Jo Nesbo, Das Nachthaus

  • ASIN/ISBN: 3550050739

    Klappentext:


    Als in einer Kleinstadt ein Jugendlicher verschwindet, steht der Schuldige schnell fest: Hat Richard seinen Freund Tom im Wald von einer Brücke in den reißenden Fluss gestoßen? Richard wehrt sich gegen die Anschuldigungen, doch er verstrickt sich dabei in Lügen. Niemand glaubt ihm. Dabei ist Toms Abwesenheit so ungeheuerlich, dass Richard selbst kaum noch zu atmen wagt. Seine Suche nach dem Freund führt ihn auf die dunkle Seite von Ballantyne. Dort steht das Nachthaus. Was geschah in jener Nacht?


    Mein Hör-Eindruck:


    Herr Nesbo, Sie treiben da ein irres Spiel mit meinen Vorstellungen von Wirklichkeit!


    Zwei Jungen, einer davon der Ich-Erzähler Richard, treiben Unfug am Telefon und rufen eine willkürlich herausgesuchte Nummer an – und zum Schrecken des Ich-Erzählers und auch des Lesers wird der Freund in den Telefonhörer hineingesogen und verschwindet. Soll man als Leser diese Geschichte glauben? Sicher nicht. Erzählt Nesbo uns hier einen Horror-Roman?


    Ein zweiter Freund verschwindet ebenfalls auf eine unwirkliche Art: er mutiert zum Käfer. Aha, denkt der Leser, das ist eine Kafka-Adaption! Hatte Nesbo nicht vor Jahren bei dem sog. Shakespeare-Projekt mitgemacht und eine geniale Adaption von „Macbeth“ geschrieben? Wo er den düsteren mittelalterlichen Stoff in das genauso düstere zeitgenössische Kriminellen-Milieu von Edinburgh verlegte? Also wäre das hier eine Adaption von Kafkas „Die Verwandlung“? Richard, der Ich-Erzähler schlägt zwar mit einem Kafka-Band nach dem Insekt, aber damit ist diese Parallele schon erschöpft. Keine Adaption. Was dann?


    Ein Jugendroman mit Horror-Elementen? Der Leser gibt die Hoffnung nicht auf, dass sich das Geschehen auf irgendeine Weise real und glaubhaft auflöst. In dieser Hoffnung wird er auch immer wieder vom Erzähler bestärkt – bis der nächste verwirrende Dreher kommt. Was ist denn nun wahr? Kann ich Richards Erzählung glauben? Der Leser erlebt die Handlung ausschließlich aus Richards Sicht, und sogar Richard zweifelt gelegentlich, ob seine Wahrnehmungen der Realität oder Alpträumen entstammen.

    Dazu kommt, dass man meistens in Romanen dieser Art durch die Reaktionen und Handlungen der anderen Figuren eine Fremdperspektive auf den Protagonisten erhält. Und das vermeidet der Autor. Er sorgt dafür, dass der Leser keinerlei Außenperspektive erhält, weder durch Beschreibungen noch durch die Gespräche Richards mit anderen. Damit entfällt ein mögliches Korrektiv, und die Verwirrung des Lesers hält an. Der Leser bleibt quasi gefangen in Richards Kopf und in dessen Wahrnehmung der Wirklichkeit.


    Nesbo spielt hier souverän ein Katz-und-Maus-Spiel mit seinem Leser! Stimmungsvolle Naturbeschreibungen, Aufbau von Spannung, das Erstellen dreidimenionaler Figuren - das alles beherrscht Nesbo, und das setzt er gekonnt ein. Trotzdem: der 3. Teil hat einige Längen, aber immerhin: das Verwirrspiel wird gelöst.


    Der Sprecher David Nathan erzählt diese verwirrende Geschichte sehr ansprechend. Allerdings störte mich häufiger seine Satzmelodie, die am Ende des Satzes nach oben ging, was dem Satz einen unpassenden ironischen Unterton verleiht. Wen das nicht stört, wird Vergnügen haben an der sinnbetonten, temporeichen Lesung.


    08/10 Pkt.

  • Danke für Deine schöne Rezi :)

    Ich lese gerade das Buch und bin noch ca. bei der Hälfte. Mir gefällt es bisher sehr gut.

    Da ich erst vor Kurzem auf einer Lesung des Autors war, wusste ich ja, was mich mit dem Buch erwartet: nämlich Kein typischer Krimi. Der Autor hat bei der Lesung betont, dass er ein Buch im klassischen Horror Stil geschrieben hat. Ich finde es sehr ungünstig, dass der Roman bei uns als Krimi vermarktet wird, nur weil der Autor sonst vorwiegend Krimis schreibt. Kein Wunder, dass dann einiger Leser enttäuscht sind, wenn sie nicht das bekommen was drauf steht.

  • dass der Roman bei uns als Krimi vermarktet wird, nur weil der Autor sonst vorwiegend Krimis schreibt. Kein Wunder, dass dann einiger Leser enttäuscht sind, wenn sie nicht das bekommen was drauf steht.

    Auf dem Cover steht sogar "Thriller" drauf. Das finde ich auch irreführend.


    Nachdem ich meinen Lese-/Hör-Eindruck geschrieben habe, habe ich mir einige Rezensionen angesehen - die sind sehr gemischt, vielleicht wegen der von Dir angesprochenen Enttäuschung. Allerdings finde ich, dass sich ein Leser dann durchaus ein bisschen bewegen kann, um dem Roman gerecht zu werden.

  • Allerdings finde ich, dass sich ein Leser dann durchaus ein bisschen bewegen kann, um dem Roman gerecht zu werden.

    Ja das finde ich auch absolut. Ich mag es, wenn mich ein Autor auch noch überraschen kann und nicht immer jedes Buch nach dem gleichen Schema schreibt.

  • dracoma

    Rouge

    Ich finde es auch genial, wenn ein Autor von seinem üblichen Genre abweicht, denn Bücher, die immer nach dem gleichen Schema geschrieben sind, langweilen mich. "Das Nachthaus" könnte etwas für mich sein, weil es eben kein typischer Krimi ist, sondern Horror. Ich habe noch nie ein Buch von Jo Nesbo gelesen.

    Übrigens, Andreas Gruber hat auch zwei Horror-Bücher geschrieben: "Der Judas-Schrein" und "Das Eulentor". Beide haben mich begeistert. Horror vom Feinsten. :thumbup:

  • "Das Nachthaus" könnte etwas für mich sein, weil es eben kein typischer Krimi ist, sondern Horror. Ich habe noch nie ein Buch von Jo Nesbo gelesen.

    Ich kann es schlecht einschätzen, ob "Das Nachthaus" etwas für dich wäre. Ich lese Jo Nesbo schon seit Jahren mit großer Begeisterung. Vor allem seine Krimi-Reihe um Harry Hole finde ich genial. Das Nachthaus ist wie gesagt kein Krimi, sondern eine Mischung aus Horror und Jugendbuch. Mir hat es gut gefallen.:)

  • werde es auf jeden Fall probieren.

    Dann bin ich gespannt auf Dein Urteil!

    Typisch für die Nesbo-Bücher ist es aber auf gar keinen Fall. Also: wenn es Dir nicht gefällt, dann verdamme nicht gleich den gesamten Autor!


    eine Mischung aus Horror und Jugendbuch.

    Ich mag keine Horror-Bücher, aber hier habe ich mich gar nicht gruseln müssen. Ich hatte immer die feste Überzeugung, dass sich die Sache irgendwie auf eine reale und nachvollziehbare Weise lösen wird; da habe ich mich auf Nesbo verlassen.