Wie ich sehe, hinke ich nun hinterher. 
Ich lasse mir mit dem Roman aber auch Zeit, weil ich die Geschichte sehr gut kenne und deshalb nicht den Drang verspüre, zu sehen, wie es weitergeht. Aktuell habe ich Kap. 35 beendet. Und dies zum zweiten Mal! Denn ich bin weit in der Geschichte zurückgegangen und habe sie noch einmal angehört. Der Grund dafür waren Eure Kommentare. Ihr habt mich ins Grübeln gebracht.

Einigen von Euch ist Margaret zu perfekt. Daher habe ich mir als Schriftstellerin die Frage gestellt, wie "perfekt" darf die Protagonistin in einem Roman sein?

Ich meine mich an eine Äußerung Jane Austens aus einem Brief zu erinnern: Nie wieder Elizabeth Bennet. Sie sorgte sich, SuV könne zu perfekt, zu "hell" sein. Ich mag Elizabeth Bennet sehr und finde, jene hat auch ihre Schwächen. Hingegen hatte ich lange Zeit Schwierigkeiten mit Jane Austens Romanheldin Emma. Ein Charakter, der alles andere als "perfekt" ist!
So habe ich beim zweiten Hören von Norden und Süden darauf geachtet, ob Margaret zu perfekt ist.
Nun, ich bin nicht dieser Ansicht! Um es gleich vorwegzusagen: Ich mag den Charakter sehr.
Obwohl Margaret diesen überlegenen (arroganten) Gesichtsausdruck besitzt, diese hochmütige Art, mit der sie ihr Gegenüber zu verunsichern weiß. Bei ihrem ersten Gespräch mit dem Kommissar rettet sie ja gerade diese Wirkung.
Neben dieser (äußerlich) herablassenden Art gegenüber Fremden hat Margaret noch (weitere) Schwächen. Zum Beispiel hält sie nicht ihr Versprechen, Bessy Higgins zu besuchen. Erst als sie dieser wieder zufällig begegnet und die Enttäuschung von Bessy zu spüren bekommt, verändert sie ihr Verhalten. Zudem teilt sie (anfangs) die Vorurteile ihrer Klasse in Bezug auf Kaufleute/Händler/Fabrikanten. Als dann Frederick zu Besuch kommt, finde ich, wird Margarets Überforderung mit der familiären Situation offensichtlich. Und nun begeht sie einen sehr schwerwiegenden Fehler. Sie begleitet ihren Bruder in der Dämmerung allein zum Bahnhof! Daran zeigt sich, wie weltfremd Mr. Hale ist. Wie kann er seine Tochter abends mit ihrem Bruder allein zum Bahnhof schicken? In Helstone, wo sich ein jeder kannte, mag dies möglich gewesen sein, aber in Milton war das skandalös! Auch Frederick bedauert zu spät (die Sonne war schon untergegangen), dass er die Kutsche wegschickte.
Erst als am nächsten Tag der Kommissar ihr erklärt, sie sei gestern Abend am Bahnhof allein mit einem jungen Herrn gesehen worden, begreift Margaret, welche Schande dieser Vorfall ungeachtet Leonards Tod über sie bringen kann. Ihre dortige Anwesenheit leugnet sie aber ausschließlich, um ihren Bruder zu schützen. Ist ihr Charakter deshalb zu gut? Oder dient ihr nicht vielmehr die Sorge um den Bruder als Rechtfertigung für ihre Lüge?
Später als sie die Nachricht von Frederick erhält, er sei in Sicherheit, glaubt sie, die Lüge nicht ausgesprochen zu haben, hätte sie vorher davon gewusst. Dabei wäre sie in der Gesellschaft verloren gewesen, wäre die Wahrheit ans Licht gekommen. Eine junge, unverheiratete Dame begleitet noch dazu abends allein einen jungen Mann! Für uns scheint daran nichts Ungewöhnliches. In jener Zeit hingegen war dies eine verwerfliche Tat! Margaret hätte zudem niemals erklären können, dass der junge Mann ihr Bruder war.
Umso höher ist die großherzige Reaktion von Mr. Thornton zu beurteilen. Er wusste, dass Margaret dort gewesen war. Nach ihrer Abweisung hätte er nun die Gelegenheit gehabt, sie zu vernichten. Stattdessen rettet er sie vor der Schande und erspart ihr auch die Anklage. Dies zeigt meiner Meinung nach die Aufrichtigkeit seiner Liebe. 