Beiträge von rumble-bee

    Eine Wundertüte ist auch dieses Buch!




    Ich bin immer wieder beruhigt, wenn mich mein erster Eindruck nicht trügt. Wie bei diesem Buch! Die Leseprobe hatte mich schon mehr als neugierig gemacht. Endlich mal ein Sachbuch, ein Erfahrungsbericht, der auch mit Verstand geschrieben ist, und der dennoch nicht zu wenig Stoff zum Nachdenken bietet. Deutschland ist ja spätestens seit Betty Mahmoody in einer wahren Flut von "Betroffenheitsliteratur" untergegangen, wobei leider nur die wenigsten "Betroffenen" auch gute Autoren waren. Ganz anders hier!


    Ich muss noch ein wenig weiter die rein literarischen Vorzüge dieses Buches loben, bevor ich auf den Inhalt eingehe. Also: Sandra Roth ist nicht nur die Mutter des schwerbehinderten kleinen Mädchens, sondern auch Journalistin und freie Autorin. Das merkt man auf jeder Seite! Sie hat das Buch erkennbar "für ihre Leser" geschrieben, hat sich bemüht, es interessant zu gestalten. Die Sprache bewegt sich dabei sehr kunstvoll auf einem schmalen Grat zwischen Bericht, journalistischem Essay und Tagebuch. Wirklich sehr angenehm zu lesen! Und die erzählerischen Mittel, die sie einsetzt, sind gut gewählt und platziert.


    Sie schiebt zum Beispiel immer mal wieder rein reflexive Abschnitte ein, in denen sie Stellung nimmt zu gesellschaftlichen Un-Möglichkeiten. Oder zum Verhalten der Menschen in ihrem Umfeld. Sie bringt außerdem öfters kleine "Vorausdeutungen", was die Spannung erhöht - zum Beispiel, "dies sollte das einzige Mal sein, dass..." oder "wir wussten ja noch nicht, dass...". Und sie springt gelegentlich ein wenig im Zeitstrom vor oder zurück, um später tiefer darauf einzugehen. Das alles hält den Leser wirklich gut bei der Stange! Nicht zu vergessen ist das erfreuliche Ausbleiben von zu viel "Fachchinesisch".


    Nun zum Inhalt! Auch hier wurde ich nicht enttäuscht. Das Buch ist einerseits eine Chronik der ersten drei Jahre mit Lotta; andererseits ist es viel mehr als das. Es ist gleichzeitig Tagebuch und gesellschaftliche Anklage. Es bietet jedem Leser zahlreiche Gelegenheiten, in sich zu gehen und sich zu fragen, wie er sich entschieden hätte. Es entlarvt gekonnt allerlei falsche und wohlmeinende Reaktionen. Und es ist vor allem ein bewegendes Denkmal für Lotta, für die Liebe, die ihre Eltern ihr (trotz allem) entgegen bringen. Diese Liebe ist nicht quietschrosa, eher pastellfarben. Aber deswegen umso überzeugender.


    Mehr möchte ich nicht zum Inhalt sagen, da ich ihn sonst zerreden würde. Ich möchte lediglich noch eine Anmerkung machen - wobei ich betonen möchte, dass dies nicht negativ in meine Wertung eingeht.


    Mir ist aufgefallen, dass Frau Roth gewisse Dinge sehr kunstvoll überspringt und auslässt. Absichtlich? Mir persönlich fehlt zum Beispiel völlig der Grund, die Motivation, warum sie dieses Buch überhaupt geschrieben hat. Wer hatte die Idee dazu? Was ist das "Warum" dahinter? Diente das Verfassen des Buches der seelischen Verarbeitung, oder war von Anfang an eine Veröffentlichung geplant? Und woher nahm sie nur die Zeit - laut Buch hatte sie doch dauernd Termine mit Lotta, und kam zu nichts...? So stellt sie es jedenfalls dar. Und die Geschehnisse im Buch enden, wenn ich mich nicht irre, im Jahr 2012. Wir haben jetzt 2013 - nur ein Jahr für das Abfassen, Redigieren, Lektorieren dieses großartigen Textes? Wie hat das nur geklappt?


    Ich persönlich hätte auch gerne mehr über die eigentliche Geburt, und die erste Zeit danach, erfahren. Nicht aus Voyeurismus, sondern weil ich mir Fragen stelle. Wenn ein Kind eine gefährlich veränderte Ader am Kopf hat, wie kann es dann eine natürliche Geburt überstehen?? Oder war es ein Kaiserschnitt? Wir erfahren es nicht. Außerdem habe ich immer wieder gehört, behinderte Kinder seien in der ersten Zeit nur schwer zu füttern. Hierzu gibt es widersprüchliche Angaben im Buch. Einmal sagt Sandra Roth, ihr Sohn habe interessiert beim Stillen zugeschaut. Dann wieder heißt es, die Ernährung Lottas nach der Geburt sei per Milchpumpe und Fläschchen abgelaufen.


    Ich möchte diese Dinge, wie gesagt, einfach nur als "Anmerkungen" stehen lassen. Mir hat das Buch dennoch überaus gut gefallen! Schon lange war ich von einem Sachbuch nicht mehr so gefesselt, und im Innersten angesprochen. Dies ist ein Buch, das ich bedenkenlos weiterempfehlen - und erneut lesen! - würde.

    Mir ist völlig unerklärlich, warum diese Reihe (nach bald 20 Jahren Erfolg im Heimatland!) erst jetzt in Deutschland erscheint. Sehr erklärlich ist mir hingegen der Grund, warum Agatha Raisin in England zum Kult wurde: Sie ist, so scheint mir, ganz bewusst als Gegengewicht zu Miss Marple & Co. aufgebaut worden. Sie ist exzentrisch, sozial unbegabt, und resolut im Handeln. Und sie tritt in beinahe jedes verfügbare Fettnäpfchen... sicherlich beim ersten Erscheinen ein wahres Fest für Krimi-Fans in England!


    Es stimmt, es werden in diesem ersten Band so gut wie keine Klischees ausgelassen, die das englische Dorfleben betreffen. Aber: durch Agathas herrlich rabenschwarzen Umgangston, und den auch sonst vorherrschenden schwarzen Humor, werden genau diese Details aufs Korn genommen, dass es nur so kracht. Ich verstehe die Schilderung des Dorflebens vor allem als liebevolle Satire, und habe sie intensiv genossen!


    Agatha Raisin ist so herrlich anders, als eine "handelsübliche" Ermittlerin. Detektivin ist sie nie gewesen - nur erfolgreich in der PR-Branche. Ihre so erworbenen Fähigkeiten setzt sie sofort an ihrem neuen Wohnort um, und mischt so das Dorfleben herrlich auf. Ich wurde wirklich köstlich unterhalten!


    Besonders glaubhaft machte diesen Band, dass Agatha selber so ihre Startschwierigkeiten mit dem Dorfleben hat. Sie sieht die Dörfler mit neutralen, ja kritischen Augen. Und die sie ebenso! Es entlockt dem Leser mehr als einen kräftigen Schmunzler, die gegenseitigen Gedanken der Personen zu verfolgen - die von mehr als leichtem Unverständnis geprägt sind...


    Der Fall an sich ist herrlich unblutig, und vom Verlauf her "very british". Ich habe mich wie mitten in einem Inspector-Barnaby-Krimi gefühlt! Es gab auch keine allzu unlogischen Zufälle - Agatha zieht nur an genau den richtigen Stellen die richtigen Schlüsse. Am Ende wird es um Haaresbreite dramatisch, mit der Folge, dass sie dann doch in ihrem Cottage wohnen bleibt. Ein Ende, das mir gefallen und mich überzeugt hat.


    Warum dann nur vier Sterne? Weil ich den Schreibstil der Autorin stellenweise als spröde und ein wenig sprunghaft empfunden habe. Vor allem gegen Ende gab es ein paar Schnitte, die mir zu plötzlich kamen. Und viele Sätze waren auch sehr kurz, sehr forsch formuliert. Andererseits passt das natürlich wunderbar zu Agathas Charakter. Nun ja. Insgesamt bin ich wirklich mehr als neugierig auf Agatha geworden, und werde mich garantiert mit den weiteren Bänden befassen!

    Der zweite Fall mit Kommissar Dühnfort - auch für mich. Merkwürdigerweise hat mir ein noch späterer Band der Reihe ("So unselig schön") weniger gefallen. Doch an diesem Band war - fast - alles rund, und bis zum Schluss spannend. Ich habe ein packendes Familiendrama erwartet, und es auch bekommen. Dazu einen Kommissar, der mir einleuchtete und mir etwas sagte. Doch von vorn.


    Ganz klassisch, beginnt das Buch mit einem Prolog, der offenbar vor längerer Zeit spielt. Ein kleiner Junge wird durch grausame Erziehungsmaßnahmen gequält und drangsaliert, fast bis zum Tod. Man ahnt: das wird irgendwann später explodieren. Richtig geraten!


    Schon in der nächsten Szene, dem ersten Kapitel, gibt es den ersten Toten. Ein älterer Herr wurde mit Gürteln an die Heizung seines Wochenendhauses gefesselt, dort allein gelassen, und ist qualvoll verdurstet. Dies ist sozusagen die "Spätfolge" des Prologs. Auch der bald auftauchende Kommissar Dühnfort ahnt, dass der Täter im Familienkreis zu suchen sein muss. Denn der Tote war alles andere als beliebt. Nun beginnt sich zuerst langsam, dann immer schneller das Karrussell der Verdächtigen zu drehen. Der Tote hatte mehrere Kinder, die unter ihm litten. Und auch im Umfeld der Familie stimmte so gut wie nichts - nur nach außen hin.


    Was folgt, ist ein recht klassisch geplotteter Krimi. Die Szenen wechseln sich regelmäßig ab: der Kommissar mit seinen Ermittlungen - diverse Kinder des Toten - ihre privaten Verwicklungen - ihre Verdächtigungen untereinander. Ein geradezu erwartbares Moment ist dabei die vernachlässigte, betrogene und schließlich misstrauische Schwiegertochter. Des weiteren der Sohn mit Finanznöten. Und die einzige Tochter, die alles verdrängt hat und Karrierefrau wurde. Sie alle werden dazu gedrängt, sich der Tatsache zu stellen, wie ihr Vater wirklich war. Und dass einer von ihnen das nicht verarbeiten konnte.


    Ich habe lange überlegt, ob ich vier oder fünf Sterne geben soll, und entscheide mich schließlich doch für die Höchstwertung. Denn obwohl das Buch nicht fehlerfrei ist, hat es mich doch glänzend unterhalten, und viele spannende Stunden beschert. Ich finde, man sollte auch einmal über kleinere Macken in Handlung und Logik hinwegsehen dürfen! Sehr schön und ausgeglichen dargestellt fand ich den Genussmenschen Dühnfort, und seine privaten Wirren. Dies ist für mich der erste Krimi, in dem sich ein Mann und seine Ex Mails schicken, und dabei aus den "Fleurs du Mal" von Baudelaire zitieren...!


    Es gibt eigentlich nur wenige Kritikpunkte. Die Schwiegertochter war wirklich ein wenig naiv. Die ganze Zeit wünscht man sich, sie zu schütteln! Und - leider? - war mein persönlicher, instinktiver erster Verdacht, wer es denn nun war, richtig. Natürlich war es nicht derjenige, den die Polizei lange verdächtigte! Die logische Schlussfolgerung drängte sich einem geübten Krimi-Leser geradezu auf. Und auch die "Aufdeckung" eines entscheidenden Details durch ein Tagebuch - ausgerechnet! - fand ich nicht ganz überzeugend. Es handelte sich um eine Tatsache, die sich das Opfer eigentlich schon länger hätte denken können - wo er doch ein so gerissener Mann war.


    Doch, wie gesagt, letzten Endes hat mich die Mischung des Ganzen überzeugt. Das Buch nimmt wirklich ständig an Tempo auf, um in einem wahrlich filmreifen Showdown zu enden - der um Haaresbreite schief gegangen wäre. Sehr schön waren auch die Beschreibungen von Orten, Wohnungen und Häusern. Man merkt schon sehr, dass die Autorin ursprünglich im Bereich Grafik-Design gearbeitet hat! Sie hat einen Blick für solche Details.


    Ich empfehle das Buch sehr gerne weiter - sowohl an Fans von klassischen Krimis, als auch an Freunde von ausgewachsenen Familiendramen.

    Liebe SiCollier,


    so kenne ich Dich ja gar nicht - schon das zweite religiöse Buch, dass Du in letzter Zeit hier rezensierst, und das mich sofort zum Kaufen und Lesen animiert...


    In der Tat, obwohl ich kein Christ (mehr) bin, habe auch ich mich damals pikiert gefühlt, als David Safier in seiner Bestseller-Schleuder-Manier auch noch "Jesus liebt mich" schreiben musste...


    In meiner Klasse sind etliche junge Musliminnen, und ich habe den Eindruck, von denen wird man schon schief angesehen, wenn man eine halbwegs humorvolle Bemerkung über Kopftücher macht... ich mag mir gar nicht vorstellen, welcher Sturm losbrechen würde, würde jemand ein "witziges" Buch über den Islam schreiben...


    Das eigentliche Problem, so glaube ich, ist noch nicht einmal der Humor. Sondern die Tatsache, dass nur noch das als witzig wahrgenommen wird, was unter die Gürtellinie geht. Und das muss nicht sein...!


    Auf jeden Fall vielen Dank für diese Buchvorstellung!

    Von Rose Tremain hatte ich nur Gutes als Autorin von Historischen Romanen gehört. Nach dem Lesen dieses Buches bin ich aber leider nicht sehr dazu angetan, in das allgemeine Loblied einzustimmen. Ich möchte es einmal so sagen - ich bin "auf hohem Niveau" enttäuscht von diesem Buch. Es ist nicht "schlecht", das will ich nicht gesagt haben. Aber es ging so völlig an dem vorbei, was ich erwartet hatte. Und daran sind der Verlag, die Vermarktung, der Klappentext, nicht ganz unschuldig.


    Versprochen wird dem Leser eine spannende Episode aus dem Leben eines alternden englischen Arztes und Lebemannes. Er reist nach Frankreich, an den Hof des Sonnenkönigs, und begegnet dort der Liebe seines Lebens. Soweit die Behauptung des Verlags. Zudem hatte ich mich, der Leseprobe entsprechend, auf viel Witz und eine Midlife-Crisis "auf historische Art" gefreut. Doch was ich bekommen habe, wich doch sehr davon ab.


    Von Witz keine Spur, stattdessen haufenweise Zynismus, zerquälte Rückblicke, und mangelnde Entschlussfreudigkeit. Oder völlig überstürzte Handlungsweisen. Das alles umrahmt von einer derart drastisch-derb-vulgären Handlung, dass es mir die Mittelalter-Romantik für alle Zeiten höchst wirkungsvoll ausgetrieben hat. Streng betrachtet, spielt der Roman natürlich nicht im Mittelalter, sondern im Barock - aber es wird sicherlich verständlich, was ich meine. Es ging mir persönlich einfach eine Spur zu viel um Körper und ihre Flüssigkeiten. Und um höchst fragwürdig ausgeführte medizinische Prozeduren.


    Ein wenig ärgerlich bin ich auf den Verlag, weil er den Klappentext "ins Spannende hinein" manipuliert hat. Die Episode am Hof des Sonnenkönigs nimmt nicht einmal ein Viertel des Buches ein! Und Louise de Flamanville ist mitnichten die "große Liebe" von Sir Merivel. Im Gegenteil, auch mit ihr vergnügt er sich wie mit vielen anderen. Und scheut ausdrücklich davor zurück, sie zu heiraten!


    Überhaupt - was nicht alles schief geht in diesem Buch...! Die Kutsche auf dem Weg nach Frankreich wird ausgeraubt. König Ludwig bekommt Sir Merivel nie persönlich zu sehen. Louise ist verheiratet, ihr Gatte wirft Merivel hinaus. Merivels Tochter erkrankt lebensbedrohlich. Briefe kommen nicht an. Es gibt Missverständnisse und finanzielle Engpässe. Merivel landet beinahe fälschlich im Armenhaus. Und den Tod der Menschen, die ihm am liebsten waren, verpasst er samt und sonders. Sogar eine alte Freundin stirbt ihm unter den Händen weg. Meine Güte, da wird man ja trübsinnig...!


    Das ganze Buch strahlte für mich eine extrem hohe "Rückwärtsgewandtheit" aus. Und erst nach Beendigung der Lektüre fand ich einen Grund dafür heraus. Der Verlag verschweigt uns Lesern nämlich auch noch, dass dieser Band eine Fortsetzung ist... Mit Verlaub, das hätte ich gerne vorher gewusst. Zumal der erste Band ja sogar schon verfilmt wurde! (Unter dem Titel "Zeit der Sinnlichkeit".)


    Warum es bei mir dann doch drei Sterne werden? Nun, ich gestehe dem Buch zu, dass es eigentlich weniger um Sir Merivel geht, sondern um das Ende einer ganzen Epoche. Worauf auch die abblätternde Tapete auf dem Cover hinweist. Denn nahezu zeitgleich mit Merivel stirbt König Charles, und allerorten ergeht sich das Volk in trüben Vermutungen über Englands Zukunft. Nun wird der Herzog von York König. Ich müsste nachlesen, bin historisch nicht allzu bewandert. Aber das müsste in etwa mit den Religionskriegen in England zusammenfallen.


    Zudem war zumindest die schriftstellerische Technik auf erkennbar höherem Niveau angesiedelt. Die Sprache fand einen ganz eigenen Rhythmus aus Lesbarkeit und historischer Echtheit; das war insofern schon ansprechend zu lesen. Auch die Charakterisierungen waren glaubwürdig, alle Figuren mit zahlreichen Details erdacht. Nur schade, dass mir keine einzige davon wirkllich sympathisch wurde.


    Ich empfehle das Buch letzten Endes doch zähneknirschend weiter. Vielleicht habe ich es einfach auf falschem Fuß erwischt. Oder sollte noch einmal meine Kenntnisse in englischer Geschichte auffrischen. Wie dem auch sei, ich möchte das Buch so bald nicht wieder zur Hand nehmen.

    Macht Appetit auf mehr - sättigt aber nicht wirklich


    Darf man dieses Schriftstück überhaupt als "Buch" bezeichnen? Ich war skeptisch, zumal es ja als "Essay" betitelt ist. Ich hatte mich auf eine handfeste Polemik eingestellt. Mehr war in der Kürze nicht zu haben, dachte ich. Doch so war es nun wieder nicht.


    Wie der Autor selber zugibt, entzündet sich seine kleine, recht gut unterfütterte Streitschrift eher zufällig an der Beschneidungsdebatte, die uns im Sommer 2012 heimsuchte. In einleitenden Kapiteln wird der Verlauf der Debatte nachgezeichnet, sowie der Hintergrund erläutert - was nämlich die Beschneidung sowohl für Juden als auch Muslime bedeutet, und wie sie praktiziert wird.


    Man erfährt schon so einiges Wissenswertes - dass man als religiöser "Beschneider" keine spezielle Ausbildung braucht. Welche gesundheitlichen Bedenken es gibt. Welche Techniken. Und welche Differenzierungen innerhalb des Judentums.


    Hier setzt allerdings schon mein erster Kritikpunkt an. Das Büchlein handelt zuvorderst von der jüdischen Beschneidung, obwohl sich die juristische Debatte an einem Fall einer muslimischen Beschneidung eines kleinen Jungen in Köln entzündet hatte. Die Muslime kommen im Buch nur sehr am Rande vor. Hat dieser Aspekt den Autor weniger interessiert? Waren die Quellen schwerer zugänglich? Oder waren die Juden damals einfach nur lautstärker in ihrem Protest, als das erste Urteil des Landgerichts Köln verlautbart wurde?


    Der Verlauf des "Essays" war allerdings schon recht spannend in seinen Schlussfolgerungen. Der Autor entfernt sich nämlich von der Ausgangsdebatte, um in groben, aber doch fundierten Zügen aufzuzeigen, was berühmte Denker zu Staat und Religion zu sagen hatten. Allerlei Philosophen kommen zu Wort, der Autor hat seine Hausaufgaben wohl gemacht: sowohl Hobbes als auch Locke, Kant, sowie die berühmten jüdischen Denker Moses Mendelssohn und Moses Maimonides werden zitiert.


    Er bietet keine Lösung an, zeigt aber sehr wohl auf, wie vielschichtig die Lage ist. Ist Religion Privatsache, oder in einem Rechtsstaat verhandelbar? Wenn man sich auf eine juristische Komponente der Religion einigen könnte, was müsste dann noch alles verhandelt werden - zum Beispiel Feiertage und Bestattungsriten, um nur zwei zu nennen? Und vor allem - wer wäre den jeweiligen Religionen gegenüber überhaupt weisungsbefugt? Gerade bei den Juden scheint dies ausgesprochen schwierig zu sein.


    Ich mag letzten Endes aber nur drei Sterne geben. (Mit einem gedachten "Plus".) Dies hat mehrere Gründe. Zuerst einmal wird mir die persönliche Position des Autors nicht deutlich genug. Im Klappentext wird er lediglich als "bekennender und praktizierender Rheinländer" bezeichnet. Das ist mir persönlich zu wenig, auch wenn die Formulierung natürlich witzig ist. Ich möchte wissen, aus welcher Haltung heraus ein Autor von Sachbüchern argumentiert, sonst kann ich ihn nur schwer einordnen. Im Text hält er sich jedenfalls persönlich weitestgehend zurück.


    Zufällig habe ich gerade erst Richard Dawkins gelesen, und finde, dass es gewisse Parallelen in der Argumentation gibt. Überdeutliche Parallelen. Nur - es gibt keinerlei Literaturverzeichnis, ja, noch nicht einmal Fußnoten oder Anmerkungen. Gerade bei einem solch wichtigen Thema wäre das für mich unabdingbar gewesen! Ich möchte wissen, auf welche Quellen sich jemand bezieht.


    Und zu guter Letzt habe ich so manches Mal ob der Sprache und Ausdrucksweise die Stirn gerunzelt. Die Sätze sind oft eher verschachtelt, manche Beschreibungen hart am Rande des Sarkasmus. Etliche Ausdrücke fallen aus dem alltäglichen Sprachregister heraus, wie "eilfertig", "letzthinnig" (sic!!) oder "Mosleme" - was meiner Meinung nach sowieso falsch ist. Es müsste "Muslime" heißen.


    Mein Fazit bleibt jedoch - eingeschränkt - positiv. Dieses Essay richtet sich sicherlich nicht an einen Durchschnittsleser ohne Vorkenntnisse. Eher an einen geübten Konsumenten von Feuilletons und Glossen. Und an einen Menschen mit Verstand, der fähig ist, der teils verschachtelten Argumentation zu folgen.

    Huch, ich habe ja gar nicht mit Kommentaren gerechnet... :-)


    Ob das Buch für jemanden geeignet ist, der eher dem tibetischen Buddhismus zugetan ist...
    ... doch, ich denke schon. Ajahn Brahm stammt zwar aus der Theravada-Tradition, aber er betont eher die humorvollen und allgemeinen Aspekte der buddhistischen Lehre.
    Und ein "Lehrbuch" ist es ja sowieso nicht, von daher kann man es sicher wunderbar verschenken.

    Dieses Buch trägt seinen Titel meiner Meinung nach zu Unrecht. Denn er klingt reißerisch, so als würden viele Skandale und Insider-Geheimnisse verraten. Doch das ist es eher nicht. Martin Kamphuis, ein sehr komplizierter und mit sich selbst verkrachter Typ, erzählt ganz einfach von seiner lebenslangen spirituellen Odyssee, die schon in der Jugend begann, bis ins Erwachsenenalter dauerte, und erst mit dem Kennenlernen seiner heutigen Frau und mit der Annahme des christlichen Glaubens endete.


    Der Buddhismus war "nur" ein Teil dieser Reise, ja, dieses beinahe verzweifelten Ringens. Zudem muss man bedenken, dass Herr Kamphuis hauptsächlich im tibetischen Buddhismus - ausgerechnet - unterwegs war. Der ist ja schon für den "Durchschnittsbuddhisten" ziemlich esoterisch und schräg. Ferner steht fest, dass er, wild durcheinander, Seminare, Retreats und Initiationen tibetischer Lamas "konsumierte", als gäbe es kein Morgen. Da sträubten sich mir so manches Mal die Nackenhaare!


    Von diesen Riten und Prozeduren habe ich zwar schon gehört. Aber erstens sind sie eben im östlichen Kulturkreis entstanden, lassen sich also aus westlicher Sicht, ohne Kontext, kaum verstehen, geschweige denn konsumieren, ohne "Bauchschmerzen" zu bekommen. Man kann sie einfach nicht 1:1 übertragen! Zweitens sind sie eigentlich für Fortgeschrittene gedacht. Und nicht für "Backpacker" aus aller Welt.


    Das alles will Martin Kamphuis nun nach nur zwei mehrwöchigen "Grundkursen" verdaut haben...? Aus meiner Sicht ist das schwer nachvollziehbar. Vor allem empöre ich mich ein wenig über die tibetischen Lehrer und Lamas. Sie lassen fast ohne Unterschied westliche Menschen (gegen Bezahlung!) an diesen Kursen teilnehmen. Sie vermitteln ein völlig unrealistisches Bild des Buddhismus. Sie setzen den leichtgläubigen Sinnsuchern Flausen in den Kopf. Die meinen dann, sie hätten nach einem Retreat die Weisheit mit Löffeln gefressen, und wähnen sich der "Erleuchtung" greifbar nahe. Wie Herr Kamphuis. Und der wunderte sich dann, warum er sich im Alltag immer noch nicht besser fühlte... unglaublich. Unverantwortlich!


    Überhaupt - der Begriff "Erleuchtung" wurde von Herrn Kamphuis in denkbar oberflächlichster Weise gebraucht. Und was er nicht alles glaubte, was "der Buddhismus" so wolle und denke... Dabei ging ihm an keiner Stelle auf, dass er eben nur Blicke auf Ausschnitte geworfen hat - und die auch noch lediglich von Teilbereichen der buddhistischen Schulen...


    Aber ist das sein Fehler? Oder der Fehler der zahlreichen "Anbieter" auf dem spirituellen Markt? Das macht es mir ungeheuer schwer, dieses Buch sachlich zu bewerten.


    Fatal war sicherlich auch, dass Martin sich nie ganz auf den Buddhismus eingelassen hat. Er suchte munter weiter, probierte die diversesten esoterischen Praktiken und Therapien aus. Vor allem in Sachen Liebe hat er sich von einer Abhängigkeit und desaströsen "Beziehung" in die nächste fallen lassen. Und hat das dann auch noch mit dem Tantra gerechtfertigt... na bravo!!


    Meiner Meinung nach war er nie wirklich Buddhist. Er hat auch nicht im Ansatz begriffen, dass Buddhismus eben kein "Mittel zum Zweck", keine Hintertür zur Erleuchtung ist. Buddhismus ist eine grundsätzliche Lebenseinstellung, ein Weg. Wenn man den nicht wirklich geht, dann kann man auch kein "Ergebnis" erwarten. Überhaupt ist dieses Erwarten von Ergebnissen ja eine sehr westliche Denkweise.


    Dieses Sich-nicht-einlassen-Können zieht sich durch das ganze Buch. Ich habe es zwar mit kopfschüttelndem Interesse gelesen, empfand die Lektüre aber auch oft als anstrengend. Eben weil sich neue Methode an neue Methode und Reise an Reise reihte. Der Schreibstil war wenig differenziert, kaum mit Reflexion verbunden. Immer nur "und dann"... "und dann"... und schließlich "es schien so zu sein, dass"...!


    Richtiggehend weh getan hat mir zum Schluss die radikale Kehrtwende, die Schwarz-Weiß-Malerei. OK, es sei ihm gegönnt, soll er als Christ glücklich werden. Aber nur, weil Jesus ihm (!) gut tut, für ihn (!) gut ist, muss doch der Buddhismus nicht automatisch schlecht oder "böse" gewesen sein... Dieser Mann kennt anscheinend nur Extreme.


    Meine Bewertung pendelt sich auf drei Sterne ein. Denn interessant war das Ganze dann doch irgendwie... Allerdings würde ich genau überlegen, wem ich das Buch empfehle.

    Es fing an wie ein klassischer Mystery-Thriller, mit deutlichen Anleihen aus dem Bereich der britischen Schauertradition. Bis zu diesem Punkt (etwa zu zwei Dritteln des Buches) hat es mir super gefallen. Es geht um ein mysteriöses Waisenmädchen im viktorianischen England, das von einem noch viel ominöseren Geschwisterpaar auf ihrem Herrensitz angestellt wird. Angeblich soll das Mädchen sich dort als eine Art Kuratorin um eine Puppensammlung kümmern. Doch Florence - und auch dem Leser - wird bald klar, dass mehr dahinter stecken muss...


    Danach driftet das Werk ab in den Bereich "reine Fantasy", was mir persönlich weniger liegt. Das konnte ich aber erstens vorher nicht wissen, und möchte es auch zweitens der Autorin nicht anlasten. Immerhin ist das Buch innerhalb seiner eigenen Logik recht gut geschrieben, und darauf kommt es an. Ob man sich nun in einer solchen Fantasiewelt zurecht findet oder nicht, ist ja jedem Leser selber überlassen.


    Das Waisenmädchen, Florence, ist die Erzählerin des Buches, in der Ich-Perspektive, mit viel inneren Monologen und direkter Rede. Das hat mich überzeugt! Das Mädchen hat einen recht kritischen Verstand, mit einer Art trockenem Humor, und auch mit einem Sinn für Verantwortung. Für seine 14 Jahre ist es moralisch schon recht weit entwickelt. Von daher hat mir das Buch in seiner Gesamtheit doch wieder gut gefallen, da Florence eine glaubwürdige Entwicklung durchmacht.


    Die Fantasy-Thematik war für mich nicht immer leicht nachvollziehbar, was auch daran liegen kann, dass ich sonst in diesem Genre nicht "zu Hause" bin. Ich möchte dies nicht näher beschreiben, da ich sonst den entscheidenden "Clou" der Handlung vorweg nehme. Gefallen hat mir, dass die Problematik mit einer wichtigen Entscheidung für Florence verbunden wurde, die sie ganz allein treffen musste.


    Das Ende wurde von manchen Lesern sehr gescholten. Ich kann daran aber weiter nichts Negatives entdecken. Es gibt da eine gewisse Offenheit in manchen Fragen, aber gerade das mochte ich. Die Autorin hat gekonnt gewisse süßliche Klippen umschifft. Das wäre mir, auch und gerade im Bereich Fantasy, auch zuviel des Guten gewesen! Florence ist am Ende auf sich selber gestellt. Man kann daher auf weitere Bände hoffen - das Buch wäre aber auch so in sich geschlossen.


    Ich würde das Buch allen Lesern empfehlen, die gerne mit einem Genre-Mix zu tun haben, die sich gerne in jugendliche Lebenwelten versetzen lassen möchten, und die nicht unbedingt auf ein erwartbares Ende pochen. Insgesamt gratuliere ich der Autorin dazu, ein völlig eigenständiges Werk geschaffen zu haben!

    Nettes Buch - aber leider nicht mehr...


    ***


    Es ist immer eine schwierige Frage, wem man es anlasten soll, wenn man von einem Buch enttäuscht ist. Den eigenen Erwartungen? Der Werbung? Dem Klappentext? Oder dem Autor selber? Bei diesem Buch ist es für mich eine Mischung aus alledem.


    Vorab möchte ich aber betonen, dass ich das Buch keineswegs "verreissen" möchte. Zudem kenne ich die Autorin sonst nicht weiter, und kann nicht beurteilen, inwiefern sich das Buch in ihr Gesamtwerk einfügt. Sie scheint ja, zumindest in Japan, schon einen gewissen Ruf zu genießen.


    Das Buch würde ich insgesamt als "nett" im weitesten Sinne bezeichnen. Eine alleinerziehende Haushälterin wird bei einem kuriosen Mathematik-Professor angestellt, der seit einem Unfall an Gedächtnisverlust leidet, und auch sonst recht merkwürdig ist. Er strahlt aber eine Begeisterung für die Mathematik aus - und außerdem liebt er Kinder. So entwickelt sich über die Zeit hinweg eine gewisse Freundschaft zwischen allen Beteiligten, besonders zwischen dem Professor und dem Sohn der Haushälterin. Die Freundschaft hält bis zum Tod des Professors und darüber hinaus an. Der kleine Junge wird sogar selbst Mathematiklehrer.


    Das hört sich, zugegeben, nicht schlecht an. Aber es weicht für mich doch von dem ab, was ich laut Klappentext und Werbung erwartet hatte. Es gibt keine Liebesgeschichte, wie ich zuerst vermutet hatte. Auch sonst keine große Dramatik. Das mag auch am leicht unterkühlt-sachlichen Erzählstil liegen - das Buch wird von der Haushälterin im Rückblick, in der Ich-Perspektive, erzählt.


    Auch die ganze Problematik rund um den Gedächtnisverlust erfährt sehr viel weniger Aufmerksamkeit, als ich das erwartet hätte. Ich bin selber beruflich in einem Umfeld tätig, wo ich mit psychisch veränderten Menschen zu tun habe. Und da kann ich nur sagen, diese Aspekte sind mir nicht genügend ausgearbeitet. Sicher muss man als Autor auf einem solchen Gebiet kein Fachmann sein. Dennoch stören mich hier gewisse logische Stolpersteine.


    Wie allerdings die Mathematik in die Handlung einbezogen wird, ja, das war schon recht flüssig und unterhaltsam. Auch für mich als absoluten Mathematik-Laien war alles verständlich, und konnte ein gewisses Verständnis für die Faszination der Welt der Zahlen gegenüber wecken. In seinen besten Momenten hat mich dieses Buch von Yoko Ogawa an meine Lieblingsbücher, "Fermats letzter Satz", und "Das Theorem des Papageis", erinnert.


    Allerdings scheint mir der deutsche Titel nicht treffend gewählt. Die Eulersche Formel kommt zwar vor, hat aber keinerlei tragende Rolle. Sie steht lediglich für eine Marotte des Professors: sich in Krisensituationen in die Welt der Mathematik zu flüchten. Ein "Geheimnis" gibt es hier leider nicht.


    Insgesamt hätte das Buch deutlich länger sein können. Es hätte mehr Seiten vertragen, um entweder mehr Dramatik und Ausarbeitung in die persönlichen Beziehungen der Figuren zu bringen - oder um eben dem Anspruch rund um den Unfall und den Gedächtnisverlust gerechter zu werden. Das mag aber auch jeder Leser anders sehen. Als passable Unterhaltung zwischendurch ist es sicherlich nicht ohne Daseinsberechtigung.

    Von den Themen "Alzheimer" und "Sterbehilfe" hat sicher jeder schon gehört. In diesem Buch der in Holland gebürtigen Autorin Hilda Röder werden nun beide Themen miteinander verbunden, und zwar auf ansprechende und nicht moralisierende (!) Weise.


    Es ist zwar ein Roman, aber die Autorin bezieht sich doch auf persönliche Kenntnisse. Sie hat selber ein Hospiz gegründet und geleitet. Außerdem hat sie in ihrer eigenen Familie diverse Fälle von "begleitetem Freitod" erlebt - so der offizielle Fachbegriff in Holland, wo dies ja legal möglich ist.


    Das Besondere an diesem Buch ist nun, dass es keinerlei Partei ergreift, sondern immer den Leser selber denken lässt. Erzählt wird die - fiktive - Geschichte eines fidelen 68jährigen, Henning Landes, der in Amsterdam lebt. Er blickt zurück auf ein aktives und selbstbestimmtes Leben voller Höhen und Tiefen - und gerade das schmettert ihn nieder, als er die Diagnose "Alzheimer" erhält. Er macht sich Gedanken über sein Lebensende, und durchläuft eine Gefühls-Achterbahn sondergleichen.


    Es ist auch nicht so, dass man in Holland beliebig oder oberflächlich wäre. Nein, das Buch zeichnet genau alle behördlichen und ärztlichen Schritte nach, die in einem solchen Fall zu gehen sind. Es dauert mehrere Monate, bis die Entscheidung schließlich da ist. In dieser Zeit gibt es viel Raum für Diskussionen innerhalb der betroffenen Familie, viel Raum für Tränen, Aussprachen, und Rückblicke. Diesen Raum nutzt die Autorin sehr geschickt, um ein Leben vor unseren Augen erstehen zu lassen, gleichzeitig aber auch ein kleines zeitgeschichtliches Porträt der Niederlande zu entwerfen.


    Es ist ein Buch, das zum Verweilen und Nachdenken einlädt. Die Handlung ist nicht geradlinig, sondern immer wieder durchbrochen von den anrührenden Lebenserinnerungen von Henning Landes. Das hat mich aber sehr überzeugt, weil ich selber von Berufs wegen weiß, dass an Alzheimer Erkrankte oft in der Vergangenheit weilen. Auch die langsam sich verschlimmernde Symptomatik einer Alzheimer-Erkrankung hat die Autorin sehr gut getroffen! Da es ein Roman ist, hätte man mit mehr Verklärung und weniger Sachlichkeit rechnen können. Aber nein, alles professionell und richtig.


    Im Grunde muss man dieses Buch "einwirken" lassen, und kehrt auch noch nach Beendigung der Lektüre gedanklich oft zurück. Sehr gelungen, sehr anrührend. Und vor allem - als Buch schön gestaltet, sogar mit Lesebändchen! Auch als Roman überzeugend. Ich wüsste wirklich keinen Grund, dieses Buch nicht weiterzuempfehlen. Vor allem in professionellen Kreisen.


    Edit: Bitte in den Threadtitel nur Buchtitel und Verfasser, ggf. Serienvermerk setzen. Den Kommentar habe ich entfernt. LG JaneDoe

    Also, ein Ratgeber oder ein ernstzunehmendes Sachbuch ist es für mich gerade nicht... lest selbst, hier meine Rezi...



    ***


    Eines vorab: mir war der Autor, Herr Lenßen, vorher nicht bekannt. Erst durch die Beschäftigung mit dem Buch erfuhr ich von ihm - und dass er wohl schon öfters im (Privat-)Fernsehen aufgetreten ist. Genau dies merkt man dem Buch an. Es ist ziemlich genau auf diese Zielgruppe abgestimmt: Menschen, die Privatsender und Vorabend-TV schauen, die nur unterhalten werden wollen, und keinerlei fundierte Auseinandersetzung mit einem Thema erwarten. Insofern vielleicht gut
    gelungen. Da diese Rezension jedoch von mir als Person stammt, kann ich nicht verhehlen, dass das Buch mich nur wenig angesprochen hat.


    Die ganze Aufmachung wirkte auf mich unseriös, und hat mir nicht gefallen. Überall diese Krimi-/Western-Schreibmaschinenschrift, Titelzeilen wie mit Heftpflaster eingeklebt, übergroße, dramatische Paragraphen-Zeichen, und das völlige Fehlen von erklärenden Sachtexten, geschweige denn weiterführender Literatur. Dickes Papier, recht große Schrifttype. Man ist schnell durch.


    Es wirkte auf mich insgesamt eher lieblos zusammengestellt - es waren ja nur Beispiele, Fälle, aneinander gereiht. Fast eine "Nummernrevue". Erklärende, zusammenfassende Sätze nur ganz am Rande. Nur wenige "Fälle" gehen über mehr als eine Seite. Wie in einem Zettelkasten wird alles abgearbeitet. Ein Schnellfeuerwerk der Anekdoten.


    Okay, ein Pluspunkt wäre vielleicht noch, dass das Buch nach Rechtsgebieten eingeteilt ist - Mietrecht, Arbeitsrecht, Familienrecht, Verkehrsrecht, usw. Aber: die beiden Gebiete "Strafrecht" und "Zivilrecht" erhalten überproportional viel Raum, und dabei sind sie gar nicht die Spezialgebiete des Autors! Jedenfalls laut Klappentext. Andere Themen, die mich mehr interessiert hätten, wie Mietrecht und Arbeitsrecht, werden mit gerade einmal 5 Fällen pro Kapitel abgehandelt... die Logik dahinter erschloss sich mir nicht.


    Überhaupt, die Information zum Autor ist denkbar dünn. Ein Vorwort, das aus keiner ganzen Seite besteht, und nicht "dünner" hätte formuliert werden können. Im Anhang dann: "weitere Informationen zu Ingo Lenßen". Und was finde ich da? Nur zwei Internet-Adressen! Das ist doch Schummelei! Keinerlei Lebenslauf, keine Liste von Veröffentlichungen, keine Biographie! Einfach nichts!


    Ich kann das Buch einfach schwer einordnen. Ein echtes Sachbuch ist es jedenfalls nicht, da es wenig wirkliche Information beinhaltet. Es reiht lediglich Häppchen aneinander. Ein reißerischer Ratgeber, wie der Titel vermuten ließe, ist es gottlob auch nicht. Wie nach einer Tüte Chips, bleibe ich zum Schluss hungriger zurück als vorher.

    Dies ist einer der wenigen Thriller, die man meiner Meinung nach mehrfach lesen kann. Denn er funktioniert auf mehr als einer Ebene. Einerseits ist da die packende, sich stetig steigernde und ziemlich schräge Handlung. Andererseits ist da aber ein Erzähler, der einfach aus sich heraus interessant ist - das Buch stellt sozusagen ein treffendes Psychogramm dar. Auf dieser zweiten Ebene konnte ich mich tief emotional auf das Buch einlassen, und würde es erneut lesen wollen.


    Wer ist dieser Erzähler überhaupt? Hesketh Lock ist ein Sonderling und Einzelgänger, internationaler "Troubleshooter" für Unternehmen, und frisch getrennt von seiner Lebensgefährtin und deren Sohn. Aber Hesketh ist noch mehr - er leidet am Asperger-Syndrom, einer leichteren Form von Autismus. Genau diese Eigenschaft ist gleichzeitig sein Segen, sowie sein Fluch. Sein Wahrnehmungsvermögen ist auf sehr besondere Weise strukturiert - völlig sachlich, systematisch, um Zusammenhänge bemüht. Das befähigt ihn zu außergewöhnlichen Leistungen im Beruf. Die Kehrseite ist seine (teilweise) emotionale, zwischenmenschliche Unfähigkeit. Mehrmals im Buch musste ich laut lachen, da er sich Menschen gegenüber doch recht sonderbar benimmt.


    Ich persönlich finde, man könnte das Buch allein auf dieser Ebene lesen. Völlig zutreffend, und sehr berührend, wird hier geschildert, wie sich ein Autist in der Welt zurechtfindet. Manchmal sind seine Beobachtungen ausgesprochen poetisch, besonders was Farben, Formen und Naturerscheinungen angeht. Dann wiederum hat man fast Mitleid mit ihm - wenn er nämlich in Momenten psychischer Überforderung anfängt, im Geiste oder real Origami-Figuren zu falten, zur Seite zu schauen, oder mit dem Oberkörper zu schaukeln. Er hat sich bemerkenswert gut im Griff, ist sich seiner Besonderheit bewusst. Das verleiht dem Buch ein ganz eigenes Gepräge.
    Das alles hatte für mich gewisse Parallelen zu "Supergute Tage" von Mark Haddon... wo ja auch ein Autist in einem "Fall" ermittelt.


    Wie man sieht, ist für mich die Thriller-Ebene schon fast in den Hintergrund getreten. Doch ist es überhaupt ein Thriller? Ich würde das bestreiten wollen; finde diese Bezeichnung eher unglücklich. Es geht um weltweite Geschehnisse, die sich langsam aber sicher zuspitzen. Sowohl Kinder als auch Angestellte werden aggressiv und verhalten sich zerstörerisch. Sei es der Familie, oder dem Unternehmen gegenüber. Die Szenen sind dabei teilweise ziemlich brutal, sicher nichts für schwache Nerven und Mägen. Und das Ende lässt dem Leser - im ersten Moment - wenig Hoffnung. Es gibt also keine "Lösung" im eigentlichen Sinne, auch keine Ermittlung eines "Täters". Für mich ist es eine Dystopie, eine schreckliche Zukunftsvision. Und ausgerechnet Hesketh Lock steht im Zentrum dieses Taifuns, und scheint als Einziger dessen "Logik" erfasst zu haben...


    Den hauptsächlichen Grusel bezieht das Buch dabei aus der Tatsache, dass es sich - ausgerechnet - um Kinder handelt, welche weltweit Gräueltaten begehen. Sie fallen zurück in archaisches Verhalten, sind Erwachsenen gegenüber kaum noch zugänglich. Man könnte, wenn man wollte, hier eine Parallele zum "Herrn der Fliegen" von Golding sehen. Auch in diesem Buch stellt sich die Frage, was noch bleibt, wenn wir uns von der Zivilisation abwenden. Wie bei einer Schnitzeljagd, werden hier von Hesketh und ein paar anderen Mitarbeitern Indizien zusammengetragen, bis zum schließlichen Kollaps des bestehenden Systems. Und genau an der Stelle endet das Buch... ein offenes Ende, das für mich Sinn machte.


    Ich würde das Buch allerdings nicht jedem empfehlen. Obwohl ich persönlich sehr fasziniert war! Es ist nichts für Liebhaber klassischer Thriller, da keine Lösung angeboten wird. Es ist auch nichts für zartbesaitete Menschen. Und ebenfalls nichts für Leser, die einen "kernigen" Ermittler erwarten. Man sollte ein gehöriges Maß an Offenheit und Gruseltoleranz mitbringen, um sich auf dieses Buch einzulassen.

    Pippa Bolle ist immer wieder für eine Überraschung gut. Von Band zu Band merkt man mehr, dass sich die Autorinnen mit ihren Figuren identifizieren, sie als "echte Menschen" betrachten. Und dass sie dabei auch den Leser im Blick haben.


    Nach den drei ersten Bänden habe ich mich ja gefragt, was jetzt noch kommen soll. Schon wieder zufällig ein Haus eines Bekannten hüten? Und in welchem Land? Nein, es kommt viel besser. Pippa hat, durch ihre ersten Erfolge beflügelt, sogar eine "Agentur" für "House-Sitting" gegründet! Diesen Einfall fand ich wirklich liebenswert! Dennoch hütet sie hier kein Haus, sondern spielt die Gesellschafterin einer betuchten, betagten und recht exzentrischen Dame in der Altmark. Und diese Dame leitet, man höre und staune, auch noch eine Manufaktur für... Gartenzwerge! Schon der zweite schrille Einfall in diesem Buch, der mir sehr gefallen hat. Ich habe mich köstlich amüsiert, was es alles rund um die Herstellung von Gartenzwergen zu wissen gibt!


    Als ich das Nachwort las, fiel mir auf, dass die Autorinnen diesmal ihrer eigenen Kindheit ein Denkmal gesetzt haben - in der Altmark haben sie zahlreiche Verwandte. Man merkt das auf fast jeder Seite. Der Menschenschlag und die Gegend werden so liebevoll und detailreich geschildert, dass es eine wahre Freude ist. Man würde am liebsten selber hinfahren. Und beinahe, aber wirklich nur beinahe, wäre dadurch für mich der "Fall" in den Hintergrund gerückt.


    Auch was ebendiesen Fall betrifft, hat sich Pippa, sorry, haben sich die Autorinnen gesteigert. In den vorherigen Bänden "stolperte" Pippa immer mehr oder weniger zufällig durch die Handlung. Anders hier. Zu Beginn des Buches gibt es eine folgenschwere Verwechslung, und diese kann Pippa die ganze Zeit über nicht wirklich abschütteln. Sie wird von allen tatsächlich für eine Ermittlerin gehalten - also verhält sie sich auch so. Sie schnüffelt, durchsucht, stellt Listen auf, berät sich mit den Kommissaren. Und das Ganze eben auf die erfrischend andere Pippa-Art! Sozusagen eine Miss Marple der Neuzeit.


    Das Buch ist aber dennoch kein billiger "Whodunit", also kein klassischer Krimi. Es geht um zwischenmenschliche Verwicklungen, die teilweise weit in der Vergangenheit liegen, und die noch mit der DDR-Geschichte zu tun haben. Das war zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar, und macht das Buch vielschichtig. Unterstrichen wird das durch die zahlreichen, ausgefuchst erdachten und mit Ecken und Kanten versehenen Charaktere. Ich habe wirklich sehr oft gelacht - vor allem bei der Schluss-Szene, dem wohl lustigsten "Geständnis", das ich je gelesen habe... und erst der Epilog, der das Buch so richtig "rund" machte.


    Dieser Band hat mir so richtig Lust auf "Mehr" von Pippa gemacht. Die Autorinnen scheinen nun endgültig zu ihrer Höchstform gefunden zu haben. Sehr empfehlenswert für alle Liebhaber geruhsamer, heiterer Kriminalunterhaltung!


    Edit: Bitte in den Threadtitel nur Buchtitel und Verfasser, ggf. Serienvermerk setzen. Den Kommentar habe ich entfernt. LG JaneDoe

    Ich hatte mich aus mehreren Gründen sehr für dieses Buch interessiert. Erstens wächst seit Jahren mein Interesse an gut gemachten Sachbüchern, und zweitens finde ich, dass das Thema "Armut in Deutschland" viel zu sehr unter den Teppich gekehrt wird. Ich lese zudem gerne Bücher, die mich zum Nachdenken zwingen. Trotzdem möchte ich dem Buch nur drei Sterne geben, was aber weniger am Inhalt liegt. Doch von vorn.


    Keine Frage, die Thesen und Inhalte, die der Soziologe Stefan Selke hier anspricht, sind brisant und überfällig. Armut ist in Deutschland ein echtes Thema geworden, ebenso die Spaltung der Gesellschaft in 2 Klassen, sowie die teils sinnlos um sich greifende Mildtätigkeitseuphorie. Der Autor konnte mich ferner von der Ernsthaftigkeit seiner Absicht überzeugen - im Vorwort beschreibt er ausführlich, dass er keine Lösungen zu bieten habe, sich aber seit Jahren mit den "Tafeln" etc. beschäftige, und zum Nachdenken anregen wolle. So weit, so gut.


    Dennoch finde ich das Buch als Produkt, als gemachtes Werk, teils ein wenig sperrig. Ich habe mich manchmal gefragt, wer denn das lesen soll - der typische Durchschnittsleser bestimmt nicht. Denn obwohl der Autor im Prolog beteuert, auf "Soziologensprache" verzichten zu wollen, kann er offenbar einfach nicht aus seiner Haut. Man merkt auf jeder Seite, dass er Akademiker ist, und dass er es gewöhnt ist, vor Publikum zu reden. Genau danach klingt nämlich auch die Sprache in diesem Buch.


    Der Prolog, sowie weite Teile des Buches, lesen sich wie eine typische Abhandlung in einer akademischen Festschrift. Der Autor verkneift sich zwar weitestgehend Fachtermini, aber der Satzbau ist weit ausholend, viele Passagen und Formulierungen wiederholen sich, und auch die gewählten Metaphern und Bilder klingen eher nach jemandem, der an einer Podiumsdiskussion teilnimmt. Zudem wimmelt es von Fußnoten, Anhängen und Zitaten von Fachkollegen. Der Soziologe XY habe hier festgestellt, die ForscherinYZ habe da und dort dies geschrieben, der Publizist ABC meine dies und jenes, und so fort. Puh! In einem Aufsatz mag das alles ja noch angehen, aber in einem Buch, das in einem allgemeinen Publikumsverlag erscheint, finde ich diese Vorgehensweise teils verfehlt.


    Zudem finde ich den Aufbau des Buches nicht wirklich geglückt. Einen Prolog zu schreiben, ist üblich und angemessen. Darauf folgen erstens ein Abschnitt mit Fallbeispielen unverschuldet in Armut geratener Menschen, danach eine stilistisch gewagte "Collage": aus lauter Zitaten hat der Autor hier einen "Chor der Tafelnutzer" zusammengeschnitten. Doch - danach wiederum zwei Abschnitte in teils verstiegener Sprache, die einerseits auf historische Hintergründe von Armut eingehen, andererseits Folgen der gegenwärtigen Entwicklung aufzeigen. Das alles kam schon im Prolog ausreichend vor! Zumindest für meinen Geschmack. Man hätte lieber nur einen (!) theoretischen Teil anfertigen sollen, und danach dann die Fallbeispiele und die Collage.


    Es ist einfach kein Buch, das sich leicht herunterlesen lässt. Oder, anders gesagt: um ausreichend Menschen mit diesem Buch zu "erreichen", um eine Diskussion in Gang zu bringen, ist das Buch nicht eingängig genug geschrieben. Wobei ich noch einmal betonen möchte, dass ich nicht (!) den Inhalt und die Absicht des Autors meine, sehr wohl aber seinen Schreibstil und den Aufbau. Ich finde das, was er eigentlich sagen will, mutig und bedenkenswert. Doch für mich hätten dafür auch 100 Seiten gereicht.

    Man sollte sicherlich keine Weltliteratur erwarten, wenn man zu diesem Buch greift. Was man aber sehr wohl erwarten kann und darf, ist gute Unterhaltung mit einer gehörigen Portion bitterbösem Witz und Hintersinn.


    Ein wenig bekannt kam mir das alles ja vor. Eine Hausfrau wird, nach ihrem scheinbaren Ableben in der Badewanne, von Gott ins Leben zurückgeschickt. Aus lauter Zweifel fängt sie nun an, "seine" Existenz zu hinterfragen - und beginnt nun absichtlich, kräftig zu "sündigen", um ihn auf die Probe zu stellen. Dabei wird sie unterstützt vom Teufel höchstpersönlich, der in den Körper ihrer Nachbarin gefahren ist...


    Der ganze Stil, und der rabenschwarze Humor, lassen doch bisweilen sehr an die besten Zeiten von Arto Paasilinna denken. Der hatte ja bereits mehrfach derlei Themen behandelt, u. a. im unvergleichlichen "Wunderbaren Massenselbstmord". Doch ich finde, man sollte die Autorin nicht darauf reduzieren. Was den besonderen Reiz der "Frau Bengtsson" ausmacht, sind etliche liebevolle, kleine Details.


    Zuerst einmal: aus der theologischen Perspektive finde ich die behandelten Fragen durchaus reizvoll! Man muss kein Christ sein, um den Witz zu verstehen. Aber es werden durchaus hintersinnig Fragen gestellt, die nicht ohne Berechtigung sind. Die Gespräche zwischen Frau Bengtsson und ihrer Nachbarin (also dem Teufel) sind prallvoll von witzigen Momenten. Was ist Willensfreiheit? Warum hat Gott es nötig, Regeln aufzustellen? Was ist das überhaupt, "Sünde"? Besonders pikant finde ich auch die Tatsache, dass diese Nachbarin Theologiestudentin ist...


    Ferner hat die Autorin ein wirkliches Händchen für Nebenfiguren, ja, für Charakterisierungen überhaupt. Der leicht senile Nachbar Rubin ist einfach nur köstlich! Ebenso der ein wenig tumbe Briefträger Beggo, der aus Tunesien stammt. Und nicht zuletzt: Herr (!) Bengtsson. Ihn fand ich fast interessanter als die Heldin selbst. Ich habe sehr geschmunzelt, wie hier gekonnt eine durchschnittliche Vorstadt-Ehe aufs Korn genommen wurde! Vieles ist festgefahren, aber irgendwie liebt man sich ja doch. Was habe ich gelacht, wenn Herr Bengtsson sich mal wieder durch eine der Tiraden seiner Frau hindurch lavierte...


    Drittens hat die ganze Erzählung eine Meta-Ebene, die man beim Überfliegen leicht überlesen könnte. Im Grunde geht es nämlich gar nicht um Frau Bengtsson, sondern um ein Duell zwischen Gut und Böse, zwischen dem Allmächtigen und dem Leibhaftigen. Frau Bengtsson spielt dabei nur die Rolle einer Schachfigur, wobei die eigentlichen "Spieler" eine Etage höher sitzen. Das Ganze geht vielleicht ein wenig vorhersehbar aus, dennoch nicht ohne Überraschungseffekt. Zugunsten von wem? Das werde ich natürlich nicht verraten!


    Insgesamt hat mir das Buch wirklich gut gefallen. Wie gesagt, sollte man es nicht allzu sehr auf den Prüfstand von Realismus oder Wahrscheinlichkeit etc. stellen. Man sollte an die Lektüre mit einer offenen, humorvollen Einstellung gehen. Dann wird man aufs Beste unterhalten.

    Mein erster Eindruck hat mich wirklich nicht getrogen. Dieses Buch ist seine volle Punktzahl mehr als wert! Ich möchte gerne öfter solche Bücher lesen - erstens ist es (zumindest halb) ein Sachbuch, und zweitens entführt es den Leser in ein fernes, armes, aber dennoch prallvoll lebendiges Land, in dem noch andere Werte zählen. In dem Freundschaften über ganze Lebensläufe entscheiden können. In dem Bildung noch kostbar ist. Und in dem ein Kind an nichts mehr hängt, als an seinen Träumen...


    Andrea Hirata, gebürtiger Malaie aus Indonesien, hat in diesem Buch seiner ehemaligen Dorfschullehrerin, Bu Mus, ein liebevolles Denkmal gesetzt. Aber gleichzeitig hat er noch andere Dinge erschaffen: ein farbiges Panorama seiner eigenen Kindheit, ein Plädoyer für das Recht auf mehr Bildung für die Armen, einen Reiseführer Indonesien, und eine kulturhistorische Abhandlung über diesen Lebensraum. Man kann wirklich nicht sagen, wie der Umschlag behauptet, es handele sich hier um einen "Roman". Das Buch hat viele Anteile, und gerade das machte für mich den unwiderstehlichen Reiz bei der Lektüre aus!


    "Die Regenbogentruppe", die dem Buch seinen Namen gab, das waren die zehn Schüler (darunter unser Autor), die nötig waren, um den Erhalt der Dorfschule in Belitung zu sichern. Der Autor verfremdet die Geschichte seiner Schuljahre etwas. So nennt er sich selber im Buch "Ikal". Manche Episoden haben außerdem geradezu märchenhafte und fantastische Untertöne - da gibt es schwebende Heilige, Krokodilmenschen, unheilvoll dräuende Gewitter, und Vorhersagen. Sehr unorthodox und lebendig! Außerdem gibt es erste Liebschaften, Rivalitäten, und soziale Umwälzungen. Auch Anklänge an bekannte Autoren findet man - ich persönlich zumindest habe mich u. a. an Salman Rushdie ("Mitternachtskinder") oder das "Fliegende Klassenzimmer" von Erich Kästner erinnert gefühlt. Doch dies nur als Hinweis an zukünftige Leser, womit sie eventuell zu rechnen haben.


    Aus dem Gesagten wird ersichtlich, dass man auf keinen Fall einen "Roman" nach westlicher Machart erwarten darf! Viele Episoden bleiben auch ein wenig in der Schwebe, oder werden nur angerissen. Für mich hat das den Charme des Ganzen noch unterstrichen, da es eben nicht um Logik und letztes Hinterfragen ging.


    Beinahe wäre ich über den Schluss ein wenig unglücklich gewesen. Denn die eigentliche Schilderung der Schuljahre endet ein wenig abrupt, und es folgt ein zurückblickender Teil "12 Jahre später". Und nicht alles ist gut ausgegangen... und nicht jeder hat aus der schwer erkämpften Schulbildung etwas machen können. Doch nach etwas Bedenkzeit finde ich, das ist wieder eine typisch westliche Denkart. Man erwartet ein "schönes Buch", eine stringente Erzählung, ein durchgestyltes literarisches Werk. Doch aus diesem Buch spricht vor allem nur eines: Ehrlichkeit. Und die Liebe zu den ehemaligen Freunden, und der Lehrerin.


    Abschließend möchte ich das Buch sehr gerne weiterempfehlen. An Menschen, die sich noch gut an ihre eigene Kindheit und Schulzeit erinnern. An literarische Weltenbummler. Und an Leser, die sich für das Ungewöhnliche begeistern können.

    Man sollte sich nicht täuschen lassen: diese Geschichten sind selbstverständlich auch unabhängig vom Weihnachtsfest sehr lesbar! Schließlich stammen sie von Chris Priestley, der mit seiner "Tales of Terror"-Reihe schon zu überzeugen wusste. Allerdings gestaltet sich die Lektüre noch "atmosphärisch stimmiger", wenn es draußen schneit und klirrend kalt ist.


    Der Autor hat es tatsächlich geschafft, jede der sieben Geschichten am oder um den Weihnachtstag herum stattfinden zu lassen. Und der Anlass, sowie die Jahreszeit, bilden jedesmal ein zentrales Element der Handlung, dies ist nicht bloß Dekoration! In der Eröffnungsgeschichte beispielsweise wurden die Mistelzweige zur Dekoration eines Hauses von einem "heiligen Hain" entwendet - mit desaströsen Folgen! Und in einer anderen Geschichte gerät eine Gruppe von Chorknaben, englische "Christmas Carols" singend, auf einem Friedhof am Weihnachtsabend in gar schaurige Bedrängnis...


    Immer sind es Kinder oder Jugendliche, denen Schauderhaftes widerfährt. Ein wenig anders als in den "Tales of Terror", geht es hier jedoch nicht immer um den pädagogisch erhobenen Zeigefinger. Eher im Gegenteil - das Böse widerfährt ihnen einfach. Manche von ihnen wollen sogar die Erwachsenen vor der drohenden Gefahr warnen, doch vergeblich.


    Wirklich gefehlt haben mir die schönen Illustrationen, und die Rahmenhandlung. Diesmal gab es leider keine! Allerdings haben das für mich die vielen literarischen Anspielungen auf berühmte Grusel- und Spuk-Motive wieder ausgeglichen. Charles Dickens, Oscar Wilde, Wilkie Collins, und noch etliche andere standen für diese Geschichten Pate. Insofern würde ich wirklich sagen, dass dieses Buch in der Kinderbuch-Abteilung nichts zu suchen hat. Zumal die Sprache diesmal eher "alltagstauglich" gehalten ist, und nicht ganz so kunstvoll wie in den "Tales of Terror".


    Insgesamt bin ich wieder einmal sehr begeistert von Chris Priestley! Er weiß in jeder einzelnen Geschichte zu überraschen, und nicht zuletzt dadurch Spannung aufzubauen, indem man das Unheil als Leser lange vorher kommen sieht. Wirklich wunderbar wirkungsvolle winterliche Unterhaltung! Auch für Anfänger im Englischen geeignet!


    ****


    P. S. : Das Buch ist bisher leider nur als E-Book für Kindle erhältlich -zumindest soweit ich weiß...

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    Dies ist das erste Buch von Camilla Läckberg gewesen, das ich tatsächlich gelesen habe -
    nach vielen Leseproben und Buchanfängen. Und dann auch noch das letzte in einer Reihe von 7 Bänden! Nun hätte man meinen können, ich sei schwer in die Welt von Erica Falck und Patrik Hedström hineingekommen - doch dem war überhaupt nicht so. Camilla Läckberg schreibt zwar über die Entwicklungen ihrer Charaktere, und über diverse Vorkommnisse in dem kleinen schwedischen Städtchen Fjällbacka, aber jeder Band ist in sich abgeschlossen.


    Mich hat der Stil der Autorin wirklich sehr angesprochen. Sie versteht es, diverse aktuelle Themen mit einer spannenden Kriminalhandlung so zu verquicken, dass kein Aspekt zu kurz kommt. Außerdem ist sie sehr virtuos darin, mehrere Handlungsstränge das ganze Buch über eng abwechselnd (aber auch abwechslungsreich) zu führen. In diesem Band ging es im Vordergrund um den völlig überraschenden Mord an einem ausgesprochen unauffälligen Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung - im Hintergrund aber wurden die Themen "Gewalt an Frauen", "Mütter und ihre Kinder", "Schicksalsschläge" und "Psychische Verdrängungsmechanismen" beleuchtet. Und als "Sahnehäubchen" obendrauf gab es auch noch eine Geistergeschichte. Da kam wahrlich keine Langeweile auf!


    Sicher kann man bei einem inhaltlich so prallvollen Buch keine Charakterisierung in dem Sinne erwarten, wie es in Wälzern der Weltliteratur üblich wäre. Dafür gebe ich aber zu bedenken, dass sich dies bei Frau Läckberg durch ihre Treue zu "ihren" Figuren über viele Bände hinweg wieder ausgleicht. Außerdem schneidet sie viele kurze Szenen so zusammen, wie es - sozusagen - den "Verarbeitungsgewohnheiten" des heutigen Medienkonsumenten entspricht. In dieser Hinsicht ist ihr Stil sehr "filmisch". Weiterhin erfreulich finde ich den hohen Anteil an Dialogen, die lebendig und realistisch wirken. Die Menschen in Fjällbacka und Umgebung kennen sich, und pflegen in schönster Geruhsamkeit diverse Macken. Das hat mir sehr gefallen!


    Die Kriminalhandlung war nun wirklich sehr (!) virtuos geplottet, wie man es von den besten Thriller-Autoren her nicht besser kennt. Im Laufe des Buches standen mindestens drei verschiedene Theorien zur Auswahl, warum Mats Sverin nun ermordet wurde. Doch letztlich stimmte keine einzige davon! Gut, der erfahrene Leser konnte sich spätestens im letzten Drittel des Buches so sein Teil denken. Dennoch wurde der Spannungsbogen kontinuierlich gehalten, und sogar noch durch unerwartete Details gegen Ende "garniert". Es gab nur sehr kleine logische Macken, die für mich aber bezüglich der Bewertung nicht ins Gewicht fielen.


    Ich habe mir nun vorgenommen, die einzelnen Bände der Reihe sozusagen "rückwärts" abzuarbeiten. Ich freue mich dabei schon auf ein Wiedersehen mit Erica und Patrik! Und natürlich mit Mellberg, dem etwas verpeilten, aber doch im Grunde liebenswerten Leiter der Dienststelle. Ich persönlich kann Camilla Läckberg nur empfehlen - wenn man bereit ist, einer Vielzahl von Fährten zu folgen, und aufmerksam zu lesen. Und wenn man Gesellschaftskritik in Kriminalromanen schätzt.