Dorf auf geschickte Weise Arbeitsplätze für die beiden Veteranen geschaffen. Auch Charles will Geld sparen, um nach Mesopotamien zu reisen. Auch Charles ist körperlich und seelisch gezeichnet aus dem Krieg heimgekehrt; er trägt noch Granatsplitter im Bein. Tom genießt den Austausch mit Moon, wie auch die Gespräche mit einem aufgeweckten 14-jährigen Mädchen. Selbst die Einwohner scheinen die Begegnung mit ihm in einem beschaulichen, ereignislosen Sommermonat zu genießen.


    Nur aus einer dezenten Randbemerkung Alices über Toms „nervliche Anspannung“ lässt sich entnehmen, dass Carrs Icherzähler unter einer nervösen Störung und einem Sprachproblem leidet. Da Tom selbst nicht von seiner Sprachstörung berichtet, könnte man sie glatt überlesen; denn seinem schriftlichen Ausdruck ist nichts anzumerken. Tom wäre ein Mann, den die Gemeinde gebrauchen könnte und dem umgekehrt das Leben auf dem Land guttun würde – doch dieser Traum wäre wohl zu schön, um wahr zu sein.


    Fazit
    Die Handlung spielt 1920, im Original erschienen ist das Buch 1980. J.L. Carrs Novelle in der Form einer authentischen Aufzeichnung wirkt von Beginn an wie ein zeitloser Klassiker und erzeugt beim Lesen eine Mischung aus Beschaulichkeit und Melancholie.


    Zitat
    Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass sie ihre Probleme vielleicht unter Verschluss hielten, bis ein Außenstehender erschien, um dann alles vor ihm auszubreiten. Offen gestanden, war ich fasziniert, weil mir noch nie in den Sinn gekommen war, dass ein zu großes Haus womöglich die gleiche unangenehme Wirkung haben konnte wie ein zu kleines, und fast fand ich den Gedanken an meine eigene prekäre Wohnsituation im Glockenturm tröstlich.“ (Seite 70)


    9 von 10 Punkten


    ASIN/ISBN: 3832198350

  • Ein stilles, aber umso eindrücklicheres Buch, das lange nachhält. Es passiert wenig Konkretes in diesem schmalen Buch, aber doch so viel zwischen den Zeilen.


    Mich hat es entschleunigt und gezeigt, wie wenig man eigentlich zum Leben braucht. Für mich war es faszinierend zu sehen, wie es der Protagonist schafft, trotz widriger Umstände und geringem Lebensstand ein Gefühl der Zufriedenheit, ja sogar des Glücks zu erreichen. Kein andauerndes oder „lautes“ Glück, aber eins, das ein wohliges Gefühl zurücklässt. Zumindest ich habe es so aus dem Büchlein herausgelesen – andere mögen das anders sehen. Aber auch das ist eine große Kunst des Autors – für jeden eine andere Geschichte zu erzählen, so alltäglich und belanglos sie auch wirkt.


    Fazit: Ein wunderschönes, kleines, stilles Buch, das ich sehr gerne gelesen habe. Sehr gute neun Eulenpunkte und eine klare Leseempfehlung für alle, die sich darauf einlassen können.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Klappentext

    Sommer 1920 im nordenglischen Oxgodby: Als auf dem Bahnhof ein Londoner aus dem Zug steigt, weiß gleich das ganze Dorf Bescheid: Er ist der Restaurator, der das mittelalterliche Wandgemälde in der örtlichen Kirche freilegen soll. Doch was steckt hinter der Fassade des stotternden und unter chronischen Gesichtszuckungen leidenden Mannes? Tom Birkin hat im Ersten Weltkrieg gekämpft, als traumatisierter Veteran wurde er von seiner Frau verlassen. Er hofft, in der Ruhe und Einfachheit Yorkshires zu gesunden. Und tatsächlich: Je näher er dem Meisterwerk hinter der Kirchendecke kommt, desto näher kommt er auch sich selbst. Und seinen Mitmenschen. Langsam gelingt es ihm, sich der Welt um sich herum zu öffnen, vielleicht sogar der Liebe. Der Monat auf dem Land ist ein Monat der Heilung. Was Birkin hier erlebt, wird er sein Leben lang mit sich tragen.


    Über den Autor

    J.L. Carr wurde 1912 in der Grafschaft Yorkshire geboren und starb 1994. Nachdem er jahrelang als Lehrer gearbeitet hatte, gründete er 1966 einen eigenen Verlag und verfasste acht Romane. ›Ein Monat auf dem Land‹ (DuMont 2016) war 1980 für den Booker-Preis nominiert.


    Mein persönliches Fazit

    Ich habe das Buch eigentlich schon gestern beendet, durchgelesen in einem Rutsch. Das ist auch bei mir nicht selbstverständlich. Es ist mein zweites Buch von J.L. Carr und auch von diesem bin ich sehr angetan. Trotz des ernsten Grundthemas, ist es ein eher leises Buch. Leid und Schmerz werden nicht endlos vor dem Leser ausgebreitet, sondern immer wieder eingestreut und dann mit knappen, aber sehr passenden Sätzen erzählt. Und trotzdem kann man sich als Leser mühelos ausmalen, was Tom Birkin erlebt haben muss.

    Die weiteren Figuren sind sympathisch und herzlich, jede einzelne trägt auf ihre eigene Art zu Toms innerer Reise bei. Und sie wachsen dem Leser mit ihren Eigenheiten und kleinen Schrullen auch schnell sehr ans Herz.


    ASIN/ISBN: 3832164316