Maryna Lewycka - Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch

  • A Short History of Tractors in Ukrainian


    Über die Autorin
    Marina Lewycka wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Kind ukrainischer Eltern in einem Flüchtlingslager in Kiel geboren und wuchs in England auf. Sie ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter, lebt in Sheffield und unterrichtet an der Sheffield Hallam University. Dies ist ihr erster Roman, der in England zu einem Riesenerfolg wurde, ein begeistertes Echo bei Presse, Buchhandel und Lesern hervorrief und die Bestsellerliste im Sturm nahm.


    Kurzbeschreibung
    Das Übel trägt einen Namen: Valentina! -- Seit die vollbusige, wasserstoffblonde Ukrainerin in Vater Nikolais Leben trat, schwebt der 84-Jährige Witwer im siebten Testosteron-Himmel. Der Alte verfasst selbstgefertigte Gedichte, lässt die Wohnung vergammeln und trägt Spendierhosen in Übergröße. Lediglich die „Hydraulik“ gewisser Körperpartien bereitet ihm Kummer. Was Wunder, zählt die Angebetete gerade mal süße sechsunddreißig. Nikolais verfeindete Töchter Vera und Nadeshda (die Ich-Erzählerin des Romans), riechen den Braten der Scheinehe zum Zwecke der Einbürgerung und beginnen sich ums väterliche Erbe zu sorgen.


    Meine Meinung.
    Was für ein Buch ist das denn? SOWAS hab’ ich ja noch nie gelesen.


    Der Einband sieht aus wie Packpapier, das Coverdesign erinnert an sozialistische Plakatwerbung und der Inhalt... nun ja, kommen wir zum Inhalt:


    Valentina, Mittdreissigerin und Ukrainerin, heiratet den über 80-jährigen Nikolai zum Zwecke der Einbürgerung. Dafür würde sie sogar über Leichen gehen. Das ist eigentlich fast schon die ganze Handlung. Eigentlich. Doch dann treten Nikolais beide Töchter auf den Plan, die nicht ganz zu Unrecht befürchten, Valentina hätte es nur auf Nikolais Geld abgesehen.


    Die Sorge um ihren Vater (und das Erbe) bringt die beiden sogar dazu, nach Jahren wieder miteinander zu reden und sie beschließen, ihren Vater aus den Klauen dieser gierigen Schlampe zu befreien. Vor allem, nachdem sich herausstellt, daß diese ihren Ehemann beschimpft und auch schlecht behandelt – bis hin zur Mißhandlung.


    Ab diesem Punkt wird das Buch schräg und überaus turbulent: Es ist wahrhaft abenteuerlich zu lesen, was die Töchter alles unternehmen, um die Ausweisung Valentinas und die Annullierung der Ehe zu erreichen. Im Gegenzug erfahren wir aber auch, mit welch raffinierten Methoden Valentina dies zu verhindern trachtet.


    Zwischen allen Fronten Nikolai, sehr schrullig und tüdelig – aber nur halb so senil, wie er manchmal den Eindruck vermittelt . Wie ein Fähnchen im Wind will er mal dies und mal das. Der alte Mann tut einem leid und dennoch denkt man sich: Selber schuld! Warum hast Du Dich auch mit ihr eingelassen? Warum gibst Du ihr auch immer wieder Geld? Warum hörst Du nicht auf Deine Töchter?


    Es gibt Szenen, da schwankt man zwischen Lachen und Entsetzen:
    „Was ist mit Deinem Kopf, Vater?“
    „Ach, das war Valentina. Nachdem es ihr nicht gelungen ist, mich unzurechnungsfähig erklären zu lassen, hat sie versucht mich umzubringen“


    Ein Kampf mit harten Bandagen wird geführt – es wird an allen Fronten spioniert, kontrolliert, belauscht. Ich kann hier gar nicht schreiben, was für Kreise diese unselige „ukrainische Affäre“ alles zieht. Aber das will ich auch gar nicht. Schließlich sollt ihr das Buch ja selber lesen.


    Das Buch dreht sich aber nicht allein um die Geschichte von Nikolais zweiter Ehe. Wir erfahren, immer wieder eingestreut, auch ganz viel über seine erste Ehe mit Milla, der Mutter von Vera und Nadia. Wir erleben mit, wie die beiden in Rußland verfolgt wurden und was sie alles während des Krieges erdulden und erleiden mußten. Wir erfahren viel aus Veras Kindheit. Vera, das Kriegskind, das kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges geboren wurde. Und von Nadia, dem Friedenskind, das zehn Jahre später auf die Welt kam. Wir lesen und können uns zusammenreimen, wie die Personen so wurden, wie sie wurden. Zwischendurch sind auch immer wieder Passagen aus Nikolais Lebenswerk über die Traktoren eingestreut.


    Um hier noch mal auf meinen Eingangssatz zurückzukommen:


    Was für ein Buch ist das denn? SOWAS hab’ ich ja noch nie gelesen


    Es ist ein lustiges Buch. Ein verrücktes. Und ein ernstes. Ein trauriges. Ein schönes. Und auf jeden Fall: Ein sehr lesenswertes!

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

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  • @ Batcat


    Ich fürchte, dass ich mich gleich sehr unbeliebt machen werde. Bis jetzt habe ich ca ein Drittel gelesen und finde es eher ein bisschen langweilig. Ich hätte mich gefreut, wenn es eine ordentliche "Schlammschlacht" geben würde.


    Deine Rezi selber hat mir sehr gut gefallen,

    Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht. (Abraham Lincoln, 12.02.1809 - 15.04.1865)

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  • Jetzt weiß ich immer noch nicht, ob ich mir das Buch holen soll, oder nicht.
    Hat es noch jemand gelesen und kann seine Meinung schreiben?

    ... Liebe, die, weil sie nie genung bekommt,
    stets schon im Augenblick lebt, der noch kommen wird.
    Marcel Proust

  • danke, Bat, für die toll geschriebene Rezi! :knuddel1


    Zitat

    Original von Batcat
    Was für ein Buch ist das denn? SOWAS hab’ ich ja noch nie gelesen.


    Der Einband sieht aus wie Packpapier, das Coverdesign erinnert an sozialististische Plakatwerbung


    GENAU das ging mir auch durch den Kopf, als ich das Buch jetzt schon in mehreren Zeitschriften empfohlen gesehen habe! :wow


    Aber die Rezi macht mich jetzt schon an... Bat, Du machst mich arm! :cry :lache

  • Obwohl ich Batcats Rezi sehr reizvoll finde, werd ich mir das Buch nicht kaufen, weil ich weiß, daß ich Dinge, die Batcat ganz toll findet, eben auch schon mal etwas langweilig finde. :grin
    Aber ich werde mal reinlesen, weil eigentlich interessiert es mich doch. :lache

  • Wunderbare Rezi. :anbet


    Am Anfang der Rezension wusste ich nicht, ob ich mir so ein Buch antun soll. Schließlich liest sich die Rezi so, als würde ich permanent das dringende Bedürfnis verspüren, den alten Mann anzubrüllen. Das wiederum würde auch meine Familie etwas irritieren, obwohl sie inzwischen schon unkontrollierte Gefühlsausbrüche aus der Sofaecke gewohnt ist.


    Dieser Satz hier:


    Zitat

    Es ist ein lustiges Buch. Ein verrücktes. Und ein ernstes. Ein trauriges. Ein schönes. Und auf jeden Fall: Ein sehr lesenswertes!


    ist gerade dabei, mich umzustimmen. Ich denke darüber nach.

  • Danke, danke! *rotwerd*


    Idgie,


    ich kann Dir aber versichern: Du möchtest nicht nur den alten Mann anbrüllen. Du würdest auch der pinkfarbenen Nylonschlampe gerne ein paar Worte mit auf den Weg geben! :grin

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Na wunderbar! Ich sollte also einen Zeitraum seelischer Entspannung, vielleicht während des Urlaubs wählen, damit ich einigermaßen gefestigt an so ein Werk gehen kann. :lache

    Lieben Gruß Idgie



    Erst wenn man viel gelesen hat, lernt man wenig Bücher schätzen.

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  • Gestern habe ich zum ersten Mal Titel und Inhaltsangabe gelesen und mußte schon lachen. Das Buch ist auch noch originell gemacht. Schön.


    Habe mich richtig gefreut, hier mehr darüber zu lesen und muß es haben. Danke!

  • Das ist ein wirklich gutes Buch, von mir auf der unbedingt-nochmal-lesen-Liste bereits vorgemerkt.


    Batcats Ausführungen ist ja eigentlich wenig hinzuzufügen, aber mich hat sehr das geschwisterliche Gespinst aus Rivalität und doch gemeinsamen Interessen beeindruckt, außerdem die Frage, wieweit sich eigentlich Kinder in das Leben ihrer Eltern einmischen dürfen, wo die Grenze zwischen Verantwortung und Bevormundung verläuft.


    Und der Rosaroten hätte ich teilweise gerne einen Tritt verpasst, finde es aber besonders charmant, dass mir das Buch das wieder ausgeredet hat.


    Also: unbedingt lesen! :-)

    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das nicht allemal das Buch.
    Georg Christoph Lichtenberg