Beiträge von lyrx

    Zitat

    Original von MA1


    Dick gehört m. E. auch nicht per Konvention der Riege der SF Autoren an. Er schreibt schlicht und ergreifend SF, und darum ist er SF Autor.


    Das ist Haarspalterei! Was ich sagen wollte, ist: Ich habe den Eindruck, dass sich ein Philip K. Dick gar nicht so sehr für Zukunftstechnologien oder Utopien aller Art interessiert hat. Er gibt sich gar nicht wirklich Mühe, ein glaubwürdiges Bild einer möglichen Zukunft zu entwerfen. Der futuristische Hintergrund wirkt oft wie eine billige Fassade, die gar nicht den Anspruch hat, mehr sein als eine Fassade. Dicks wirkliche Themen sind das Mystische, der Realitätsbegriff, das Individuum in der gegenwärtigen Gesellschaft. Der Überzug aus SF ist nur ein Trick. Vielleicht muss man ihn sogar aus der SF-Ecke ganz raus holen, um ihn richtig einordnen zu können. (Nichts gegen SF, um Gottes Willen, aber Dick ist für mich aus den obigen Gründen kein typischer SF-Autor.

    Zitat

    Original von MA1
    Vielleicht kannst du ja die Stilmittel der SF, von denen du geschrieben hast, näher erläutern?


    Stilmittel ist wohl der falsche Begriff gewesen. Ich meinte die typischen Versatzstücke der SF: Weltraumreisen, Aliens, Telepathie u.s.w. Das gibts zwar bei Dick, aber wie ich schon sagte: Im Gegensatz zu anderen Autoren ist es bei ihm ein Vorwand für ganz andere Themen ...

    Zitat

    Original von Herr Palomar
    Mir gefällt der Originaltitel so gut:


    Flow My Tears, The Policeman Said


    Das sagt der trauernde Polizist Buckman auf Seite 276. Ein genialer Titel, viel tiefschürfender als der Deutsche. Und er bestätigt meine Interpretation von oben: Buckman leidet an Gefühlen in einer Welt, die mit Gefühlen nicht umgehen kann.

    Philip K. Dick als Science-Fiction-Autor zu bezeichnen, ist eigentlich
    eine Falschklassifizierung, obwohl er per Konvention diesem Genre angehört.
    Eigentlich ist es offensichtlich, dass er seine Gegenwart thematisiert
    und die Stilmittel des SF-Genres nutzt, um zu verfremden und zu
    verzerren.


    In "Eine andere Welt" geht es um den Fernsehmoderator Jason Taverner,
    dessen Realität sich dergestalt verändert, dass niemand mehr ihn
    kennt. Es gibt keine Aufzeichnungen über ihn, nicht einmal eine
    Geburtsurkunde, seine Fernsehsendungen sind nie gesendet worden, und
    seine Freundin kennt ihn nicht.


    Die Welt, in der er lebt, ist von staatlicher Kontrolle
    dominiert. Ohne gültige Ausweispapiere kann man sich nicht einmal auf
    die Straße trauen. So zieht Taverner los, verschafft sich gefälschte
    Ausweispapiere und versucht das Rätsel seines Identitätsverlustes zu
    begegnen und sich selbst wieder zu "legalisieren". Dabei ist ihm
    jedoch bewusst, dass es eigentlich aussichtslos ist: Wer den "Pols"
    einmal aufgefallen ist, der hat verloren. Nur Anonymität oder
    Berühmtheit schützt vor Verfolgung, und beides hat er verloren, denn
    weil er sich nicht legitimieren kann, hat sich die Polizei schon an
    seine Fersen geheftet.


    Taverner ist das Produkt eines Eugenik-Projekts, ein sogenannter
    Sechser. Das sind Menschen mit ausgewählten Genen und besonderen
    körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Er ist sehr von sich selbst
    überzeugt. Seine Attraktivität für Frauen versucht er gezielt
    einzusetzen. Im Verlaufe des Romans begegnet er mehreren sehr
    unterschiedlichen Frauenfiguren. Er hat aus kühler Berechnung Sex mit
    ihnen oder versucht sie auf andere Weise auszunutzen, um der
    Geheimpolizei zu entgehen. Dabei lernen wir mehrere unterschiedliche
    Frauenschicksale kennen.


    Auch die Polizei ist kein anonymes Machtinstrument, sondern trägt ein
    Gesicht. Das ist gerade das Spannende an dem Roman: Es gibt keine
    klare Trennung zwischen Gut und Böse. In diesem totalitären Staat sind
    eigentlich alle Opfer. Einer der höchsten Polizeibeamten hat ein
    inzestuöses Verhältnis mit seiner drogensüchtigen Schwester. Er ist
    ein Gefangener dieser fatalen Leidenschaft, genau wie Taverner
    letzlich ein Gefangener seiner Überheblichkeit ist.


    Deshalb ist diese Utopie völlig anders als die orwellsche Vision des
    Totalitarismus. Bei Orwell hat die absolute Macht kein Gesicht, der
    "Große Bruder" ist nur ein Bild. Bei Dick dagegen sind die Verfolgten
    genau wie die Verfolger denselben Gesetzmäßigkeiten ausgeliefert. Die
    Repräsentanten der Macht sind nicht wirklich mächtig: Über ihre
    menschlichen Schwächen und ihr egoistisches Streben nach individuellem
    Glück werden sie denen, die sie unterdrücken, letztlich gleich.


    Über allem liegt der Dunst der Nixon-Ära in den beginnenden Siebzigern
    der USA. Unter der Fuchtel staatlichen Kontrollwahns windet sich die
    Menschlichkeit, und die Täter sind nur die Opfer aus der zweiten
    Reihe.

    Es nicht gelesen zu haben, ist eine jener Bildungslücken gewesen, die
    ich ungern offen lasse.


    Was für ein Land! Was für Menschen! Dr Schiwago entstammt der
    Oberschicht des vorrevolutionieren Russland. Er ist ein sensibler,
    universell begabter Mann mit Interesse sowohl an Poesie und
    Naturbeobachtung, als auch an den Naturwissenschaften. Sein Verhalten
    und sein Charakter wird von ethischen und humanitären Maßstäben
    bestimmt. Folgerichtig wird er Arzt.


    Die grausame Geschichte Russlands verhindert eine glanzvolle
    Karriere, die seinen Begabungen entsprochen hätte. Er wird im ersten
    Weltkrieg als Frontarzt zwangsverpflichtet, dann bricht die russische
    Revolution aus. Es gibt bittere Hungersnöte in kalten Wintern. Er
    flüchtet mit seiner Familie in den Ural, wird von Partisanen
    entführt und gezwungen, ihr Feldarzt zu werden und und und ...


    Der Roman ist auch ein Liebesgeschichte, aber er ist vor allem eine
    Geschichte Russlands. Tragik ist nicht der richtige Ausdruck für das
    Geschehen, weil ihm dazu die Unvermeidlichkeit fehlt. Es sind stets
    Menschen, die entscheiden, und sie könnten auch anders. In der Weite
    langer kalter Winter bewegt sich eine leidgeprüften Volksseele auf
    einen Abgrund zu.


    Langsam zieht die Revolution herauf, der Bürgerkrieg. Er kündigt sich
    erst durch unheilvolle Vorzeichen an, wird dann allmählich stärker,
    grausamer allumfassender. Der Krieg verbündet sich mit der Tundra und
    ihrer Winterkälte, mit den Eitelkeiten und den Dummheit der Menschen,
    er zerstört uralte Traditionen und gewachsene Strukturen.


    In alledem versucht Schiwago, sich seine Menschlichkeit zu
    bewahren. In einem Güterwaggon reist er nach Sibirien, muss die
    Geleise vom Schnee freischaufeln und kann dabei (einer völlig
    ungewissen Zukunft entgegensehend) dennoch die Schönheit der
    Scheelandschaft genießen und Gedichte schreiben.


    Er liebt Lara, die er von Jugend auf kennt und mit der er erst viel
    später zusammenkommt. In dieser Liebe findet der Roman seinen Höhepunkt,
    denn sie kann sich in der neuen nachrevolutionären Zeit nicht erfüllen:
    Regimeterror und Denunziantentum lassen nicht mehr zu, dass blüht, was
    blühen möchte. Seine nicht-proletarische Herkunft und sein lebenslanges
    Ringen um Familienglück, ja nur ums nackte Überleben, haben genügt, ihn
    zu einer unerwünschten Person werden zu lassen, die jederzeit mit
    ihrer Verhaftung rechnen muss.


    Lara und Schiwago lieben sich trotzdem. Sie leben den unmöglichen
    Traum, flüchten in die Einsamkeit, Wölfe schleichen ums Haus und
    es ist klar, es wird nicht gehen. Letztlich ist es Laras Wunsch,
    einfach nur zu überleben, der beide wieder auseinandertreibt.
    Sie sind noch nicht mal vierzig Jahre alt. Da ist es einfach noch zu
    früh zum Sterben.


    Lara ist der schöne Engel in diesem Roman, aber sie ist auch ein Opfer
    ihrer Weiblichkeit und der Willkür eines Mannes, der sie in jungen
    Jahren verführt und manipuliert. Tugendhaftigkeit und Sinnlichkeit
    vereinen sich in ihr, ohne zu einem Widerspruch zu führen: Letztlich
    strebt auch sie wie Schiwago nur nach Normalität und Liebe. Auch sie
    ist ein Spielball der Zeitgeschichte, der immer dann wieder
    fortgetragen wird, wenn er gerade einmal zur Ruhe gekommen ist.


    Die Hauptfiguren des Romans wollen einfach nur leben, die Betonung
    liegt auf einfach. Das korreliert mit der Aussage Pasternaks, der sich
    schon früh vorgenommen hatte, ein "ganz einfaches" Buch zu schreiben.
    Damit wollte er wohl auch ausdrücken, dass es vom theoretischen
    Ballast des Zeitgeistes frei sein sollte. Es sollte ein Buch sein,
    dass die Geschichte so erzählt, wie sie gewesen ist, und wie sie
    empfunden worden ist, und nicht mehr. Das ist ihm sicher gelungen,
    obwohl Pasternaks poetisches Naturell ihn daran hindert, zum
    vollkommenen Realisten zu werden.


    Trotzdem gibt es Stellen in dem Buch, in denen Weltanschauliches und
    explizit Politisches einfließt. Das macht das Buch erst Recht zu einem
    russisches Buch, denn es verankert sich dadurch in der Tradition
    russischer Romanliteratur: Diese hatte immer schon eine Tendenz, das
    menschliche Einzelschicksal in einen geschichtlichen oder
    gesellschaftlichen Kontext einzubinden. Man denke nur an Tolstois
    "Krieg und Frieden", man denke auch an Dostojewski.


    Die großen Romane Russlands sind immer Romane, in denen man
    gewissermaßen durch ein mit Eisblumen der Fantasie bewachsenes Fenster
    einen Blick auf das dunkle kalte Land und seine warmen Menschen
    werfen kann.


    Ja, in Doktor Schiwago brennt die Glut des eisernen Ofens im
    russischen Haus. Der Sturm der Zeit weht das Dach davon, und darunter
    frieren die Menschen. Sie haben es schwer, sie leiden, sie lieben und
    kämpfen. Der Ofen brennt weiter und Schneeflocken fliegen darauf. Das
    ist für mich Russland.



    Mir wurde das Buch von meiner russischen Freundin geschenkt, die mich
    kurz darauf verließ. In den zehn Monaten mit ihr bin ich der dunklen
    und der warmen Seite Russlands begegnet. Das Ende der Beziehung ist
    mit dem Anfang der Lektüre des Dr Schiwago zusammen gefallen. Das Buch
    hat meine Erfahrungen mit ihr noch einmal intensiviert, erhellt und
    schließlich zu einem Abschluss gebracht.

    Ich beschäftige mich manchmal mit der Frage, wie man den Großkritiker
    vom Thron stoßen kann, der in Deutschland über Jahrzehnte bestimmt hat,
    was gute Literatur ist, und was nicht.


    Zu diesem Zweck habe ich "Tauben im Gras" von Wolfgang Koeppen gelesen.
    Der Großkritiker schreibt über dieses Buch:


    Zitat


    Wer diesen Roman nicht gelesen hat, der solle nicht glauben, er kenne
    die deutsche Literatur nach 1945


    Ich habe wissen wollen, ob er Recht hat und ob das nun DIE große Literatur
    schlechthin ist.



    "Tauben im Gras" ist ein Panorama der Nachkriegszeit. In der Tradition von
    Joyce' Ulysses wird ein einziger Tag in München 1949 beschrieben. Die
    Lebenswege verschiedener Personen, die alle mehr oder minder stark
    unter den Folgen des 2. Weltkriegs leiden, überschneiden sich.


    Die Grundstimmung des Buches ist düster bis depressiv. Alle leiden, keinem gehts
    gut, eine Zukunftsperspektive scheint niemand zu haben, und
    es gibt offenbar nichts Problematischers als schwarze Besatzungssoldaten.
    Die Frauen, die mit diesen ins Bett gehen, schämen sich natürlich und leiden
    ganz füchterlich unter der Situation.


    Das Buch ist sprachgewaltig, aber ich finde, man merkt ihm die Mühe
    an, mit der es vermutlich geschrieben wurde. Die allgegenwärtige
    Trostlosigkeit scheint mir allzu sehr eine Trostlosigkeit des Autors
    zu sein, dessen ausdrucksarme Visage passenderweise die Titelseite
    ziert. Der Stil ist "substantiv-lastig", es gibt endlose Reihungen,
    die dazu dienen, die Alltagsmühsal der Figuren detailreich zu illustrieren.


    Eigentlich erfährt man das, was man sich über die Nachkriegszeit schon hat
    denken können: Alter Tafelschmuck musste verkauft werden, so er denn noch zu finden
    gewesen ist, die Amis allüberall, niemand weiß wies weitergeht, unterschwelliger
    Fremdenhass u.s.w.


    Ich kann leider nicht beurteilen, ob die Zeit damals wirklich so
    gewesen ist, M R-R schon, denn er gehört schließlich dieser Generation
    an, um die es geht. Deshalb lese ich dieses Buch natürlich mit anderen
    Augen, als ein Zeitgenosse. Hier mein Urteil als einer, der im 21
    Jahrhundert angekommen ist:


    Ich finde, dass man Koeppen sein Joyce-Epigonentum anmerkt. Aber während Joyce
    unglaubliche lyrische, um nicht zu sagen poetische Qualitäten hat, kommt die
    Prosa eines Koeppen trocken und schwerfällig daher.


    Das Buch wirkt staubig und trostlos. Ich finde nicht, dass es den
    Sprung ins nächste Jahrtausend geschafft hat. Besonders den
    Handlungsstrang mit der deutschen Carla, die von einem kräftigen
    Schwarzen Ami-Sportler beschlafen wird, wirkt auf mich plakativ und
    klischeebeladen. Carla will unbedingt abtreiben, weil Sie die
    Vorstellung nicht mehr ertragen kann, dass dieser Mischlingsbalg in
    ihrer heranwächst. Ähnliches könnte man sich auch gut in einer
    heutigen Daily-Soap vorstellen. Natürlich: Koeppen wird nicht trivial,
    aber in meinen Augen ist seine Literatur nicht nur NICHT im neuen
    Jahrtausend angekommen, sondern hat nicht einmal den Sprung in die
    Nachkriegszeit geschafft. Für mich ist es das Buch eines Miesepeters,
    der sich im Leben nie wohl gefühlt hat. Koeppen hat in einer Zeit
    voller Umwälzungen zwar modern geschrieben, aber er trägt die
    verengte Sicht eines vom Leben enttäuschten Greises in alle Winkel
    getragen hat.


    Meiner Ansicht nach beweist das, dass auch M R-R eine relativierbare
    Sicht auf die deutsche Literatur hat.

    Der Sammelband enthält 2 längere Erzählungen und den einzigen Roman, den
    Howard über Conan geschrieben hat. Offenbar gibt Heyne in drei Bänden
    Howards gesammelte Conan-Werke heraus.


    Conan ist ein Klassiker, er hat ein ganzes Genre gegründet (Sword and
    Sourcery). Die Geschichten stehen in der Tradition der
    Adventure-Geschichten, die in den Dreissigern in Amerika in
    Magazinform erschienen sind. Es gab damals eine Reihe beliebter
    Kurzgeschichten-Magazine (Pulp-Magazine), von denen man auch heute
    immer noch gelegentlich liest: "Weird Tales", "Action Stories",
    "Adventure".


    Im Rückblick kann man feststellen, dass es die Zeit der Supermänner
    gewesen ist. Der blaurote Kerl in Strumphosen (Superman) hatte seine
    Geburtstunde in dem, was wir in Deutschland unpassendweise "Comics"
    nennen. In Deutschland dämmerte eine Zeit, in der jemand versuchte,
    ganz Deutschland einzureden, es bestände nur aus Supermännern. Und irgendwo
    in Texas hat ein junger Schriftsteller in seinen späten Zwanzigern den
    Conan erfunden.


    Der Charakter steht für Barbarentum, rohe Gewalt, Freiheit,
    Vagandentum. Conan verkörpert einen unreflektierten, aber aufrichtigen
    Menschentypus. Sein simples Wertesystem lässt sich auf das Motto
    "Kämpfen und Siegen" reduzieren. Ein sehr bezeichnendes Zitat findet
    man auf der Rückseite des Bandes:


    "Ich lebe und das Leben brennt heiß in mir - ich liebe, ich kämpfe,
    ich bin zufrieden."


    Wie es solche Sätze schon vermuten lassen, sind diese Geschichten von
    einer Blut- und Bodenmythologie geprägt. Conan entstammt dem als zäh
    und ausdauernd geschilderten Barbarengeschlecht der Cimmerier. Howard
    hat eine Vielzahl von Ländern und Völkern erfunden, die allerdings
    relativ eng an echte Länder wie Afghanistan (Afghulistan) und Indien
    (Vendya) angelehnt sind. Seine Welt ist im sogenannten hyborischen
    Zeitalter angesiedelt, und er ist damit einer der ersten, die eine
    solche eigene Phantasiewelt erschaffen hat, wie sie heutzutage in
    hunderten dicker Fantasy-Schmökern Gang und Gäbe ist.



    Conans Leben besteht aus einer endlosen Aneinanderreihung von
    Schlachten, Fluchten, Zweikämpfen, kurzen Liebschaften, Wanderschaften
    und Rückschlägen aller Art. Auf den sechshundert vorliegenden Seiten
    überlebt er diverse Gefangennahmen, Lähmungen durch Zauberkräfte und
    sogar die eigene Kreuzigung. Die Schilderungen sind überaus
    plastisch und verraten ein überragendes erzählerisches
    Talent. Die Detailfülle und die sich überschlagende Erzähllust wird in
    ihren besten Momenten Literatur. Howard kann auf jeden Fall auf eine
    Art und Weise fabulieren, die viele heutige Fantasyautoren blass und
    vor allem langweilig erscheinen lassen.


    Natürlich gibt es Längen und eine gewisse Monotonie in den
    Schlachtenszenen. Es ist Lektüre für kleine Jungs, oder für solche,
    die nicht ganz erwachsen geworden sind. Wer Muskelmänner und Machotypen
    verachtet, wird schon durch das Titelbild gewarnt sein. Für die
    anderen heißt es, Zugreifen und Lesen, wenn sie wieder mal vom eigenen
    Bierbauch, den Pantoffeln unter den Füßen und der nörgelnden Ehefrau
    die Nase voll haben. Frauen haben in Conans Welt jedenfalls nicht viel
    zu sagen, es ist eine Machowelt. Trotzdem: In den stärksten Szenen
    tauchen dann doch plötzlich Frauengestalten auf, die einen eigenen Kopf haben
    und sich durchsetzen können. Howard war ein kluger Kopf, und lässt
    sich nur dann auf einfache Klischees reduzieren, wo er dies auch
    selbst wollte.



    Der Autor ist ohnehin ein interessanter Charakter gewesen. Zeitlebens
    unter Depressionen leidend, hat er seine Heimat Texas nie
    verlassen. Eine starke Muterbindung muss ihn geprägt haben; kurz
    vor dem Ableben der Sterbenskranken schießt er sich in den Kopf und
    stirbt wenige Tage darauf im Alter von nur dreißig Jahren. Ein Conan
    hätte das nicht getan ...

    Zitat

    Original von Herr Palomar


    Das war er mit Sicherheit nicht! Seine Biographen bescheinigen einheitlich, dass er seine Romane nicht unter Drogeneinfluss geschrieben hat.
    Ich bin entsetzt, dass man das so sehen kann. :-(


    Mir haben seine Phantasien über die Wahrnehmung der Realität und seine humanistische, wenn auch leicht pessimistische Sichtweise immer viel gebracht, da er dem Leser immer auch eine Spur Hoffnung lässt.


    Es ist auch ein gewisser Anteil Humor dabei, denke ich. Größtenteils ist sein Werk wohl von Ernsthaftigkeit geprägt, ich denke aber, dass ihm die Absurdität seiner Visionen so weit bewußt war, dass er sie mit einem gewissen Abstand und auch einer gewissen Selbstironie sehen konnte. Und, wie ich jetzt schon mehrmals sagte, es ist alle stets sauber aufgebaut und strukturiert. Das kriegt man so unter Drogeneinfluss wohl nicht hin ...

    Zitat

    Original von MA1
    Das Schaffen von Dick ist oftmals nur eine Aneinanderreihung von Wiederholungen. Sein "Stammthema" immer das gleiche. War er wirklich auf der Suche nach etwas, gar der Wahrheit, oder einfach nur ein bekiffter und von Drogen zerfressener Mann?


    Für mich ist er letzteres. Ich kann mit seinen Werken nichts anfangen, obwohl ich mich redlich bemüht habe.


    Das ist das andere Extrem! Mag sein, dass er von Drogen zerfressen war, aber er konnte definitiv schreiben. Bis zu einem gewissen Grade ist das natürlich Geschmackssache. Man muss sich das ja nicht antun, wenn man es nicht möchte. Ich selbst empfinde mich übrigens keineswegs als Seelenverwandter von dem Typ, aber ich schätze ihn trotzdem hoch ein.

    Zitat

    Original von Wolke
    Huhu lyrx,
    ich habe die richtige ISBN eingesetzt, sie lautet: 389602745X :wave


    Es gibt ISBN-10 und ISBN-13. Vielleicht kann mir bei Gelegenheit mal einer von euch alten Hasen erklären, was da der Unterschied ist ... :-)

    Das mit der verlinkten ISBN hat nicht geklappt, deshalb hier der Titel:



    "Hera Rechtsanwältin am Tag - Domina in der Nacht"
    Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf:
    ISBN 9783896 027450
    9,90 Euro



    Selbst schreiben hat eine Domina wahrscheinlich nicht nötig, schreiben lassen ist da schon besser.


    Es geht um eine Frau, die eine Doppelleben führt, als Rechtsanwältin und Domina. Das hört sich natürlich zunächst ganz toll an. Der ideale Stoff für ein spannendes Buch mit Sado-Maso u.s.w.


    Die Startauflage ist hoch, der Inhalt vielversprechend, ich rate trotzdem ab. In hölzernen Dialogen, die so geziert wirken, dass sie niemals wirklich stattgefunden haben können, lässt sich eine Domina über ihr Handwerk befragen. Die Personen werden überhöht, ihr Sensibilität, ihre Lebensproblematik wird nicht ausgelotet, alles ist ganz toll und einfach. Man kann ja heutzutage alles sagen, darf alles tun, und die Welt ist offenbar voll von Männern, die darauf brennen, sich den Hintern versohlen zu lassen. Aber wenn das vielleicht auch stimmt, was bringt es mir, wenn es hier ausgewalzt wird?


    Hera besucht einen reichen Privatier, der nicht weiß, wohin mit seinem Geld, und deshalb allerlei Unfug treibt. Offensichtlich ist er genau so beziehungsgestört wie sie. Das wäre ein interessantes Thema, wenn es wirklich aufgegriffen worden würde. Tatsächlich wird geprotzt und angegeben, wo es nur geht: Die Domina ist ja so stark und erfahren, und der reiche Mann ist ja so unglaublich reich, so wunderbar toll reich, ist doch klar, dass er dann auch ein bisschen unglücklich sein muss.


    Nein, nein, bleibt mir weg mit solchen Sachen! Ich geh nicht zu ner Domina, und wenn, dann würde ich nicht auch noch drüber lesen wollen.

    Robert E. Howard "Conan" Band 2 ist bei Heyne erschiene.


    Der Autor hat sich mit 30 Jahren in den Kopf geschossen, war also eine tragische Figur. Aber er hat - mit der Figur Conan - einen Mythos erschaffen, die Filme mit Schwarzenegger sind altbekannt. Obwohl das natürlich pure Unterhaltungsliteratur ist, verfügt es doch über viele erzählerische Qualitäten, ist plastisch und spannend. Wenn man das Genre liebt (Howard gilt als Gründer des "Sword and Sorcery"-Genres, dann sollte man das unbedingt gelesen haben. Es ist weitaus besser geschrieben, als vieles von dem, was man sonst so an Fantasy vorgesetzt bekommt.

    Zitat

    Original von lyrx
    Nun könnte man natürlich fragen: Warum muss ein bodenständiger Geist des 21. Jahrhunderts die Selbsttherapie eines alten Hippies lesen?


    Dann werde ich mal versuchen, meine Frage selbst zu beantworten:


    Dicks Romane sind schon deshalb lesenswert, weil sie eine hohes erzählerisches Können unter Beweis stellen. Der Mann hat viel geschrieben, verdammt viel, und diese große Übung macht sich bei ihm durch einen klaren Stil und sauberen Handlungsaufbau bemerkbar.


    Dick hat eine sehr einfache, aber exakte Sprache, und das sorgt für ein Gegengewicht zu den kompexen und oft aberwitzigen Theorien, die er entwickelt.


    Die Lektüre hört dann auf, mühevoll und langweilig zu werden, wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, dass man hier einem Sinnsucher zuhört. Da ringt einer mit der Wahrheit und kämpft - letztlich erfolgreich - um seine seelische Gesundheit, und das ist doch sehr eindrucksvoll.

    Zitat

    Original von Solas
    Herzlich Willkommen, Lyrx!
    War schön, Dich gestern kennen zu lernen.


    Liebe Grüße


    Solas


    Danke Solas! War ein netter Abend, ja!

    Zitat

    Original von Babyjane
    @ Lyrx
    Darf ich raten? Du bist Deutschlehrer oder zumindest Germanistikstudent...


    Voll daneben, mit der Lehrerei und Germanistik hab ich nichts zu tun. Erzähl ich vielleicht mal an anderer Stelle ...
    Momentan hol ich das noch aus dem hohlen Bauch, aber um hier weiterzumachen, müsste ich selbst mal wieder reinlesen. Ich habe das Buch vor über zwanzig Jahren gelesen ...


    Eine Idee ist mir noch gekommen: Was ich machen würde, wäre folgendes: Während des Lesens pro Kapitel die Personennamen notieren, die auftauchen. (Vielleicht noch mit Seitenzahl) Nur die Personennamen, sonst gar nichts. Wenn dann dieselbe Person zweihundert Seiten später wieder auftaucht, dann hat man eine erste Chance, einen Querbezug zu finden.


    Ich bin wirklich kein Literaturwissenschaftler oder so was, aber eines steht fest: Dieser Joyce war ein gewiefter Knabe, und deshalb kann man davon ausgehen, wenn irgendwo zwei Leute wie zufällig aufeinandertreffen, dann passt das irgendwie ins Ganze des Romans. Aber Beispiele kann ich momentan nicht liefern, es ist wirklich zwanzig Jahre her ..

    Zitat

    Original von Kyara
    lyrx : So weit ich mich erinnere, bin ich in Abschnitt 7 (Aiolos-Zeitung).


    Also Äolus! Was haben wir denn da? Nun ...


    Eigentlich wird klassisch erzählt, die Überschriften unterbrechen das ganze wie Zeitungsschlagzeilen. Si irritieren und lenken ab. Eigentlich versucht Joyce damit, den Leser in die Irre zu führen, denn der Rest ist keineswegs im Zeitungsjargon geschrieben, nur die Überschriften. Das sollte einem schon mal zu denken geben: Imitiert er jetzt Zeitungsstil, oder was? Nein,
    tut er nicht, er zerreißt einen normalen Text mit Sensationssprüchen.



    Es wird also der alltägliche Vorgang, wie Bloom die Zeitung besucht, überhöht, und zwar auf eine etwas komische Weise. Und das ist es genau, worauf man sich einlassen muss: Eigentlich nur Zeitungsluft, nichts besondere, lauter Leute, die sich schon länger kennen, reden über dies und das ... Aber irgendwie hängt eben doch alles in einem ganz merkwürdigen erzählerischen Kontext, und das kann man spüren, man braucht es gar nicht verstehen.


    Alles war erwähnt wird, die ganzen Details, die berichtet werden, das ist alles wohldurchdacht und hängt zusammen. Darauf kommt es an, das ist das besondere. Es ist eine Komposition, möchte ich sagen. Man muss da nicht die ganzen Querbezüge kennen, man muss sich nur drauf einlassen (mit nicht unbeträchtlicher Geduld), danach zu finden, und dann wird man auch fündig, ohne selbst ein Genie zu sein.


    Nicht überspringen, durchlesen. Nach diesem Kapitel kommt dann ja eines, was wieder ganz anders geschrieben ist, und dann eines, das wieder anders ist, und so weiter .... ein unglaublicher Querschnitte durch alle möglichen Sprachstile.


    Sieh es als Arbeit an, lies es, und wenn Du die 1000 Seiten durch hast, dann kannst Du Dir überlegen, ob es sich gelohnt hat. Und wenn nicht, dann machst Du sowas nie wieder, und wenn doch, dann gibt's hinterher kaum noch was, was Dich noch schrecken kann, in der Literatur.

    Zitat

    Original von Kyara
    Ich habe so langsam das Gefühl, dass ich gescheitert bin. So richtig wahrhaben möchte ich es noch nicht, aber seit Wochen schon habe ich keine Zeile mehr aus Ulysses gelesen. Immer waren mir andere Bücher wichtiger. Ob ich mich da jetzt noch mal reinfinde? :-(


    Entschuldigung, noch mal ein bescheidenes Einmischen eines Neulings in der gutgemeinten Absicht, zu motivieren: In welchem Kapitel, und wo genau stehst Du, wo hängt es also?

    Ein Neuling mischt sich ein:
    Also, ich hab den Ulysses vor vielen Jahren und mich dann längere Zeit mit ihm und mit Joyce beschäftigt. Und ich kann nur sagen, quält euch, denn es lohnt sich. Manche Äpfel hängen einfach etwas höher, und man muss länger klettern, so ist das nun mal. Wer sagt, dass sich gute Literatur einfach erschließt?


    Ich will euch also wieder motivieren, und wie?


    Na, weil hier ein Meister des Epischen zugange ist, der es geschafft hat, eine ganz besondere Form der Poesie ins Erzählerische zu übertragen. Ulysess hat vom Charaketer her sehr viel vom Duktus der homerischen Versepen, aber das alles wird gebrochen durch 2000 Jahre Literatur- und Weltgeschichte. Unglaublich!


    Ich hab vor kurzem mal eine Originalaufnahme gehört, wo Joyce aus Finnegans Wake vorliest. Er singt das fast, trägt da einen exzellenten Abschnitt (aus diesem wirklich unleserlichen Werk) mit beeindruckender Intensität vor.


    Ulysess ist ähnlich, aber noch machbar! Es ist so eine Art Sprachgesang, ein Lied in vielen unterschiedlichen Tonarten. Man sollte beim ersten Lesen nicht (eigentlich wohl nie) den Ehrgeiz haben, alle Andeutungen zu verstehen. Das stört den Lesefluß enorm. Ulysess lebt aber von diesem Lesefluß, und es erschließt sich auch dann, wenn man den ganzen Interpretationsbalast, den andere Leute darauf abgeladen haben, erst mal wegläßt.


    Das dritte Drittel liest sich übrigens am leichtesten, und da wird es dann auch lustiger und verständlicher.


    Hab ich euch wieder Lust gemacht?

    Zitat

    Original von Buechereule


    Hallo lyrx,
    vielleicht kannst du die Bücher in 3 eigenen Threads vorstellen, so dass man sie später im Verzeichnis besser finden kann :wave


    Jetzt bin ich grade mal ein paar Tage dabei, und muss schon der Büchereule widersprechen .... aber ich kann nicht anders. :-)Die drei Bände sind für mich eine Einheit und bei Heyne auch nur als Sammelband erschienen. Einzeln kriegt man die wohl nur noch antiquarisch, vermute ich. Ich kann auch nicht drei Threads gleichzeitig schreiben, das wäre mir in meiner Anfangsphase noch ein wenig zu viel.


    Die Trilogie ist ohnehin ein harter Brocken, und es werden die wenigstens bereit sein, sich durchzuquälen. Wenn aber, dann richtig und gleich alle drei: Einzeln betrachtet wird's schwierig, um nicht zu sagen "vordergründig"