Das Dorf der Wunder - Roy Jacobsen

  • Verlag: Osburg Verlag
    Gebundene Ausgabe: 237 Seiten , 2010
    Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs


    Kurzbeschreibung:
    Es ist ein minus 40 Grad Celsius in der finnischen Stadt Suomussalmi mitten im Winter des Jahres 1939, als die Russen kommen. Die Einwohner flüchten, nur der Dorfholzfäller Timo wartet in aller Seelenruhe in seinem vereinsamten Haus auf den Feind. Erzählt wird die Geschichte vom Überleben eines einfachen Mannes vor dem Hintergrund des historischen Sieges der Finnen
    zu Kriegsbeginn. Zusammen mit einer Handvoll ausgezehrter russischer Bauern wird Timo ins Russenlager von Suomussalmi gesteckt. Sein eigener Überlebenskampf wird auch zu einer Spielart der Menschlichkeit, denn er kümmert sich um die gefangenen russischen Bauern. Unter Seinesgleichen als Dorftrottel beschimpft, wandelt sich Timo für seine Mitgefangenen zum Retter.


    Über den Autor:
    Roy Jacobsen wurde 1954 in Oslo geboren. Er ist einer der bedeutendsten norwegischen Gegenwartsautoren.


    Über die Übersetzerin:
    Dr. Gabriele Haefs studierte in Bonn und Hamburg Sprachwissenschaft. Seit 25 Jahren übersetzt sie u.a. aus dem Dänischen, Englischen, Niederländischen und Walisischen. Sie wurde dafür u.a. mit dem Gustav- Heinemann-Friedenspreis und dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, zuletzt 2008 mit dem Sonderpreis für ihr übersetzerisches Gesamtwerk. Sie hat u.a. Werke von Jostein Gaarder, Håkan Nesser und Anne Holt übersetzt. Zusammen mit Dagmar Mißfeldt und Christel Hildebrandt hat sie schon mehrere Anthologien skandinavischer Schriftsteller herausgegeben.


    Meine Meinung:
    Vorausschickend sollte der schöne, fast edel wirkende und eigenständige Stil des Romans erwähnt werden, der zusammen mit dem Entwurf origineller Figuren eine gute Wirkung entfaltet.


    Als 1939 die Russen Finnland überfallen, evakuieren die Einwohner von Suomussalmi ihre Stadt. Nur der starrsinnige Sonderling Timo Vatanen bleibt. Er will sein Heimatstädtchen nicht verlassen und wartet gelassen die Ankunft des Feindes ab. Timo ist gleichzeitig auch der Ich-Erzählers des Romans, eine außergewöhnliche Perspektive, wie auch Timo ein eigenwilliger Mensch ist. Als Leser mag man Timo, der kein stromlinienförmiger Protagonist ist, sondern ein Mann mit Ecken und Kanten.
    Fast gilt er als Dorftrottel, deswegen zwingen ihn die anderen Finnen auch nicht, mit ihnen zu kommen. Aber er ist auch kein Idiot, er weiß zu überleben. Als die Rote Armee kommt, wird er in dieser bitteren Kälte als erfahrener Holzfäller sogar deren einzige Hoffnung zu überleben. Mit Hilfe eines Dolmetschers (wieder eine gelungene Erzählfunktion) verständigen sie sich. Timo wird nicht zum Kollaborateur, aber die Kälte und Hunger macht de Menschen letztlich gleich. Irgendwann sind die in dieser Umgebung schwerfälligen und geschwächten Russen von den klugen Widerstandskämpfern in einem glorreichen Verteidigungskrieg besiegt. Die Schlacht von Suomussalmi ist noch heute dafür berühmt.


    Für Timo war diese Zeit so prägend, dass er in den Nachfolgejahren wie aus der Zeit gefallen lebt und den Krieg und die Ereignisse nicht vergessen kann, als er in seinem unspektakulären Leben einmal der Held war. Wie Roy Jacobsen diesen Moment herausarbeitet ist meisterhaft. Er nutzt dazu auch noch eine literarische Technik, die den Stil des Romans zum Ende hin abändert.


    Bemerkenwert!

  • Danke für die schöne Rezension, Herr Palomar :-)
    Ich hatte gestern Glück, dass das Buch bei TT über Startseite lief und so zieht es auch bald ein in mein Regal.


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Meine Meinung:
    Der Roman spielt in dem Kriegswinter 1939. Die Sowjetunion marschiert in Finnland ein. Die Bewohner von Suomussalmi verlassen ihr Dorf und fliehen vor den Russen.
    Nur der Holzfäller Timo Vatanen behält die Ruhe und bleibt. Er will sein Heimatdorf nicht verlassen. Durch sein Wissen und Können macht er sich nützlich, als der Feind im Dorf einmarschiert.
    Er weiß, wie man in dem kalten finnischen Winter überleben kann, es werden ihm ein paar nicht mehr heertaugliche russische Soldaten zum holzhacken zugeteilt. Schon bald vertrauen ihm diese Männer, die Nationalität rückt in den Hintergrund, das Menschliche zählt. Dabei wird Timo nicht zum Kollaborateur, ihm geht es ganz allein darum, den Menschen zu helfen, ganz gleich, welche Nationalität sie besitzen.
    Ein Dolmetscher hilft bei der Verständigung. Ständig ist da auch die Angst vor dem Sterben, das Ausrücken zum Holz hacken ist durchaus gefährlich.


    Erzählt wird aus der Ich-Perspektive von Timo, seinen Gedankengängen folgt der Leser und aus seinem Blickwinkel erfährt der Leser von den Geschehnissen in dem Dorf. Die Erzählperspektive wird gegen Ende des Romans gewechselt - der Krieg ist vorbei, die Dorfbewohner sind zurück und Timo ist nicht mehr der Held im Alltagsleben.
    Als Leser fragt man sich, ob Timo nicht einfach ein Einfaltspinsel ist oder eher ein gerissenes Schlitzohr.
    Der Schreibstil und die feine Beobachtungsgabe von Roy Jacobsen haben mir gut gefallen.

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von Conor ()

  • Ich bin sehr begeistert von "Das Dorf der Wunder", ähnlich wie Kristin hat mir vor allem auch der letzte Abschnitt sehr gut gefallen. Jacobson schreibt in einer schöner, sehr reduzierten Sprache, der in der Tat sehr gut zum Inhalt passt. Ich konnte mich so gut in den Roman hineinversetzen, dass ich immer wieder das Gefühl hatte, einer der Holzfäller zu sein.


    Ein wirklich schönes Buch von einem Autor, von dem ich gerne noch mehr lesen möchte.

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Ich bin sehr begeistert von "Das Dorf der Wunder", ähnlich wie Kristin hat mir vor allem auch der letzte Abschnitt sehr gut gefallen. Jacobson schreibt in einer schöner, sehr reduzierten Sprache, der in der Tat sehr gut zum Inhalt passt. Ich konnte mich so gut in den Roman hineinversetzen, dass ich immer wieder das Gefühl hatte, einer der Holzfäller zu sein.


    Ein wirklich schönes Buch von einem Autor, von dem ich gerne noch mehr lesen möchte.


    :write Ich kann deinen Eindruck nur unterschreiben, buzzaldrin! Ich hab das Buch im Sommer gelesen und fand es einfach nur klasse. Hoffentlich erscheint von dem Autor bald wieder etwas Neues...


    Liebe Grüße
    Lille

  • Hört sich nach einem schönen Buch an - habe bisher noch gar nichts von diesem Autor gehört - aber das Buch werde ich mir auf alle Fälle merken. Dieses reizt mich vom Thema auch mehr als sein neues Buch..

    Einige Bücher soll man schmecken, andere verschlucken und einige wenige kauen und verdauen.

  • Zitat

    Original von verena
    Hört sich nach einem schönen Buch an - habe bisher noch gar nichts von diesem Autor gehört - aber das Buch werde ich mir auf alle Fälle merken. Dieses reizt mich vom Thema auch mehr als sein neues Buch..


    Ich bin auch nur durch die Büchereule auf diesen Autor aufmerksam geworden und habe es nicht bereut, "Das Dorf der Wunder" ist wirklich ein tolles Buch!

  • Auch mir gefiel der letzte Abschnitt am besten. Für mich war Timo eher ein Schlitzohr, anstatt ein Einfallspinsel. Auf den Fall möchte ich ihn so sehen. ;-) Ich kann dieses Buch nur jedem empfehlen. Für mich einer der ersten skandinavischen Autoren, der mir ausnahmslos gefällt. "Der Sommer in dem Linda schwimmen lernte" liegt schon bereit. Bis jetzt mein Monatshighlight.