Tim Parks - Schicksal

  • Originaltitel: Destiny
    282 Seiten
    Verlag Kunstmann
    ISBN: 3888972574


    aus dem Klappentext, gekürzt


    Christopher Burton, Journalist, erfährt an der Rezeption seines Hotels vom Selbstmord seines Sohnes.
    Aber warum ist bei dieser schrecklichen Nachricht sein erster Gedanke, jetzt, nach fast 30 Jahren Ehe, seine Frau zu verlassen? Warum kann er nicht einfach um seinen Sohn trauern? Burton weiß zwar, dass er seiner vitalen, ewig flirtenden und sprunghaften Frau seine Existenz und seine Karriere verdankt. Aber mit Sicherheit verdankt er ihr auch, dass sein Leben unerträglich geworden ist.


    Dieses Buch ist wahrlich ein Meisterwerk! Tim Parks schafft es, die Gedanken und Motivationen des Christopher Burton so eindringlich zu schildern, dass der Leser richtig gefangen ist in dieser Geschichte.


    Was wie ein "Schicksalsschlag" beginnt - der Journalist erfährt am Telefon vom Selbstmord seines Sohnes - entwickelt sich als Psychogramm einer Ehe. Anfangs noch verwirrt ob der ungewöhnlichen Reaktion des Protagonisten (sein erster Gedanke ist, seine Frau zu verlassen), erfährt man nach und nach um die wahren Zusammenhänge und die Vergangenheit dieser Familie.


    Ich sog jedes Indiz auf, immer auf der Suche nach jenem Fallpunkt, an dem diese Ehe scheiterte. Doch wie so oft im "richtigen" Leben, gibt es diesen Punkt nicht. Es ist das allmähliche Auseinanderleben, die enttäuschten Hoffnungen, die gekränkte Eitelkeit, die Bequemlichkeit und einfach die vielen Gespräche und Worte, die nicht stattfanden und es ist die Geschichte einer Flucht vor sich selber, vor den eigenen Gedanken und dem eigenen Leben.


    Tim Parks schafft es ganz einzigartig, diese Themen in diesem Roman zu verpacken. Das Buch verlangt die absolute Aufmerksamkeit des Lesers, es ist kein Buch für zwischendurch oder für eine Lese-Stunde nach einem anstengenden Tag! Viele Zeitsprünge - oft in einem einzigen Satz - , parallel erzählte Handlungen, ineinander verwobene Erlebnisse und Personen machen es dem Leser nicht leicht, dennoch verliert man nie den Überblick.


    Besonders beeindruckend fand ich geschildert, wie Christopher allmählich nicht mehr vor seinen Gedanken flüchten konnte. Mit Fortschreiten der Geschichte wiederholten sich manche Gedanken immer wieder, sie nahmen ihn ganz in Besitz, bis er sich ihnen endlich stellen musste, und der Leser wieder ein Detail aus dem Leben erfährt.


    Rundum: ein Meisterwerk, das ich nur jedem ans Herz legen kann!

  • Ich kann mich Jersey nur anschließen!


    Ich habe das Buch gerade zu Ende gelesen und habe doch insgesamt recht lang gebraucht, da es kein Buch ist, was man "so nebenbei" lesen kann. Die Zeitsprünge - wie Jersey schon sagte teilweise in einem Satz! - sind gewöhnungsbedürftig, da man sich manchmal fragt, auf was sich das Geschriebene nun gerade bezieht und man noch mal zwei Sätze zurück gehen muss, um den Sinn zu verstehen. Aber gerade diese Erzählstruktur macht das Buch so besonders und intensiv - es kommt einem wirklich so vor, als wäre man direkt im Kopf des Protagonisten Chris. Gedanken sind ja auch in den seltensten Fällen linear und geordnet. :o)


    Was mich außerdem beeindruckt hat, waren die anderen zahlreichen stilistischen Mittel, die Parks einsetzt. Beispielsweise die atem- und rastlose Steigerung von Chris' Gedanken, Selbstvorwürfen, Beschuldigungen und Fragen, die einhergeht mit der Steigerung seiner körperlichen Schmerzen (er hat seine Herztabletten verloren und kann seit der verhängnisvollen Nachricht nicht mehr zur Toilette), die er versucht zu ignorieren, die aber ständig mitschwingen und somit die Atmosphäre zusätzlich aufladen. Oder das Stilmittel, dass Chris bis zu dem Punkt, an dem sich die ganze Situation sich langsam zu entschärfen beginnt, seine Frau nie beim Namen nennt, sondern immer nur von "meiner Frau" redet und somit die Distanz zwischen den beiden meisterhaft unterstreicht.


    Einige Sätze fand ich außerdem so gelungen, dass ich sie rausgeschrieben habe. Zum Beispiel: "In unseren Träumen ist kein Platz für die Last, die es bedeutet, wir selbst zu sein."


    Also insgesamt ein sehr lohnendes Buch, was mich bestimmt noch lange beschäftigen wird.


    Jersey, hast du noch andere Bücher von Tim Parks gelesen? Gibt es ein Buch, was du besonders empfehlen würdest?

    Nur weil der Mensch als freies Wesen geschaffen wurde, hat er die Möglichkeit zum bösen Tun. Das Böse ist der Preis für die menschliche Freiheit.