Lese-rina
Nein, wenn in der Beziehung zu Paul nicht schon der Wurm drin wäre, hätte Julia NICHT mit Simon geknutscht.
Auch, wenn das im wirklichen Leben durchaus vorkommen kann und unter Umständen dann rein gar nichts zu bedeuten hat, sondern wirklich nur ein Alkohol bedingter Ausrutscher war - wenn so etwas in einem Buch oder Film passiert, hat es in der Regel eine Bedeutung oder Funktion. Jedenfalls, wenn es ein gutes Buch ist, da passiert nichts "einfach so". Ähm, damit sage ich natürlich, dass unsere Bücher GUT sind, was man über sich selbst natürlich nicht behaupten sollte. Aber ich mach's einfach mal 
Auch hierfür gibt es einen Fachbegriff, diese Technik nennt sich "Planting and Pay off", also "Säen und Ernten." Der Autor schreibt eine bestimmte Szene oder verleiht seiner Figur einen bestimmten Charakterzug, die oder der für sich genommen erst einmal nicht so wichtig erscheint - aber später, bei der Auflösung, eine Bedeutung bekommt.
Nehmen wir als Beispiel den Film "Vertigo": Da erfahren wir am Anfang, dass James Stewart an massiver Höhenangst leidet, weil er einmal bei einer Verfolgungsjagd den Absturz eines Verbrechers miterleben musste. So what?, könnte man da jetzt denken, hat er eben Höhenangst. Erst später wird aufgelöst, dass der Drehbuchautor den Absturz des Verbrechers und die sich daraus entwickelte Höhenangst ABSICHTLICH hinein geschrieben hat - denn später, als Kim Nowak auf den Glockenturm rennt und sich hinunter stürzt, kann er ihr nicht folgen, um sie zu retten, denn die Höhenangst hält ihn zurück. Am Ende des Filmes erfahren wir, dass der Auftraggegber, der James Stewart gebucht hatte, um seine Frau zu beschützen, um diese Höhenangst wusste und deshalb gerade ABSICHTLICH James Stewart ausgewählt hat, weil er WUSSTE, dass dieser seine Frau nicht würde retten können. Dahinter steckt also von Anfang an ein perfider Mordplan.
Ich hoffe, viele von Euch kennen den Film "Vertigo", sonst ist das hier wahrscheinlich nicht so leicht verständlich 
Herrjeh, das wird ja hier eine regelrechte Dramaturgie-Stunde - am Ende könnte Ihr alle keine Bücher mehr lesen oder Filme gucken, ohne dass Ihr schon gleich wisst, was passieren wird 
Und noch einmal, was die Beziehung zu Paul betrifft: Da ist schon länger der Wurm drin. Nur die "Anfangs-Julia" gesteht sich das selbst nicht ein, sie hält an der Fassade fest. Kennt ihr das vielleicht? Wenn ihr mal in einer längeren Partnerschaft ward und es eigentlich nicht mehr so rund lief, ihr es Euch aber nicht einmal Euch SELBST gegenüber eingestehen wolltet? Manche Gedanken verbietet man sich ja, wischt sie weg, redet sich ein, dass alles super ist. So lange man nicht darüber nachdenkt, ist es irgendwie auch nicht wahr. Aber wenn man bei sich selbst erst einmal den ersten Zweifel zulässt, dann beginnt es, zu bröckeln. Sobald man dann auch noch mit Freunden darüber spricht, also seine Bedenken laut formuliert, kann es sein, dass es schnell zu Ende geht.
Hm. Ich hoffe, das war jetzt einigermaßen verständlich.
NACHTRAG:
Eine von Euch Eulen hat uns hier gefragt, ob wir Rezis lesen und ihnen Beachtung schenken. Ja, das tun wir. Auch, um uns weiter zu entwickeln, so ein Feedback ist sehr, sehr wichtig. Und wir haben auch nichts gegen negative Kritiken, wenn einem Leser ein Buch nicht gefällt, soll er das auch unbedingt schreiben. ABER, nachdem wir hier gerade so aus dem Nähkästchen plaudern: An alle von Euch, die gern Rezis schreiben: Was einen Autor wirklich trifft, ist, wenn eine Rezi böse und gedankenlos dahin geschludert wird, ohne wirklich sachliche Kritik zu enthalten (zum Beispiel, WARUM derjenige das Buch doof fand). Denn, wie Ihr hier sehen könnt: Die meisten Autoren geben sich mit ihren Büchern viel Mühe, arbeiten lange an der Geschichte und den Charakteren, bis sie stimmig sind. Über jeden Satz, jede Szene macht man sich Gedanken, ich glaube nicht, dass es einen einzigen Schriftsteller gibt, der einfach "nur so" runterschreibt. Von daher: Immer schön dran denken, dass auf der anderen Seite Eurer Kritik ein Mensch aus Fleisch und Blut sitzt, der sein Bestes gegeben hat, um seine Leser zu unterhalten. Schreibcomputer gibt es ja noch nicht
Nicht, dass wir gerade irgendwo böse Dresche gekriegt hätten, aber gerade hatte ich einfach Lust, so etwas auch mal in einem Forum loszuwerden und dachte, hier passt es eigentlich ganz gut hin.