'Das achte Leben (Für Brilka)' - Seiten 1146 - Ende

  • Da es ein Thema ist, dass über das Buch hinausgeht, will ich die Frage mal hier stellen:

    Mich beschäftigt sehr, woran es denn eigentlich liegt, dass Menschen aus einem solchen Elend (und ich meine das nicht nur materiell) einfach nicht entkommen.


    Es gibt ja auch ganz andere Beispiele. Gerade gibt es ein ganz aktuelles. Gestern ist die ungarische Philosophin Agnes Heller gestorben. Sie hat so ziemlich alles an Grausamkeit und Verfolgung miterlebt und selbst erlitten, was man sich nur vorstellen kann.

    Sie hat es geschafft, dennoch ein für sie gutes Leben zu führen. Wer sie einmal sprechen gehört hat, kann nur den Hut ziehen angesichts dieser kämpferischen und mutigen Person.


    Was macht Menschen so stark, schwere Erlebnisse so gut zu verarbeiten, dass sie trotzdem mit dem Leben zurechtkommen?

    Ich weiß um den großen Bereich der Resilienzforschung. Trotzdem bleibt es für mich ein Rätsel.

  • Ich habe das Buch heute auch beendet, und es lässt mich ein bisschen ratlos zurück. Es war sicherlich ein sehr intensives, tolles, bereicherndes Leseerlebnis. Den Schreibstil fand ich hervorragend, die Erzählweise toll.


    Inhaltlich habe ich viel über Georgien erfahren, ein Land, mit dem ich mich vorher nie beschäftigt habe. Das beschriebene Jahrhundert war sicherlich ein sehr blutiges, traumatisches, insgesamt war mir das Buch aber doch zu trostlos. Das hängt sicher auch mit der von dir nachgelagerten Frage zusammen Rumpelstilzchen, woher nehmen Menschen Kraft und Hoffnung, und andere nicht. Niza und Kitty sind da passende Beispiele: Sie können (Niza) oder müssen (Kitty) die alte Welt hinter sich lassen und haben einen Neuanfang. Während es Kitty von sich aus einigermaßen schafft und dann besonders durch Fred wieder Schwierigkeiten auftauchen mit Drogen, Dreiecksbeziehhung, etc., sabotiert sich Niza ja durchgängig selber.


    Das Pokerspielen von Niza hat mich auch gestört, das sie dadurch ihren Lebensunterhalt verdienen konnte. In Tiblissi mag das alles noch in einem anderen Rahmen abgelaufen sein, sie musste die Armeerunde kennen lernen und ist reingerutscht, und nachdem sie gut war wollte die Runde ihr auch einen stärkeren Gegner entgegensetzen, letztendlich wurde sie vergewaltigt. Aber dann in Westeuropa konnte sie in verschiedenen Städten einfach so in Runden rein, in denen es um große Summen ging, und sie kann problemlos weiterreisen und wenn sie wieder Geld braucht woanders weitermachen. Das hat mir das Ende etwas versäurert, obwohl ich das offene Ende, dass auch keine Reaktion von Brilka auf das Buch kommt, sehr gut und passend finde.

  • Tja, das Ende. Ich denke, Niza hat das Buch über die Familie doch letztendlich für sich selber geschrieben und das macht auch Sinne.

    Brilka ist ja tatsächlich noch ein Kind. Es war auch ganz deutlich, was sie wollte: weg von diesem Land, von den Zuständen und wohl auch von der Familie.

    Sie wird sich vermutlich eher 20 Jahre später für die Geschichte ihrer Familie interessieren. Vorher hat sie mit ihrem eigenen Leben genug zu tun.


    Ich bin jedenfalls gespannt, was sich in Georgien in den nächsten Jahren tun wird. Ein Hoffnungsschimmer ist vielleicht die Präsidentin Salome Surabischwili, die außerhalb der politischen Elite des Landes groß geworden ist und dennoch Ahnung von Politik hat. Sie ist ja in Frankreich aufgewachsen.


    Insgesamt hat mir an dem Buch gefallen, dass es mich neugierig gemacht hat auf die fremde Welt da im Südosten Europas. Denn die gesamte Region mit Armenien gehört kulturell auch noch zu den europäischen Randgebieten. Wenn es auch geographisch zu Asien gehört. Es ist eben eine dieser Regionen, wo sich Völker und Kulturen mischen.

    Es hat mich auch sehr betroffen gemacht über die vielen nicht gelebten Möglichkeiten dieser Frauen. Denn es waren schließlich vor allem Frauen, um die es hier ging. Männer hatten zwar die Macht, aber zum wirklichen alltäglichen Leben haben sie alle nix Vernünftiges beigetragen.

    Traurige Männergestalten.


    Das Pokerspielen hat mich nicht so sehr gestört. Es war eben eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Gestört hat mich, dass Niza die Chance nicht genutzt hat, ein ganz anderes Leben zu führen, so begabt wie sie war.

  • Die Männer kamen alle nicht gut weg, das stimmt. Miros Veränderung war mir gänzlich unerklärlich.


    Niza ist für mich einfach an der Vermischung aus Nachwirkungen der Vergewaltigung sowie der Freiheit zerbrochen, gemischt mit der Unterforderung. Das hat ihre Professorin ja auch direkt gemerkt.


    Brilka hat genug eigene Probleme, stimmt. Niza hat ihr ja den mit einem Jahr Verspätung den Wunsch erfüllt, die Tanzrechte sowie die Geschichte zu schreiben. Da macht es mich schon neugierig, wie sie letztlich darauf reagiert, aber finde es gut, dass wir da im dunkeln gelassen werden und Brilka ihr eigenes Leben leben kann. Auch ganz ohne die verfluchte Schokolade. Den Part hätte aus meiner Sicht übrigens auch weggelassen werden können. Das Unglück wäre genauso gekommen, auch wenn die Schokolade nicht im Buch vorgekommen wäre.

  • Mir hat das Buch insgesamt sehr gut gefallen, Schreibstil und Erzählweise waren toll und auch inhaltlich hat es mir gefallen, auch wenn es stellenweise schon sehr trostlos war.

    Dass Brilka am Ende nicht mehr zu Wort kommt, finde ich passend, Niza hat das Buch doch mehr für sich geschrieben, ihre Nichte war nur der Aufhänger, den sie genraucht hat, um endlich ihre Vergangenheit aufzuarbeiten.

    Da es ein Thema ist, dass über das Buch hinausgeht, will ich die Frage mal hier stellen:

    Mich beschäftigt sehr, woran es denn eigentlich liegt, dass Menschen aus einem solchen Elend (und ich meine das nicht nur materiell) einfach nicht entkommen.

    Die Frage stelle ich mir auch immer wieder, auch bei diesem Buch.