Schule der Rebellen - Wie ein Kreis verwegener Anthropologen Race, Sex und Gender erfand; Charles King

  • ASIN/ISBN: 3446265805


    Leider bin ich erst durch die Lektüre der Lévi-Strauss Biographie von Emmanuelle Loyer auf dieses Buch gestoßen. Es hätte mir geholfen, dieses Buch vorher gelesen zu haben.

    Gleich fällt mir auf, dass der deutsche Titel doch etwas irreführend ist - der englische Titel, in dem es reinvent, also Neuerfindung heißt, ist sehr viel passender. Ging es doch Boas darum,

    die damals herrschenden Vorstellungen von Menschenrassen und deren unterschiedlichen Wert zu widerlegen.



    Von Franz Boas hatte ich noch nie gehört, obwohl er hier um die Ecke, in Minden geboren wurde und aufgewachsen ist.

    Mit ihm und seinem Traum von Abenteuern beginnt dieses Buch.

    Erst einmal besucht er mehrere Universitäten, Heidelberg, Bonn und schließlich Kiel, wo er sich als Dissertationsthema die photometrischen Eigenschaften von Flüssigkeiten aussuchte und

    promoviert wurde.

    Danach ging es aber in Richtung Abenteuer und mit Unterstützung seiner Familie geht er nach Baffin Island um die Bewegungsmuster der einheimischen Völker zu untersuchen.


    Obwohl es als Sachbuch mit vielen Fakten und Erläuterungen aufwartet, ist der Stil locker und ich mag es schon nach den ersten Kapiteln kaum weglegen.

  • Boas muss ein bemerkenswerter Mensch gewesen sein, das kommt schon im Kapitel "Baffin Island" zum Ausdruck.

    Insbesondere konnte er seine eigenen Gedanken und Eindrücke kritisch hinterfragen.

    Seine Beurteilung der Bewohner von Baffin Island, nach landläufiger Meinung "Wilde" verändert sich durch das Zusammenleben mit ihnen ganz wesentlich.

    Zitat: "Ich frage mich oft, welche Vorzüge unsere "gute Gesellschaft" vor den "Wilden" hat, und finde, je mehr ich von ihren Gebräuchen sehe, dass wir wirklich keinen Anlass haben, verächtlich auf sie herabzusehen".


    15 Monate bleibt er auf Baffin Island um dann nach New York weiterzureisen.

    Seine Bemühungen, eine Anstellung zu finden, bleiben jedoch vergeblich und er kehrt niedergeschlagen nach Deutschland zurück.

  • Obwohl auch die folgenden Kapitel interessant sind, geht es im Kapitel 5 - Headhunter - so richtig los.

    Boas ist mittlerweile am American Museum of Natural History angestellt und erhält eine Professur an der Columbia Universtität.

    Jetzt beginnt auch die Wandlung seiner Vorstellungen über die angeblich unveränderlichen Menschentypen.

    Seine Vorstellungen ändern sich unter dem Einfluss der von ihm erhobenen Daten radikal.

    Zum damaligen Zeitpunkt hatte man Menschen - dem deutschen Anatom Blumenbach - in fünf unterschiedliche Rassen klassifiziert und meinte, dies auch durch anthropometrische Messungen nachweisen zu können.

    Praktisch war, dass man mit der angeblichen Unterlegenheit bestimmter Rassen auch gleich den Macht und Herrschaftsanspruch europäischer Imperialisten und amerikanischer Sklavenhalter rechtfertigen konnte.


    Selbst innerhalb Europas wurde die Bevölkerung in mehrere Typen eingeteilt, natürlich unterschiedlich "hochstehend".

    In diesem Zusammenhang kam auch der von Francis Galton in den 1880er Jahren geprägte Begriff der "Eugenik" auf, nach dem der sicherste Weg zur Verbesserung der Menschheit in der Förderung der erwünschten rassischen Eigenschaften bestand.

    Ein wichtiger Verfechter dieser Auffassungen war Madison Grant, der die Möglichkeiten dieser "Theorien" nutzen wollte, um die gesamte Bevölkerung in bessere und schlechtere Menschen einzuteilen und auch die amerikanische Einwanderungspolitik entsprechend auszurichten.


    Boas bekam nun von einer Kommission des amerikanischen Kongresses den Auftrag, eine Untersuchung über die tatsächlichen Auswirkungen der Einwanderung so vieler unterschiedlichr Menschen auf die amerikanische Bevölkerung durchzuführen.


    Und Boas und seine MitarbeiterInnen schwärmten aus und untersuchten insgesamt 17.821 Menschen.

  • Noch immer im 5. Kapitel


    Zu dumm, wenn bei der selbst in Auftrag gegebenen Studie genau das Gegenteil der erhofften Ergebnisse herauskommt....

    Zitat Boas: "Die Anpassungsfähigkeit der Einwanderer scheint sehr viel größer zu sein, als wir dies vor Beginn der Untersuchungen annehmen durften."

    Kinder, die in den USA geboren wurden, hatten mehr gemeinsam mit anderen in den USA geborenen Kindern als mit ihrer nationalen Gruppe.


    Und leider - wir kennen es ja selbst, wurden dann die gewonnen Daten entweder nicht zur Kenntnis genommen oder im Sinne der gewünschten Richtung verfälscht.



    Mit Beginn des ersten Weltkriegs sah Boas sich als Mitglied einer der meistgefürchteten, ja gehassten Minderheit in den Vereinigten Staaten.

    Auch die mittlerweile erworbenen US Staatsbürgerschaft konnte ihn nicht wirklich schützen, zumal er mit seiner Meinung zum Krieg und zu den Ursachen nicht hinter dem Berg hielt und auch entsprechende Folgen zu tragen hatte.



    Jedes Kapitel dieses Buchs präsentiert spannende Informationen auf teilweise sehr unterhaltsame Art.


    Besonders wenn dann ab dem 7. Kapitel Leben und Werk der Schülerinnen und Schüler Boas dargestellt wird.Unter denen waren ganz außergewöhnliche Persönlichkeiten, die hier bekannteste sicherlich Margaret Mead.


    Ich empfehle das Buch allen, die ein Interesse an den behandelten Fragen, die ja auch heute noch aktuell (oder aktueller denn je?) sind, haben und dabei gerne auch unterhaltsame Schilderungen des Lebens der Forscherinnen und Forscher genießen wollen.

    Ich bin sehr froh, dass ich mir die übersetzte Fassung noch gekauft habe und bei der Lektüre viel Freude hatte.

  • Danke für die Vorstellung dieses sehr interessant klingenden Buches! Der Name Franz Boas war mir auch gänzlich unbekannt, aber deine Begeisterung lässt mich das Buch auf meine Wunschliste packen. :)

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Auch von mir vielen Dank. Auf das Buch wäre ich ohne Dich nie gekommen.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Das erschreckt mich immer wieder - wie aktuell viele dieser Themen/Probleme immer noch sind.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Vielleicht im Urlaub im Herbst. :-) Auf dem Wunschzettel steht es schon ganz oben.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Ich würde es glatt nochmals lesen.

    Eine kleine Ergänzung noch zum Buch, ich gehöre zu einer Generation, für die die amerikanischen Soldaten freundliche junge Männer mit erstaunlichen Hautfarben waren, die uns Kindern immer mal Schokolade zusteckten. Heiß geliebt. Das hat mein Bild der USA lange geprägt.

    Das hat sich im Lauf der Zeit dann doch sehr verändert und die Lektüre dieses Buches ist auch nicht gerade der Imageförderung dienlich.

  • Das mit den Image der Amerikaner ist mir letztens auch wieder durch den Kopf gegangen. Für mich waren sie auch immer die "Guten", so bin ich groß geworden. Jetzt allerdings möchte ich nicht mal ansatzweise nach da drüben. Wobei das Bildungsniveau auch in den Achtzigern teilweise schon schauerlich war. Freunde haben erzählt, dass sie damals gefragt wurden, ob Hitler noch an der Macht sei....

    Am meisten fällt mir das momentan beim Schauen amerikanischer Filme aus den Achtzigern auf, das ist das Weltbild so richtig klischeehaft....


    Was ich bezeichnend fand war, dass auch Carl Zuckmayer in seiner Biographie berichtet, dass vor allem die farbigen Soldaten Schokolade an die Kinder verteilt haben. Ich glaube das hat wirklich viele Menschen geprägt.

    Selbst innerhalb Europas wurde die Bevölkerung in mehrere Typen eingeteilt, natürlich unterschiedlich "hochstehend".

    In diesem Zusammenhang kam auch der von Francis Galton in den 1880er Jahren geprägte Begriff der "Eugenik" auf, nach dem der sicherste Weg zur Verbesserung der Menschheit in der Förderung der erwünschten rassischen Eigenschaften bestand.

    Das Thema wird in 1918 - Die Welt im Fieber auch angerissen. Da ging es darum, dass der Darwinismus auch in der Gesundheitsfürsorge Einzug gehalten hat und damit alles "schwache" ausgemerzt werden sollte....

  • Richtig erschüttert war ich, dass es auch in den USA Zwangssterilisationen für "minderwertige" Bevölkerungsteile gab. Nicht so systematisch und flächendeckend wie im NS Regime, aber es gab sie.


    Es gibt im Buch eine Fotografie, mit einer Sammlung von "Informationen" der folgenden Art: "Some people are born to be a burden on the rest", "Every 15 seconds $100 of your money goes for the care of persons with bad heredity such as the insane feeble minded..."

    Aufsteller der American Eugenics Society.