"Mix an Verkehrsmitteln" bedeutet in meiner Stadt, dass Autos weitestgehend aus dem Stadtbild entfernt werden sollen. Es wird fast vollständig auf das Fahrrad gesetzt.
Dazu wurde eine Veloroute geplant. Die Energie, die man in eine radfreundliche Stadt investiert, fehlt leider gänzlich in anderen Bereichen.
Eine grün-sozialdemokratische Ratsversammlung setzt sich dabei leider auch über ihre eigenen Parteimitglieder in den Ortbeiräten hinweg, die nach Anhörung durch Straßenumbau vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
Der Höhepunkt der Verkehrsplanung war die Ankündigung, Parkplätze abzuschaffen, die Stadt umzubauen und irgendwann in Zukunft Bedarfe zu planen, um dann irgendwie und vielleicht Parkhäuser zu bauen. So funktioniert meines Erachtens keine Verkehrsplanung.
Ein weiteres Beispiel: Dank Umwelthilfe war Kiel lange Zeit in den Medien aufgrund schlechter Emissionswerte. Das Thema E-Busse kam auf. Die Stadt lawinerte bis zu dem Zeitpunkt herum, bis die Umwelthilfe ihnen in der Presse vorrechnete, dass der Anteil der Kommune bei nur 10 Prozent der Kosten für die Anschaffung entsprechender Busse läge. Dann änderte sich etwas.
Ein anderes Beispiel: Unweit von mir befindet sich eine Behinderteneinrichtung. Früher stiegen die Bewohner normal in den Bus ein und fuhren in Richtung Innenstadt.
Seit geraumer Zeit funktioniert(e) nichts mehr, Busse mit niedrigem Einstieg fahren nicht mehr vor dem Wohnheim ab. Die Stadt kennt das Problem und anstatt es zu lösen, soll die im Ruhestand befindliche Direktorin des Arbeitsgerichts als Vermittlerin eingesetzt werden. Was bitte soll vermittelt werden? Entweder es werden behindertengerechte Busse eingesetzt oder nicht. Alternativen dazu gibt es nicht.
Aktuell wird diskutiert, ob es eine Rückkehr zur Straßenbahn geben wird. Die Gespräche laufen bereits seit Jahren, es gibt ein Hin und Her und ein Ende ist nicht abzusehen.
Ich könnte unzählige Beispiele für diesen politischen und Ideologie getriebenen Wahnsinn bringen, ändern würde es nichts.
Zur eigentlichen Frage: Ich bin große Befürworterin eines Mixes von Verkehrsmitteln, allerdings auch eine große Gegnerin der politischen Haltung "Wir sind gegen alles, wir verhindern alles, aber kosten darf es nichts und Lösungen bieten wir schon gar nicht an".
Ich lebe auf diesem Planeten und möchte durchaus etwas für den Umweltschutz tun, doch es wird einem so unendlich schwer gemacht, etwas zu ändern, weil Kleingeister politische Verantwortung übernehmen, alles ausdiskutieren und aussitzen wollen und weit davon entfernt sind, etwas ändern und retten zu wollen.
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Salonlöwin
Danke für die ausführliche Antwort.
Ich habe mir daraufhin gestern online mal ein bisschen die Verkehrsstrukturen in Kiel angeschaut und ich scheine in einer Stadt zu wohnen, die sehr ähnliche Probleme wie Kiel hat (bei 250.000 Einwohnern) und in der Entwicklung auch auf einem ähnlichen Stand zu stehen scheint. Es ist genau das, was ich meine mit deutsche Städte hinken hinterher.
Bei uns wurde, wie bei euch, die Straßenbahn abgeschafft. Das wurde 1972 beschlossen, die letzte Linie wurde 1974 geschlossen, die daraus resultierenden finanziellen Nachteile für den Betreiber wurden von der Stadt getragen. Es war das viertgrößte Straßenbahnnetz Deutschlands das dabei vernichtet wurde (213,5 km Gleislänge). Die Zielsetzung war den Autoverkehr nicht mehr durch Straßenbahnen zu behindern. Es war eine Zeit, in der man den Eindruck hatte, dass Lokalpolitik vorranging in den Karnevalsvereinen ausgeklüngelt wurde (der Satz ist ohne jede Ironie).
Der ÖPNV wurde auf Busse umgestellt, was sich schon ziemlich schnell als problematisch herausstellte, weil die Kapazität einfach nicht ausreichte. Unsere Stadt geht gerne Sonderwege - Wörter wie Leuchtturmprojekt sind beliebt - also wurde das größtmögliche Busmodel als Lösung eingesetzt, 25m lange Doppelgelenkbusse. Was nicht bedacht wurde: Das Gewicht geht mit der 4.Potenz in die Belastung der Straße ein, diese Busse führten deswegen zu vielen Straßenschäden. Insbesondere an den Bushaltestellen sanken sie einfach in den Asphalt ein, deswegen mussten alle Bushaltestellen der betroffenen Strecken auf Beton umgestellt werden. Das hatte niemand vorher bedacht, deswegen wurden einige Strecken zunächst befahren, dann, nachdem die Straßen hin waren, wegen des Schadens wieder eingestellt.
Auch hier hat die DUH die Stadt zurecht wegen zu schlechter Luftqualität verklagt. Auch hier war - der fehlenden Straßenbahn geschuldet - der Busverkehr mit veralteten Dieselbussen ein wesentlicher Faktor. Und auch hier wurde wieder nach Leuchtturmprojekten gesucht - weil es damals noch kein entsprechendes Angebot gab, wurde versucht Gelenkelektrobusse selbst als Prototypen aufzusetzen. Die sind 2014 mal kurz im Probebetrieb eingesetzt wurden, mehr nicht. Irgendwann gab's dann die erste 'elektrische' Linie, es war eine grenzüberschreitende Linie Richtung Niederlande. In meiner Erinnerung steuerte die niederländische Seite 6 E-Busse bei (die hatten zu dem Zeitpunkt bereits alle Linien elektrifiziert, kein Leuchtturmprojekt, sondern einfaches Leasing), die deutsche Seite 2 Diesel-Busse, weil's hier immer noch nichts anderes gab.
Es wurde mehrfach versucht die Straßenbahn wieder einzuführen:
- in den 90ern durch eine private Initiative und durch eine rot-grüne Koalition aufgenommene Planung. 1999 wurden die Pläne von der CDU/FDP gestoppt.
- 2008 dann durch eine Bürgerinitative vorangetrieben und 2012 vom Stadtradt mit einer großen Mehrheit (CDU, SPD, Grüne, Linkspartei) beschlossen, wurde es 2013 durch einen Bürgerentscheid gestoppt (Stichwort: 'Campusbahn=Größenwahn')
- Seit 2018 werden erneut Pläne unter dem Namen 'Regiotram' ausgearbeitet, derzeit Stufe 2 der Machbarkeitsstudie.
Was Radinfrastruktur angeht hat die Stadt den üblichen Leidensweg durchlaufen. Von gibt's nicht, über 'wir machen mal ein bisschen Farbe auf die Bürgersteige', zu 'wir machen mal ein bisschen Farbe auf die Straßen'. Bis 2019 eine Bürgerinitative 'Radentscheid' ein Bürgerbegehren gestartet hat und in kurzer Zeit etwa 40.000 Unterschriften von wahlberechtigten Bürgern mit erstem Wohnsitz gesammelt hat für ganz konkrete Pläne inkl. Zeitplan zur Umsetzung einer Radinfrastruktur in der Stadt mit einem konkret geplanten Radvorrangnetz. Nach Zeitplan müsste die allseits beschlossene Umsetzung jetzt 5 Jahre später bei etwa 50% sein, tatsächlich sind wir jetzt erst bei 15%. Trotzdem sind die positiven Effekte schon deutlich spürbar.
Aktuell hat sich unter dem Namen 'Mobile Vernunft' eine Gegenbewegung gebildet, die die Position vertritt, dass der Autoverkehr nicht geschwächt werden darf. Es gab immer wieder Leserbriefe, man könne nicht mehr in die Stadt fahren, weil der Radverkehr den Autoverkehr verdrängen würde (tatsächlich gibt es ein umfangreiches und ausreichendes Parkhausangebot in der Innenstadt und eine Radinfrastruktur Stand heute nach wie vor nicht vorhanden, die bisherigen 15% liegen weiter außen). Es wurde darauf verwiesen, man würde nicht mehr in die Stadt fahren, sondern in die viel schönere Grenzstadt in der Niederlande, wo man überall mit dem Auto hinkomme (es ist eine Stadt, die die autoarme Innenstadt längst umgesetzt hat, mit eben gut funktionierender ÖPNV- und Radinfrastruktur. Und ja, wie bei uns auch, ausreichendem Parkhausangebot).
Die Zeitung lud daraufhin Stadtplaner der dortigen Stadt zu uns zu einer Besichtigung ein, um zu fragen, was man ändern müsse.
Die Antwort war: Es gibt ein zu großes Parkplatzangebot am Straßenrand in der Innenstadt, das ist zum einen nicht notwendig, weil in der Innenstadt nur wenige ein Auto besitzen und zum anderen führt es zu einem alles verstopfenden Parksuchverkehr. Wenn die Parkplätze dort abgeschafft werden, orientiert sich der Autoverkehr direkt an den Parkhäusern und Autos, die tatsächlich irgendwo hin müssen, z.B. zum Ein-/Ausladen, haben eine einfachere Anfahrt. Der Autoverkehr funktioniert dann besser.
Ergänzt werden muss das natürlich durch einen funktionierenden ÖPNV (Straßenbahn ist für eine Stadt dieser Größe unabdingbar).
Es braucht eben diesen Mix. Der wird aber von den Autofahrern ('Mobile Vernunft' usw) immer wieder abgewürgt...
Randnotiz: Ich selbst wohne in einem besonders radfahrerfeindlichen Stadtviertel. In unserer Fußgängerzone ist der KFZ-Verkehr zum Ein-/Ausladen zugelassen - auch für Anwohner - was auch rege genutzt wird. Der Radverkehr hingegen ist explizit verboten (inkl. riesigen auf den Boden aufgepinselten Radverbotsschildern). Ein Fahrradkurierunternehmen hat die Stadt deswegen wegen Wettbewerbsverzerrung verklagt. Hmm - ich weiß gar nicht, ob und wie das ausgegangen ist.