Die Welt aus den Angeln - Philipp Blom

  • Ich denke, der Autor zeigt an John Dee exemplarisch, wie man zu diesem Zeitpunkt die Natur gewissenhaft beobachten konnte, auf der andern Seite aber okkulten Wissenschaften und Magie nachgehen. Eine faszinierende Mischung.

    War es denn nicht immer so? Auch heute gibt es einerseits wissenschaftlich erklärbare Phänome und andererseits Dinge, die man als esoterisch bezeichnet. Schulmediziner z. B. befassen sich mit Homöopathie, die andere ablehnen, weil sie keine Erklärung für die Wirkungsweise haben.

    Manche Naturwissenschaftler halten morphogenetische Felder für plausibel, andere sehen das als pseudowissenschaftlich an.


    Erst die Zukunft wird zeigen, was Humbug ist und was nicht.

  • Von den drei Denkern Dee, Bruno und Montaigne fasziniert mich letzterer am meisten.

    Einerseits sitzt er lesend in seinem Turm, abgeschottet vom Zeitgeist, und andererseits geht er auf Reisen oder liest Reiseberichte. So ist er in der Lage, seinen geistigen Horizont zu erweitern.


    Er hat erkannt, dass der eigene Standpunkt nicht allgemeingültig ist, dass Menschen an anderen Orten einen anderen Blickwinkel haben, der nicht unbedingt falsch ist. Sich dabei über das Wahrheitsmonopol der christlichen Lehre hinwegzusetzen, war sicher nicht einfach.


    Seine Ansicht zu den sog. „Wilden“ ist sehr bemerkenswert. Er ist in dieser Hinsicht moderner als viele Menschen heute.

  • Montaigne ist überhaupt eine interessante Persönlichkeit gewesen, er ist aber längst nicht so abgeschottet gewesen, wie es vielleicht erscheint.

    Er war lange Zeit Bürgermeister von Bordeaux - sehr erfolgreich - und hat sich ganz besonders um Verständigung zwischen den religiösen Parteien bemüht.


    Mir ist gerade der Weltgelehrt Athanasius Kircher wiederbegegnet - in Daniel Kehlmanns: Thyll.

  • Klimaverschlechterung - Missernten - Landflucht - Verelendung



    Interessant ist die Entwicklung in niederländischen Städten. Dort öffnete sich die Gesellschaft für die Neuankömmlinge. Ein Aufstieg war möglich. So entstand eine wohlhabende Schicht. Gleichzeitig begannen immer mehr Menschen sich für exotische Dinge zu interessieren. Der Handel blühte.


    In anderen Ländern sah es anders aus.


    Mir ist gerade der Weltgelehrt Athanasius Kircher wiederbegegnet - in Daniel Kehlmanns: Thyll.

    Von dem habe ich noch nie gehört. Gerade habe ich ein bisschen nachgelesen, hört sich interessant an.




  • Der Autor zeigt wirklich sehr schön, dass es durchaus Gegenden und Menschen gab, die von den schlechten Bedingungen profitierten.

    Aber dazu mussten sich die Gesellschaft verändern. Ich möchte das Integration nennen, eine Anpassung der Neubürger vom Land und der eingesessenen Stadtbevölkerung aneinander und an die Situation. Anders als in Amsterdam gingen in anderen Städten die Neuankömmlinge unter.


    Übrigens war mir gar nicht bewusst, dass die Landgewinnungsmaßnahmen in den Niederlanden schon so früh begonnen haben.

  • Von den Allmenden hatte ich schon mal gelesen. Aber so ganz bewusst war mir doch nicht, dass Land damals keine Handelsware war.

    Doch dann begann die „Landnahme“.

    Dazu fällt mir ein: Als die ersten Europäer in die neue Welt aufbrachen, haben sie diese Methode der Besitznahme gleich mitgebracht.


    Der Abschnitt über die Große Transformation war sehr interessant. Es war mir nicht bewusst, dass damals wirtschaftlicher Aufstieg kein Ziel war. Aber klar: die Ständegesellschaft verhinderte das und auch die Regelung, dass die Bauern ihre Ernteüberschüsse an den Landesherrn abgeben mussten.


    Sehr erstaunlich ist auch, dass in der mittelalterlichen Warmperiode weniger Körner pro Halm geerntet wurden als später in der Kaltphase. Andere Methoden machten das möglich.

  • Es gab wirklich viel Neues zu lernen, in diesem Buch.

    Besonders, wie wichtig es schon immer war, sich an veränderte Bedingungen anzupassen, neue Gedanken zuzulassen und auszuprobieren.

    Mit dem ewigen: Weiter so erreicht man in Zeiten von Veränderungen nicht viel.

    Und, wie man gesehen hat auch nicht durch das Verbrennen und Verfolgen von Menschen mit neuen Ideen.


    Schön wäre es ja, man lernte draus :gruebel

  • Ich bin erstaunt, was für eine Bildungsexplosion damals stattfand. In einer Zeit, in der sich die Gesellschaft von einer selbstversorgenden zu einer mit Spezialisten wandelt, geht es nicht ohne Bildung. Aber dass das so schnell passiert, hätte ich nicht gedacht. Und natürlich passt sich das Angebot an Büchern der breiten Masse an.

    Auch der Umbruch im Militärwesen ging rasend schnell, kommt mir so vor.

  • Um ein Heer mit all den Waffen zu unterhalten, war plötzlich Geld wichtig. Die Formel ist einfach: mehr verkaufen als kaufen.

    Man sah die Handelsbilanzen aller Staaten als Nullsummenspiel, also keine Win-win-Situationen.

    Das kann aber nicht funktionieren, wenn alle Staaten es genauso machen. Deswegen war Kolonien wichtig.


    Thomas Mun hatte ja eine seltsame Einstellung. Selbst sehr wohlhabend, sagte er, dass die Armut und Bedürftigkeit die Menschen weise und fleißig macht. Aber damit meinte er offensichtlich nur das einfache Volk, die Arbeiter. Die seien undiszipliniert und faul. Deswegen muss man sie kurz halten. Sie sollten möglichst billig produzieren. Bürgertum und Adel hingegen sollten konsumieren, um die Kassen des Königs zu füllen.
    Er ist nicht auf die Idee gekommen, dass Arme vielleicht deshalb undiszipliniert sind und saufen, weil die arm sind.

    Gut, es gibt auch heute Menschen, die der Überzeugung sind, wenn jemand auf Hartz4 angewiesen ist, dann ist er selbst schuld.

  • Ich hätte nicht erwartet, dass in einem Buch über die Kleine Eiszeit die Philosophie Descartes' erklärt wird.

    "Ich denke, also bin ich." ist ja noch verständlich. Doch aus der Vorstellung eines vollkommenes Gottes zu schließen, dass er auch existieren muss usw., finde ich schon sehr an den Haaren herbei gezogen. Ich war dann schon froh zu lesen, dass möglicherweise diese Argumentation nur vorgeschoben wurde, um versteckt Kritik daran zu üben, ohne sich selbst zu gefährden.


    Ich denke, wir Heutigen könnten in dieser Zeit nicht lange überleben. Zu vieles ist uns so selbstverständlich, als dass uns da nicht immer wieder ein Satz über die Lippen kommt, der uns gefährlich werden könnte.

  • Den Ausflug in die Philosophie fand ich sehr interessant, auch wenn ich, wie meistens, nicht alles verstanden habe.


    Wären wir in dieser Zeit aufgewachsen, hätten wir nicht viele Chancen gehabt, überhaupt ein Mindestmaß an Bildung abzukriegen. Ich wäre auf einem kleinen, gerade noch überlebenssichernden Bauernhof aufgewachsen, ein braves Eheweib geworden und hätte 10 Kinder gekriegt. Da hätte ich wenig Zeit gehabt, gefährliche Sätze zu sagen.:cry

  • Ich denke, wir Heutigen könnten in dieser Zeit nicht lange überleben.

    Ich dachte bei diesem Satz an eine Zeitreise. Das wird ja schon mal als Roman-Handlung genommen. Und als Gedankenspiel ist das auch ganz interessant. Mit unserer Erziehung und Bildung würden wir von einem Fettnäpfchen zum anderen gefährlichen Satz gehen.