Danke für die sehr interessante Rezension, direkt mal für Weihnachten vorgemerkt!
Beiträge von Voland
-
-
Traurig und gleichermaßen begeistert habe ich in den vergangenen Tagen die Lektüre beendet. Traurig, weil ein großes Leseabenteuer unwiderbringlich hinter mir liegt, und ich gerne noch tausend weitere Seiten in Bolanos düsterer, wahnwitziger Welt verbracht hätte. Begeistert, weil 2666 für mich zu den Romanen gehört, die völlig neuartig erscheinen und einem im zunehmenden Verlauf das Gefühl vermitteln, im Grunde nichts zu wissen.
An und für sich ist 2666 ziemlich sperrig, nur wenige gröbere Handlungsstränge können ausgemacht werden, oft wechseln alle paar Seiten die Schauplätze und Personen, viele Fragen werden aufgeworfen, beantwortet die Wenigsten, kurz vor der Auflösung lässt Bolano alles fallen und wendet sich Neuem zu. Trotz einer scheinbaren Willkür und nüchterner Prosa reißt die Handlung mit, gerade die vielen Sprünge, und die oft absurden Exkurse packen, weil jederzeit alles passieren kann. Folgt man beispielsweise noch eben einen jungen Wehrmachtssoldaten, der sich in einem Haus verschanzt und ein rätselhaftes Buch findet, erfährt man plötzlich von einem russischen Science-Fiction-Schriftsteller, der später mit verworrenen Nonsens-Romanen Erfolg haben wird, welche einem Bolano ebenfalls auszugsweise präsentiert.
Wenn ich 2666 auf ein Wort festlegen müsste, dann wäre es "Wahnsinn". Aber auch das Grauen oder die Einsamkeit bieten sich an. Alles Begriffe, mit denen man erst einmal nichts Positives assoziiert, und das hat seinen guten Grund, denn Bolano gönnt einem kaum erhellende Momente, Momente wirklichen Glücks oder spontaner Freude. In nüchterner Prosa stellt er die Sinnlosigkeit der Welt und die Monotonie des Lebens zur Schau. Ein Ausweg aus der tristen Welt ist für viele Charaktere nur durch Gewalt oder Sex möglich, wobei selbst Sex bei Bolano kaum mit Sinnlichkeit einhergeht.
Im Zentrum all dessen steht Santa Teresa, Ort unzähliger Morde an Frauen, welche in ebenso nüchternem Stil, akkurat und ohne Sentimentalität aufgezählt werden. In einem ohnehin schon düsteren Werk ragt das Kapitel um die Verbrechen in Santa Teresa noch einmal heraus. Scheinbar kühl und emotionslos beschreibt Bolano den Zustand der Leichen, Fundorte und streut einige wenige Hintergrundinfos ein. Nur wenige Frauen werden später identifiziert, ebenso wenige vermisst. In völliger Einsamkeit in der Wüste umgebracht enden viele in einem Sammelgrab, ohne daß ihr Verschwinden jemand bemerkt. Bolano schafft es in diesem Kapitel immer noch neue Abgründe auszumachen, wenn er beispielsweise die verschiedenen Formen einer Vergewaltigung aufzählt, oder schildert, wie etliche der ermittelnden Polizisten sich zum Frühstück versammelt haben und sich währenddessen bitterböse Frauenwitze erzählen.
Nicht nur, daß Bolanos Stil die vielleicht einzige Möglichkeit darstellt, die zahlreichen Morde überzeugend zu schildern ohne sich selbst in all dem Grauen zu verlieren; so trafen mich manche Szenen oder schlichte Sätze mit einer viel größeren Wucht, als es jede ausschweifende Erzählweise zugelassen hätte. An einer Stelle z.B: wird ein Mord geschildert, bei dem das Opfer sich noch schwerverletzt in ein Krankenhaus schleppen kann, ehe es stirbt. Der Teil endet folgendermaßen:
"Eine der Schwestern, die versuchten, ihre Blutungen zu stoppen, fragte, ob der Mann sie entführt habe. Sabrina Gomez sagte, sie bedaure, ihre Geschwister nie wiederzusehen."
Erwähnenswert ist noch Bolanos Humor, der sich perfekt in den Ton des Romans einreiht, und bestimmt nicht jedermanns Geschmack ist, mich aber, es sei mir verziehen, nicht selten zum Lachen gebracht hat. Wie könnte man z.B. die Unfähigkeit der Polizei, der es nicht gelingt die Täter zu fassen oder bei der wichtige Beweisstücke auf die haarsträubendste Art und Weise verloren gehen, besser in Worte fassen, als an dieser Stelle?
"Anfang November fanden Schüler einer Privatschule aus Santa Teresa während eines Ausflugs an der steilsten Flanke des Cerro La Asuncion, auch bekannt als Cerro Davila, die Überreste einer Frau. Über das Handy des Lehrers, der die Gruppe beaufsichtigte, wurde die Polizei verständigt, die fünf Stunden später, kurz bevor es dunkel wurde, auf dem Parkplatz eintraf. Beim Aufstieg am Berg rutschte Komissar Elmer Donoso aus und brach sich beide Beine. Mit Hilfe der Ausflügler, die vor Ort ausgeharrt hatten, gelang es, den Komissar in ein Krankenhaus zu schaffen."
Ob 2666 dem Hype gerecht wird, muss jeder selbst entscheiden. Meine Erwartungen wurden nicht nur übertroffen, sondern geradezu zermalmt. Uneingeschränkt weiterempfehlen würde ich es jedoch nicht, zu sehr trotzt Bolano den Konventionen, zuviel lässt er offen, zu wenig Aufklärung schafft er, und am Ende ist man so schlau wie anfangs. Die Lektüre ist wie der Abstieg in einen dunklen Keller, der immer weitere Treppen in noch tiefer gelegene Abgründe offenbart.
"Ein äußerst rätselhaftes Vermächtnis, finden sie nicht?" heißt es zum Schluss hin. Das ist das Mindeste, was man von 2666 behaupten kann.
-
Johann Wolfgang von Goethe; Wilhelm Meisters Lehrjahre; 3,5
Roberto Bolano; 2666; 1,0; Monatshighlight -
Edit: hat sich erledigt
-
Ich habe Moby Dick in der neuen Übersetzung von Matthias Jendis gelesen, bin zwar kein Experte was Übersetzungen angeht, aber mir hat es sehr gefallen, und die neue Übersetzung wurde auch von der Presse überschwenglich gelobt.
Von einer abgespeckten Version möchte ich abraten. Klar funktioniert der Roman als solches dann immer noch, sofern man nur an dem Fortverlauf der Handlung interessiert ist. Was Moby Dick aber u.a. so interessant macht, ist zum einen das sehr ausführliche Bild vom Walfang, von der Seefahrt; zum anderen Melvilles zahlreiche Exkurse, die wortgewaltig und fesselnd sind!
-
Glückwunsch, Bildersturm!
-
Mich stört die verwackelte Kamera auch nicht, auch nicht bei Blair Witch Project, der in dieser Hinsicht noch um einiges extremer ist. Und bei Paranormal Activity ist es zwar schon sehr entschärft, da ein Großteil der Ausnahmen in der Nacht aus einer ruhigen Position aus gedreht sind, aber erwähnen wollte ich es trotzdem, weil jeder wissen sollte, daß einem hier in der Art der Inszenierung ein spezieller, extrem auf Realismus getrimmter "Amateurfilm" erwartet, sonst könnte man böse überrascht werden.
Nicht jeder kann sowas ab, gibt auch Menschen, die z.B. den schnellen Schnitt der Bourne-Reihe als sehr anstrengend empfinden, oder denen bei dem Einsatz von Handkamera mitunter schlecht wird.
-
Fand den Film sehr gelungen, wenn auch nicht immer überzeugend, aber er hat einige brilliante Gänsehautmomente. Vom "grusligsten Film" aller Zeiten würde ich zwar nicht sprechen, aber da spielt dann auch die bisherige Erfahrung mit Horrorfilmen bzw. speziell Filmen dieser Art eine Rolle. Wer Blair Witch Project nicht kennt, und allgemein selten Horrorfilme sieht, dürfte hier maximalen Nervenkitzel finden.
Wie auch schon bei Blair Witch funktioniert dieser Film nur, wenn man sich auf das Szenario einlässt, den Charakteren und der Möglichkeit, daß all das so wirklich geschehen sein könnte, auch Glauben schenkt, denn auf plumpe Schockeffekte wurde hier verzichtet, das Grauen spielt sich nahezu ausschließlich im Kopf des Zuschauers ab. Apropos Kopf: Wer knappe 1 1/2h lang verwackelte Aufnahmen einer Handkamera nicht ertragen kann, sollte Paranormal Activity meiden.
Blair Witch Project halte ich übrigens für einen der drei besten Horrorfilme überhaupt!
-
Bin ebenfalls in der Mitte des vierten Teils, habe allerdings den abschließenden fünften Teil über Archimboldi schon vorher gelesen (die Neugier!), was zumindest für mich den vierten Teil etwas entschärft.
Ich finde diesen bislang nicht so herausragend düster und verstörend, wie ich es erwartet hatte, was wohl daran liegt, daß ich nicht erwartet hatte, daß das ganze Buch von der ersten bis zur letzten Seite so düster und beklemmend sein würde, ja sogar der Teil über die Literaturwissenschaftler ist alles andere als angenehm, und danach gehts nur noch abwärts.
Thordis : Durchhalten lohnt sich allemal, der 5. Teil war mir der liebste, weil ich vielleicht noch nie soviel Seltsames und Verrücktes und Trauriges auf so wenige Seiten komprimiert fand.
-
Zitat
Original von Beatrix
An die Hinterbliebenden denken Selbstmörder eben nicht, das finde ich auch sehr schlimm.Ein sehr typischer Vorwurf von Leuten, die keine Ahnung haben wie ein Depressiver mit verzerrter Wahrnehmung der Wirklichkeit denkt. In ihrer eigenen "Logik" denkt so mancher Selbstmoerder naemlich wirklich an die Hinterbliebenen. Sie sehen sich selber als Versager, die nur eine Buerde fuer die Familie sind. Ohne sie waere der Rest der Familie viel besser dran. Der eigene Selbstmord also zum Wohle der Hinterbliebenen.
Und genauso verhält es sich auch andersrum: Gäbe es nicht Familie, Lebenspartner oder Freunde und damit einhergehend eine Art Verpflichtung, die man ihnen gegenüber empfindet, dürfte die tatsächliche Selbstmordrate depressiver Menschen um einiges höher ausfallen. Wer sich infolge der Depression ernsthaft mit dem Suizid auseinandersetzt, Für und Wieder abwägt, zermartert sich mitunter Monate, oder gar Jahre den Kopf; und entweder überwindet man die Depression oder kann sie zumindest erträglicher gestalten, oder man entscheidet sich nach langem Ringen für den eigenen Tod. Eine Kurzschlussreaktion ist das nicht, und dann solchen Menschen zu unterstellen, sie würden nicht an die Hinterbliebenen denken, finde ich wiederum, nun nicht schlimm, aber doch bedauerlich.
Auch solche Aussagen wie "Es gibt immer einen anderen Ausweg als Selbstmord, hätte er/sie doch nur etwas gesagt", können nur von Personen kommen, die keine Ahnung haben, worum es sich bei Depressionen eigentlich handelt.
-
Glückwunsch Quetzalcoatlus!
-
Kurze Inhaltsangabe:
Esther, Waisenkind, wird von einem liebreizenden Paar adoptiert, das bereits zwei Kinder hat. Aber keineswegs alles ist so perfekt, wie es scheint. Die Mutter hat aufgrund von Alkoholproblemen ihren Job verloren, sowie ihr ungeborenes Kind. Zusammen beschließt das Ehepaar einen Neuanfang zu wagen mithilfe einer Adoption. Esther, das erwählte Kind, macht einen klugen Eindruck, malt mit bewunderswertem Talent die schönsten Bilder, ist höflich und von einnehmendem Charakter. Also alles prächtig? Nicht ganz, denn leider ist sie auch von ziemlich bösartiger Natur, nicht der Antichrist höchstpersönlich oder dessen Tochter, wie es in ähnlichen Filmen so oft der Fall ist, aber viel fehlt nicht. Es braucht nicht viel Phantasie um sich auszumalen, daß die anfängliche Harmonie nach der Adoption schon bald erste Risse zeigt, Menschen gegeneinander ausgespielt werden, Missgunst und Zwietracht gesät und letztlich auch Blut vergossen wird.
Meine Meinung:
All jene, deren Erfahrungen an Horrorthrillern noch jungfräulicher Natur sind, können hier durchaus mal einen Blick drauf werfen. Allen anderen kann ich nur raten: Lieber nicht!
Die Handlung bietet wenig Neues, leider sind auch die Macher des Filmes ähnlich phantasielos zu Werke gegangen. Man bedient sich hier aller gängigen Klischees, Überraschungen bleiben aus, selbst der finale "Twist" kann schon früh durchschaut werden. All das wäre aber durchaus zu verschmerzen, wenn man sich nicht die ganze Zeit über die konstruierte Story, die wie riesige Krater aufragenden Logiklöcher und die strunzdumm agierenden Charaktere ärgern müsste.
Ich will nur ein paar Beispiele aufzählen, versuche aber Spoiler zu vermeiden:
- Esther ist grundsätzlich immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort, sprich ihr entgeht nichts. Obwohl die Familie ein riesiges Haus bewohnt, gelingt es keinem der Anwesenden, etwas vor ihr zu verheimlichen oder sich über etwas zu unterhalten, ohne daß Esther sich in einem Winkel versteckt hält, und alles mithört.
- Esther verfügt über prophetische Fähigkeiten. Sie erahnt jeden Schachzug ihrer Gegenspieler, vor allem zum Ende hin kombiniert sie schon zehn Züge im Voraus. Bemerkenswert, daß man sie nie in der Nähe eines Schachbretts antrifft.
- Esther ist nicht nur sehr viel kräftiger, als es der erste Eindruck suggeriert, sie kann auch mehr an Schmerz und Prügel verkraften als jeder andere Mensch. Grundsätzlich gilt: Böse Menschen haben fast immer übermenschliche Fähigkeiten.
- Mühelos gelingt es Esther, die Eltern zu entzweien; vor allem der Vater lässt sich mit so spielerischer Leichtigkeit von seiner Ehefrau abbringen, und agiert den ganzen Film über so unglaubwürdig und dumm, daß ich zum Ende hin bei einer bestimmten Szene im Kino nicht anders konnte, als zu applaudieren.
- Die beiden anderen Kinder hätten das Geschehen schon nach zwanzig Minuten beenden können, aber oh Wunder, niemand vertraut sich den Eltern an, stattdessen verfolgen sie mit, wie Esthers Treiben immer bösartiger wird.
- Scheinbar ist dem Produktionsteam beim Soundediting ein Fehler unterlaufen, anders kann ich mir den exzessiven Einsatz von lauten Soundeffekten nicht erklären. Im dunklen Haus bewegt sich plötzlich ein Schatten? ZACK! Ein Soundeffekt, der einem fast das Trommelfell zertrümmert. Der Vater öffnet den Kühlschrank? BUMM! Als würde man mit einem Spaten auf ein Metallblech donnern. Die Mutter bindet sich die Schnürsenkel zu? WUUSCH und KABUMM! Ja, derart mittelalterlich und primitiv sind die eingesetzten Schockeffekte.
Man muss annehmen, daß die Gehaltchecks sehr großzügig ausfielen. Warum sonst sollten talentierte Darsteller wie Vera Farmiga (Departed, Up in the air) oder Peter Sarsgaard (An Education, Garden State) in einem 08/15-Horrorthriller mitwirken? Gefordert werden sie in ihren Rollen nicht, bei Sarsgaard hat man das Gefühl, er hätte auf Autopilot geschalten.
Isabelle Fuhrman verleiht Esther die notwendige diabolische Präsenz, man kauft ihr ihre Bösartigkeit ab, und selbst in den wenigen Szenen, da sie das liebreizende Kind gibt, überzeugt sie vollauf. Ihre eindringliche Darstellung ist also, wenn man so will, der einzige Lichtblick eines ansonsten enttäuschenden Films.
Nochmal in Kürze zusammengefasst: Horrorthriller von der Stange, mit guten Darstellern besetzt; solide, aber auch arg manipulativ inszeniert; inhaltlich ist der Film uninspiriert und vorhersehbar, zudem steht er, was die Logik anbelangt, auf sehr wackligen Beinen. Mit fortlaufendem Verlauf verspürte ich immer häufiger den Drang, einige Charaktere mal ordentlich durchzuprügeln. Eine zugegeben starke Reaktion, und ob das nun wünschenswert ist oder nicht, so ist das immerhin ein Verdienst, welcher ganz und gar dem Film zugeschrieben werden kann.
4/10 Punkte!
-
Hätte ich auch mehrmals fast abgebrochen. Man muss sich schon wundern, was heutzutage alles zum Bestseller wird.
-
Zitat
Original von buzzaldrin
Und man bist du fix, schon 120 Seiten
Da muss ich mich jetzt auch mal ranhalten.Sowas liest man von dir seit Erscheinen des Romans, so wird das aber nix!

-
-
Was kann denn als Einstiegslektüre aus Herta Müllers Werken empfohlen werden? "Atemschaukel" ist bislang lediglich als HC erhältlich, und mir somit persönlich zu teuer/heikel.
-
Ist es denn überhaupt sicher, daß der Preisträger morgen verkündet wird? Habe das aus den letzten Jahren (vielleicht fälschlicherweise) so in Erinnerung, daß der Literaturnobelpreis auch gerne mal eine Woche nach den anderen verliehen wird

-
Schöne Rezension, mein Dilemma ist nun, daß ich mich zwischen diesem Roman und "Unendlicher Spaß" nicht zu entscheiden vermag.

-
Khaled Hosseini; Tausend strahlende Sonnen; 2
-
Zitat
Original von Gummibärchen
Oh, danke Glass, den wollte ich suchen, hab ich aber auf die Schnelle nicht gefunden. Ist das Buch soo "schwer"? Hätte ich gar nicht gedacht.Schwer ist an dem Buch gar nichts. Nur eilt ihm scheinbar ein gewisser Ruf voraus, der viele abschreckt: Es ist über die volle Distanz hinweg ziemlich düster, Bronte gönnt ihren Charakteren nur wenig Frieden, hinzu kommt die eindrucksvolle und unheimliche Schilderung der "Wutherhing Heigths", samt Moorlandschaften etc.
Wer sich davon aber abschrecken lässt, dem entgeht ein beeindruckendes Leseerlebnis, zumal das Buch mit seinen nur rund 300 Seiten schnell gelesen ist.