Fragen an Selim Özdogan

  • Eine Frage, die ich mir selber auch immer wieder stelle: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Neugier und Interesse?
    Das bezogen auf die sogenannten privaten Fragen. Oder etwas anders ausgedrückt: Wo hört Gala auf und fängt investigativer Journalismus an?

  • Das ist eine Frage, die ich mir schon im Studium gestellt habe: Wie kommt es, daß wir glauben, einen Text besser zu verstehen, wenn wir den Autor kennen (bzw. zu kennen glauben)?


    Es gibt Schriftsteller, über die wissen wir so gut wie nichts (mit solchen hatte ich es im Studium vorrangig zu tun); zur Not wird dann eine Vita aus dem Opus konstruiert (besonders prägnannt in den Fällen Sappho und Catull), mit deren Hilfe dann wiederum das Opus kommentiert und gedeutet wird -- ein klassischer "akademischer Zirkel".


    Natürlich kann die Kenntnis der historischen Umstände, der Gedanken- und Bilderwelt der jeweiligen Kultur usw. sehr helfen, wahrscheinlich sogar die Kenntnis der persönlichen Biographie. Aber täuschen wir uns da nicht -- so wie im Beispiel der genannten Dichter? Laufen wir dabei nicht Gefahr, uns ein Bild zusammenzuzimmern, möglichst passend zu dem, was wir aus den Werken herauslesen?


    Ich bin sehr skeptisch geworden ...


    Trotzdem, da ich selbst Mensch und Leser bin, mag ich den Kontakt zu anderen Menschen mit ähnlichen Interessen wie in diesem Beispiel das Lesen.


    Und zugegebenermaßen bin ich selbstverständlich auch neugierig, wie das, was ich mir abgerungen habe, ankommt. :grin

  • Zitat

    Original von Rosenstolz


    Beides muss ja nicht negativ ausgelegt werden. :-)


    Im Grunde muss überhaupt nichts negativ ausgelegt werden...


    Neugier, Interesse, Wissensdurst... viel wichtiger finde ich die Frage nach der Notwendigkeit. Wieviel muss ich wirklich wissen?

  • Zitat

    Original von SterntalerNeugier, Interesse, Wissensdurst... viel wichtiger finde ich die Frage nach der Notwendigkeit. Wieviel muss ich wirklich wissen?


    Müssen muss man gar nichts........... :grin
    Aber wenn die Möglichkeit zur Fragestellung besteht, warum sollte man es dann nicht tun?:gruebel Wenn das aber z.B. der Autor nicht möchte, könnte dieses ja von vornherein klargestellt werden ( indem man z.B. keinen Thread wie diesen eröffnet :lache ).

  • Zitat

    Original von Rosenstolz


    Müssen muss man gar nichts........... :grin
    Aber wenn die Möglichkeit zur Fragestellung besteht, warum sollte man es dann nicht tun?:gruebel Wenn das aber z.B. der Autor nicht möchte, könnte dieses ja von vornherein klargestellt werden ( indem man z.B. keinen Thread wie diesen eröffnet :lache ).


    :write


    Rosenstolz , ich glaub, wir beide meinen wohl das Gleiche.


    Und mir fällt sofort Christoph Marzis Wittgenstein ein, mit seinem "Fragen Sie erst gar nicht." und "Dieses Kind" :grin


    So mal ganz simple heruntertransformiert:...wenn ich z.B. ein Bild malen würde, eine Geschichte schreibe oder sonst irgendetwas mache - und dazu gehört auch für mich, das ich etwas sage - dann muß ich doch automatisch damit rechnen, dass mich mein Gegenüber dazu etwas fragt?


    Und sei es auch nur, dass es auf die Frage herausläuft: "Warum hast Du dies oder das denn so und nicht anders gemalt, geschrieben, gedacht, gesagt, etc.etc...."


    Also: ich habe jedenfalls keine Lust darauf, der Aussage von Einstein zu entsprechen, der da (sinngemäß) sagte: "Der Standpunkt eines Menschen umschreibt einen Kreis mit dem Radius NULL."


    ...und deswegen werd' ich mich weiterhin mit Menschen unterhalten, wo und wie auch immer ... und zwar solange, wie Marzis Wittgenstein nach den oben genannten ersten Sätzen dann doch immer seiner Emily erklärt und erzählt!


    Zitat aus der Sesamstrasse: "Wieso, weshalb, warum? ... Wer nicht fragt, bleibt dumm!"


    :write


    :wave
    Ikarus

  • Zitat

    Original von Iris
    Das ist eine Frage, die ich mir schon im Studium gestellt habe: Wie kommt es, daß wir glauben, einen Text besser zu verstehen, wenn wir den Autor kennen (bzw. zu kennen glauben)?


    Das ist es noch nicht einmal - zumindest, was mich angeht. Für die anderen kann ich natürlich nicht sprechen.


    Aber ich mag einfach Menschen. Die meisten zumindest. Und ich tausche mich sehr gerne mit ihnen aus.


    Wenn ich eine Frage zum Buch habe und der Autor kann sie mir beantworten - um so besser. Wenn nicht... nun, dann muß es eben so gehen. ;-)


    Ich finde es einfach interessant, in einer Leserunde mit Autor auch dessen Ansichten zum Buch und vielleicht auch anderen Dingen kennenzulernen. Wenn man es so nennen will, ist das noch mal ein Zuckerl zum Buch dazu.


    Und Flederkatzen sind nun mal alte Naschkatzen. :-)

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Mit "Frage der Notwendigkeit" meine ich nicht, was muss ich vom Autor wissen, um mir das Buch zu erklären.
    Sondern: Muss ich überhaupt was wissen, spricht ein Buch nicht auch für sich?


    Wenn ich nichts verstehe, kann das auch ein Sinn sein.
    Mal wieder Verweis auf Kafka, der wie er selbst sage, sein "Urteil" selbst nicht verstand wie er sagte.
    Der Autor ist im Grunde auch nur ein Leser. Genau wie der Maler auch nur ein Betrachter ist.

  • Zitat

    Original von Sterntaler
    Mit "Frage der Notwendigkeit" meine ich nicht, was muss ich vom Autor wissen, um mir das Buch zu erklären.
    Sondern: Muss ich überhaupt was wissen, spricht ein Buch nicht auch für sich?


    Um diese Frage zu erklären: Bei der Tochter des Schmieds sprach das Buch für sich. Was ich im übrigen sehr schön finde. Denn wenn ich den Autor wirklich BRAUCHE, um mir ganze Passagen der Handlung erklären zu lassen... dann ist irgendwas schiefgelaufen.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Zitat

    Original von Batcat
    Ich finde es einfach interessant, in einer Leserunde mit Autor auch dessen Ansichten zum Buch und vielleicht auch anderen Dingen kennenzulernen.


    Okay, in diesem Sinne können sich beide über die Intention einzelner Aspekte eines Buches klar werden und ob diese bei dir erreicht wurde. Vielleicht kann ein solches Gespräch helfen, daß auch der Autor sich über Dinge klarer wird, die vorher im Nebel schwebten, was jedem von uns passiert.

  • Zitat

    Original von Iris
    Vielleicht kann ein solches Gespräch helfen, daß auch der Autor sich über Dinge klarer wird, die vorher im Nebel schwebten, was jedem von uns passiert.


    Wenn sie aber schon vorher im Nebel schwebten, dann hätte ich sie nicht drucken lassen.
    Und danach: ich bin mir sicher man lernt mehr über sein Buch durch Gespräche mit Lesern. Wohlgemerkt: über sein BUCH.

  • Zitat

    Original von Sterntaler
    Wenn sie aber schon vorher im Nebel schwebten, dann hätte ich sie nicht drucken lassen.


    Woher willst du eigentlich wissen, daß dieses "im Nebel schweben" grundsätzlich etwas Negatives ist?


    Die besten Romane sind eben keine Reißbrettprojekte mit festliegender Storyline, vorgekauten Figuren, nach Plan geschrieben ohne Überraschungen für den Autor.


    Ein lebendiger Text entwickelt ein Eigenleben, er ist wie eine Reise in ein bislang unbekanntes Land, über das man sich vorher ein bißchen informieren konnte. Und je besser der Text am Ende ist, desto öfter hat er seinen Verfasser unterwegs überrascht.

  • Ich glaube ja, daß die guten Texte, die man irgendwie hinkriegt, schlauer sind, als man selber und somit einen auch überraschen können. Manchmal schreibt man mehr rein, als man vorhatte oder wollte oder einem bewußt war.
    Und gleichzeitig finde ich das nicht so wahnsinnig wichtig, auch deswegen, weil ich persönlich keine Bücher mag, die eine deutlich erkennbare Intention haben. Wenn es keine Absicht in Sinne einer Botschaft oder Lehre oder Moral oder sonstwie gibt, dann ist es nicht weiter tragisch, wenn der eine oder andere das eine oder andere nicht versteht. Autor mitinbegriffen.


    Aber mich wundert hier diese Haltung Sachen überhaupt nicht negativ bewerten zu wollen. Ich will ja gar nicht alles schlecht machen und ich stehe auch gerne Rede und Antwort, aber so einige Argumentationsketten könnte
    auch ein begeisterter Gala-Konsument für sich beanspruchen. Kontakt mit Menschen(wobei ich persönlich das Internet in jeglicher Ausprägung, die mir bekannt ist, immer nur als einen Kontaktersatz ansehen würde), Fragen, um Erkenntnisse zu gewinnen, Dinge besser verstehen. Aber warum will man eigentlich besser verstehen, wieso Bruce Willis Ehe gescheitert ist und wie das Leben an europäischen Fürstenhäuser abläuft und wie genau Boris Becker die Frauen angräbt, auf die er steht.
    Ich übertreibe, weil ich das Gefühl habe, daß ich mich vorher möglicherweise mißverständlich ausgedrückt habe. Die Frage ist, könnten die Argumente, die man anbringt grundsätzlich für Klatsch und Tratsch sprechen, gegen den ich auch nichts habe. Und wenn ja, wo ist eigentlich der Unterschied zwischen verwertbaren Informationen und dem Klatsch.
    Naja, vielleicht führt das auch alles zu weit. War nun n Versuch.

  • Zitat

    Original von Iris


    Woher willst du eigentlich wissen, daß dieses "im Nebel schweben" grundsätzlich etwas Negatives ist?


    Iris, ich schrieb bereits:


    Mal wieder Verweis auf Kafka, der wie er selbst sage, sein "Urteil" selbst nicht verstand wie er sagte.
    Der Autor ist im Grunde auch nur ein Leser. Genau wie der Maler auch nur ein Betrachter ist.



    Das widerspricht dem doch nicht.

  • Zitat

    Original von Selim
    Aber mich wundert hier diese Haltung Sachen überhaupt nicht negativ bewerten zu wollen.


    Ist die Frage, in welchem Zusammenhang du das meinst.



    Zitat

    Original von Selim
    Die Frage ist, könnten die Argumente, die man anbringt grundsätzlich für Klatsch und Tratsch sprechen, gegen den ich auch nichts habe. Und wenn ja, wo ist eigentlich der Unterschied zwischen verwertbaren Informationen und dem Klatsch.



    Argumente in Hinsicht auf was? Bitte etwas genauer erläutern, ich verstehe grad nicht worauf du hinauswillst.


    Der Unterschied zwischen Information und Klatsch wird doch letztlich bestimmt durch die Intention des Fragenden und ist somit doch nur von Fall zu Fall definierbar.
    In deinem Fall, Autor in der Leserunde: Die Frage, ob du in festen Händen bist, wäre Klatsch, die Frage, ob du ein Notizbuch hast, wäre Information. Interesse an deiner Arbeitsweise halt.

  • Zitat

    Original von Sterntaler


    Iris, ich schrieb bereits:
    Mal wieder Verweis auf Kafka, der wie er selbst sage, sein "Urteil" selbst nicht verstand wie er sagte.
    Der Autor ist im Grunde auch nur ein Leser. Genau wie der Maler auch nur ein Betrachter ist.

    Das widerspricht dem doch nicht.


    Mag sein, daß du das schriebst, aber ich verstehe den zusammenhang überhaupt nicht ...


  • Ähm, sorry, aber da muß ich einfach noch etwas zu loswerden.


    Selim , Du bist für mich zumindest ein ganz normaler Mensch, der nur rein zufällig Bücher schreibt, die von anderen Mitusern (Lilli), die mir vom Lesestoff und Verhalten in diesem Forum so sympathisch sind, empfohlen wurden, dass ich mir zumindest anschaue, was Du zu schreiben hast.


    Ich denke mal, dass Dir viele hier bestätigen können, dass ich bestimmt nicht in Ehrfurcht versinke, wenn sich ein Schreiberling (der herrlich respektose Ausdruck kommt von Lilli!) dazu herabläßt, seine eigene Leserunde zu begleiten!
    Und ob mir Dein nächstes Buch gefällt?...Was weiß ich? Werd ich dann sehen, wenn ich`s gelesen hab!


    Deine Begleitung der Leserunde fand ich eher nicht so toll - da kennen wir Leser dieses Forums - mit allem Respekt gesagt - mittlerweile aufgeschlossenere Autoren, die eher bereit sind, auf die Leser einzugehen.
    An Deiner Person hätte mich am meisten Informationen, Sichtweisen etc. interessiert, nicht zuletzt, weil Du einem anderen Kulturkreis angehörst...ganz platt und oberflächlich gesagt: ich würde auch auf einen behinderten Menschen im Rollstuhl zugehen und - wenn es sich so ergibt, fragen, wie das denn kam...oder - als Gegenbeispiel, wenn Du so willst, auf Osama bin Laden, um zu erfahren, was in dessen Kopf so vorgeht...to be continued...


    Ich hoffe, es ist klar geworden, was ich meine?


    Und ein anderer Aspekt noch: ihr Schriftsteller wollt doch etwas von uns, oder irre ich mich da? ... Und eher weniger ist es umgekehrt der Fall!


    In diesem Sinne hoffe ich, dass Du noch sehr viele gute Bücher schreibst, viel Erfolg ... und es war dennoch nett, dass Du mal hier vorbeigeschaut hast :-)


    :wave
    Ikarus

  • Sterntaler
    "Zitat:
    Original von Selim
    Aber mich wundert hier diese Haltung Sachen überhaupt nicht negativ bewerten zu wollen.


    Ist die Frage, in welchem Zusammenhang du das meinst."


    Ich habe die Frage nach der gegenseitigen Bauchpinselei gestellt und die nach dem Unterschied zwischen Neugier und Interesse und beide Male war eine der Reaktionen, daß man das doch gar nicht negativ sehen müsse.


    "Zitat:
    Original von Selim
    Die Frage ist, könnten die Argumente, die man anbringt grundsätzlich für Klatsch und Tratsch sprechen, gegen den ich auch nichts habe. Und wenn ja, wo ist eigentlich der Unterschied zwischen verwertbaren Informationen und dem Klatsch.
    Argumente in Hinsicht auf was? Bitte etwas genauer erläutern, ich verstehe grad nicht worauf du hinauswillst."


    Mit einer Begründung wie, wahllos herausgegriffenes Bespiel: Wer nicht fragt, bleibt dumm, kann man vieles rechtfertigen. Ohne jedoch den Kern der Sache zu treffen.



    Ikarus
    "An Deiner Person hätte mich am meisten Informationen, Sichtweisen etc. interessiert, nicht zuletzt, weil Du einem anderen Kulturkreis angehörst...ganz platt und oberflächlich gesagt: ich würde auch auf einen behinderten Menschen im Rollstuhl zugehen und - wenn es sich so ergibt, fragen, wie das denn kam...oder - als Gegenbeispiel, wenn Du so willst, auf Osama bin Laden, um zu erfahren, was in dessen Kopf so vorgeht...to be continued...


    Ich hoffe, es ist klar geworden, was ich meine?"


    Ja, es ist klar geworden, was du meinst. Aber abgesehen, daß beide Beispiele unglücklich gewählt sind, ich bin weder behindert noch Terrorist, noch habe ich sonst etwas an mir, das ein Ge- oder Verbrechen sein könnte: Gerade das möchte ich nicht. Und auch der Mensch im Rollstuhl möchte das nicht. Weil man von außen auf etwas reduziert wird. Die Aussage läuft für mich, und möglicherweise bin zu empfindlich, immer auf einen Satz hinaus: Mach uns doch mal den Türken. Und ich sage: Nein, danke. Ich keinen Bock immer nur der Kanake hier zu sein, der interessante Dinge aus seinem Kulturkreis berichten kann. Das ist nicht meine Aufgabe. Das kann man sicherlich dahingehend interpretieren, daß ich nicht auf die Leser eingehe.


    "Und ein anderer Aspekt noch: ihr Schriftsteller wollt doch etwas von uns, oder irre ich mich da? ... Und eher weniger ist es umgekehrt der Fall!"


    Ich denke, du irrst dich. Ich habe meinen Part des Jobs längst gemacht, ich habe ein Buch geschrieben. Der Verlag macht das Markting, sonst könnte ich es bei Books on Demand herausbringen. Ich will nichts weiter vom Leser, ich bin einfach nur glücklich, wenn sich Menschen finden, die meine Bücher lesen wollen, aber ich mache mich nicht krumm dafür. Wenn niemand den Kram lesen möchte, verdiene ich mein Geld halt anders. Was ich mache ist nur ein Angebot in Form eines Buches, ich versuche niemanden etwas aufzuschwatzen.


    Aber doch, ja, es war schön, daß ich bei dieser Leserunde dabei war. Ich habe viel gelernt. Ehrlich.