Petri Tamminen: Meeresroman

  • Der Geruch von Herbstbrandung


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    Auf nur 112 Seiten erzählt der finnische Autor, der hierzulande eine überschaubare Fangemeinde hat, die Lebensgeschichte von Vilhelm Huurna. Der wird schon als Jugendlicher Seemann und erwirbt später das Kapitänspatent, und das geschieht letztlich, weil die Gutsherren, die in seinem finnischen Heimatdorf das Sagen haben, gerne im Schiffsgeschäft mitmischen möchten. Die Handlung von „Meeresroman“ spielt ungefähr um die vorletzte Jahrhundertwende.


    Der Held dieses kleinen, wunderbar ausgestatteten Romans, ist ein nachdenklicher, zurückhaltender, nicht immer patenter, aber auch nicht ausschließlich naiver Mann, der es liebt, mit den Armen zu schlenkern, wenn er spazierengeht, der nicht viel Geschick an den Tag legt, wenn er Frauen umwirbt, und der am Anfang der vieljährigen Kapitänslaufbahn eher auf dem Heck oder sogar unter Deck der von ihm kommandierten Schiffe zu finden ist, statt oben und am Bug, wo Kapitäne hingehören. Im Jetzt gelingen Huurna die Dinge, wenn er nicht viel darüber nachdenkt, aber die Vergangenheit ist keine Hilfe und die Zukunft ist sowieso ungewiss. Mit ziemlicher Gewissheit jedoch wird Huurna auch das nächste Schiff versenken, und irgendwie wird er wieder heimkehren, und weil es keine Alternative gibt und die Versicherungsgesellschaften manchmal sogar bezahlen, besorgen die Gutsherren ein weiteres Schiff und schicken den glücklosen, eigenbrötlerischen Mann wieder aufs Meer, wo er genaugenommen überhaupt nicht hinmöchte, aber das Schicksal und die Argumente der Gutsherren sind stärker als er.


    „Meeresroman“, formal übrigens dichter an der Novelle als am Roman, ist eine hinreißend erzählte, leise, lakonische, weise, tapfere, amüsante kleine Heldengeschichte, sehr atmosphärisch und auf wohltuende Weise völlig unspektakulär. Beim Lesen durchwehen Erinnerungen an Nadolnys „Die Entdeckung der Langsamkeit“ das Gedächtnis, vermischt mit dem Geruch von Herbstbrandung, finnischen Saunen und kohlebeheizten Altbauwohnungen. Liebenswürdige, augenzwinkernde Lektüre, grafisch toll gemacht und wahrscheinlich auch exzellent übersetzt.


    (Ich habe die Besprechung bei "Belletristik" abgelegt, weil das Buch zwar historischen Stoff verarbeitet, aber kein klassisch historischer Roman ist, und eigentlich in "Zeitgenössisches" gehörte, dann aber auch wieder nicht. Vielleicht bräuchten wir mal eine Rubrik für so etwas.)


    ASIN/ISBN: 3866482485

  • Schade, dass der Verlag Dich nicht wegen einem schönen Titel für das Buch gefragt hat.

    "Geruch von Herbstbrandung" klingt doch viel besser als "Meeresroman".

    Wie ist denn der Originaltitel?

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Franz Kafka: Das Schloss

  • Danke, Sidonie.


    Die deutsche Fassung hat innen noch einen Subtitel "Einige glückliche Momente aus dem tristen Leben des Seekapitäns Vilhelm Huurna". Wer bei mare diesen Bock geschossen hat, weiß ich allerdings nicht. ;)


    Tante Li : Danke für das Kompliment, aber "Der Geruch von Herbstbrandung" ist ein guter Titel für meine Rezension, doch kein guter Titel für dieses Buch. "Meeresroman" passt schon.

  • Wie schön, dass du dir Zeit für diese Rezi genommen hast, Tom. Ich habe das Buch auch gelesen und kann deine Sichtweise hier nur unterschreiben. Insbesondere mit diesem Satz hast du meinen eigenen Eindruck vom Buch besser zusammen gefasst, als ich es gekonnt hätte:

    „Meeresroman“, formal übrigens dichter an der Novelle als am Roman, ist eine hinreißend erzählte, leise, lakonische, weise, tapfere, amüsante kleine Heldengeschichte, sehr atmosphärisch und auf wohltuende Weise völlig unspektakulär.

    Mir hat auch die Aufmachung des Buches - die Haptik und das Cover - sehr gut gefallen, da hat jemand bei mare (im Gegensatz zu dem von dir zitierten Subtitel ;)) eine gute Arbeit geleistet.


    Ich finde auch, dass der Autor bereits mit dem ersten Satz vielversprechend beginnt und Erwartungen weckt, die er dann im weiteren erfüllen kann: "Seekapitän Vilhelm Huurna schämte sich für gestern und fürchtete sich vor morgen, aber mit dem gegenwärtigen Augenblick war er immer gut fertiggeworden."