OT: Maletes Perdudes
Kurzbeschreibung:
Gabriel, der in einem Waisenhaus aufwuchs, fährt mit seinem Möbel wagen kreuz und quer durch Europa. Die Nächte verbringt er bei seinen jeweiligen Familien – die nichts voneinander wissen. Erst als Gabriel spurlos verschwindet und sein katalanischer Sohn Cristòfol die Wohnung in Barcelona durchsucht, stößt er auf die Existenz seiner drei Brüder: Christopher, Christof und Christophe. Aus den Hunderten von Geschichten, die sich die vier Brüder erzählen, entsteht nach und nach das schillernde Bild eines Mannes, der auf vielen Hochzeiten tanzte. Lebt Gabriel noch, und hat er eine Erklärung für sie parat?
Ein wunderbar erzählter Roman, fabulierend und sprühend, über einen charmanten und liebenswerten Lebenskünstler.
Über den Autor:
Jordi Puntí, geboren 1967 in Manlleu, Barcelona, veröffentlichte 1998 seinen ersten Erzählband. 2007 erschien bei KiWi »Erhöhte Temperatur«. Er schreibt für »El País« und übersetzt unter anderem Daniel Pennac, Amélie Nothomb und Paul Auster ins Katalanische. Puntí ist eine der interessantesten Stimmen der katalanischen Literatur und erhielt für diesen Roman zahlreiche Preise. Er lebt mit seiner Frau, der Autorin Stefanie Kremser, in Barcelona.
Meine Meinung:
Vor über 30 Jahren haben die vier Halbbrüder Cristòfol, Christopher, Christof und Christophe ihren Vater Gabriel Delacruz zuletzt gesehen. Nun wurde er offiziell als vermisst gemeldet und die vier erfahren zum ersten Mal von der Existenz der drei anderen. Allein diese Idee ist schon so originell, dass man neugierig auf ihre Umsetzung ist - und die freudige Erwartung, hier einen besonderen Roman zu lesen, erfüllt sich tatsächlich: Als sich die vier Männer nämlich gemeinsam auf Spurensuche begeben und ihre jeweiligen Erinnerungen an den meist abwesenden Vater teilen, ergibt sich ein buntes Mosaik seines unsteten Lebens mit all seinen Irrungen und Wirrungen, die sich auf seinen zahlreichen Reisen quer durch Europa ereignen. Punti hat einen ganz wunderbaren lebendigen Erzählstil, dem es einfach Spaß macht zu folgen und durch den der Leser nicht nur die wichtigsten Episoden im Leben des Lebenskünstlers Gabriel Delacruz, sondern auch ganz nebenbei jede Menge über die politische Situation in Europa in den 60er Jahren erfährt. So empörend man Gabriels Verhalten am Anfang auch empfinden mag (ein Mann, der vier (!) verschiedene Familien in ganz Europa hat, ohne sich zu entscheiden), so wenig kann man sich seinem völlig unbedarften Charme entziehen, so dass man ihm vieles verzeiht - allerdings nur als Nicht-Betroffene und nicht als eine der vier Mütter, die unfreiwillig zu Alleinerziehenden wurden. Ob Gabriel am Ende wieder auftaucht, sei an dieser Stelle nicht verraten, nur soviel: der Roman lebt von seinen liebenswürdigen Figuren und absurd-komischen Ideen und hält für seine Leser nicht nur die ganze Palette menschlicher Emotionen, sondern auch so manche Überraschung bereit.
9 Punkte von mir!