Beiträge von MelanieM

    Vorab mal ein dickes Dankeschön an MelanieM für die vielen interessanten Zusatzinfos!

    Und Euch allen für den tollen Austausch!

    Das freut mich sehr, der Dank für die interessierte Teilnahme wird gleich zurückgegeben :-)

    Fräulein Juliane taut ein wenig auf, ich hatte ja erst ein wenig Sorge als Friederike sie mit dem netten jungen Tischler alleine gelassen hat... aber der konnte ihr ja tatsächlich ein wenig helfen.

    Der ist ein Naturtalent für Psychiatrie und macht später alles besser ;-)

    Hab dir jetzt nochmal im Spoiler geantwortet.:wave

    Ich habe hier übrigens noch mal ein Bonbon für dich - das ist aus dem Epilog von Mohlenberg 3, das noch nicht erschienen ist und an dem ich gerade schreibe. Vielleicht verschafft das ja ein wenig Genugtuung.


    Vielen Dank. Ich antworte mal im Spoiler zurück:



    Aber so ist das nun mal........nicht jedes Buch endet so, wie man es sich wünscht. ;-)

    Ich antworte dir zu deinem Spoiler auch mal in einer Spoiler-Antwort.


    Haben die behandelnden Ärzte das alles wirklich geglaubt oder haben sie nur gerne experimentiert?

    Es gab beide Sorten. Die, die es glaubten, aber wenn sie merkten, dass es nichts bringt, auf andere Behandlungsmethoden übergingen und die, die gern experimentierten. Die zweite Gruppe hatte dann unter den Nazis ihr persönliches Paradies gefunden.

    Leider wussten die Menschen ja noch wenig von den inneren Zusammenhängen im menschlichen Körper und Geist. Und ohne Forschung und sicherlich auch ohne Fehlversuche mit falschen Behandlungsmethoden, hätte man oft nicht die richtigen gefunden. Schlimm finde ich nur, wenn sich Methoden festgesetzt haben, die nur durch fortwährende Schmerzen zum Erfolg führten und man die Menschlichkeit und das Wohlergehen der Kranken vollkommen ausblendete.

    Das ist heute bei vielen Erkrankungen noch immer der Fall. Man denke nur an Chemotherapien bei Krebs. Da ist letztlich ja auch das Ziel, die Krebszellen mit der höheren Teilungsrate schneller als die gesunden Zellen zu töten. Es hilft in vielen Fällen, aber ist gruselig. Wer weiß, was die Leute in 100 Jahren dazu sagen werden.

    Mit Strom oder Eiswasser oder noch schlimmer ertränken. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was für fürchterliche Schicksale in diesen Kliniken Menschen erleiden mussten.

    Zum Thema Strom - Elektrokrampf-Therapie, kurz EKT - muss ich was zur Ehrenrettung sagen. Diese Therapieform gibt es bis heute und ist - bei den richtigen Diagnosen angewendet, hochwirksam. Sie wird allerdings heutzutage unter Vollnarkose gemacht, die Narkose dauer 15 min und ist gut verträglich.


    Es gibt Zustandsbilder - die Katatonie bei Schizophrenie oder die stuporöse Depression - die lebensbedrohlich werden können. Die Menschen haben dann oft mehr als 40°C Fieber, die Muskeln lösen sich auf (Rhabdomyolyse) und nichts hilft. Die würden sterben.


    Man hat festgestellt, dass ein leichter gezielter Stromstoß das Gehirn dann wieder ins Gleichgewicht bringt - ähnlich wie bei der Herzdefibrilation mit Strom. Wie genau das funktioniert, sprengt hier den Rahmen. Aber es wirkt. Auch bei schweren therapierefraktären Depressionen ohne das lebensgefährliche Syndrom. Allerdings genügt nicht eine Behandlung, sondern es müssen immer mehrere, meistens 9 bis 12 Behandlungen an mehreren Tagen, durchgeführt werden. Der Effekt ist ganz erstaunlich. Meine erste Erfahrung damit machte ich 1998 - eine Frau mit einer Katatonie und Rhabdomyolyse, wo selbst auf der Intensivstation nicht mehr viel machbar war, bis der Chef meinte, das wäre eine EKT-Indikation. Die Frau war vorher bettlägerig und völlig geistig desolat - mit der konnte man nicht mal mehr reden und wir brauchten eine Eilbetreuung, damit ein gesetzlicher Betreuer für diese Therapie das Einverständnis geben konnte.


    Nach den ersten zwei EKTs passierte noch nicht viel, nach der dritten konnte sie wieder sprechen. Nach Abschluss der Serie war sie wieder völlig klar und konnte aus dem Krankenhaus entlassen werden und selbstständig in ihre Wohnung zurückkehren.


    Wenn ihr jemals EKT heutzutage hört, ist das keine Folter, sondern eine hochwirksame Behandlung bei der richtigen Indikation. Das ist dann so ähnlich zu betrachten wie Herzdefibrilation bei der Reanimation.


    Natürlich ist EKT kein Wundermittel. Man setzt ja auch eine Herzdefibrilation nicht willkürlich bei jeder Herzerkrankung ein. Aber es gibt Indikationen.


    Auch die Insulinschocktherapie war nicht als Quälerei geplant. Die Ärzte hatten damals beobachtet, dass schizophrene Diabetiker, die durch Zufall unterzuckert waren, danach ein paar Tage etwas klarer waren. Es gibt auch da Zusammenwirkungen mit dem Hirnstoffwechsel. Diese Therapie ist allerdings lebensgefährlich und wurde deshalb schnell wieder beendet. Und es war natürlich Unsinn, Kriegszitterer, die eine Posttraumatische Belastungsstörung hatten, damit zu behandeln. Das hilft nicht. Die brauchen Ruhe, Verständnis und eine spezifische Traumatherapie. Aber das wusste man damals noch nicht.

    Wieder was gelernt. Hätte es bei Frontalhirn-Schädigung eine Heilungsmethode gegeben? Gibt es die heute? Oder nur Medikamente?

    Nein, bei Hirnschädigungen gibt es grundsätzlich keine Heilungsmethoden, weil Hirngewebe nicht nachwächst. Was weg ist, ist weg. Bei kleinen Kindern können sich Unfallfolgen noch verwachsen, wenn noch unbelegte Hirnareale die Funktionen übernehmen. Bei Erwachsenen ist das nur noch sehr begrenzt möglich. Medikamente helfen auch nur gegen Verhaltensauffälligkeiten, wenn sie dämpfend wirken.

    Ganz allgemein - das Konzept der multiplen Persönlichkeit, wie es in vielen Romanen vorkommt, ist unter Fachleuten stark umstritten - also dass es da von einander unabhängige Persönlichkeiten gibt, auf die der Mensch keinen Einfluss hat und an deren Taten er sich nicht erinnert (beliebtes Romanthema).


    Was es gibt, ist die dissoziative Identitätsstörung, die verschiedene Ausprägungen haben kann. Im schlimmsten Fall kann es sich auch so anfühlen, als gäbe es mehrere verschiedene Persönlichkeiten, aber es gibt auch abgeschwächtere Formen, bei denen es nur Erinnerungslücken gibt, ohne dass es eine Vielzahl von Persönlichkeiten gibt. Die abgeschwächteren Formen sind viel häufiger. Und in gewisser Weise sind wir alle "multiple Persönlichkeiten", weil wir in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedliche Rollen spielen. Der Chef auf der Arbeit ist ein anderer, als der Sohn, der seine Eltern besucht, der Ehemann, Vater, Bruder oder Freund. Krass sah man so etwas ja bei Nazi-Größen. Der KZ-Scherge, der Leute zu Tode quält versus dem liebenden Vater und dem Hundefreund.

    Normalerweise ist uns aber bewusst, dass wir unterschiedliche Seiten haben, wir nutzen das auch ganz bewusst. Bei dissoziativen Identitätsstörungen geht dieses Bewusstsein verloren. Dann gibt es oft keine Erinnerung.

    Die multiple Persönlichkeitsstörung ist dabei eine in der Wissenschaft umstrittene Maximal-Ausprägung, die sehr selten ist. Wer seine Persönlichkeiten wie eine Firma führen kann, hat ja Zugang und eine Strategie gefunden, seine Persönlichkeitsanteile bewusst interagieren zu lassen, so wie es normale Menschen unbewusst tun.


    Was genau mit Juliane Brunner ist, kommt dann später, wenn es mehr um ihr Störungsbild in einem der folgenden Abschnitte geht.

    Das passt ja dann eigentlich auf den Ludwig Breuer? Da erzählt die Mutter, dass er sich auch unangemessen (ordinär, gerade in Bezug auf Frauen) verhält.

    Genau. Der hatte ein Frontalhirnsyndrom. Dabei ist dann ein distanzloses Verhalten häufig der Fall, weil die Leute ihr Verhalten nicht mehr regulieren können und es auch nicht so wahrnehmen.

    D.h. an jemandem wie Bernhard mit einer Hirnschädigung wären nie diesen Behandlungen wie die Kältpackungen etc. vollzogen worden?

    Für mich stellt sich nur die Frage, weil viele neurologische Krankheiten ja erst in den letzten Jahrzehnten besser bekannt geworden sind. Also wenn man noch nicht wusste, woher was kommt und wie das einzuordnen ist. Ich denk da jetzt gerade an Tics und Tourette-Syndrom.

    Wenn ein Mensch mit einer Hirnschädigung dabei freundlich bleibt, wären solche Dinge nicht mit ihm gemacht worden. Es wäre eher interessiert untersucht worden, was er alles nicht mehr kann und daraus haben Forscher früher auch die Landkarte des Gehirns gezeichnet - wenn jemand eine Hirnverletzung hatte und plötzlich bestimmte Dinge nicht mehr gingen, wusste man, dass dann der beschädigte Hirnteil dafür zuständig war.


    Bei Leuten mit einem unangemessenen Verhalten, also z.B. Frontalhirnschäden, hat man auch andere Maßnahmen gemacht, um "ihre Nerven zu beruhigen" - also um ein angemesseneres Sozialverhalten zu erreichen. Sachen wie Tics und Tourette wären damals noch als Geisteskrankheit gewertet worden, außer, sie wären erst im Nachhinein nach einer Hirnschädigung entstanden.

    Richard kommt dann in der Reihe um die Leisen Helden vor, nicht?

    Als diese doch sehr wohltuende Figur auftritt, habe ich mich gleich an Gespräche mit meiner Mama erinnert. Ich hatte ihr die zwei Bücher "Im Lautlosen" und "Die Stimmlosen" auch geschenkt und sie hat mir dann immer erzählt, wie, wer und was. Da kam mir der Richard irgendwie bekannt vor.

    Genau, das ist der Richard aus Im Lautlosen.

    Aber eigentlich ist der Neurologe ja ein Nervenarzt, bloß in einer anderen Bedeutung, als man damals Nervenarzt gebraucht hat.

    Es gab damals schon die gleichen Differenzierungen wie heute.

    Neurologe - der Arzt, der mit den Erkrankungen der Nerven zu tun hat, die nichts mit der Psycho zu tun haben. Also Lähmungen, Parkinson, Hirnschädigungen oder -erkrankungen, Schlaganfälle etc.

    Psychiater - der Arzt, der mit den psychischen Erkrankungen, die Umgangssprachlich auch "Nervenerkrankung" genannt werden, obwohl sie nicht neurologisch sind, zu tun hat

    Nervenarzt - das Bindeglied zwischen beiden - heute gibt es einen Facharzt für Nervenheilkunde, die Leute müssen dann drei Jahre Neurologie und drei Jahre Psychiatrie machen. Im Gegensatz dazu machen Psychiater 1 Jahr Neurologie und 4 Jahre Psychiatrie und eine komplette Psychotherapieausbildung, wie sie auch Psychologen machen müssen, wenn sie eine Approbation als kassenärztlicher psychologischer Psychotherapeut wollen. Und Neurologen machen 1 Jahr Psychiatrie und 4 Jahre Neurologie.

    Das waren größtenteils junge, gesunde Männer, die in einen Krieg geschickt wurden und für ihr Vaterland kämpften, dann kamen sie zerstört und gebrochen nach Hause und mussten so was erleiden.

    Ja, das war ein große Unrecht. Das ist in "Im Lautlosen" auch der Grund, warum Richard sich für die Psychiatrie entscheidet - er will alles besser machen. Und das macht er auch - er hab bloß das Pech, dass die Zeiten sehr schwierig für Idealisten sind.

    Bei dem Wort Idiot bin ich immer wieder erstaunt, also wenn man sich die Wortherkunft mal vor Augen hält.

    Eigentlich stammt es aus dem Griechischen ἰδιώτης = „einfacher Mensch; Privatmann; Laie“ von ἴδιος = „eigen; den Einzelnen betreffend“. Natürlich ist ein Laie jemand, der von einem Gebiet keine Kenntnis hat, d.h. aber nicht zwingend, dass er nun ein Idiot

    Diese Definition passt aber gut, wie es medizinisch einst gemeint war - ein sehr einfach gestrickter Mensch, der anderen in seinen Geistesgaben unterlegen ist.

    Da würde ich mich über Leseempfehlungen von dir freuen - also gut dargestellte psychische Erkrankungen in Romanen, nicht beschränkt auf Schizophrenie.

    Das ist echt schwierig - es gibt leider sehr viele, die Klischees bedienen. Ich werde mir in den nächsten Tagen mal ein paar Gedanken machen, welche mir einfallen. Spontan wäre es von Margaret Atwood "alias Grace", der mir gut gefallen hat.

    Nach meinem letzten Buch, das eigentlich ein historischer Krimi sein sollte/wollte, sich aber irgendwie in vielen Dingen verloren und dementsprechend holprig gelesen hat, bin ich bei diesem Buch gar nicht so sehr von "Krimi" ausgegangen, aber hier sind schon wesentlich mehr Ermittlungsansätze und logische Fragstellungen dabei.

    Das freut mich. Der Kriminalfall soll hier eher so eine leichte Kriminote geben, um den roten Faden - das Sittengemälde der Zeit - elegant durch das Buch zu führen.