Sind wir Leser zu leichtgläubig?

  • Hi Rattentod,


    die Menschheitsgeschichte wird oft mit Legenden, Mythen und Sagen vermischt. Leider ist diese Problematik sehr diffus.


    Dass Luther seine Thesen selber angeschlagen hat, tja, dass ist so eine typische Legende. Das ist wie die Stille Post: Am Anfang wird noch die Wahrheit gesagt, am Ende kommt etwas ganz anderes heraus, weil weggelassen und hinzugedichtet wird, damit es dramatischer wirkt. :grin :grin


    Luther hat definitiv seine 95 Thesen nur einfach ein paar Mal selber publiziert, nicht mehr und nicht weniger. ;-)


    Nun, ich halte nicht viel vom Geschichteunterricht, obwohl er doch so wichtig wäre. Ich hatte einen guten, und einen sehr schlechten Geschichtelehrer in meiner Schulzeit.


    Es gibt leider viele schlechte Schulbücher, die einfach jene Klischees bedienen, die noch immer herumgeistern. Schlechte Lehrer nehmen kritiklos diesen Schund für ihre Einheiten, während gute Lehrer sehr wohl überlegt historische Fakten unterrichten.


    mfg

  • Hallo Dyke


    Zitat

    Original von dyke
    Gerhard Prause in seinem Buch "Niemand hat Kolumbus ausgelacht" - Fälschungen und Legenden der Geschichte richtiggestellt" das seit 1966 immer wieder erweitert und ergänzt aufgelegt wird, den Thesenanschlag als Wunschdenken erklärt. Lt. Prause gibt es keine zeitgenössische geschichtliche Quelle dafür.


    Auch Prause ist wieder anderen Mythen aufgesessen, die in späteren Auflagen tw. korrigiert wurden. Hinzukommt das Problem, dass die Mehrheit der mittelalterlichen Dokumente Fälschungen sind ...
    Es ist überhaupt ein Riesenproblem, dass in der Forschung Wissenschaftsgeschichte und Hermeneutik eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Und unter dem massiven kulturellen Einfluss der USA auf die Entwicklung Wuropas und nicht zuletzt auf die der Universitäten verdrängt diesen unendlichen wichtigen Bereich einer sich selbst reflektierenden Wissenschaft völlig aus dem Bewusstsein.
    Ebenso wie Experimente hat auch geisteswissenschaftlichen Forschung nur unter kontrollierten Bedingungen Relevanz - ansonsten ist es Pfuscherei.


    Zitat

    Und was empfiehlst du dann??


    Ich arbeite vorwiegend mit dem leider ebenso teuren wie riesigen Lexikon des MIttelalters (s.u.). Da kann man nämlich die Quellen genauestens hinterfragen.


    Ordentliche Einführung sind:


    Unser größtes Problem im Umgang mit dem Mittelalter ist, dass uns unentwegt unsere eigene Vorstellung von Begriffen wie "Mensch", "Mann"-"Frau", "Freiheit", "Individuum" etc. im Weg stehen.
    Z.B. ist Geschlechterdifferenz, d.h. die Frage nach dem Wesen und der Bedeutung von "weiblich" und "männlich" ganz anders geartet als heute. Es gab keine Vorstellung von einer biologisch-genetischen Determinierung (wie z.B. durch das Genom), sondern diese Eigenarten wurden auf der Basis einer natürlichen Ausformung des Körpers im jeweiligen Verhalten des Menschen gesehen. Eine intellektuelle Nonne hatte nach dieser Vorstellung einen "männlichen" Geist. ;-)


    Herzliche Grüße,


    Iris :wave

  • /me sich an der Diskussion einfach nicht mehr beteiligt, weil sie sie für müssig hält.....


    Allerdings wüßte ich dennoch gerne, welche Bücher His denn nun für GUT hält.... weil Titel hat er da ja immer noch nicht genannt...

  • Zitat

    Original von Babyjane
    Allerdings wüßte ich dennoch gerne, welche Bücher His denn nun für GUT hält.... weil Titel hat er da ja immer noch nicht genannt...


    Doch hat er, mehrfach!
    Z.B.:

    Zitat

    Im Thread Historische Romane schrieb Historikus:
    Ein positives Beispiel:


    Rebecca Gables "Das zweite Königreich" handelt eigentlich aus der Zeit von William, dem Eroberer. Sie wird erzählt durch die Geschichte von Caedmon of Helmsby, der als Sohn eines kleinen Anführers innerhalb von wenigen Jahren zum Hof von William kommt und dort alles hautnah miterlebt.
    Menschheitsgeschichte ist die Grundlage eines Historischen Romans. Fiktion muss natürlich etwas im Spiel sein, zB die Hauptfigur Caedmon. Aber wie die Menschen damals lebten, hausten, aßen und kämpften, dass muss geschichtlich stimmen.


    Das ist lebendige Geschichte, und das ist ein brillianter Historischer Roman. "Das zweite Königreich" ist meiner Meinung nach der momentan beste Historische Roman im deutschsprachigen Raum.


    Etwas weiter unten liefert er dann eine ganze Liste:



    Also ... so ganz trifft dein Vorwurf nicht, Sweet Baby Jane! :grin :grin
    Liebe Grüße an den Temperamentsbolzen aus der Kölner Bucht! :knuddel1


    Iris :wave

  • Sorry, aber im Historische Bücher Thread hab ich nicht mitgelesen....


    außerdem ging es hier ja nicht um historische Bücher, sondern um Bücher allgemein.... Und die würde ich gerne wissen... bei den historischen kann ich nämlich nicht mitreden, da mich Geschichte nicht im geringsten interessiert..... und ich keinen Sinn darin sehe, mir Jahreszahlen zu merken, wenn ich mein Hirn mit (für mich) sinnvolleren Infos füttern kann....
    (ist kein Angriff, jeder hat nun mal andere Interessen.....)

  • Huch - Die Frage war gut - die Diskussion ist aber wieder mal schwierig.


    Ich frage mich, seit ich die Diskussion um die Päpstin verfolge ( seit 1999 -oder wann erschien sie?) wie weit muss ich denn selber recherchieren, wenn ich einen Roman für gut halten möchte. Aber da ist das Problem, das sicherlich auch einige andere haben.


    Ich lese um unterhalten zu werden, und um ein wenig zu lernen. In der Hoffnung lese ich, auch um mir die Geschichtsbücher zu ersparen. Nach der Diskussion scheint es mir dass ich eigentlich doch diese trockenen Geschichtsbücher lesen sollte? - Nein - Will ich nicht.


    Nichts desto trotz lese ich weiter historische Romane und freue mich, wenn sie mich unterhalten. Freue mich nochmehr, wenn mir die Autoren eröffnen, wo sie sich Freiheiten erlaubt haben. Wenn aber schon die Quellen unterschiedlich sind, und gefälscht wurden - woran kann sich denn dann ein Autor und auch ein Leser orientieren? Darf er ein Buch für gut halten, wenn er keine Ahnung von der Zeit hat? - Oh je- und dabei wollen die meisten doch nur lesen ....


    Gelungen finde ich den Part der Homepage von Ken Follett, bei dem er aufschreibt, welche Fehler ihm unterlaufen sind, z.B. irgendein Volvo, den es noch gar nicht gab usw. - Da gibt es jemand zu - finde ich ok.


    Und bei mir sind es oftmals diese Kleinigkeiten, die mich stören. Z.B. frage ich mich seit ich R.Pilchers Heimkehr begonnen habe, ob es vor dem 2. Weltkrieg schon ein Mini-Fahrrad gegeben hat. Vielleicht ist es ja uch nur ein Übersetzungsfehler - grrrrrr


    Andereseits habe ich mich tierisch geärgert, dass in Anne Chaplets 'Die Fotografin' eine Hasselblad-Kamera als Kapiteltrenner benutzt wird, obwohl die Geschichte von einer Leica handelt ( einer völlig anderen Kamera - für die Nicht-Kamerafachleute) . Danach hab ich von Frau Chaplet die Antwort bekommen, dass sie sich auch tierisch aufgeregt habe - Der Verlag meinte, die Hasselblad wäre viel einfacher als besondere Kamera zu identifizieren ... - soviel zu Iris Bemerkungen von Verdummung, Verlagen und Häuptingen in entscheidenden Etagen ...


    Solche Kleinigkeiten regen mich oftmals mehr auf, als die Disk um die Päpstin u.ä. . Ich hatte die Hoffnung, das His auch auf solche Dinge aufmerksam machen wollte ... Und nicht wieder auf dem alten Thema herumhacken wollte.


    :gruebel

    Binchen
    :write
    Kein Lesen ist der Mühe wert, wenn es nicht unterhält. (William Somerset Maugham) ;-)

  • Liebe Biene,


    ich wollte auf alles aufmerksam machen, nicht nur auf die Sache mit der Päpstin.


    Ich denke generell, dass wir überall zu unkritisch sind, auch wir Leser. Unterhaltung ist nicht alles. :grin


    mfg

  • Zitat

    Original von Historikus
    Unterhaltung ist nicht alles.


    Du wirst aber kaum bestreiten können (oder doch?), dass solche Erfolge, wie die Päpstin viel mehr Leser wieder auf den "Historischen Roman" aufmerksam und diesen populärer gemacht haben. Das dabei natürlich viel Unsinn verzapft wird steht mittlerweile ja ausser Frage. Deswegen Danke an die zahlreichen missionarischen Aufklärer hier. Und das meine ich nicht so negativ, wie es sich liest. Ehrlich.


    Und ich stehe, wie gehabt, auf dem Standpunkt: ein Roman muss zuallererst unterhalten, danach kommen die Fakten. In einem Sachbuch müssen erst die Fakten stimmen, danach darf es gerne noch unterhaltend geschrieben sein. Ende der Durchsage. :-)


    Gruss,


    Doc


  • Weil das nicht zwingend für ein gutes Buch erforderlich ist. Kein Mensch würde auf den Gedanken kommen Tolkien fehlende Fakten zu unterstellen. Ebenso bei Heinlein oder Egar Allen Poe. Was soll also dieser teilweise überzogener Eifer bei solchen Romanen? Nur weil der Aufkleber historisch darauf prangt und sich das mit dem Label eben besser an den Mann bringen lässt, als mit dem Hinweis Fantasy?
    Ich finde, man kanns auch übertreiben.


    Gruss,


    Doc

  • zwingend finde ich es nicht.
    man sollte eben die betittelung des historischen romanes nicht so ernst nehmen. ein buch könnte als fantasie gedacht gewesen sein aber der verlag meinte es verkauft sich besser als historischer roman und schon wurder es das.
    wundern würde es mich zumindest auf keinen fall.
    gut ich hab am anfang auch gern einiges geklaubt aber ich weiß jetzt das man nicht alles glabuen darf. und es ist eben alles nicht so genau.
    sicher man könnte es verbinden aber es tut nich jeder.
    wohl zu viel arbeit..

  • Hallo Doc,


    sorry, du verstehst mich nun schon zum tausendsten Male falsch :grin


    Zitat

    Kein Mensch würde auf den Gedanken kommen Tolkien fehlende Fakten zu unterstellen. Ebenso bei Heinlein oder Egar Allen Poe.


    Bitte sei nicht kleinlich. Wir müssen jetzt nicht jeden einzelnen Autor und jedes einzelne Buch herauspicken, um zu zeigen, dass Fakten allgemein nicht wichtig sind.


    Es ist doch klar, Tolkien (Fantasy!!!?!!), Heinlein und Poe mit unserer Thematik jetzt nichts zu tun haben, oder?


    Zitat

    Was soll also dieser teilweise überzogener Eifer bei solchen Romanen?


    Was heißt bei solchen Romanen???


    Ich spreche allgemein, dass kann sich nicht auf jedes Buch beziehen. Ich spreche insbeondere von Krimis, Thriller, Historische Romane, etc. Ausnahmen mag es in jedem Genre geben, ist doch logisch.


    Warum der Eifer?


    Ist es nicht so, dass die Realität immer mehr aufgrund der Unterhaltung egal ist? Wird Unterhaltung nicht oft unbeabsichtigt und unbewusst mit "richtig" bzw. "wahr" gleichgestellt?


    Ich denke eben nicht, dass Unterhaltung alles ist. Sorry, Unterhaltung ist natürlich die Grundeigenschaft eines guten Buches, kleine Fehler sind mir auch egal, aber es Häufen sich in den Büchern immer mehr falsche Fakten und Argumente, und wenn sie halbwegs geschickt rübergebracht werden, werden sie von der Mehrheit geglaubt. Siehe Michael Moore und Co.
    Das ist für mich eine Verblödung und Verdummung der Gesellschaft, vor der niemand gefeilt ist. WIR sind alle Opfer. Solange uns das egal ist, geht es mit uns leider abwärts ...


    mfg

  • Hallo,


    Bei mir ist das schon so, dass ich oft Bücher lese, um etwas zu lernen, zum Beispiel wie Menschen in einer anderen Zeit gelebt haben, oder in einem anderen Land und dann wünsche ich mir natürlich auch, dass die Information einigermaßen richtig ist. Ich würde mich aber niemals nur auf eine Quelle verlassen. Auch nicht, wenn es ein Fachbuch ist. Nur weil irgendwo Fachbuch draufsteht, heißt das noch lange nicht, dass alles richtig ist.


    Geht es in Deiner Frage eigentlich nur um (sogenannte ;-) ) historische Romane, Historikus, oder auch andere Bücher? Ich konnte nämlich die ganze Aufregung nicht so recht nachvollziehen, aber mir ist gestern ein Buch eingefallen, über das ich mich mindestens genauso aufregen könnte, wie Du Dich über „Die Päpstin“. Und zwar „Nicht ohne meine Tochter“ von Betty Mahmoody. Das Buch wird als Erfahrungsbericht verkauft, was irgendwie schon suggeriert, dass die Autorin „es ja wissen muss, weil selbst erlebt“. Gerade in Deutschland haben die Leute das Buch damals (so Ende der 80er Jahre) in Massen verschlungen und ich möchte nicht wissen, wie viele Leute ihr Wissen über den Iran und die Menschen, die dort leben, einzig und allein aus diesem Buch gezogen haben. Also das ist auch so ein Buch von dem ich sagen würde, dass es ganz gezielt vorhandene Vorurteile bedient. Ich hab mich damals totgesucht, um noch andere Informationen zu finden, weil mir das einfach alles extrem einseitig vorkam. Also, nö, ich bin nicht zu leichtgläubig.


    Lg Iris :wave