Beiträge von hencejoin

    Kurzinhalt: Der 15jährige Sam Fittipaldi lebt mit seinen drei älteren Schwestern im Haus der Eltern. Die Familie ist etwas skurril, der Vater interessiert sich kaum für die Kinder, Nadine läuft ständig weg, Teddy gibt sich gern ein wenig verwahrlost, Molly stottert und tut nichts, seitdem sie ihr Abitur gemacht hat. Immer wieder müssen sie zu Beerdigungen, weil irgendwelche Verwandten gestorben sind. Sams Mutter ist krank, und Sam geht oft in den Swimmingpools der Nachbarn schwimmen. Das Schwimmen ist eine Art Flucht oder Befreiung für ihn. Als die Mutter ins Krankenhaus muss, läuft Sam davon und kommt für eine Weile bei Sekretärin seines Vaters unter. Als die Mutter stirbt, beschließt der Vater, ihr eine Seebestattung zu geben, weil sie sich auf einem Schiff kennengelernt haben. In einer Box für Skier werfen sie den Leichnam der Mutter von einer Nordseefähre. Erneut haut Sam von Zuhause ab. Er geht zu seiner Oma Emilia, die alterssenil ist. Schließlich fährt er auf die Nordseeinsel, wo die Familie einst lebte, und zieht in das leerstehende Haus seiner Oma Greet. Ohne zu wissen, was er eigentlich will, haust er in dem Kotten in den Dünen.


    Der Roman "Held von Beruf" hat mir gut gefallen, und ich habe ihn (gerade gen Ende) mit Vergnügen und Anteilnahme gelesen. Erzählt wird die Geschichte des 15jährigen Sam, der mit sich und seiner Familie hadert und sich seine Gedanken über die Welt macht. Das Buch ist als Ich-Erzählung geschrieben, wir sind immer beim Helden Sam, sehen alles durch seine Augen, lesen in seinen Gedanken.
    Obwohl von Beginn an vieles in dieser realen und Gedankenwelt skurril, interessant oder einfach nur eigentümlich ist, fällt auf, dass auf der äußeren Ebene im Prinzip wenig passiert. Liest man nur die obige Inhaltsangabe, so erscheint das Ganze sehr dürftig und plotarm. Es geschieht wenig Aufregendes. Wir begleiten Sam in seinem Alltag, sehen seine Schwestern und seine Eltern durch seine Augen und "hören" ihm beim Denken zu. Diese Gedanken eines 15jährigen machen den Hauptreiz des Buches aus, sie wirken glaubwürdig (in Bezug auf das Alter des Helden), sie sind tiefsinnig (ohne bedeutungsschwanger zu wirken) und sehr humorvoll (weil skurril).
    Die Lektüre des Romans hat mir viel Freude bereitet und mitunter auch nachdenklich gemacht. Einige Gedanken Sams sind wirklich originell und original. Der Roman besitzt Humor und Tiefe, ist nicht wirklich (äußerlich) spannend, aber sehr unterhaltsam.

    Kurzinhalt: Verschiedene Menschen in Berlin auf der Suche nach Liebe oder Sinn in ihrem Leben: ein Callboy verliebt sich in eine Hure, ein Ex-Lehrer begegnet einer Tresenkraft, eine Göre kann sich nicht zwischen Jesus-Freak und Araber entscheiden, ein Unternehmer hat eine Geliebte, die ihn jung hält, und eine Frau, die Geheimnisse vor ihm hat, eine Tänzerin hat ein Blind Date mit einem Karstadt-Marktleiter, ein junges Mädchen wird entführt und wieder freigelassen …


    Wie der Inhaltsangabe zu entnehmen ist, handelt es sich bei Helmut Kraussers "Einsamkeit und Sex und Mitleid" um einen Episodenroman mit einer Unzahl von handelnden Figuren, von denen nicht eine einzige als zentraler Protagonist zu bezeichnen wäre. Der Autor legt seinen Roman als Sammelsurium von Schnipseln, Ausschnitten, Episoden, Fragmenten und Erzählfetzen an und lässt die verschiedenen Stränge immer wieder zusammentreffen, indem die Figuren sich über den Weg laufen oder in den jeweils anderen Handlungsfäden kleinere Rollen spielen. Dabei gibt es manchmal Überraschendes oder Unerwartetes, aber manchmal auch Banales und Beliebiges.
    Neben der episodenhaften Erzählweise ist es vor allem die Erzählhaltung und der Gestus, der an dem Roman auffällt. Die zahlreichen Geschichten und Geschichtchen werden sehr skurril, böse, markant oder bissig erzählt, oft ins Groteske tendierend, wie ein ernst gemeinte Farce. Dabei ist auffällig, wie sehr sich der Autor in dieser Haltung gefällt. Das Rotzige, Anti-Bürgerliche, Krude und Sex-Fixierte wirkt wie eine Attitüde, wie eine Masche. Von all den Figuren, die den Roman regelrecht überschwemmen, wirkt nur das frühreife und pubertätsverstörte Gör Swentja lebendig und echt, alle anderen erscheinen aufgesetzt und gewollt. Bemüht und überzogen.

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    Original von finntomson
    Ein Großteil des Romans spielt ohnehin in der City. Kennt eigentlich jemand "Little Britain" (ich meine nicht die Fernsehserie)?


    Eigentlich bin ich recht häufig in London, aber "Little Britain" ist mir nie begegnet. Kaum zu glauben, dass das ein realer Straßenname ist. Klingt wie eine Erfindung.


    finntomson :
    Apropos Erfindung: Wie bist du/sind Sie auf die Idee gekommen, die Geschichte in drei Teilen zu erzählen und sie sozusagen dreimal zu erzählen, aus jeweils anderer Perspektive? Mich hat das ein wenig an "Lola rennt" erinnert. War der Film ein Einfluss?

    Der Krimi "Gefährliche Täuschung" ist ein durchaus spannender, manchmal mysteriöser, sehr flüssig geschriebener Roman, der vor allem von den Thrillerelementen lebt.
    Protagonistin und Ich-Erzählerin ist keine Polizistin, sondern eine Kinderbuchillustratorin, die völlig überraschend aus ihrem Alltag gerissen und gewaltsam entführt wird (sie ist nicht wirklich reich zu nennen und kein naheliegendes Opfer für ein Kidnapping) und noch überraschender anschließend von der Polizei verdächtigt wird, ihre eigene Entführung nur fingiert zu haben. So hat Emma Thalmann nicht nur mit dem Trauma der Entführung zu kämpfen, sondern wird auch als Unschuldige verdächtigt und dadurch gezwungen, selbst zu ermitteln und ihre Unschuld zu beweisen.
    Als Thriller funktioniert die Geschichte, gerade zu Beginn, sehr gut, auch wenn die Psychologie der Heldin etwas zu breit getreten wird und wir ständig gezwungen sind, die stets wiederkehrenden Gedanken und Vermutungen und Rekapitulierungen der Heldin zu ertragen. Doch trotz dieser Wiederholungen und überdeutlichen Psychologie, die nach einiger Zeit etwas nervt, besitzt die Geschichte Spannung und Tempo. Zwar war mir die Heldin nicht sehr sympathisch und insgesamt zu hysterisch und zickenhaft (ein Eindruck, der von der Autorin durchaus beabsichtigt ist), aber die Identifikation mit der Ich-Erzählerin funktioniert dennoch, sowohl während als auch nach der Entführung, wenn sich herausstellt, dass irgendein perfider Plot gegen sie geschmiedet wurde. Je mehr Emma herausfindet, desto klarer wird, dass alldies kein Zufall, sondern sorgfältig geplant und bis ins Letzte durchdacht war. Jede Spur, die Emma verfolgt, spricht am Ende gegen sie und lässt sie noch mehr als Verdächtige erscheinen. Da wir die Geschichte aus Emmas Perspektive erzählt bekommen, wissen wir Leser, dass Emma unschuldig ist, und können entsprechend mitfühlen. Gleichzeitig wartet man die ganze Zeit darauf, dass sich irgendeine überraschende Wendung oder ein unerwarteter Clou ergibt und Emma am Ende in ihren Grundfesten erschüttert wird. Irgendetwas, das mit ihrem direktem und privaten Umfeld zu tun hat, mit ihrem Mann (der als Person fürchterlich blass bleibt), ihren Freunden (die beinahe zu gut sind), ihren Eltern (die idealer nicht sein könnten). Doch dies ist leider nicht der Fall. Die Lösung, die die Autorin präsentiert (und hier natürlich nicht verraten wird), hat mir nicht besonders gefallen, da sie einerseits nicht besonders überraschend ist (bzw. emotional berührend) und andererseits zu konstruiert und gewollt erscheint.

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    Original von Moorteufel
    Zu "Unter der Asche" habe ich übrigens ein Video oder einen Trailer (oder wie man das nennen will) gebastelt und bei YouTube eingestellt. Ist vielleicht ein wenig amateurhaft geschnitten, aber es war halt mein erster Versuch. Wer mal schauen will: Klick


    Ein bisschen kurz vielleicht, aber sehr stimmungsvoll. Die schönen Bilder wirken in der Verkleinerung nur bedingt, doch anders geht's wohl bei YouTube nicht. Von wem ist denn die Musik?

    Ich finde das Cover schon sehr wichtig, schließlich haben sich die Macher ja was dabei gedacht, genau dieses Cover zu verwenden (jedenfalls sollte es so sein). Ein Beispiel für ein tolles Cover, das wunderbar zu dem tollen Buch passt: Tom Finnek - Unter der Asche.
    Aber schlechte Cover sagen nicht immer was über das Buch aus (ist ja auch Geschmackssache). Die abgeschnittenen Frauenköpfe auf Historischen Romanen finde ich zum Beispiel fürchterlich. Während bei Iny Lorentz der Inhalt entsprechend ist, sind die Romane von Sina Beerwald (mit ähnlichen Covers) sehr lesbar.

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    Original von SubstantiaNigra
    Vielleicht möchte auch einfach eine der drei Büchereulen, die das Buch ja jetzt besitzen, ein Wanderbuch starten.


    Sorry, aber mein Exemplar ist bereits auf Wanderschaft. Allerdings im Freundeskreis ;-)

    Die furchtbarsten Cover habe ich bislang bei den Fantasy- und Historischen Romanen gesehen. Besonders die "abgeschnittenen Frauenköppe" bei den History-Sachen (seht euch mal die Iny Lorentz-Cover an) gibt's ja jetzt inflationär. Schön fand ich hingegen das Cover von "Unter der Asche", mal was anderes für einen historischen Roman. Sehr ruhig und doch geheimnisvoll. Passend zu dem tollen Roman.

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    Original von marianna
    Der Titel klingt ja sehr gut (gab es nicht mal eine Band, die so hieß?) und auch die Rezi ist sehr positiv, aber bei Books on Demand bin ich immer etwas vorsichtig.


    Ich bin totaler London-Fan und hab das Buch von einem Freund geschenkt bekommen. Auf den Verlag hab ich gar nicht geachtet. Aber die Lektüre hat sich auf jeden Fall gelohnt. Ich hab den Krimi in einem Rutsch durchgelesen und bin immer noch begeistert. Und wegen der Band: Eines der Kapitel wird mit einem Song-Zitat eingeleitet: London Calling von The Clash.

    Klappentext:
    Der etwas unbedarfte Privatdetektiv Geoffrey Wigham erhält von einem Londoner Verleger den Auftrag, dessen Frau einen Abend lang zu beschatten und einen vermeintlichen Liebhaber aufzuspüren. Die scheinbar simple Verfolgung der hübschen Ehefrau verläuft allerdings anders als geplant, gerät dem Detektiv zunehmend außer Kontrolle und endet mit einem überraschenden Leichenfund.
    Dies ist nur der Auftakt zu einem tödlichen Reigen der Missverständnisse und Halbwahrheiten, der von der Londoner City ins East End und bis zur Isle of Wight führt. Drei beteiligte und betroffene Personen schildern die Ereignisse, die zwei Menschen das Leben kosten. Und sie ziehen ihre subjektiven Schlüsse aus dem Erlebten. Denn jeder sieht und hört nur, was er kann oder will. Doch es ist fraglich, ob man den eigenen Augen und Ohren stets trauen darf.


    In »London Calling« erzählt Finn Tomson einen vertrackten London-Krimi, in dem nichts ist, wie es scheint, und in dem Zufälle und Irrtümer immer wieder zu tragischen Fehlschlüssen verleiten.


    Meine Meinung:
    Eine junge Frau wird mit einem Baseballschläger erschlagen. Als Geoffrey Wigham, ein Privatdetektiv und Polizist a. D. am Tatort eintrifft, sitzt der völlig apathische Ehemann neben der Toten und hält die Mordwaffe in der Hand. Für den kurz darauf eintreffenden Chief Inspector Stanley liegt die Sache klar auf der Hand. Warum allerdings Henry Woodlawn seine Frau aus dem Leben scheiden ließ, ist aus diesem nicht herauszubekommen. Der ist nach dem Vorfall reif für die Psychiatrie. Doch nicht aus der Sicht des Polizisten der Londoner Mordkommission erfährt der Leser mehr über das Geschehen. Finn Tomson hat einen sehr interessanten Aufbau für seinen Roman gewählt. Aus der Sicht dreier an dem Vorfall beteiligter Personen schildert er die Ereignisse und die Charaktere der Akteure.
    Zunächst erzählt der Privatdetektiv Wigham, ein Ex-Cop, von einem Klienten, der ihn beauftragt, seiner Frau hinterher zu spionieren. Der Ehemann Henry Woodlawn vermutet, dass seine Frau Eleanor ihn betrügt. Vielleicht nicht der interessanteste Job, aber wenigstens was zu tun für den nicht sehr beschäftigten Schnüffler. Dass er sein Beobachtungsziel dann tot auffindet, ahnt der junge Mann noch nicht. Tomson schildert im ersten Kapitel nur die Dinge, die für eine außenstehende Person sichtbar sind, ohne dabei allerdings mehr Informationen über die beteiligten Personen preiszugeben. Anschließend berichtet die Freundin der toten Eleanor Woodlawn über ihre Erfahrungen. Durch Nelly Roberts lernt der Leser nun auch die Betroffenen und Beteiligten kennen. Man sieht den Mord in seinem Umfeld und erfährt mehr über persönliche Schicksale in einer Welt mit mehr Schein als Sein – der Verlagswelt des Henry Woodlawn. Im dritten und letzten Kapitel lässt Tomson den Freund der Freundin zu Wort kommen. Greg Stewart schreibt in seinem Tagebuch über seine Beziehung zu Nelly, die Bekanntschaft zum Ehepaar Woodlawn und über viele Kleinigkeiten, die man in den ersten Kapiteln aus anderem Blickwinkel und zum Teil unter völlig anderer Bedeutung gesehen hat.
    Das Buch ist äußerst unterhaltsam. Im ersten Kapitel lässt Tomson den Privatdetektiv die Dinge mit sehr viel Witz und einer Menge trockenen Humor erzählen. Sarkastisch, verbittert und erschüttert tritt anschließend Nelly Roberts auf. Der ernste, etwas lotterige, aber liebe Freund Greg deckt dann mit seinem Part die Missverständnisse auf. Durch diese Dreiteilung der Geschichte erreicht der Autor eine Lebhaftigkeit, aufgrund der sehr verzwickten Umstände eine gehörige Portion Ironie. Sehr fesselnd.

    Kurzinhalt:
    Ein englischer Soldat wird auf einem NATO-Truppenübungsplatz ermordet. Kommissar Arno Hennings ermittelt mit seiner britischen Kollegin Emma Fuller. Als eine weitere, brutal ermordete Leiche auftaucht, führt die Spur nicht nur zu einer Nazi-Organisation, sondern auch in die Vergangenheit dieser entlegenen Moor-Ortes ...


    Meine Meinung:
    Der Roman "Der Judaslohn" ist ein Krimi, der vor allem von dem Ort des Geschehens (und dessen unheimlicher Atmosphäre) sowie dem geschilderten dörflichen Milieu lebt. Der Plot ist nicht gerade wendungsreich oder ausgefeilt, aber die Stimmung und der geschichtliche Hintergrund sind spannend.

    Kurzinhalt:
    Alle sieben Jahre wird in der hessischen Kleinstadt Bergenstadt das Volksfest "Grenzgang" gefeiert. Nur die geschiedene Kerstin und der alleinstehende Weid-mann wirken wie Fremde im lärmenden Getümmel. Sie hat mit einem pubertierenden Sohn und einer dementen Mutter zu kämpfen, er hat eine verpatzte Karriere als Historiker hinter sich. Beide scheinen zu einander zu passen, aber …


    Meine Meinung:
    Sprachlich äußerst anspruchsvoll und detailliert, psychologisch treffend und präzise, aber wenig Plot und Handlung, kaum Dialoge, viel innere Vorgänge und äußere Beschreibung. Stagnation und Frustration auf 450 Seiten, beinahe schmerzlich genau widergegeben. Stephan Thome ist mit seinem Erstling ein literarisch höchst anspruchsvoller und auch kunstvoll erzählter bzw. komponierter Roman gelungen, der mich allerdings auf hohem Niveau etwas gelangweilt und ermüdet hat.