Stephan Thome - Grenzgang

  • Titel: Grenzgang
    Autor: Stephan Thome
    Verlag: Suhrkamp
    Erschienen: August 2009
    Seitenzahl: 454
    ISBN-10: 3518421166
    ISBN-13: 978-3518421161
    Preis: 22.80 EUR


    Alle sieben Jahre wird im hessischen Bergenstadt das „Grenzgang-Fest“ gefeiert. Drei Tage dauert dieses traditionelle Volksfest. Und abends im Festzelt geht es dann hoch her. Aber zwei Menschen stehen abseits. Da ist zum einen Thomas Weidmann, dessen Vertrag an der Universität nicht verlängert wurde und der nun als Lehrer am städtischen Gymnasium unterrichtet. Und zum anderen ist da Kerstin Werner, geschieden und zudem noch mit der demenzkranken Mutter belastet. Und auch ihr Sohn Daniel lebt seine pubertierenden Probleme in vollem Umfange aus. Und vor sieben Jahre – beim letzten Volksfest – da sind sich Thomas und Kerstin schon einmal begegnet, eine Begegnung die beiden mit gemischten Gefühlen zurückgelassen hat.


    „Grenzgang“ ist ein durchaus gelungenes Romandebüt. Stephan Thome wurde 1972 in Biedenkopf/Hessen geboren. Er studierte Philosophie, Religionswissenschaft und Sinologie an der Freien Universität in Berlin und an verschiedenen Universitäten in China. Seit 2005 lebt Stephan Thome in Taipeh/Taiwan.


    Sicher wird dieses Buch kein literarisches Erdbeben auslösen und auch den Literaturnobelpreis wird es schwerlich dafür geben. Aber Stephan Thome ist eine durchaus bemerkenswerte Milieustudie gelungen. Großstadt trifft auf Provinz und die Provinzler verhalten sich dabei aber nicht immer so, wie man es von ihnen eigentlich aufgrund der allgemeinen Vorurteilslage erwarten würde. Thome schreibt die Normalität in einer sehr ansprechenden Art und Weise. Sein Schreibstil ist ansprechend und da schaut man eben auch gern darüber hinweg, wenn an einigen Stellen sein Hang zu Formulierungsspielchen ein wenig zu ausgeprägt ist. Aber schafft es dann immer wieder sehr schnell die Kurve zu kriegen. Stephan Thome ist ein guter Beobachter seiner Mitmenschen. Es sind gerade die menschlichen Verhaltensweisen die er punktgenau schildert ohne sich dabei in Drumherumgerede zu verlieren. Seine Personen sind klar gezeichnet, lassen aber trotzdem noch Platz für eigene Vorstellungen der Leserinnen und Leser.


    Wer irgendwelche bahnbrechenden epochalen Botschaften erwartet, den wird dieses Buch enttäuschen. Wer aber bereit ist, einem jungen Autor die Gelegenheit zu geben sich vorzustellen, der wird auf seine Kosten kommen. Wenn Stephan George dieses Level halten kann, dann kann aus einem hoffnungsvollen literarischen Talent über kurz oder lang sicher ein wirklich etablierter Autor werden.


    Ein lesenswertes Buch.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Danke für die schöne Rezension, Voltaire. :-)
    Das Buch ist mir schon versprochen - es dauert nur noch und ich bin schon gespannt.


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Ich habs jetzt durch und habe unerwartet lange dafür gebraucht. Anfangs ließ es sich zügig lesen und durch die Zeitsprünge und Perspektivwechsel war es sehr kurzweilig.


    Was sich dann zur Mitte hin etwas änderte. Nicht falsch verstehen, ich finde, daß Grenzgang ein gutes Buch ist. Zum Ende hin zieht es sich dann allerdings, mich haben die Figuren ein bißchen begonnen zu nerven, weil ich vieles nicht mehr nachvollziehen konnte und die Zeitsprünge wurden etwas unübersichtlich (ich mußte immer kurz grübeln, bei welchem Grenzgang man nun wieder gelandet war).


    Nunja. Wie gesagt. Ich fand es gut. Aber nicht berauschend. Jedoch durchaus lesenwert, da schließe ich mit Voltaire vorbehaltlos an.

  • Kurzinhalt:
    Alle sieben Jahre wird in der hessischen Kleinstadt Bergenstadt das Volksfest "Grenzgang" gefeiert. Nur die geschiedene Kerstin und der alleinstehende Weid-mann wirken wie Fremde im lärmenden Getümmel. Sie hat mit einem pubertierenden Sohn und einer dementen Mutter zu kämpfen, er hat eine verpatzte Karriere als Historiker hinter sich. Beide scheinen zu einander zu passen, aber …


    Meine Meinung:
    Sprachlich äußerst anspruchsvoll und detailliert, psychologisch treffend und präzise, aber wenig Plot und Handlung, kaum Dialoge, viel innere Vorgänge und äußere Beschreibung. Stagnation und Frustration auf 450 Seiten, beinahe schmerzlich genau widergegeben. Stephan Thome ist mit seinem Erstling ein literarisch höchst anspruchsvoller und auch kunstvoll erzählter bzw. komponierter Roman gelungen, der mich allerdings auf hohem Niveau etwas gelangweilt und ermüdet hat.

  • Also dieses Buch hat mich ausgesprochen wenig gelangweilt, auf welchem Niveau auch immer. Dabei passiert in diesem Roman in der Tat recht wenig: eine alleinerziehende Mutter eines aufmüpfigen Teenagers in leicht prekären Verhältnissen und ein an seiner akademischen Karriere gescheiterter Historiker sind die Hauptpersonen, die ihr Leben neu ordnen müssen. Das Ganze findet vor der Kulisse des in Siebesjahresabständen stattfindenden Volksfest statt, bei den sich die Einwohner der Gemeindegrenzen und auch des Zusammenhaltes versichern und seltsame Traditionen pflegen.
    Entsprechend wird die Lebenssituation der beiden Protagonisten jeweils im Abstand von sieben Jahren bzw. Grenzgängen geschildert. Das fand ich nun keineswegs verwirrend, war doch jedesmal recht schnell klar, in welchem Jahr man sich gerade befindet.
    Gerade was hier bisher bemängelt wurde hat mir dabei besonders gefallen: die Geschichte ist auf die zwei Hauptpersonen reduziert, ihre Befindlichkeiten, ihr Handeln. Die Umwelt spielt nur insofern eine Rolle, als sie die Protagonisten unmittelbar beeinflusst. Selbst der namengebende Grenzgang dient dabei als Bild für das Innenleben der Helden: auf den ersten Blick skurril, aber eigentlich einfach nur langweilig.
    Faszinierend, wie Thome aus einem derartig nichtssagenden Stoff einen so fesselnden Roman machen konnte.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Wenn Stephan George dieses Level halten kann, dann kann aus einem hoffnungsvollen literarischen Talent über kurz oder lang sicher ein wirklich etablierter Autor werden.


    Ein netter Freudscher-Verschreiber ... ;-)


    Jetzt, wo es das Buch auch als TB gibt, werde ich es mir sicherlich bald holen, denn es klingt so, als könnte es in mein Beuteschema fallen.

  • Zitat

    Original von buzzaldrin


    Ein netter Freudscher-Verschreiber ... ;-)


    Jetzt, wo es das Buch auch als TB gibt, werde ich es mir sicherlich bald holen, denn es klingt so, als könnte es in mein Beuteschema fallen.


    Hihi, das war mir gar nicht aufgefallen.
    Aber ansonsten würde ich auch meinen, dass das Buch tendentiell in dein Beuteschema passt :wave

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von buzzaldrin


    Ein netter Freudscher-Verschreiber ... ;-)


    Jetzt, wo es das Buch auch als TB gibt, werde ich es mir sicherlich bald holen, denn es klingt so, als könnte es in mein Beuteschema fallen.



    :grin :grin :grin
    Das sind halt die alterstypischen Aussetzer..... :grin

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich kann mich der allgemeinen Begeisterung hier so gar nicht anschliessen. Zum Inhalt ist hier ja schon alles gesagt und viel zu sagen gibt es da ja auch nicht. Und genau das ist mein Problem.


    Stephan Thome hat den Alltag der Protagonisten in der Tat brilliant beschrieben. Aber es ist ein Alltag wie er provinzieller und langweiliger nicht sein könnte. Auch die Protagonisten sind Langweiler. Nichts besonderes ist bisher in ihrem Leben passiert noch wird je was besonderes in ihrer Zukunft geschehen.


    Realismus pur. Und es gibt kein Entkommen.


    Kenn ich doch auch aus dem alltäglichen Leben um mich herum. Aber will ich das auch noch lesen? Eher nicht.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich