Institut für gute Mütter - Jessamine Chan

  • Institut für gute Mütter

    Jessamine Chan

    ISBN: 3550201338

    Ullstein

    432 Seiten, HC 22,99 Euro, Kindle 18,99 Euro



    Baby Harriet fordert ihre Mutter Frida bis an deren Grenzen. Die geschiedene Frida wünscht sich nach ein paar Nächten, in dem das Baby nicht aufhört zu schreien, nur noch Ruhe und Schlaf. In diesem Zustand lässt sie das Kind eine Stunde zuhause allein, um ein paar Unterlagen von ihrer Arbeitsstelle zu holen. Das bleibt in der Nachbarschaft nicht unbemerkt und als sie zurück kehrt, warten Behördenmitarbeiter auf sie. Harriet wird zu ihrem Ex-Mann und dessen neuer Partnerin gebracht und um zu beweisen, dass sie in Zukunft fähig sein wird, eine bessere Mutter zu sein, stimmt sie einem Aufenthalt in einer Art Erziehungsanstalt zu.


    Die Regierung ist der Meinung, dass eine gute Gesellschaft nur durch gute Familienverhältnisse zu formen ist und versucht allen Frauen, die auffällig geworden sind, in dieser Einrichtung das richtige Verhalten einer Mutter beizubringen. Dies geschieht mit KI-Puppen, mit denen täglich alle möglichen Situationen durchgegangen werden. Die Übungen sind extrem fordernd und immer wieder werden die Mütter bewertet. Wer in den Augen der Aufsicht durchfällt, erhält Telefonverbot und darf nicht mit seinem Kind in Kontakt treten. Für Frida beginnt ein Jahr voller Arbeit, Demütigungen und Schmerz. Ob sie am Ende der Zeit ihre Tochter wiedersehen wird, entscheidet das Familiengericht…


    Dieses Buch hat mich beim Lesen total fasziniert. Die Empfindungen einer Mutter, die aufgrund eines einzigen Fehlers ihr Kind abgeben muss, die gefühlte Hilflosigkeit, mit der sie zusehen muss, wie eine fremde Frau Einfluss auf ihr Baby nimmt, Entscheidungen trifft, die sie eigentlich treffen müsste und die nicht zusehen darf, wie ihr Baby sich täglich entwickelt, kann man gut nachvollziehen.


    Was bedeutet Mutterschaft in einem totalitärem Staat? Wie und vor allem warum erzieht man sein Kind zu einem angepassten und dem Staat wohlgefälligen Menschen? Ist ein standardisiertes Verhalten, wie es die Mütter in diesem Buch ihren künstlichen Kindern in der Anstalt beibringen müssen, eine Garantie, staatskonforme Erwachsene heranzuziehen? Wie individuell darf ein Kind sein?

    Es stellt sich die erschreckende Frage, inwieweit ein Staat auf diese Weise in die Leben seiner Bürger eingreifen darf und was in Zukunft in totalitären Regimes möglich sein kann und was vielleicht sogar schon praktiziert wird, ohne, dass die Öffentlichkeit davon erfährt.


    Mein Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch, extrem gut geschrieben und beängstigend in seiner Grundidee. Meiner Meinung nach verdient es in einem Atemzug mit „Schöne neue Welt“ und „1984“ genannt zu werden. Daumen hoch und eine begeisterte Leseempfehlung.


    ASIN/ISBN: 3550201338

  • Frida Liu hat es nicht leicht. Die Tochter chinesischer Einwanderer hat beruflich nicht den erhofften Erfolg. Auch die Ehe mit Gust bleibt hinter ihren Erwartungen. Nur mit Harriet, ihrem Baby, erfüllt sich ein Traum. Doch dann hat die alleinerziehende Frida einen sehr schlechten Tag…


    „Institut für gute Mütter“ ist der Debütroman von Jessamine Chan.


    Meine Meinung:

    Der Roman umfasst 18 Kapitel. Die Handlung spielt in der Zukunft. Erzählt wird weitestgehend in chronologischer Reihenfolge, allerdings mit Rückblenden.


    Der Schreibstil ist atmosphärisch stark und anschaulich. Die Darstellungen sind meist detailliert.


    Frida steht im Vordergrund der Geschichte. Ihre Gedanken und Gefühle werden deutlich. Sie und die anderen Charaktere erscheinen jedoch manchmal etwas schablonenhaft.


    Inhaltlich geht es um ein totalitäres Regime, das sich stark unter anderem in die Kindererziehung einmischt und seine Bürger kontrolliert. Das dystopische Szenario ist interessant ausgestaltet. Mir gefällt, dass der Roman aktuelle Tendenzen aufgreift und gesellschaftlichskritische Elemente enthält. Darüber hinaus ist er als feministisch zu betrachten, weil er das Bild der perfekten Mutter nicht nur infrage stellt, sondern sogar demontiert. Zwar haben mich nicht alle Details überzeugt, weil die Darstellung zum Teil sehr überspitzt ist. Dennoch schafft es die Autorin, mit ihrer Geschichte zu fesseln und zum Nachdenken anzuregen.


    Die mehr als 400 eng bedruckten Seiten sind durchaus umfangreich. Dennoch gibt es nur wenige Längen und lediglich im Mittelteil Wiederholungen.


    Das Cover wirkt mysteriös und ein wenig düster, weshalb es gut zur Geschichte passt. Der deutsche Titel orientiert sich stark am englischsprachigen Original („The School for Good Mothers“).


    Mein Fazit:

    Mit „Institut für gute Mütter“ hat Jessamine Chan einen unterhaltsamen Roman verfasst, der Denkimpulse liefert. Trotz kleinerer Schwächen eine empfehlenswerte Lektüre.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.

  • Über die Autorin:

    Jessamine Chan studierte an der Columbia University und arbeitete bei PublishersWeekly. Ihre Kurzgeschichten erschienen in Tin House und Epoch. 2017 erhielt sie das Literaturstipendium der Elizabeth George Foundation für die Fertigstellung ihres Debütromans, der in den USA für über eine Million Dollar verkauft wurde. 2022 erschien er bei Simon & Schuster. Chan lebt mit ihrer Familie in Chicago.


    Kurzbeschreibung:

    Frida ist überfordert: Ihr Baby Harriet schreit und schreit und alles, wonach sich die alleinerziehende Mutter sehnt, ist eine halbe Stunde Ruhe und etwas Zeit für sich. Als sie das kleine Mädchen für eine Stunde unbeaufsichtigt zu Hause lässt, ruft ein Nachbar die Polizei. Was dann folgt, ist der Albtraum einer jeden Mutter: Frida verliert das Sorgerecht und wird in eine Besserungsanstalt gesteckt. Im Institut für gute Mütter soll sie mithilfe einer KI-Puppe lernen, was es heißt, eine gute Mutter zu sein. Ein Jahr totaler Überwachung, Strafen und unmenschlicher Lektionen nimmt seinen Lauf.


    Meine Gedanken zu dem Roman:

    Die Verkaufszahlen für diesen Roman in den USA sind beachtlich. Vermutlich liegt es daran, dass das Thema durchaus mit den Situationen und Empfindungen der Gegenwart verknüpft werden kann, auch wenn dies hier eine fiktionale Geschichte ist.


    Die Hauptprotagonistin dieses Romans ist eine alleinerziehende Mutter, die sich vor Kurzem von ihrem Mann getrennt hat. Beide haben das Sorgerecht für die kleine Tochter. Doch die Aufgaben verteilen sich nicht gleich, um finanziell durchzukommen, muss Frida, die Mutter des Kindes, arbeiten. Außerdem hat sie den Haushalt zu führen, und das Kind großzuziehen. Kommt sicherlich vielen Müttern bekannt. Ganz im Stress, unendlicher Erschöpfung und Überforderung lässt Frida das kleine Mädchen allein zu Hause, für ganze zwei Stunden. Dies wird von den Nachbarn an die entsprechende Behörde weitergeleitet, und schon befindet sich Frida mit anderen Eltern, die Fehler gemacht haben, in einer Umerziehungsanstalt. Eltern, die sich Fehltritte geleistet haben, müssen hier an KI-Puppen, das richtige Handeln erlernen.


    Diese Geschichte eignet sich hervorragend für Lesekreise oder gemeinsames Lesen im Bücherclub, denn die Palette an Gefühlen und Gedanken, die der Roman hervorruft, ist groß: Wut, Hilflosigkeit, Angst von der gläsernen Gesellschaft, Bevormundung seitens der Regierung, Einschränkung von Rechten, Angst zu versagen und und und... Wie weit darf die Regierung gehen, was ist moralisch richtig, was falsch? Über diesen Roman könnte man endlos diskutieren, denn ich bin mir sicher, dass alle Leser die prekäre Situation von der Hauptprotagonistin unterschiedlich bewerten.


    Die Geschichte wird von Frida in der dritten Person erzählt. Was ich persönlich immer distanzierter und emotionsloser empfinde, als in der ersten Person. Außerdem fand ich, dass die Geschichte etwas länger brauchte, um in Fahrt zu kommen. Dennoch empfinde ich den Roman absolut als lesenswert. Und am besten in einer Gruppe, um die vielen Gedanken auch gleich besprechen zu können. Von mir gibt es gute 7 Punkte.

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • Überfordert lässt Frida ihre 18 Monate alte Tochter Harriet zweieinhalb Stunden alleine zu Hause. Als sie wiederkommt, ist Harriet in Obhut genommen, ein Nachbar hat Frida angezeigt. Aufgrund eines neuen Gesetzes werden Frida die Elternrechte entzogen, ein Jahr lang muss sie nun, zusammen mit anderen Müttern, lernen, eine gute Mutter zu sein.


    Selbst Mutter von – bereits erwachsenen – Kindern, war dieser Roman für mich ein Auf und Ab der Gefühle. Natürlich geht es gar nicht, was Frida gemacht hat, aber, was dann mit ihr gemacht wurde, geht ebenfalls nicht. Zusammen mit anderen Müttern wird sie regelrecht inhaftiert, das Anwesen von einem elektrischen Zaun umgeben, Kameras überall, in Uniformen gesteckt. Zum Üben erhält jede Mutter eine mit KI ausgestattete lebensechte Puppe, die dem jeweiligen Kind ähnelt. Der Kontakt zu ihren echten Kindern wird willkürlich gehandhabt, meistens eingeschränkt. Da fragt man sich schnell, wer den Kindern wirklich schadet.


    Beim Lesen hat man dauernd ein ungutes Gefühl. Erzählt wird durchgehend aus Fridas Perspektive, was das ungute Gefühl noch verstärkt, man begleitet sie regelrecht durch ihre Verzweiflung, aber auch durch ihre Hoffnungen. Auch wenn Frida es als „schlechten Tag“ abtut, ihr Vergehen ist letztlich schlimmer als das mancher der anderen Mütter, mit denen sie nun zusammenlebt, und sie hätte wohl wirklich Hilfe gebraucht, nur eben auf eine andere Art, als sie hier bekommt.


    Frida ist kein einfacher Mensch, und so sind auch meine Gefühle für sie nicht immer gleich, letztlich kommt sie mir nicht so nahe, wie ich mir das gewünscht hätte. Die meisten der anderen Mütter allerdings auch nicht. Das Personal der Anstalt überhaupt nicht, immerhin sind sie es, die die Willkür ausüben, die Mütter klein machen, und Dinge von ihnen verlangen, die oft fraglich und meistens kaum machbar sind. Muttersein wird hier als etwas dargestellt, das es gar nicht geben kann. Derweil werden die Kinder dieser Mütter, die man angeblich schützen will, bei Verwandten, oft aber auch bei Pflegeeltern untergebracht und ihnen der Kontakt zu ihrer Mutter genauso verwehrt, wie deren zu ihnen.


    Der Roman ist eine Art Dystopie, etwas, was hoffentlich nie eintritt, hat aber auch eine ungute Aktualität, wenn man sich gesellschaftliche Entwicklungen anschaut, die leider im Moment oft eher rückwärtsgewandt wirken. Gut gefallen hat mir das Ende, denn es ist offen, und passt für mich sehr gut zum Rest der Geschichte.


    Ich bin bei diesem Roman etwas uneins mit mir selbst. Natürlich hat er auf gewisse Weise meine Emotionen angesprochen, leider aber nicht immer für die Protagonistin, mir taten vor allem die Kinder (die echten wie die unechten) leid. Ich hätte mir eine andere Protagonistin gewünscht, mit der ich mehr hätte fühlen können. Andererseits lässt mich der Roman mit einem unguten Gefühl zurück, weil es derzeit (global) tatsächlich Tendenzen in eine ungute Richtung gibt. Außerdem: Mütter alleine auf ihr Muttersein zu reduzieren kann es einfach nicht sein, und nicht an allem ist die Mutter schuld. Wenn Jessamine Chan manche:n zum Nachdenken gebracht hat, hat der Roman schon einen Zweck erfüllt.