Robert Menasse las 24.Oktober 2022 im Literaturhaus Kiel

  • Robert Menasse las am 24.Oktober 2022 im Literaturhaus Kiel


    Als Robert Menasse im Herbst 2017 den Deutschen Buchpreis gewann und mit seinem Roman „Die Hauptstadt“ einer Einladung der Muthesius Fachschule im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Sprachkunst“ folgte, einer Reihe von Lesungen, die nicht nur für Studenten, sondern allen Interessierten offen steht, nahm ich spontan und völlig unvorbereitet die Gelegenheit war, mir die Buchvorstellung anzusehen. Davon Gebrauch machten übrigens noch viele andere Zuhörer, der Hörsaal platzte aus allen Nähten, ein zweiter wurde geöffnet und per Videoschaltung wurde die Lesung übertragen.

    Einer kurzen Einführung zur Person folgte die Lesung und Robert Menasse erzählte freimütig und charmant von seinen Romanideen und den Recherchen zum Buch. Eine ungezwungene Veranstaltung, die offensichtlich nicht nur dem Publikum, sondern auch dem Autor Vergnügen bereitete, denn irgendwann bat er um eine Zigarettenpause verbunden mit dem Vorschlag, danach für Fragen gern auch länger zur Verfügung zu stehen. Auf jeden Fall blieb mir dieser Abend als einer meiner unterhaltsamsten, klügsten und humorvollsten Lesungsbesuche in guter Erinnerung.


    Fünf Jahre danach legt Robert Menasse mit „Die Erweiterung“ einen Folgeroman vor, der den zweiten Teil einer Trilogie bildet, und stellte ihn am Montag im Literaturhaus vor.

    Das Haus, diesmal etwas kleiner und der Rahmen etwas persönlicher, war bis auf den letzten Platz besetzt. Mit etwas Verspätung begann die Veranstaltung mit einer Vorstellung und Einführung des Autors durch einen der beiden neuen Leiter des Literaturhauses. In einer der zentralen Fragen des Abends ging es darum, warum Robert Menasse Albanien als Schauplatz gewählt habe. Neben diesem Land spiele die Handlung auch in Brüssel und Wien, doch Albanien habe er im Zuge einer Balkanreise besucht und seinerzeit erfuhr dieses Land als EU-Beitrittskandidat eine Absage durch Frankreich, so dass dieses Thema allgegenwärtig gewesen sei. Weiterhin habe er erfahren, Menasses Begeisterung für dieses kleine Land war regelrecht spürbar, dass Albanien das ihm einzig bekannte Land sei, dass einen Künstler als Ministerpräsidenten beschäftige, der wiederum Künstler in seine Führungsriege aufnähme, die dem Aufbau einer politischen Kulisse dienten. Schließlich wäre seine Zeit in Albanien und die damalige breite Diskussion um den EU-Beitritt ausschlaggebend für den Titel seines Romans gewesen.

    Welche Rolle Tiere in seinen Romanen spielen, lautete eine weitere Frage, denn im ersten Roman tauche ein Schwein auf und im zweiten ein Ziegenbock. An dieser Stelle korrigierte Menasse, dass im zweiten Roman lediglich die historische Figur Skanderbeg einen Helm mit Ziegenbock trage, während er in „Die Hauptstadt“ das Schwein lediglich erwähne, um zu zeigen, welche unterschiedlichen Bereiche der EU zuständig seien, wenn es um dieses arme Tier gehe, für dessen Wohl er Mitgefühl empfinde.

    Der erste Leseabschnitt führte in die Handlung ein, die aus Figuren unterschiedlichster Nationalitäten besteht und erahnen lässt, dass ihre Lebensläufe sich irgendwann in diesem über 600 Seiten umfassenden Roman kreuzen werden. Danach folgten einige Ausführungen zu Skanderbeg, einem historischen Militärführer, an dem sich seine Figuren erstmals im Kunsthistorischen Museum in Wien treffen und der im Fortgang der Handlung eine Rolle spielen wird.

    In einem zweiten und recht vielversprechenden Leseabschnitt ging es um den Umgang des albanischen Präsidenten mit der Absage an einen EU-Beitritt durch Frankreich, der mit einem - wenigstens rhetorischen – Sieg gegenüber der französischen Presse endet. Bereits an dieser Stelle, die klug durchdacht, pointiert und vor allem von großer Kenntnis über die EU und ihre Regularien sowie Weitblick zeugt, ahnte das Publikum, dass Menasse sein Pulver noch nicht verschossen hat und zurecht für den Österreichischen Buchpreis 2022 nominiert ist.

    Im folgenden moderierten Gesprächsabschnitt ging Menasse dann auf die Fiktion seiner Figuren ein, stellte dann aber letztlich doch klar, dass drei amtierende Politiker, zwei Ministerpräsidenten und die EU-Kommissionspräsidentin eindeutig zu identifizieren seien. Bei einem von ihnen handle es sich um den polnischen Ministerpräsidenten, um den es im Abschnitt Blutsbrüder gehe; einem Kapitel, in dessen Mittelpunkt die persönliche Geschichte zweier Polen steht, die in der Regierungszeit unter Jaruzelski aufwuchsen und schließlich eine Karriere in der Politik einschlagen, der eine nun auf polnischer Regierungsseite, der andere im Dienste der EU. Da die Moderation offensichtlich einen anderen Weg als den von Robert Menasse ursprünglich geplanten einschlug, wechselte er zu einem Leseabschnitt, in dem es um den Anfang seiner Blutsbrüder ging.

    Wie bereits im Jahr 2016 verknüpfte Robert Menasse nicht nur die Fäden der EU und ihrer Länder, sondern erzählte an diesem Abend spannend und hingebungsvoll von den Menschen hinter dem Großen und Ganzen, von Lebenswegen, die seine Figuren in mehrere Länder führen und den Weg frei für eine Tätigkeit in der EU machen, einem Gebilde, das für viele Bürger immer noch nicht greifbar ist.

    Nach etwas mehr als einer Stunde endete dieser kurze Lesungsabend abrupt und ohne die Gelegenheit, Fragen zu stellen und dem abschließenden Hinweis, dass es die Möglichkeit zum Signieren gäbe.

    Der ein oder andere Leser dürfte wie ich ein wenig unzufrieden den Weg nach Hause angetreten haben, was keinesfalls am Autor, sondern an der verschenkten Gelegenheit, Robert Menasse einfach erzählen und lesen zu lassen, lag.

  • (...) Da die Moderation offensichtlich einen anderen Weg als den von Robert Menasse ursprünglich geplanten einschlug, wechselte er zu einem Leseabschnitt, in dem es um den Anfang seiner Blutsbrüder ging. (...)


    (...) Nach etwas mehr als einer Stunde endete dieser kurze Lesungsabend abrupt und ohne die Gelegenheit, Fragen zu stellen und dem abschließenden Hinweis, dass es die Möglichkeit zum Signieren gäbe.

    Der ein oder andere Leser dürfte wie ich ein wenig unzufrieden den Weg nach Hause angetreten haben, was keinesfalls am Autor, sondern an der verschenkten Gelegenheit, Robert Menasse einfach erzählen und lesen zu lassen, lag. (...)

    Hattest du den Eindruck, Salonlöwin, der Moderator habe durch seine Gesprächsführung den Autor eher ausgebremst und der Veranstaltung geschadet? Ich habe das nämlich dort auch schon erlebt, und es wäre in diesem Falle besonders schade, denn Robert Menasse ist immer dann am besten, wenn er sich vor Publikum frei entfalten darf.

  • Hallo Dieter,


    ja, Du hast recht. Ich weiß wirklich nicht, warum man Lesungen nicht einfach laufen lassen kann und bei erkennbarem Bedarf einfach nachhakt. Das wäre ein Gewinn für alle Seiten.

    Liegt es an der fehlenden Menschkenntnis oder am fehlenden Laissez-faire? Oder müssen - ganz allgemein gesehen - eingekaufte Moderatoren ihrem bezahlten Auftritt gerecht werden? Das ist mir insbesondere bei Radiomoderatoren aus der Kulturredaktion schon mehrfach aufgefallen. Schlimm wird es immer dann, wenn ein überengagierter Moderator auf einen introvertierten Schriftsteller trifft und letzterer dann resigniert.