Kristin Marja Baldursdóttir: Das Echo dieser Tage

  • Kristin Marja Baldursdóttir: Das Echo dieser Tage

    Verlag: FISCHER Krüger 2018. 384 Seiten

    ISBN-10: 3810530425

    ISBN-13: 978-3810530424. 19,99€


    Verlagstext

    Ein altes Haus in den Westfjorden und ein neuer Anfang -

    "Das Echo dieser Tage" ist das meistverkaufte Buch in Island.

    Ganz überraschend erhält Flora das Angebot, ein altes Haus in den Westfjorden zu renovieren. Bei ihrer Ankunft dort schneit es so heftig, dass die Landschaft, das Haus und das Dorf ganz unwirklich aussehen. Sie glaubt sich am Ende der Welt. Als sie die Organistin und drei Frauen aus der Fischfabrik kennenlernt, gründen sie einen Chor. Alle hier haben ihre eigene Geschichte zu erzählen, allen hat das Leben zum Teil übel mitgespielt. Mit dem Gesang und ihrer neuen Arbeit kehrt Floras Lebenswille zurück, und damit auch ihre Lebensfreude, ihr Wille zum Weitermachen. Ein starkes, ein berührendes Buch über Lebenswege, die so oft völlig anders verlaufen als geplant, die zum Innehalten zwingen und zum Neudenken anregen. Nach "Die Eismalerin" und "Sommerreigen" erscheint endlich der neue Roman einer der prominentesten Autorinnen Islands.


    Die Autorin

    Kristín Marja Baldursdóttir ist eine der renommiertesten Schriftstellerinnen Islands und eine langjährige Autorin des Krüger Verlags. Seit ihrem ersten Buch "Möwengelächter" hat sie sich eine feste Lesergemeinde in Deutschland erobert, ihr biographischer Roman "Die Eismalerin" wurde hymnisch in der Presse besprochen. Sie erhielt für ihr Schaffen die höchste Auszeichnung des Landes, den "Order of the Falcon". Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Reykjavík.


    Inhalt

    Die Isländerin Flóra verliert nach 30 Jahren im Betrieb ihren Job, weil ihre Firma sich ein jüngeres Image geben will und weil ihr männlicher Kollege scharf auf genau diesen Job war. Flóra büßt mit ihrer Arbeit schlagartig alle Kontakte zu anderen Menschen ein. Ihre Tochter lebt in Australien, ihr Sohn ist in Reykjavik mit seinem eigenen Leben beschäftigt. Schon lange vorher ausgebrannt und desillusioniert, erzählt Flóra aus der Ichperspektive vom Tiefpunkt ihres Lebens, an dem sie sich plötzlich wiederfindet. Als die Schwiegermutter ihres Sohnes anbietet, Flóra könnte in ihrem Elternhaus in den Westfjorden wohnen und im Gegenzug das Haus streichen, verspricht diese Aufgabe einen Aufschub in dem Schlamassel. Erst im nächsten Sommer würde das Haus wieder an Touristen vermietet werden und Flóra könnte bis dahin ihre eigene Wohnung untervermieten. Trotz der vernünftigen Regelung wird sie jedoch den Eindruck nicht los, dass ihre Kinder sie abschieben wollen.


    Flora kommt im drohenden Schneesturm in den Westfjorden an. Der Winter steht vor der Tür; morgens wird es erst gegen 11Uhr hell. Als Städterin ist Flora überrascht von der absoluten Dunkelheit, die hier oben herrscht. Während sie das Haus in Besitz nimmt, wird deutlich, dass Flóra eine Frau von Grundsätzen ist. „Das ging natürlich nicht“, sagt sie sich und schaufelt im nahenden Schneesturm schnell noch den Fußweg frei. Flóra hat in ihrem Leben immer Aufträge ausgeführt, sich an Regeln gehalten und getan, was Männer von ihr erwarteten. Entscheidungen getroffen und Verantwortung dafür übernommen hatten jedoch stets andere. So hatte Flóra ihren trinkenden Mann ertragen; erst ihr Sohn hatte den Vater rausgeworfen und für sie eine eigene Wohnung gesucht. Menschen wie Flóra fühlen sich leicht ausgenutzt und kriegen aus dieser Situation heraus nur schwer die Kurve.


    Flóra fühlt sich im Nordwesten Islands anfangs wie eine Einwanderin aus einem fremden Land, und im Winter scheint hier niemand freiwillig vor die Tür zu gehen. Doch als der Chor dringend Frauenstimmen braucht (sie ist offenbar in den einzigen Ort der Welt geraten, in dem der Chor Frauenstimmen sucht), setzt die Organistin Petra Flóra dankbar dafür ein, drei Arbeiterinnen der Fischfabrik die isländische Aussprache beizubringen. Die Frauen stammen aus Polen, Spanien und Ungarn, so dass sich vor Flóra drei verschiedene Schicksale und drei unterschiedliche Gesangstalente entfalten. Unter Petras Fuchtel scheint Flóra bald wieder in die vertraute Struktur zu fallen, dass andere Pläne machen und sie die Arbeit erledigt. Neben der Planung des Chorauftritts hält das Leben für Flóra einige Aufregung bereit. Als das Leben zu ihr kommt, stellt sie überrascht fest, dass auch sie ein geschicktes Händchen fürs Organisieren hat …


    Eine Icherzählerin mit geringem Talent zur Selbstkritik stellt einige Anforderungen an die Geduld der Leser. Immer sind andere Schuld, und wenn es Flóras Mutter ist, die sich früher nach Ansicht der Tochter zu stark für ihren Beruf als Botanikerin und die Frauenrechte interessierte und zu wenig für ihr Kind. Von einer 60-Jährigen mit erwachsenen Kindern hätte ich erwartet, dass sie sich inzwischen mit ihrer Mutter versöhnt hat. Dass Schicksale anderer Menschen der Icherzählerin eine neue Sicht auf ihr Leben ermöglichen, war vorhersehbar. Flóra wirkt in ihrem Selbstmitleid und ihrer unstillbaren Suche nach Anerkennung anfangs höchst anstrengend; doch irgendwo glimmt ein Funke Humor und Selbstironie in Flóra.


    Fazit

    Ein einfaches Haus an abgelegenem Ort, die Versöhnung mit dem eigenen Altern und ein Neuanfang sind bewährte Puzzlestücke aus Frauenromanen, die sich hier zur Wende in Flóras Leben fügen. Dass eine Ortsfremde auf Frauen trifft, denen die Integration ins isländische Leben anfangs schwergemacht wird, gibt dem altbewährten Motiv vom Haus auf dem Land einen modernen Anstrich.


    8 von 10 Punkten

  • Ich kenne die Autorin bisher gar nicht, hatte es aber so verstanden, dass die Bücher unabhängig voneinander gelesen werden können. Würdest du trotzdem eine bestimmte Reihenfolge empfehlen?


    Der Zeitpunkt des Wandern wäre mir egal. Ich habe eh einen hohen SuB, einen langen Onleihe-Merkzettel und einige Leihgaben, aber innerhalb von drei Wochen kann lesetechnisch ja viel passieren. :grin

    Ich würde aber ggf. auch anderen InteressentInnen den Vortritt lassen, solange es bei mir dann nicht mit dem Sommerurlaub kollidiert.


    Danke dir schonmal!!! :knuddel1

  • Nun meine Rezi zu "Das Echo dieser Tage".


    Technische Daten, Inhaltsangabe des Verlags usw. siehe oben.


    Mein Leseeindruck:


    Bei diesem Buch tue ich mich schwer mit einer Beurteilung, denn es hat in meinen Augen große Stärken, aber auch einige Schwachpunkte, die mich beim Lesen oft genervt haben.


    Dass ich drangeblieben bin, lag sicher zum einen am Thema. Eine Frau im Prozess des Älterwerdens, die sich neu definieren muss, da sie aus ihren gewohnten Lebenszusammenhängen hinausgeworfen wird - das finde ich spannend zwischen all den jungen oder höchstens "mittelalten" Heldinnen und Helden, die viele Romane bevölkern. Dieses Buch enthält eine geballte Ladung Lebensweisheit, die in schöner Sprache an die Leserschaft gebracht wird. Ruhig und anschaulich erzählt, erfährt man viel vom Innenleben der Hauptfigur. Deren Gedanken und Gefühle in der speziellen Lebenssituation fand ich meist interessant und nachvollziehbar.


    Anders ging es mir mit manchen Wendungen der Handlung sowie mit einigen Dialogen (z.B. gleich anfangs rund um die Chorproben oder um den Isländischunterricht), die ich als völlig unglaubwürdig und konstruiert empfunden habe. Bei vielen Dialogen wurde dermaßen mit dem feministisch-pädagogischen Zeigefinger gewunken, dass es selbst mir als erklärter Feministin zuviel wurde. Viele Reaktionen auf Geschehnisse fand ich seltsam und unglaubwürdig. Klar, ich stecke auch nicht in allen Menschen drin und weiß nicht, wie sie ticken, aber es war mir einfach zu oft der Fall, dass ich kopfschüttelnd das Buch beiseitegelegt und gedacht habe: "Das kann doch jetzt nicht sein!" Ich habe das Buch allerdings gerade auch deshalb weitergelesen, weil ich mich über die Ecken und Kanten mancher Figuren geärgert habe, gleichzeitig aber auch darüber nachdenken musste, ob es ähnliche Leute nicht vielleicht doch auch in meinem Umfeld gibt.

    Andererseits hat das Thema des Buches mich immer wieder zum Buch zurückgezogen. Es ist einfach eine interessante Lebensphase, in der viele Menschen es hinbekommen müssen, sich neu zu definieren, während andere Menschen (z.B. solche ohne Kinder oder solche, die sich nicht so stark über den Job definieren) schon immer gewohnt waren, auch mal auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, ohne dann gleich in ein tiefes Loch zu fallen. Mich hat interessiert, wie die Prota diese Herausforderung meistern wird. Ob sie es schaffen wird, sich von dem inneren Zwang zu lösen, dass man gebraucht werden muss (von den Kindern, dem Arbeitgeber, der Gesellschaft...), um wertvoll zu sein. Ob sie es geschafft hat? Da bin ich mir gar nicht so sicher... ;-)


    Und wie lange kann man eigentlich an einem Haus streichen...!? :wow


    Wie Buchdoktor vergebe ich 8 von 10 Punkten und danke noch einmal herzlich dafür, dass ich das Buch als Wanderbuch lesen durfte! :blume

  • Immerhin singen sie sich ein! Das scheint ja in Büchern, die sich um Chöre drehen, keine Selbstverständlichkeit zu sein. :lache


    Aber nee, dass ein Dorfchor nur ausgerechnet über acht Tenöre verfügt, ist ein ebenso seltsamer Zufall wie drei Ausländerinnen in der Fischfabrik mit engelsgleichen Stimmen. Ich fand aber viel unrealistischer, dass diese Damen - zwei davon ausgebildete Sängerinnen! - sich hinsichtlich des Gesangs (oder auch sonst) erstmal benommen haben wie die Mäuschen und erst Petra, die wenn auch hochtalentierte Organistin und Leiterin des Dorfchors, die schlummernden Talente in ihnen wachkitzeln musste. Ich meine, diese Frauen hat es ja nicht traumatisiert nach Island verweht, sondern sie sind unter irgendwie "normalen", überschaubaren Lebensumständen dort gelandet. Warum sind sie dann so verhuscht? Machen ein Geschiss (sorry!) um ein Kirchenkonzert? Und können nach etlichen Monaten in Island, sogar mit Sprachunterricht, doch nur ein paar Brocken Isländisch hervorwürgen? Intelligente, zum Teil hochgebildete Frauen? :pille


    Ich glaube, das ist so ein Buch, dem es in meiner Beurteilung nicht gut tut, wenn ich zuviel darüber rede... :grin Denn es hatte ja auch absolut schöne Aspekte, sonst hätte ich es nicht zu Ende gelesen und keine acht Punkte vergeben.


    Die berufliche Neufindung von Flóra rund um den Chor herum hat mir allerdings sehr gut gefallen! Mal abgesehen von Petras gewöhnungsbedürftiger Persönlichkeit... :lache

  • Mit ein paar Büchern dazwischen sind mir noch ein paar schöne Aspekte an diesem Buch wieder eingefallen. Ich fand es z.B. seeeeehr angenehm, mal wieder einen Roman mit nur einem Handlungstrang zu lesen, also nicht, wie es derzeit modisch ist, ständig zwischen zwei oder mehr Zeitebenen zu springen und diese miteinander verknüpfen zu müssen. Das mag reizvoll sein, zeigt aber irgendwann auch gewisse Abnutzungserscheinungen. Hier jedoch konnte man in Ruhe und ohne Stress dem Verlauf der Handlung folgen, selbst die Rückblenden waren übersichtlich und gut einzuordnen, nicht sprunghaft oder gewollt kryptisch. Das fand ich zur Abwechslung mal wieder ganz erholsam. :liegestuhl