Simon & Melina
von Inkslinger
Simon starrt gedankenverloren aus dem Fenster. »Hast du Lust auf einen Waldspaziergang?«
Sarah lacht auf. »Vergiss es! Es schüttet seit Tagen.« Sie geht auf ihn zu und umarmt ihn. »Du willst dich nur vor dem Treffen mit Melina drücken.«
»Nö. Ich freue mich auf das Abendessen mit deiner heißgeliebten, beschützenden großen Schwester… Obwohl ich gestehen muss, dass mir ein bisschen die Düse geht.«
»Dazu gibt es keinen Grund. Ihr werdet euch super verstehen, versprochen.«
»Warum lerne ich sie dann erst jetzt kennen? Wir sind schon vier Jahre zusammen.«
Sarah widmet sich wieder der Essensvorbereitung. »Ich hab dir doch erklärt, dass Melina nicht gerne reist. Sie verlässt unsere Heimat fast nie. Noch ein Grund, warum du dich nicht rauswinden kannst. Also, schnippel die Paprika und zieh das für mich durch.«
Simon seufzt. »Okay, Liebling.«
Schneller als er Cevapcici sagen kann, klingelt es schon an der Tür.
Sarah läuft in den Flur und kehrt nach kurzem, aufgeregten Begrüßungstaumel mit ihrer Schwester in die Küche zurück.
Die beiden sehen beinahe aus wie Zwillinge. Erst auf den zweiten Blick erkennt man ein paar wesentliche Unterschiede. Melina ist größer und muskulöser. Ihre Augen leuchten in einem Hellblau, das fast farblos wirkt. Wie die Eisbonbons, die er sich bei Hustenreiz einwirft. Die blonden Haare schimmern silbern und sie sieht viel jünger aus als die verkniffene, alte Jungfer, die er sich insgeheim vorgestellt hat. Und freundlicher.
Sie haben einen tollen Abend. Entspannt und lecker, wie es sein soll.
Nach dem traumhaften Tiramisu lehnt Melina sich zufrieden zurück. »So, jetzt erzähl mal, wie du meine kleine Schwester kennengelernt hast.«
Simon lächelt Sarah an. »Ganz typisch. In einer Disco. Ihr Blick hat mich berührt und ich war wie elektrisiert. Ich hab aufgehört zu denken, sie hat mich sofort verzaubert. Sie meinte, ich könne ihr bei etwas helfen und so sind wir in ihrem Auto gelandet. Seitdem waren wir keinen Tag getrennt.«
Melina seufzt. »Niedliche Story.«
Ihre Schwester wirft ihr einen bösen Blick zu und zischt warnend.
Simon lacht. »Schon okay. Aber jetzt erzähl du mal. Wie ist eure Heimat so?«
»Schnee und Eis soweit das Auge reicht. Für die meisten wäre es wohl nichts, aber ich liebe es dort.«
»Ist das nicht sehr einsam?«
Melina grinst. »Keineswegs. Es gibt genug abenteuerlustige Besucher. Und die singen so schön… Singst du gerne, Simon?«
Bevor er antworten kann, springt Sarah auf und zerrt ihre Schwester in den Garten.
Als sie sicher ist, dass Simon außer Hörweite ist, blufft Sarah sie an: »Was fällt dir ein, meinen Mann zu bedrohen?!«
Melina lacht. »Chill ma deine Basis. Wollte nur einen Gag machen.«
»Das ist nicht lustig! Genau deswegen bin ich von euch weg! Ihr habt keinen Respekt vor Menschen!«
»Warum auch? Wir sind Eisprinzessinen, Darling! Wir zapfen den Menschen die Wärme ab und sie werden Teil unseres ewigen Eises. Sie sind Nahrung, nicht mehr!«
»Für mich ist Simon alles!«
»Und wie erklärst du ihm, dass du nie alterst oder stirbst? Er ist zwar primitiv, aber nicht blind.«
»Das entscheide ich dann… Irgendwas wird mir schon einfallen.«
Melina lacht gehässig. »Na klar. Sieh es endlich ein, das wird nix! Bring ihn zum Kristallpalast und beende es. Lass ihn im Chor der verlorenen Seelen singen.«
»Das werde ich ihm niemals antun! Verschwinde! Und komm nie wieder!«
Ohne auf eine Reaktion zu warten, geht sie zurück in die Küche, wo der verdatterte Simon sie mit großen Augen anstarrt. »Was ist denn los? Hab ich was falsch gemacht?«
Sie schüttelt den Kopf und nimmt seine Hand. »Mach dir keine Gedanken. Du warst toll. Meine Schwester hat mich nur daran erinnert, wie eiskalt meine Sippe ist.«