Beiträge von lyrx

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    Original von Babyjane
    Ich habe es nun trotz Leserunde in der Mitte abgebrochen.
    So einen verworrenen Mist habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Ich konnte weder auseinander halten, wer wann etwas erzählt, noch wer wer ist und vorallem worum es überhaupt gehen soll.


    Das kann ich schon nachvollziehen. Ich hab mal irgendwo gelesen, dass bei einigen Textpassagen tatsächlich NICHT klar wird, wer hier eigentlich redet. Es liegt also nicht daran, dass man nicht sorgfältig genug liest.


    "Verworrener Mist" würde ich trotzdem nicht sagen. Was eben doch rüberkommt bei dem Buch, ist wie die Stasi auf die Psyche der Leute gewirkt hat. Das Buch gibt da die Gedankenwelt der Personen ganz gut wieder ...

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    Original von levita
    das Werk wird als "literarische Sensation" bezeichnet.


    Ja, aber solche Aussprüche sollte man relativieren. Da ist ja auch ein wenig Marketing mit dabei. Jede halbwegs originelle Neuerscheinung gilt schließlich auch als literarische Sensation.

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    Original von magali
    ich bewundere Dich ehrlich und aufrichtig, daß Du das Buch gelesen hast.


    Danke für die Blumen. Die Lektüre war tatsächlich sehr mühevoll und hat mehrere Monate gedauert.


    Im übrigen finde ich Deine Art, Dich dem Buch zu nähern, völlig legitim. Dieses Buch muss nicht von vorne bis hinten durchgelesen werden. Deine ältere und kürzere Ausgabe ist vielleicht sogar die Bessere.

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    Original von levita
    Lieben Dank für deine ausführliche Rezi,
    leider, hab ich doch nicht so wirklicht dem entnehmen können,
    wie es dir gefallen hat, :gruebel


    Levita, es gibt so viele mittelprächtige Bücher, die zu kaufen Geldverschwendung ist. Wenn Du Pessoa kaufst, machst Du auf jeden Fall keine Fehler, aber Du darfst nicht erwarten, dass Du es einfach so runterlesen kannst. Mach die Leseprobe, die kann ich hier nicht liefern. Das Buch steht in jeder wohlsortierten Buchhandlung rum. Wenn Du ein wenig rumliest, bekommst Du ganz schnell einen Eindruck und weißt, ob Dich das fasziniert oder nicht. Ich persönlich bin spezialisiert auf sperrige und schwer zugängliche Bücher, deshalb bin ich kein Maßstab für andere.

    Dies ist eines jener Bücher, die viel mehr gekauft als gelesen
    werden. Das Lesen ist ein längeres, ein anstrengendes Unternehmen. Es
    erfordert Zeit und viel Geduld. Auf mehr als fünfhundert Seiten
    liefert der Autor genau das ab, was er im Untertitel ankündigt: Eine
    "Autobiographie ohne Ereignisse", ein Roman ohne Handlung.


    Nicht einmal Anekdoten lockern die Reflexionen des Ich-Erzählers
    Bernardo Soares auf. Von ein paar beiläufigen biografischen
    Randbemerkungen abgesehen, erfahren wir im ganzen Buch über diese
    Figur nicht viel mehr, als dass sie als Hilfsbuchhalter in einem
    Textilgeschäft arbeitet.


    Soares ist eine fiktiven Ersatzpersönlichkeit Pessoas, eines seiner
    sogenannten "Heteronyme". Weil nun diese Figur die ganze Zeit
    über sich selbst reflektiert, fällt es besonders schwer, den Autor
    Pessoa nicht mit dem Heteronym gleichzusetzen, das aus dem Buch der
    Unruhe spricht. Pessoa selbst hat jedoch strikt getrennt, und
    bestimmte Gemütsverfassungen und Teilaspekte seiner eigenen
    Persönlichkeit bewusst unterschiedlichen Heteronymen zugeordnet.


    Das Heteronym Bernardo Soares steht für eine radikale Verweigerung von
    Leben und Realität. Soares hält das Träumen für die einzige ihm gemäße
    Beschäftigung, den Traum für den alleinig erstrebenswerten
    Geisteszustand. Deshalb müsste dieses Werk eigenlich "Buch des
    Träumens" heißen, denn das Träumen ist Thema, nicht so sehr die
    Unruhe. Aber nicht einmal die Träume werden in diesem Buch konkret,
    auch sie sind reduziert auf einzelne Bilder, die wiederum in
    Überlegungen zum Wahrnehmungs- und Realitätsbegriff eingebettet
    werden. Was genau dieses Soares träumt, bleibt dem Leser genau so
    sehr verborgen wie seine äußeres Leben.


    Für Soares ist der Traum das bessere Leben, und deshalb versucht er,
    sich so oft wie möglich in einen traumähnlichen oder traumnahen
    Zustand zu begeben. Dementsprechend hat Pessoa laut eigener Aussage
    Soares die Feder ergreifen lassen, wenn er müde und schläfrig war.


    Soares glaubt sich den meisten anderen Menschen überlegen auf Grund
    seiner Sensibilität, seiner übersteigerten Wahrnehmungs- und
    Vorstellungskraft. Er sieht sich auf einer höheren Ebene, obwohl er
    unglücklich ist. Seine Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren, macht
    ihn zu etwas Besonderem, hebt ihn ab von der dumpfen Triebhaftigkeit
    der "normalen" Menschen. Jegliches materielle Ziel, auch die
    Liebe und die Sinnlichkeit, verachtet er. Es ist sinnlos, danach zu
    streben, denn nur im Traum ist Reinheit, Unbeflecktheit und
    Vollkommenheit möglich. Zur geschlechtlichen Liebe ist seiner
    besonderen Persönlichkeit wegen weder fähig noch willens.


    Die Körperfeindliche, das Spirituelle und Metaphysische wirkt über
    lange Strecken ermüdend und repetitiv. Das Buch ist zu dick. Es
    enthält zu viele Wiederholungen. Das ist weniger Pessoa anzulasten,
    denn es sind Jahrzehnte zwischen seinem Tod und der
    Erstveröffentlichung vergangen. Das Manuskript besteht aus Hunderten
    loser Blätter mit schwer oder gar nicht zu entziffernder Handschrift.
    Hier standen die Herausgeber vor einer enormen editorischen Aufgabe,
    die sie leider auf eine fragwürdige Weise gelöst haben. Während die
    erste deutsche Ausgabe noch um die Hälfte kürzer war, hat man in der
    aktuellen Version die Strategie verfolgt, alle nur irgendwie dem Buch
    der Unruhe zuzuordenden Texte aufzunehmen. An vielen Stellen mussten
    unleserliche Worte durch Punkte ersetzt werden. Manches wirkt dadurch
    fragmentarisch bis hin zur Unverständlichkeit. Für eine
    historisch-kritische Ausgabe mag dies angemessen sein, nicht aber für
    ein Buch, das sein Publikum über die Fachzirkel hinaus finden
    möchte. Es ist bedauerlich, dass der Respekt vor einem großen Autor
    dazu geführt hat, die Schere völlig aus der Hand zu legen. Ich glaube
    nicht, dass dies im Sinne des Autors ist und bedauere es, nicht die
    erste deutsche Ausgabe gelesen zu haben, die noch den Mut zum Kürzen
    hatte.


    Das Buch ist großartig in seiner Sprach- und Bildgewalt, und seiner
    gedanklichen Tiefe. Hätten die Herausgeber den Mut gehabt an den
    richtigen Stellen etwas wegzulassen, es könnte eine noch viel größere
    Wirkung erzielen. Fast ärgerlich stimmt es da, wenn man auf einer der
    letzten Seiten der Ausgabe eine Äußerung Pessoas bezüglich einer
    künftigen Veröffentlichung zu lesen bekommt: "Die Gestaltung des
    Buches sollte auf einer möglichst strengen Auswahl der überaus
    unterschiedlichen Textfragmente beruhen, ..." Genau das haben die
    Herausgeber leider unterlassen.


    In seiner jetzigen Form bedarf das Buch eines ausdauernden, ja
    verzeihenden Lesers. Er muss dem Buch seine Längen vergeben, genau wie
    er Bernardo Soares seine mönchshaftes Einsiedlertum und seine
    Menschenverachtung vergeben muss. Wenn er dazu bereit ist, findet er
    sich einem Einzelkämpfer und Rebellen gegenüber, den kennenzulernen
    unbedingt lohnenswert ist. In einer Welt, die so sehr wie die unsere
    an materiellem Denken orientiert ist, ist ein Bernardo Soares
    Revolutionär. Er verachtet alles Weltliche, verwehrt sich aber
    gleichzeitig jeglicher Religion und Weltanschauung. Er grenzt sein Ich
    so sehr gegen alles andere ab, dass es schließlich ganz
    verschwindet. Menschliche Individualität ist hier zu Ende gedacht
    worden und hat eine Ausdrucksform gefunden, die beunruhigend frei,
    beunruhigend einzigartig ist.


    Vielleicht ist es deshalb eine gute Idee, beim nächsten Einkaufstrip
    mal an das Buch der Unruhe zu denken. Das Buch entzieht sich jedem
    Kommerz. In der sperrigen Ausgabe, in der es jetzt vorliegt, tut es
    das sogar noch mehr.

    Meine Kritik bezog ich übrigens auf folgenden Text:


    Nicht so ganz einfach, einen solchen Text auf fundierte Weise "in seine Schranken" zu weisen, obwohl er nach dem Lesen einen schalen Beigeschmack hinterlässt. Meine Meinung: Hoher Anspruch, da aber gedankliche Tiefe fehlt, wirkt der Text auf mich sprachlich überfrachtet. Viele Ausdrücke schief. Da will einer um jeden Preis originell sein. Dennoch vermute ich Epigonentum und als Vorbild einen Autor, den ich nicht kenne.


    Was rüberkommt, ist eigentlich nur der Weltschmerz aus der Barocklyrik, von wegen "Es ist alles eitel ..." Das ist nicht neu. Abgenutzt wirkt auf mich auch die Einstellung des Erzählers: "Ich durchschaue ja so leicht die Banalitäten eines Bestatterdaseins und steh meilenweit drüber, weil ich so tiefsinnig philosophisch bin".


    Aber: Wenn der Autor vielleicht ein wenig Selbstverliebtheit reduziert, kann das noch was werden. Ich ziehe seinen Text den anderen, noch viel häufigeren vor, die völlig konventionell eine Standardgeschichte herunterspulen. Aber bitte: Nicht nur an der Welt zweifeln, sondern auch an sich selbst.

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    Original von Voltaire


    Sollte ein solcher Plagiatsvorwurf nicht irgendwie belegt werden?


    Ist das nicht in der Unendlichen Geschichte von Michael Ende so ähnlich? Da kommt doch auch ein Junge in eine Buchhandlung und unterhält sich mit einem jovialen älteren Herren. Aber noch mal (wie ich schon am Anfang des Threads gesagt habe) , Arno Schmidt war eben KEIN gemütlicher älterer Herr, sondern ein menschenfeindlicher Eigenbrötler.

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    Original von Seestern
    Mir schwant jetzt auch, dass unser Verhältnis unter diesem Wettbewerb nachhaltig zu leiden haben wird. :grin


    "zu leiden haben wird", über diese grammatikalische Konstruktion werde ich jetzt mal den Rest des Nachmittags meditieren ...

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    Original von Leserättin
    Das Autorenraten finde ich wirklich schwer.
    Ungeheuer - Lyrx


    Für Ungeheuer hab ich doch selbst nen Tipp abgegeben. Wenn man den
    ganzen Thread liest, kann man schon erraten, welche von mir sein muss.
    Bin trotzdem geschmeichelt, dass ich so oft falsch "zugeordnet" werde.

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    Original von Nudelsuppe
    Marienkäfer: Lotta. Übrigens mein Favorit.


    Ja, entweder das oder die Ungeheuer-Geschichte.

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    Original von Nudelsuppe
    Antiquariat: Lyrx (Arno Schmidt und Antiquariat, das passt)


    Nein, ich hab ne ganz andere Vorstellung von Arno Schmidt.

    Ich konnte mich dieses Mal zum Voten nicht durchringen. Tut mir leid.
    Ich lebe da teilweise einfach in einer anderen Lese- und Schreibwelt als die anderen hier.


    Zum Beispiel habe ich früher sehr gerne Arno Schmidt gelesen, fast alles außer Zettels Traum, aber auch das hab ich angelesen. Wenn man dann auch noch weiß, was für ein verbitterter, verschlossener Misanthrop Arno Schmidt war, dann - tut mir leid - kann man mit dem Antiquariat einfach
    nichts anfangen. Für die anderen Texte gilt für mich Ähnliches.


    Wohgemerkt, ich stehe grundsätzlich meinen eigenen Texten sehr
    kritisch gegenüber und behaupte nicht, dass meiner gut ist, als die anderen. (Habe ja auch teilgenommen. ) Aber was das Voting angeht,
    sorry, aber ich konnte einfach nicht punkten. Fühlte mich fehl am Platze.

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    Original von Doc Hollywood
    lyrx
    Zur Selbstverteidigung gut zu empfehlen


    Es geht hier aber nicht um den Schutz des Buchlesers, sondern um den Schutz
    des Buches. Aber du hast ja Recht: Ich brauche den Pessoa nur vorzuzeigen, da
    ergreifen die meisten schon die Flucht.


    Man sollte eher in eine andere Richtung denken: Wir suchen hier etwas wie ein
    Bücher-Präservativ, ein Schutz zum Überstülpen, für wenn's mal etwas wilder
    zugeht im Rucksack.

    Der Inhalt meines Rucksacks nach Berücksichtigung der Gefrierbeutellösung:



    Zur Häkel-Lösung fällt mir noch folgendes ein. Ich muss mir
    unwillkürlich den armen Bub vorstellen, der in einem quietschrosa
    gehäkelten Ballsack seine Fußball auf den Bolzplatz trägt, irgendwo in
    Berlin-Neukölln, wo die Bolzplätze von hohen Drahtgittern umgeben
    sind, damit die schweren Jungs sich schon mal an den Anblick von
    Gittern gewöhnen können. Der arme Kerl würde sofort verprügelt
    werden.


    Auch die tibetischen Buchtaschen kommen mir nach einer schlaflosen
    Nacht etwas schwul vor. Ich stelle mir zwei junge Damen vor, die
    anfangen zu kichern, wenn ich meinen Pessoa aus der Buchtasche
    wickle. "Schau mal, der hat ein Handtäschchen."


    Am Ende muss ich denen die Existenz und die Vorteile von Buchtaschen
    erläutern und komm wieder nicht zum lesen. Entsetzliche Vorstellung!

    Zitat

    Original von Delphin
    Ich stehe ja auf meine tibetische Buchtasche. Leider gibt es sie beim Hugendubel nicht mehr.
    .


    Das ist es! Genau so was in der Art hab ich gemeint!!!