Mr. Chartwell - Rebecca Hunt

  • Mr. Chartwell, Rebecca Hunt, Orig.titel „Mr Chartwell“, Übersetz. Hans-Ulrich Möhring, Luchterhand Literaturverlag, 2012, ISBN 978-3-630-87347-3


    Zur Autorin: (lt. Verlagsseite)
    Rebecca Hunt wurde 1979 in Coventry geboren und hat am Central Saint Martin's College, einer bekannten Londoner Hochschule für Kunst und Design, Kunst studiert und mit Auszeichnung abgeschlossen. Rebecca Hunt ist Malerin und lebt in London. „Mr. Chartwell“ ist ihr erster Roman, der für die Longlist des Guardian First Book Award und die Shortlist des Newcomer of the Year/Galaxy National Book Awards nominiert wurde.


    Meine Meinung:
    „Humor kann ein gutes Mittel sein, um sich mit komplexen und ernsthaften Themen auseinanderzusetzen“ erklärte Rebecca Hunt in einem Interiew. Mit ihrem Debütroman „Mr. Chartwell“ widmet sie sich dem Thema Depression humorvoll, klug und charmant. „Black Dog“ nannte Winston Churchill seine depressiven Phasen. Davon inspiriert siedelt die Autorin die Handlung an vier Tagen im Juli 1964 an, Winston Churchill steht kurz vor dem Ende seiner politischen Karriere. Zur gleichen Zeit beschließt die Bibliothekarin Esther Hammerhans, eine junge, einsame Witwe, die den Selbstmord ihres Mannes noch nicht überwunden hat, ein Zimmer ihres Hauses unterzuvermieten. Der einzige Bewerber, der sich meldet, ist ein Mr. Chartwell. Nicht nur dass er eigenartig, aufdringlich und unmanierlich ist – zudem ist er ein riesengroßer, zotteliger, schwarzer Hund. Mr. Chartwell ist niemand anders als der düstere, gierige Eindringling und Schatten, der sein Leben lang Churchills Seele verdunkelt und der nun droht, auch das Leben von Esther Hammerhans zu zerstören, wären da nicht ihre Freunde, ihre Kraft und – Winston Churchill.


    Die Faszination an Rebecca Hunts Roman entwickelte sich bei mir erst nach einigen Seiten. Empathisch und berührend nähert sich die Autorin dem Thema Depression, ohne den Leser niederzudrücken, aber gleichzeitig ohne zu verharmlosen. Der einzige wirklich lustige Charakter des Romans, Mr. Chartwell, auch genannt „Black Pat“, benutzt seinen Witz, um seine Opfer regelrecht zu verführen und sie in seinen Bann zu ziehen. Dennoch nimmt ihm Rebecca Hunt durch diesen Humor niemals seine Bedrohlichkeit. Die unmögliche, phantasievolle, mindestens so absurde wie geistreiche Geschichte über Esther, Churchill und den schwarzen Hund Mr. Chartwell unterhält, berührt und macht nachdenklich. Spätestens bei Esthers und Black Pats Gartenparty war ich so gefangen von der Geschichte, dass ich dem Höhepunkt, dem Aufeinandertreffen von Esther und Churchill, förmlich entgegenfieberte.


    Ich freue mich schon auf das nächste Projekt von Rebecca Hunt und hoffe, dass es sich ebenso wenig einem Genre zuordnen lässt wie ihr Roman „Mr. Chartwell“.


    9 von 10 Punkten

  • Ich hab nur den Klappentext gelesen und kurz die ersten zwei drei Seiten überflogen und mir das Buch dann spontan gekauft. Ich habe eine Geschichte erwartet, die in Richtung unterhaltsame Komödie geht, habe aber dann schnell gemerkt, dass ich hier ein Buch in den Händen halte das viel tiefgründiger ist als erwartet. Und es hat mir gefallen, sogar sehr gut gefallen und ich möchte dieses Kleinod möglichst vielen Lesern ans Herz legen.


    Stellen sie sich vor, sie möchten ein Zimmer untervermieten, es klingelt und sie öffnen guten Mutes und nichts böses ahnend die Tür und plötzlich steht ein kolossaler schwarzer Hund vor ihnen und spricht sie an... völlig geplättet und mit der Situation überfordert bitten sie diesen sprechenden Hund zu sich in die Wohnung... Dieser absurde Beginn, der an eine Halluzination erinnert, hat eine unglaublich anziehende, einem starken Magneten gleichende Wirkung und es gibt wohl keine(n) Leser/-in der nicht wissen will, woher der Hund kommt, weshalb er sprechen kann und sich für ein freies Zimmer interessiert. Schnell merkt der Leser das der hünenhafte schwarze Hund mit dem Namen Black Pat als Metapher für die Depression steht die gerade ins Leben Einzug hält.



    "Ich kann auf dich warten, wie du es nie begreifen wirst.
    Die Tage flitzen vorbei wie ein kreisendes Leuchtfeuer,
    und dahinter warte ich. Ich werde mir nehmen, wofür ich gekommen bin."


    Das Handlung spielt im Jahre 1964 und die alleinstehende Bibliothekarin Esther Hammerhans wird von Black Pat sinnbildlich überrollt und er nistet sich in ihrem Leben ein, genauso wie er es seit Jahrzehnten bei Winston Churchill tut. Der bedeutende britische Staatsmann, der lange Zeit unter Depressionen litt, war es auch, der den Begriff "schwarzer Hund" für seine düsteren Phasen im Leben kreiert hat. Die Methode des Hundes ist zu kommen und zu gehen wann immer es ihm passt und seine Keime, die sich in Angstattacken äussern, fressen sich bis ins Mark der betroffenen Menschen. Wortgewandt und bestimmt, ja dominant und zeitweisse sarkastisch zehrt er an der Lebenskraft und zieht Personen in einen dunklen Strudel und frisst sich in ihr Seelengestein. Mit Mark Corkbowl tritt aber unverhofft ein neuer Mann in Esthers Leben....


    Das Buch zeigt auf leicht verdauliche Art und Weise das alle von dieser Krankheit betroffen sein können. Von der Bibliothekarin bis zu einer bedeuten Figur der Zeitgeschichte. Die Erzählung ist wunderbar einfach gehalten und die leicht lesbare Sprache macht den Inhalt problemlos fassbar. Wie heisst es so schön auf dem Buchrücken "Britische Erzählkunst vom Feinsten" dem habe ich nichts mehr weiter hinzuzufügen.

  • @ sapperlot


    wie schön, daß Dir das Buch auch so gut gefallen hat. Bei mir ist die Lektüre ja jetzt schon eine Weile her und das Buch wirkt immer noch nach. Es ist wirklich ein Kleinod.


    Übrigens wäre ich Dir sehr dankbar, wenn Du zu "Im Rausch der Freiheit" an anderer Stelle hinterläßt, wie es Dir bis dato gefällt, da ich daran sehr interessiert bin.

  • Dem Leser erschliesst sich der tiefere Sinn dieses Buches ziemlich schnell, jedenfalls war dies mein Eindruck. Die junge Autorin hätte wahrscheinlich auch irgendwas hochtrabendes und komplexes ala "ich bin ja sooo furchtbar intelligent und sooo intellektuell" daraus machen können aber sie belässt es bei der einfach zu verstehenden Sprache und das ist möglicherweise eine grosse Kunst in der Literatur die nur wenige beherrschen. Ein schwieriges Thema das Betroffenheit auslöst mit feinem Humor einfach und stilsicher erzählt - Kompliment.


    Erwähnenswert sind die teilweise grandiosen Dialoge mit Black Pat - Gegen seine brilliante Rhetorik und treffenden Argumente ist nur sehr schwer beizukommen. :anbet


    Die Bücher vom Luchterhand Verlag reizen mich diesbezüglich immer wieder - es hat einige Perlen darunter aber auch Bücher mit denen ich absolut nichts anfangen konnte. Stehts ein schmaler Grat zwischen grandios und gepflegter Langweile.


    Beim "Rausch der Freiheit" werde ich im entsprechenden "Ich lese gerade..." Thread was schreiben sobald ich Seite 488 erreicht habe. (Ende des 1. Teils)

  • Im Büchermagazin von Hugendubel wird das Buch auch angepriesen. Dort hat es mein Interesse geweckt und ich sehe nun voll Freude, dass zwei Eulen das Buch gelesen schon haben und mögen. Es wandert auf meine Wunschliste.


    Vielen Dank für eure Rezis! :wave

  • Mir hat dieses Buch auch sehr gut gefallen, auch wenn ich am Anfang nicht ganz so angetan war. Pelican und sapperlot haben sonst alles zu diesem Buch gesagt.

  • Diese sehr ungewöhnliche Geschichte hat mir im Gegensatz zu meinen Vorschreibern nicht gefallen. Dennoch hat es mich zum Nachdenken gebracht und dann kann ein Buch gar nicht so schlecht sein ;-). Mit der verwendeten Grundidee, einen Hund als Metapher für Depressionen zu verwenden, konnte ich mich überhaupt nicht anfreunden. Daher empfand ich die gesamte Situation als überaus skurril und merkwürdig und konnte den Sinn dahinter zwar verstandsmäßig erfassen, aber gefühlsmäßig wenig damit anfangen. Es gab einige andere Bilder in dem Buch, die mich persönlich mehr angesprochen haben.


    Das Buch ist in sehr kurze lesefreundliche Kapitel gegliedert und beschränkt sich auf einige wenige Hauptpersonen und einen durchgehend roten Erzählfaden, ohne großes Drumrum. Von daher lesen sich die Schilderungen von fünf Tagen Ende Juli 1964 sehr kurzweilig und ans Aufhören habe ich trotz meines Grundunverständnis deshalb nie gedacht. Es gibt einige schöne, sehr poetische Sätze, die mir gut gefallen haben, genauso wie die ruhige, unaufgeregte Erzählweise. Mich hat es inspiriert, mir meine eigenen Gedanken über die sehr belastende Krankheit Depressionen zu machen.


    Fazit: Mir hat es nicht zwar nicht gefallen, doch ich wurde angeregt, über das Gelesene nachzudenken. Dadurch und durch seine Ungewöhnlichkeit ist es ein Buch, an dass ich mich noch lange erinnern werde. Deswegen gibt’s 7 Punkte.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Mit dem Thema Depressionen kenne ich mich persönlich nun (Gott sei Dank) mal gar nicht aus. Habe diese höchstens in gewissen Hormon-Hoch-und-Tief-Zeiten am Rande kennengelernt.
    Rebecca Hunt bringt einem diesen Gemütszustand jedoch mit liebevoll ausgearbeiteten Figuren und klugen, manchmal unfreiwillig witzigen Dialogen sehr nahe.
    Wer schon einmal den Ausdruck "innerer Schweinehund" gehört hat oder davon, dass Churchill selbst seine Depressionen den "schwarzen Hund" genannt hat, dem mag der Plot nicht mehr ganz so merkwürdig vorkommen, sondern es ergibt sich eine gewisse Logik; dass nämlich die personifizierte Melancholie im Buch, Mr. Chartwell, gar nichts anderes sein kann als ebendies: ein schwarzer Hund.
    Und dieser benimmt sich wirklich widerlich. So widerlich, dass in mir der still gehegte Wunsch nach einem eigenen Hund erst einmal wieder flöten gegangen ist.


    Trotz der gegensätzlichen Stimmungen in der Geschichte handelt es sich für mich fast schon um eine Art Wohlfühlbuch.


    Von mir gibt es 8 gute Punkte.
    Warum nicht 9 oder gar 10? Weil ich es teilweise etwas in die Länge gezogen fand.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“