Beiträge von Jersey

    Der einzelne Mensch ist ein Rätsel, einige Milliarden Menschen, organisiert in einem parasitären System, sind eine Katastrophe“ ( S.167). Ilija Trojanow thematisiert in seinem Buch - auch mit viel Zynismus und Ironie - die Umweltthematik, die sukzessive Zerstörung der Umwelt durch den Menschen und gleichzeitig die Ignoranz, die Gleichgültigkeit, mit der wir diese Zerstörung zulassen. Das Buch ist unangenehm, sehr unangenehm sogar, denn die Ausrede, man fahre ja nicht mit einem Luxusdampfer in die Antarktis, gilt nicht. Ein Leben ohne oder gegen die Natur ist nicht möglich, Umweltzerstörung geschieht jeden Tag zu jeder Zeit auf jedem Flecken der Erde. Trojanow prangert v.a. die Ignoranz der Gesellschaft an, zweifelt aber gleichzeitig auch an seinen Möglichkeiten als Schriftsteller, hier eine Lösung anbieten zu können: "


    Zitat

    „Lebende Autoren hingegen, das erfuhr ich, wann immer ich die Zeitung aufschlug, sollen sich bescheiden, ein wenig anregen, ein wenig erregen, ein wenig aufregen, aber auf gar keinen Fall die Welt verändern wollen. Wie soll man noch zu Lebzeiten aufrütteln? Beschämung funktioniert nicht, da sich jeder selbst öffentlich bloßstellt, Pathos funktioniert nicht, da alles kleingeredet wird. Und Gewalt? Gewalt ist die einzige Sprache, die noch nicht von den Etiketten der Sponsoren überklebt ist.“ (S. 146)


    Das Buch ist mit seinen knapp 170 Seiten, eingeteilt in 12 Kapitel, verhältnismäßig dünn. Jedem Kapitel ist eine Art „Logbuch“ angehängt, ein Sammelsurium aus wirren Schlagzeilen, Seemannsfloskeln und Funksprüchen, das eklatante Stilbrüche darstellt und den Erzählfluss stark hemmt, doch das Buch soll ja nicht nur inhaltlich, sondern auch lesetechnisch unangenehm sein.
    Eine Leseempfehlung an jedermann!

    Ihrem Vater konnte Rita nie etwas recht machen, weder durch ihre Berufswahl und schon gar nicht durch ihre Heirat mit dem venezianischen Fischhändler, Ennio. Auf der Suche nach der eigenen Identität und als Flucht aus dem dominanten Elternhaus verlässt Rita das bäuerliche Südtiroler Dorf, um in der Stadt ihrer Träume – Venedig – an ihrer Zukunft zu schmieden. Nach der Hochzeit lernt sie rasch den Alltag kennen, der Flair der Stadt verliert sich, trotz aller Anstrengungen und Anbiederungen fühlt sie sich entwurzelt, heimatlos, einsam – aushäusig eben. Ennio sagt immer mehr dem Alkohol zu, die Ehe scheitert, aus Zuneigung wird Abscheu, manchmal auch Hass. Lange Zeit kann sich Rita dieses Scheitern nicht eingestehen, doch dann entschließt sie sich, nach Wien zu ihrem Bruder Anton, der ebenfalls negativ von seiner Kindheit geprägt ist und nun als Journalist versucht, Fuß zu fassen und auf eigenen Beinen zu stehen, zu flüchten.


    Abwechselnd und ohne Übergang kommen Rita und Anton zu Wort, wer gerade erzählt, ergibt sich oft erst nach mehreren Absätzen. Vergangenes vermischt sich mit Gegenwärtigem, Gefühle und Gedanken fließen in Handlungen ein. Kindheitserinnerungen werden wach, von einem dominanten Vater ist die Rede und davon, dass man ihm die Genugtuung nicht vergönnt und ihm deshalb nicht vom Scheitern der Ehe erzählt. Stakkatomäßig, fast atemlos reihen sich die Monologe aneinander, um abschließend noch einmal von einer dritten Person – quasi einem Außenstehenden - aus der Perspektive von Rita und Anton geschildert zu werden.


    Anstrengend, und oft auch verwirrend, liest sich dieses Buch. Den Gedanken ist nur schwer zu folgen und oft zermartern sie einem das Gehirn. Dennoch übt dieses Buch einen gewissen Reiz aus, was weniger auf den Inhalt als vielmehr auf den Stil des Buches zurückzuführen ist. Bücher über Befindlichkeitsstörungen, Identitätssuche und –krisen gibt es genug, da erzählt Sabine Gruber nicht viel Neues. Stilistisch lässt sie allerdings mit diesem 1996 erstmals erschienenen Roman – aufhorchen. Dieser Roman wurde jetzt - wohl aufgrund des großen Erfolges der Nachfolgeromane - neu aufgelegt. Für mich war das Lesen des Erstlings natürlich ein Muss, wenn er auch nicht so ausgefeilt und perfektionistisch ist wie ihre Nachfolgeromane „Die Zumutung“ oder das für mich persönlich überragende „Über Nacht" ist.

    Ludwig Laher schreibt sehr eindringlich und thematisiert ein sehr aktuelles Problem- die Asylpolitik. Die traurige Geschichte der Jelena - sicherlich kein Einzelfall - wird aus mehreren Perspektiven beleuchtet. Zum einen die Betroffene selber, die, als Kosovo-Serbin in ihrer Heimat zwischen die Fronten gerät, unvorstellbarer Gewalt ausgesetzt war und ihre Familie verliert.Völlig traumatisiert gelingt ihr die Flucht über die grüne Grenze nach Österreich, wird aufgegriffen und ist nun der Willkür der österreichischen Behörden ausgesetzt. Ohne Beiziehung eines Dolmetsch oder Eingehen auf ihre Traumatisierung wird über sie die Schubhaft verhängt und das Verfahren eingeleitet. Laher bedient sich mehrerer Stilmittel und spielt mit dem Begriff "Verfahren", mit dem in diesem Buch nicht nur das Gerichtsverfahren gemeint ist, sondern auch das Verfahren (=der Umgang ) mit Asylwerbern und nicht zuletzt die Situation der heimatlosen Jelena, die ebenso als "verfahren" zu bezeichnen ist.


    Zu Wort kommt ein Asylrichter, der aus seinem beruflichen Alltag erzählt ... sehr selbstgerecht, sich selber als Menschenfreund bezeichnend, weil er hin und wieder - willkürlich - einen positiven Bescheid ausstellt. Am Richtertisch entscheidet er über Leben anderer - es liegt in seinem Ermessen, ob der Mensch vor ihm (der der Einfachheit halber auf das Kürzel AW für Asylwerber, egal ob männlich oder weiblich, reduziert wird) bleiben darf oder nicht, ob dieser lügt, oder die Wahrheit sagt. Gerade dieser "Ermessensspielraum" macht die Angelegenheit so schwierig und zeigt auf, dass es hier keine Gerechtigkeit gibt, zeigt aber auch, dass den Vollstreckern unserer Gesetze die Hände gebunden sind.


    Ludwig Laher bietet keine Lösung an und deutet auch an, wie vielschichtig die Thematik ist. Er möchte aufrütteln und zum Nachdenken animieren und wehrt sich gegen die Massenabfertigung, Anonymität und völligem Fehlen von Menschlichkeit, die sich bei den Gerichten abspielt. Jeder Fall ist ein Einzelfall und ein Einzelschicksal und kann nicht pauschal beurteilt werden.


    Ein nicht einfach zu lesendes, aber sehr lesenswertes Buch!

    „Und dann gibt es Anekdoten, die ausschließlich davon leben, dass man mit den handelnden Personen vertraut ist“ – (Vorwort). Schon im Vorwort schreibt der 1935 geborene Teddy Podgorski über das Geschichtenerzählen im Allgemeinen und seine Sammlung von Anekdoten im Speziellen. Es ist eine sehr nostalgische Reise in die Vergangenheit und zugleich eine Reise zu den Wurzeln des ORF, den ich fast als „Heimat“ Podgorskis bezeichnen möchte. Sei es die Geburtsstunde der „Zeit im Bild“ oder Erinnerungen an die Sendung „XY ungelöst“, Teddy Podgorski, „Urgestein“ des ORF, war immer mit dabei und erzählt humorige, nostalgische, persönliche und teils fast skurrile Anekdoten über Polizeipräsidenten, Leichenbestatter, über Helmut Qualtinger und die Wiener Seele schlechthin. Seine Leidenschaft zu fahrbaren Untersätzen findet ebenso gebührend Niederschlag wie sein Verkehren in Wiens „In-Lokalen“ und der Theater- und Prominentenszene.


    Insgesamt ein sehr nett zu lesendes Buch, das einen Hauch von Nostalgie mit sich zieht und vor allem Lesern der älteren Generation große Freude bereiten wird.


    Teddy Podgorski, geboren 1935 in Wien, ist Rundfunkjournalist, Schauspieler, Regisseur und Autor. Er war langjähriger ORF-Mitarbeiter, u.a. der erste Redakteur der Sendung "Zeit im Bild", deren Titel er erfand, und von 1986 bis 1990 ORF-Generalintendant. Er kreierte Sendereihen wie "Greatest fights of the century", "Panorama", "Seitenblicke", "Seinerzeit", "Jolly Joker", "Universum" und "Bundesland heute". Nach seiner Tätigkeit beim Rundfunk machte er Karriere als Schauspieler und Regisseur für TV und Theater. Für seine Arbeiten wurde er u.a. mit dem Bambi, der Goldenen Kamera, dem Sport Oscar und dem Filmpreis von Oberhausen ausgezeichnet.

    Mit dem Magdalenaberg, einer Anhöhe nahe seines Heimatdorfes Pettenbach in Oberösterreich verbinden Joseph nicht nur Kindheitserinnerungen. Das Gefühl, auf der Friedhofsmauer zu sitzen und die nackten Füße an der Wand zu reiben während er in die Landschaft blickt, spürt er immer noch. Hier ist die Zeit stehengeblieben.
    Heute lebt Joseph zurückgezogen in Hallstatt, hin und wieder kommt er zurück in seine Heimat, doch immer stattet er dem Magdalenaberg einen Besuch ab, nicht zuletzt deshalb, weil sein vor 3 Jahren verstorbener Bruder dort begraben ist. Mittlerweile ist Joseph über 30 und möchte sein Studium mit einer Dokumentation über die Geschichte des Instrumentenbaus abschließen. Als ihn seine Freundin Katharina nach 2-jähriger Beziehung verlässt, fragt er nicht nach dem Grund, akzeptiert das Ende. Doch in seinem Kopf sammeln sich die losen Erinnerungssplitter an seine Kindheit, seine Beziehung zu seinem Vater, der lieber mit den Pflanzen als mit den Menschen spricht, seinem Bruder Wilhelm, der „zum Nichtreden veranlagt“ war, das sonntägliche Ministrieren das jäh ein Ende fand, überhaupt zu Ende gehende Lebensabschnitte ohne eigenes Zutun werden zum Mittelpunkt seines Denkens.


    Reinhard Kaiser-Mühlecker hat schon mit seinem Erstlingsroman „Der lange Gang über die Stationen“ Aufsehen erregt. Sein Stil wurde damals als „moderner Heimatroman“ bezeichnet, eine Bezeichnung, die ich sehr zutreffend finde. Auch „Magdalenaberg“ besticht durch die ruhige, unaufgeregte Erzählweise, die dennoch dramatisch wirkt. Die Entwicklung des Protagonisten manifestiert sich im Innehalten, im Nachdenken und wird begleitet von detaillierten Beschreibungen der bäuerlichen Umgebung, von kleinen Beobachtungen und wunderschönen Metaphern. Dieses Büchlein ist eine Offenbarung für Genussleser, und sei genau diesen wärmstens ans Herz gelegt!


    Reinhard Kaiser-Mühlecker: (amazon.de)
    Reinhard Kaiser-Mühlecker wurde 1982 in Kirchdorf an der Krems geboren und wuchs auf dem elterlichen Hof in Eberstalzell, Oberösterreich, auf. Er studierte Landwirtschaft, Geschichte und Internationale Entwicklung in Wien. Als Literat war er 2007 Stipendiat des Herrenhauses Edenkoben. 2008 debütierte er mit dem Roman «Der lange Gang über die Stationen», für den ihm unter anderem der Jürgen-Ponto-Literaturpreis und das Hermann-Lenz Stipendium verliehen wurde

    Wer ein Leben zerstört, zerstört die Welt, wer ein Leben rettet, rettet die Welt. Dieser Maxime zufolge lässt sich der Rabbiner Saul Dunkelstein von den Nazis zum Leiter der Auswanderungsbehörde befördern mit dem Auftrag, Wien zur „Auswanderungsmusterstadt“ zu machen. Was von den Juden Wiens als herber Verrat aufgefasst wird, nutzt Dunkelstein dazu, möglichst viele Juden zur raschen Auswanderung zu drängen und so vor der Deportation und dem sicheren Tod zu bewahren. Doch bald schon befindet er sich in einem unlösbaren Gewissenskonflikt: er kann nicht alle retten und muss auch Menschen für seinen Plan opfern.


    Die Rahmenhandlung dieses als „Real-Farce“ betitelten Dramas in 3 Akten könnte origineller nicht sein: es soll ein Film über die Massenvernichtung gedreht werden. Am (hollywood-ähnlichen) Filmset treffen die Schauspieler aufeinander und während auf den Drehstart gewartet wird, erinnern sich die mitwirkenden Zeitzeugen und katapultieren den Leser bzw. das Publikum in das Jahr 1938. Im Stück selber wird die Geschichte rund um die Person Saul Dunkelstein geschildert.


    Robert Schindel wertet nicht. Er überlässt es dem Leser, sich ein Bild über Dunkelsteins Motivation zu machen. Ist diese Kollaboration mit den Nazis uneigennützige Menschenliebe oder purer Egoismus zur Rettung der eigenen Haut? Ist es Verrat oder heiligt der Zweck in diesem Fall die Mittel? In einem ausführlichen Nachwort von Doron Rabinovici wird näher auf die Figur des Benjamin Murmelstein eingegangen, an die der Charakter des Saul Dunkelstein stark angelehnt ist.


    Die originelle und unkonventionelle Aufbereitung der Thematik und ein sehr persönlicher Bezug des Schriftstellers Robert Schindel machen dieses Lesedrama zu einem Lesegenuss der ganz besonderen Art!


    Über den Autor:
    Robert Schindel, geboren 1944 in Bad Hall/Oberösterreich, lebt als Lyriker und freier Schriftsteller in Wien. Für seine Publikationen ausgezeichnet mit u. a. dem Erich-Fried-Preis 1993 und dem Eduard-Mörike-Preis 2000.

    Sebastian Lukasser, jener Schriftsteller, der Köhlmeier-Leser schon aus dem Werk "Abendland" bekannt ist, begleitet seine 14-jährige Nachbarin Madalyn durch deren erste große Liebe. Eigentlich möchte er sich heraushalten, " er sei alt genug", doch das ist nicht so einfach. Seit er der damals 5-jährigen Madalyn nach einem Radunfall zur Hilfe eilte, sieht sie ihn als ihren Lebensretter und Schutzengel und lässt ihn teilhaben an ihrem Leben, er wird zu ihrer Bezugsperson, ihm schenkt sie ihr Vertrauen. Zudem sie bei ihren Eltern, die in erster Linie mit sich selbst beschäftigt sind, nicht die Wärme und das Verständnis findet, das sie braucht.


    Als sie sich in Moritz, den Jungen aus der Parallelklasse verliebt, wird Sebastian eingeweiht, die Eltern erfahren nichts. Die Liaison gestaltet sich als schwierig, Moritz ist nicht unbedingt der Traum aller Schwiegermütter; er ist bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten und nimmt es auch mit der Wahrheit nicht so genau, zudem dürfte Madalyn nicht das einzige Mädchen sein, das er auf seinem Fahrrad spazieren fährt. Doch Madalyn diese Liebe ausreden? Sebastian, selbst kinderlos, muss Stellung beziehen und das ist gar nicht so einfach .... Er macht das, was er am besten kann: er arbeitet die Situation literarisch auf, bastelt sich aus den Details, die ihm Madayln erzählt und seinen eigenen Beobachtungen ein Bild, und nähert sich allen Beteiligten schrittweise und sehr einfühlsam. Plötzlich zeigen Madaylns Eltern sympathische Seiten, und auch Moritz ist nicht nur der kleinkriminelle Angeber und Lügner.


    Wie in vielen seinen Büchern beschreibt Köhlmeier Alltagsgeschichten, Geschichten aus dem Leben, das wir kennen, bzw. glauben zu kennen. Doch Köhlmeier erzählt sie nicht alltäglich, er erzählt sie spannend, voller Menschlichkeit und Herzenswärme. Er entführt den Leser in die Straßen von Wien,nennt die Schauplätze rund um den Naschmarkt bis zur Donauinsel und auch seine - vermutlich - Lieblingsbuchhandlung wird in diesem Buch verewigt.
    Für Köhlmeier Fans ist dieses Buch ohnedies ein "Muss" und allen, die unspektakuläre, aus dem Leben gegriffene Erzählungen mögen, sei dieses Buch ans Herz gelegt!

    Es freut mich, maikaefer , dass Dir das Buch den Schrecken vor Jelinek genommen hat!
    Ich muss hinzufügen - obwohl ich mir damals (vor fast 5 Jahren :wow ) fest vorgenommen hatte, mehr von Jelinek zu lesen - es bisher noch nicht geschafft habe ... die "Klavierspielerin" subbt noch...

    Lucy : ich habe zwar den "Wassertrinker" (noch) nicht gelesen, aber viele andere Bücher von Irving. Irving ist gewöhnungsbedürftig, viele seiner Bücher sind voll von skurrilen, chaotischen Personen und Situationen. Beim "Wassertrinker" dürfte es - lt. Meinungen - besonders chaotisch zugehen.


    Mein Einstieg war "Gottes Werk und Teufels Beitrag". Es ist weniger skurril als die anderen Irving Bücher und als Einstieg sicherlich gut geeignet. Aber auch "Garp" kann ich mir gut als "Einstiegsdroge" vorstellen.

    Als Joanna Hunter sechs Jahre alt war, wurden vor ihren Augen ihre Mutter, ihre ältere Schwester und ihr kleiner Bruder grauenvoll ermordet. Das kleine Mädchen konnte sich retten, indem sie vor dem Verbrecher davonlief.
    Inzwischen ist Joanna Hunter Mitte 30, Ärztin, verheiratet und Mutter eines kleinen Sohnes. Traumatisiert von diesem schrecklichen Erlebnis in ihrer Kindheit versucht sie, sich eine eigene Familienidylle aufzubauen, was ihr auch recht gut gelingt. Doch der insgeheime Vorwurf damals nicht alles versucht zu haben, um ihren kleinen Bruder zu retten, überschattet ihr Leben.
    Als – nach 30 Jahren Haft – der Mörder ihrer Familie wieder auf freien Fuß gesetzt wird, wird Joanna Hunter von ihrer Vergangenheit eingeholt. Sie verschwindet unter sehr mysteriösen Umständen. Der Hartnäckigkeit ihres Kindermädchens Reggie – das ebenfalls eine sehr schwierige Kindheit hinter sich hat und sehr an Dr. Hunter hängt - und dem Einsatz des Detektives Jackson Brodie sei Dank, dass Mrs. Hunter wieder ihren Platz in der Welt findet.
    Was vorerst als Kriminalroman anmutet, entpuppt sich jedoch als weitschweifender Roman über die Einzelschicksale mehrerer Protagonisten, die alle schwere Verluste und menschliche Tragödien zu beklagen haben. Die Fäden der vorerst parallel geführten Handlungen kreuzen sich im Laufe des Buches immer mehr und führen letztendlich zusammen. Der Erzählstil auf mehren Zeitebenen lässt dem Leser oftmals einen „Vorsprung“ und wird ein- und dieselbe Szene im nächsten Kapitel aus einer anderen Sicht geschildert.


    Obwohl der Roman über weite Strecken hin sehr spannend ist, würde ich ihn nicht unbedingt als „Kriminalroman“ einordnen. Selbst Detektiv Jackson Brodie wird weniger in seiner Rolle als Privatdetektiv, als vielmehr in der Rolle eines Menschen, dessen Schwester einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, beleuchtet. Sehr schwer gefallen ist mir deshalb auch die Zuordnung zu einem Büchergenre.


    „Lebenslügen“ ist nach „Die vierte Schwester“ (2005) und „Liebesdienste“ (2007) der dritte Roman rund um Detektiv Jackson Brodie. Ich kenne die beiden Vorgänger-Bücher nicht und meine auch, dass es für das Verständnis von „Lebenslügen“ nicht unbedingt erforderlich ist.


    Kate Atkinson, geb. 1951 in York, studierte Englische Literatur und Amerikanistik an der Universität in Dundee. Nachdem sie in verschiedenen Berufen arbeitete begann sie in den 1980-er Jahren mit dem Schreiben. Mit ihrem Roman „Familienalbum, 1995) gelang ihr der große Durchbruch. Sie lebt mit ihren beiden Töchtern in Edinburgh.

    Auch in ihrem neuen Roman entführt uns Siri Hustvedt – wie schon in ihrem Bestseller „Was ich liebte“ - in die Künstlerszene von New York. Waren es einst die Maler, so finden wir uns in „Die Leiden eines Amerikaners“ in der Welt der Schriftsteller – direkt und indirekt - wieder.


    Der Icherzähler Erik ist Psychiater und geschieden. Er ist eine sehr sensible Person und daher gehen ihm die Probleme seiner Patienten oft näher als ihm lieb ist. Auch der Tod seines kürzlich verstorbenen Vaters nagt an ihm. Gemeinsam mit seiner Schwester Inga, die den Verlust ihres Gatten, des Schriftstellers Max, verarbeiten muss, macht er sich daran, den Nachlass des Vaters zu durchstöbern. Dabei stoßen sie auf ein Konvolut von Briefen, die tieferen Einblick in das bewegte Leben des Vaters – eines Nachkommen norwegischer Einwanderer – geben. Die Reise in die Vergangenheit des Vaters ist zugleich eine Reise in die Geschichte der USA .
    Gekonnt verknüpft Hustvedt die Vergangenheit mit der Gegenwart, spielt mit Zeitebenen und Schicksalen. Im Mittelpunkt stehen Menschen und ihre Beziehungen zueinander. So wird Eriks neu zugezogene Nachbarin, die alleinerziehende Miranda mit ihrer Tochter Eglatine, von ihrem Ex-Mann wie von einem Stalker beobachtet, Eriks Nichte Sonia trägt seit dem 11. September Ängste und traumatische Gefühle mit sich und ist unfähig, darüber zu sprechen. Die Personen in Hustvedts Roman haben allesamt Verluste erlitten und versuchen, durch das Aufspüren der eigenen Wurzeln diese Verluste zu verarbeiten und eine eigene Identität zu finden.


    Nüchtern, sachlich und ehrlich beschreibt Hustvedt ihre Personen. Die Charaktere sind keine Helden, auf Effekte und Überraschungsmomente wird verzichtet. Liebhaber von komplexen, ruhigen Familiengeschichten werden an diesem Buch Freude haben.

    Cunningham beschreibt in diesem Buch jeweils einen Tag im Leben von 3 Frauen in den Jahren 1923, 1949 und am Ende des 20. Jahrhunderts, die alle durch Virginia Woolfs „Mrs. Dalloway“ miteinander verbunden sind.


    1923 in Richmond, einem Vorort von London: Virginia Woolf schreibt den ersten Satz ihres Buches – das später „Mrs. Dalloway“ heißen wird – nieder: „Mrs Dalloway sagte, sie wolle die Blumen selber kaufen.“ Die Schriftstellerin ist auf der ständigen Flucht vor ihren Kopfschmerzen und vor dem Hören von Stimmen, die sie allmählich um den Verstand bringen. Aus diesem Grund überredete sie ihr Mann Leonard, die pulsierende Hauptstadt London zu verlassen um in Richmond zu mehr Ruhe und Erholung zu kommen. Doch Virginia ist unglücklich in Richmond, sie sehnt sich nach London zurück. Während sie die Vorbereitungen für den Besuch ihrer Schwester trifft, kreisen ihre Gedanken ständig um ihre Protagonistin Clarissa Dalloway und feilt sie den ganzen Tag am Konzept dieses neuen Werkes.


    Laura Brown ist mit dem liebevoll-biederen Kriegsveteranen Dan verheiratet und lebt mit ihrem sehr anhänglichen 3jährigen Sohn Ritchie im Los Angeles des Jahre 1949 und erwartet ihr zweites Kind. Nach außen hin muss sie sich zwingen, die von ihr erwartete Rolle als treusorgende Mutter und pflichtbewusste Hausfrau zu spielen. Doch nur sich selber gesteht sie ein, wie unbefriedigend dieses Leben für sie ist. Ihre Liebe gilt den Büchern und nimmt sie die Unpässlichkeiten ihrer Schwangerschaft zum Vorwand, um noch ein wenig länger als normal im Bett zu bleiben und Virginia Woolfs „Mrs. Dalloway“ zu lesen, der sie sich innerlich sehr verbunden fühlt. Eine enorme Todessehnsucht prägt Laura Brown und spielt sie immer öfter mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen.


    Clarissa Vaughn kauft Blumen, denn sie hat sich bereit erklärt für ihren aidskranken Freund und ehemaligen Geliebten, dem Schriftsteller Richard, der sie liebevoll „Mrs. Dalloway“ nennt, anlässlich einer Literatur-Preisverleihung eine Party auszurichten. Aufgrund der Besucherliste werden immer wieder Erinnerungen wach und lässt sie so Phasen ihres Lebens Revue passieren.


    In jeweils abwechselnden Kapiteln erzählt Cunningham vom Innenleben der Protagonistinnen, aber auch der Personen in deren Umkreis, von Liebe, Glück und Freundschaft. Ruhig, kunstvoll, formvollendet und durchdacht verwebt er die Parallelen, die sich aus den ähnlichen Situationen und Gefühlslagen der drei Frauen ergeben. Jede möchte für sich ausbrechen, fühlt sich überfordert, kann oder will das Glück nicht erkennen. Eine latente Todessehnsucht und Melancholie sowie die bekannten und wiederkehrenden Namen (Clarissa, Mrs. Dalloway, Richard) runden dieses Bild ab. Eine gekonnte Wendung zum Schluss verbindet das Schicksal der Frauen überraschend.


    Virginia Woolfs „Mrs. Dalloway“ habe ich vor längerer Zeit gelesen. Es ist sicher nicht Voraussetzung zum Verständnis für „Die Stunden“ doch jedenfalls förderlich, um in Cunninghams Buch versinken zu können. Ganz große Literatur, von mir eine echte Empfehlung!

    Anhand von 12 – stilistisch sehr unterschiedlichen - Erzählungen berichtet Arno Geiger in diesem Buch von Geschichten, die das Leben so schreibt.


    Enttäuschte Hoffnungen, verletzte Gefühle, zerbrochene Beziehungen, unglückliche Liebschaften, bilden den Inhalt dieser oft nur ein paar Seiten umfassenden Erzählungen. Arno Geiger besticht auch hier durch eine detaillierte, unglaubliche Beobachtungsgabe, prägnantem, nüchternen Stil und mit der Kunst, Alltägliches spannend und interessant zu erzählen.


    Seine Figuren sind Anti-Helden, meist erfolglose, gescheiterte Existenzen, die jedoch niemals pathetisch, klischeehaft oder trostlos wirken.


    Mir persönlich hat die Geschichte mit dem Titel „Doppelte Buchführung“ am besten gefallen. Während er in der Notaufnahme um das Leben eines 12-jährigen kämpft, verarbeitet der diensthabende Arzt seine eigene krisengeschüttelte Beziehung zu seinem Vater. In „Abschied von Berlin“ muss sich ein junger ehrgeiziger Österreicher von seinen großen beruflichen Träumen in der deutschen Hauptstadt verabschieden. Vor seiner Abreise schlägt aber nochmals seine große Stunde.


    Obwohl ich ansonsten kein Anhänger von Erzählungen bin, hat mir das Buch überraschend gut gefallen.

    Love&Romance, in welches Genre ich dieses Buch einordnen würde, ist ja nicht unbedingt mein Gebiet. Ich hatte das Buch gewonnen (der Klappentext klingt eigentlich vielversprechend), doch meine Begeisterung hält sich arg in Grenzen.


    Gänsehaut bekam ich höchstens aufgrund des völlig verkitschten Stils und des ach so einfach gestrickten Inhalts. Die Autorin bemühte sich sehr, tunlichst Wortwiederholungen zu vermeiden und möglichst einen reichen Wortschatz zu verwenden. Das Buch wirkt durch und durch künstlich und es wird eigentlich jedes Klischee bedient. Naives mittlerweile 37-jähriges Mauerblümchen angelt sich begehrten Mann, dieser betrügt sie natürlich. In ihrer Enttäuschung flieht sie zu Muttern nach England, lässt sich sogleich mit einem geheimnisvollen Mann ein, der nicht nur zufällig ihrem großen Schauspieler-Schwarm ähnelt …. Nicht zu vergessen ominöse Emails von einer noch geheimnisvolleren Kassandra, die Tag und Nacht virtuell mit Rat und Tat hilfreich zur Seite steht.


    Nix für mich, aber ich sollte mich wohl von Love&Romance Stories eher fernhalten!

    Mein Vorschlag hat zwar nur im weiteren Sinne damit zu tun, dennoch eine heiße Empfehlung: Umberto Eco - Der Name der Rose


    Kurzbeschreibung von amazon.de


    Daß er in den Mauern der prächtigen Benediktinerabtei an den Hängen des Apennin das Echo eines verschollenen Lachens hören würde, das hell und klassisch herüberklingt aus der Antike, damit hat der englische Franziskanermönch William von Baskerville nicht gerechnet. Zusammen mit Adson von Melk, seinem etwas tumben, jugendlichen Adlatus, ist er in einer höchst delikaten politischen Mission unterwegs. Doch in den sieben Tagen ihres Aufenthalts werden die beiden mit kriminellen Ereignissen und drastischen Versuchungen konfrontiert: Ein Mönch ist im Schweineblutbottich ertrunken, ein anderer aus dem Fenster gesprungen, ein dritter wird tot im Badehaus gefunden. Aber nicht umsonst stand William lange Jahre im Dienste der heiligen Inquisition. Das Untersuchungsfieber packt ihn. Er sammelt Indizien, entziffert magische Zeichen, entschlüsselt Manuskripte und dringt immer tiefer in ein geheimnisvolles Labyrinth vor, über das der blinde Seher Jorge von Burgos wacht ...

    Juni, 1940. Vor den Toren von Paris steht die deutsche Armee. Anhand von einzelnen Personen/Familien – quer durch alle Gesellschaftsschichten - wird beschrieben, wie die Betroffenen panisch ihre Habseligkeiten zusammenpacken und fliehen. Die Leute reagieren ganz unterschiedlich auf die drohende Gefahr.


    Da ist z.B. die Familie Pericand, eine sehr angesehene, wohlhabende und fromme Familie. Als die ersten Bomben fallen zeigt die Mutter ihr ganzes Organisationstalent. Tafelgeschirr, Silberbesteck, Fahrräder und sämtliche Wertgegenstände werden verstaut und ein Konvoi mitsamt den Dienstboten verlässt Paris. Anders das bescheidene Ehepaar Michaud. Sie packen nur ihre wichtigsten Habseligkeiten zusammen und machen sich zu Fuß (die Züge sind längst übervoll) auf den Weg aus der Stadt. Dabei stoßen sie auf die Ärmsten der Gesellschaft, zeigen Mitgefühl und helfen, wo sie nur können.
    Auch der bekannte Schriftsteller Gabriel Corte muss sein prunkvolles Haus mitsamt dem liebgewonnenen Luxus verlassen. Für ihn stellt der Krieg eine „Störung seines Wohlbefindens“ dar. Allerdings sieht er keine Gefahr und ist sich sicher, dass ihm sein Bekanntheitsgrad sämtliche Türen öffnen wird und er auch die Obrigkeiten für seine Zwecke einsetzen kann. Unwirsch und rücksichtslos macht er sich lustig über den „Pöbel“, der durch die Straßen von Paris flüchtet, ehe er eines Besseren belehrt wird ….


    Irene Nemirovsky beleuchtet ein breites Spektrum von Charakteren angesichts der Bedrohung der deutschen Armee, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Menschliche Abgründe, motiviert von Egoismus, Neid und Hass stehen aber einer unendlichen Menschlichkeit, Einfühlvermögen, Hilfsbereitschaft, Verzweiflung und Demut gegenüber.


    Während sich der erste Teil des Buches mit den Konsequenzen rund um den Einmarsch der deutschen Truppen im Juni 1940 beschäftigt, so steht im Mittelpunkt des zweiten Teiles ein von Deutschen besetztes französisches Dorf im Sommer 1941. In jedem Haus ist ein Soldat stationiert und hat sich die Bevölkerung damit zu arrangieren. Die Gefühle den „Feinden“ gegenüber schwanken zwischen Hass, Ablehnung, Rache, aber auch Wohlwollen, Zuneigung, sogar Liebe. Es ist sehr beachtlich und beeindruckend zu lesen, dass Nemirovsky – als Jüdin - hier keine Wertung vornimmt. Dass es keine „Guten“ und keine „Bösen“ gibt und sie zum Teil sehr hart und schonungslos mit ihren französischen Landsmännern ins Gericht geht.


    Das Buch wäre als 5-teiliges Werk geplant gewesen, leider konnte Irene Nemirovksy nur 2 Teile fertigstellen. Sie starb im August 1942 in Auschwitz. Das Manuskript zu „Suite Francaise“ wurde von ihren Töchtern gerettet, entziffert und veröffentlicht. Im Anhang des Buches angeschlossene Tagebuchaufzeichnungen und Notizen zu „Suite Francaise“ geben einen eindrucksvollen Einblick in ihr Vorhaben, ihre Motivation zu diesem wahrlichen Meisterwerk und den geplanten Inhalt der weiteren 3 Teile. Ebenfalls angeschlossen ist ein Konvolut an Korrespondenz in den Jahren 1936 bis 1945 sowie ein sehr berührender Aufsatz über das Leben der Irene Nemirovsky, verfasst von Myriam Anissimov.


    Ein ganz beachtliches, großartiges Buch, ein außergewöhnliches Sittengemälde, wohl mein Highlight 2007!

    Wie alt muss jemand sein, um Richtig und Falsch zu unterscheiden?
    Die jüngste Tochter der angesehenen Familie Tallis ist 13 Jahre alt, ihre ausufernde Fantasie und das eigene pubertäre Gefühlsdurcheinander lassen sie aus einer Beobachtung falsche Schlüsse ziehen und auf diese Weise zerstört sie das Leben von drei Personen nachhaltig.


    Wer McEwans Stil kennt weiß, dass solche Geschichten vermeintlich beiläufig und harmlos beginnen. Unterschwellig allerdings erreicht den Leser die Botschaft des Tückischen, der subtilen Spannung die sich stetig steigert. Ist der erste Teil des Buches auf die Innenperspektive der Beteiligten gerichtet, so wird in den beiden anderen Teilen der Krieg mit all seinen Konsequenzen sehr realistisch, bedrückend und eindringlich geschildert.
    Sehr berührend – und überraschend - ist für mich das Nachwort der mittlerweile 77-jährigen Briony, ihr Rückblick auf das gescheiterte Leben, die Erklärung ihres Versuches der Wiedergutmachung.


    Ein absolut lesenswertes Buch! Ein genialer 1. Teil, hervorragender 2. und 3. Teil!


    Etwas skeptisch stehe ich dem Film gegenüber, der nun seit Kurzem in den Kinos läuft. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich - wie so oft - die Geschichte auf die Love-Story beschränkt. Es ist für mich schwer vorstellbar, die Botschaft dieses Buches filmisch halbwegs zu transportieren. Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren .....