Sind wir Leser zu leichtgläubig?

  • Delfin,


    siehste, du hast mit "Nicht ohne meine Tochter" so ein tolles Beispiel geliefert. Warum glaubst du, haben so viele Menschen gedacht, dass muss wirklich "da unten" so zu gehen ...


    Das ist ein großes Problem, und deshalb spreche ich es hier an.


    mfg

  • das ist ja genau das problem, was historikus anzusprechen versucht!


    die leute sind von einem buch begeistert - weil sie gut unterhalten wurden - und am ende bleiben erinnerungen aus dem buch hängen, die im kopf immer mehr auch als wahrheit statt 'nur' unterhaltung angesehen werden. ist ja auch klar! gerade besonders beeindruckende bilder, beschreibungen bleiben hängen - an die erinnert man sich. da kommen assoziationen auf, wenn man in einem anderen zusammenhang wieder mit dem thema konfrontiert wird.


    bei reiner unterhaltung wie tolkien, poe (und was alles so oben angesprochen wurde) spielt das vielleicht keine rolle, aber gerade bei so einem buch wie 'nicht ohne meine tochter' ist das brisant, weil es uns ein bild von einem land, von einer kultur vermittelt, das so nicht unbedingt stimmt...aber dadurch auch unsere einstellung gegenüber solchen kulturen prägt.


    ich habe das glück, dass ich mit unheimlich vielen ausländischen studenten in kontakt gekommen bin. da bekommt man einen guten einblick - und nicht immer nur positive...
    aber meine mutter hat zum beispiel auch dieses oben genannte buch gelesen - und was meinst du, was ich da schon für diskussionen erlebt habe!


    bo

  • Auch ich mache mir Sorgen um die momentan "Kultur" im Allgemeinen und die "Konsumangebote" im Besonderen...
    Meine Meinung: ich lese gerne und viel. Wenn ich Romane lese, dann können da wirklich alle Sachen rein - Fantasy, Fiction.. whatever.
    Wenn das Buch aber einen Geschmack von historischem hat oder auch ein Sachbuch ist muss es einfach richtig sein.


    Da gibt es kein Wenn und Aber für mich. Ich recherchiere sehr gerne und denke nach, ob das nun stimmt oder nicht. Ich hole mir Hintergrundinformationen - weil es für mich wichtig ist. Im Unterhaltungssin im Allgemeinen und im Allgemeinwisse im Besonderen..


    Wenn ich merke, da stimmt etwas nicht, schmeiß ich das Buch in eine Ecke und bin erstmal richtig wütend. (aber dann lese ich es meistens doch..)

  • Zitat


    Den Artikel finde ich - offen gestanden - teilweise arg irreführend.


    In hübsch stoischer Tradition (der olle Seneca grinst um die Ecke) wird ein unvereinbarer Gegensatz zwischen Denken und Emotion aufgemacht, der uns suggerieren will, dass wir immer da, wo wir emotional beteiligt sind, irrational sind und damit blind und manipulierbar.
    Stoiker sind Spielverderber - und in meinen Augen üble Betrüger! Sie behaupten nämlich, dass der Mensch jede Emotion in sich abtöten muss, sonst ist er nur ein Tier und hat sein Leben eigentlich verwirkt. (Und Frauen seien ohnehin nur Tiere, da von Natur aus "emotional". :pille)


    Ähnlich hanebüchen kontrastiert auch Norbert Bolz Denken und Emotion - nun, der Artikel nennt sich "Essay", also "Versuch", und diesen Versuch betrachte ich als misslungen.


    Richtig ist der Rahmen: Man pumpt uns voll mit Klatsch und Tratsch. PR/PÖ hat einen Stellenwert bekommen, der ihr eigentlich nicht zusteht. Vielleicht ist es Bolz lieber, diese "Emotionalisierung" tobt wieder "nur" im Untergrund der Frauenwelt zwischen Heim, Kirche/Supermarkt und Friseur?


    Es geht doch eigentlich nicht grundsätzlich um das Für und Wider von Emotionen - wer von uns möchte denn in einer rationalistischern (=rationalisierten) Welt von arktischer Kälte leben?
    Es geht darum, dass eine triviale Moral des "common sense" mittels breit ausgewalzter Emotionen (im Stile von Hedwig Courths-Mahler) durch die Massenmedien in die Privatwelten flimmert - eine Moral, die gesteuert wird von den Bedürfnissen der Betreiber eben dieser Massenmedien. Und diese Bedürfnisse sind ziemlich rational: Geld, Geld, Geld.


    Was Bolz übersieht: Wir leben bereits in der Welt, die er sich ersehnt, der Welt eines eiskalten Rationalismus (man nennt es ja auch Rationalisieren, wenn Menschenleben aus wirtschaftlichen Erwägungen - i.e. niederen Beweggründen - zerstört werden).


    Es wäre weitaus sinnvoller, wenn man sich von dieser unheilvollen Tradition abwenden würde. Die Emotion als die Realisation des Denkens im Körper (i.e. die eigene körperliche Reaktion auf diesen) ansehen würde und nicht als etwas, was in einem unvereinbaren Widerspruch zum Denken stünde. Aber das ist eine ganz andere Geschichte ...


    Das war das philosophische Wort zum Mittwoch. <seufz>


    Iris :wave

  • Zitat

    Original von Iris
    In hübsch stoischer Tradition (der olle Seneca grinst um die Ecke) wird ein unvereinbarer Gegensatz zwischen Denken und Emotion aufgemacht, der uns suggerieren will, dass wir immer da, wo wir emotional beteiligt sind, irrational sind und damit blind und manipulierbar.


    Und genau das, will uns Historikus hier unterjubeln: damit ein Buch gut unterhält, müssen Fakten stimmen, sonst wird man für dumm verkauft. Das der Leser mündig genug ist zwischen Fiktion und Fakt zu unterscheiden oder sich nicht in einem Roman informieren zu wollen, spricht His ja den Leuten ab - und das ist das Verwerfliche.


    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Und genau das, will uns Historikus hier unterjubeln: damit ein Buch gut unterhält, müssen Fakten stimmen, sonst wird man für dumm verkauft.


    O, lieber Doc, glaube mir, wir werden oft für dumm verkauft - auch von Verlagsmenschen -, und es geschieht immer durch denselben Typ des Shareholder-Junkies, der sich selbst - wie üblich bei Süchtigen - erhaben wähnt und alle anderen für Idioten hält.


    Du weißt, dass ich His in einem Punkt auf der ganzen Linie zustimme, nämlich: Wenn ein Roman um der Verkaufszahlen willen Mist verbreitet (z.B. alte Märchen aufwärmt, falsche Ideologien propagiert etc.), dann ist der Roman Mist - da helfen keine schwärmerischen Rezensionen und Leserstimmen. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass faktische Mängel immer mit handwerklichen (stilistischen, erzählerischen, dramaturgischen) Mängeln einhergehen.


    Es geht mir auch nicht um die Emotionalität eines Textes; ich erachte Emotionen nicht als etwas Negatives, und ich spiele selbst sehr gerne auf der Klaviatur der Emotionen meiner LeserInnen - bloß in einer anderen Tonart als viele. :grin


    Zitat

    Das der Leser mündig genug ist zwischen Fiktion und Fakt zu unterscheiden oder sich nicht in einem Roman informieren zu wollen, spricht His ja den Leuten ab - und das ist das Verwerfliche.


    Ich habe kein Posting gesehen, wo er es den Leuten definitiv die Urteilsfähigkeit abspricht - allerdings mehrere, in denen er LeserInnen den Vorwurf macht, Büchern bedenkenlos Glauben zu schenken (d.h. die eigenen Urteilsfähigkeit gar nicht erst zu benutzen), solange die Message nur die eigene Vorstellungswelt bestätigt, möge letztere noch so falsch sein!


    Um ein vielgeschmähtes Beispiel aufzugreifen: Der Erfolg der "Päpstin" liegt nicht an der Klasse des Romans (vom handwerklichen Aspekt der Schreibtechnik, vom literarischen Wert her und von der Recherche her ist dieser Roman extrem dürftig!), sondern daran, dass er ein neuzeitliches Emanzipationsschicksal in eine mythische Vorzeit transportiert: "Ach wie furchtbar, schaut mal, das ist schon immer so gewesen: Böse Männer, die (uns) Frauen das Leben zur Hölle machen!"


    Ich weiß, dass das ein knüppelhartes Urteil ist, ich selbst sitze ja eigenen Vorurteilen immer wieder auf, aber ich bemühe mich, sie immer wieder zu überdenken und zu überprüfen. Dazu haben wir doch unsere Urteilsfähigkeit - nicht dafür stolz drauf zu sein, sie zu besitzen, sondern um sie zu benutzen!


    Mist, schon wieder ein Sermon! :bonk
    Ich halte jetzt die Finger still!


    Liebe Grüße,


    Iris :wave

  • Zitat

    Original von Iris
    O, lieber Doc, glaube mir, wir werden oft für dumm verkauft...


    Das ist ja auch unbestritten. Nur His unterstellt ja den Leuten eben jenes kritiklos hinzunehmen oder erst gar nicht zu merken.


    Zitat


    Du weißt, dass ich His in einem Punkt auf der ganzen Linie zustimme, nämlich: Wenn ein Roman um der Verkaufszahlen willen Mist verbreitet (z.B. alte Märchen aufwärmt, falsche Ideologien propagiert etc.), dann ist der Roman Mist - da helfen keine schwärmerischen Rezensionen und Leserstimmen. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass faktische Mängel immer mit handwerklichen (stilistischen, erzählerischen, dramaturgischen) Mängeln einhergehen.


    Der Punkt sei Dir und His doch auch unbenommen. Doch "gut" oder "nicht gut" liegt eben allein im Sinne des Betrachters/Lesers und nicht in den Händen von "fanatischen" Historikern - anders, als bei "korrekt" oder "nicht korrekt". Da könnten wir uns genauso über Kunst streiten. Jeder hat eine eigene Wahrnehmung und die lasse ich mir nicht absprechen.


    Wenn jemand Jerry Cotton liest, das für einen Ausbund an literarischer Höchstleistung hält und dann noch glaubt auf diesem Wege Fakten über Polizeiarbeit präsentiert zu bekommen, ist demjenigen doch eh nicht zu helfen. Solche Leser wird His mit so einer Art Diskussion niemals erreichen. Und alle anderen, die sich selber einen Kopf machen können, aber das eben nicht immer und bei jedem Buch tun wollen, fühlen sich von His eben auf die Füsse getreten, weil er verallgemeinert.


    Zitat


    Ich habe kein Posting gesehen, wo er es den Leuten definitiv die Urteilsfähigkeit abspricht...


    Natürlich nicht, dazu macht His das auch zu schlau. Sonst könnte man ihn ja darauf festnageln.


    Zitat


    Mist, schon wieder ein Sermon! :bonk
    Ich halte jetzt die Finger still!


    Ja, mir geht's auch so. Eigentlich wollte ich zu dem Thema nix mehr schreiben.


    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von Iris
    Das ist eine Interpretation dessen, was His postet. :grin


    So sind wir Menschen eben, gefangen in unseren eigenen kleinen Welt von Wahrnehmungsschwächen und Interpretationsverfehlungen. Weh oh weh!


    Doch bevor es hier zu tragisch wird...gebe ich den Ring wieder frei und ziehe mich in die seichteren Gefilde zurück. :-)


    Kennt hier jemand noch die Heftromanreihe "Geister-Krimi"??


    Gruss,


    Doc :-)

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Doch bevor es hier zu tragisch wird...gebe ich den Ring wieder frei und ziehe mich in die seichteren Gefilde zurück. :-)


    :wow


    Zitat

    Kennt hier jemand noch die Heftromanreihe "Geister-Krimi"??


    Nö, aber ich könnte mit ein paar steinalten "John Sinclairs" aufwarten - oder Donald Duck.
    Micky mag ich nämlich nicht, das ist ein Klugscheißer. :lache


    Iris :wave

  • Zitat

    Original von Iris
    Nö, aber ich könnte mit ein paar steinalten "John Sinclairs" aufwarten


    Also gegen Sinclair war die Geister-Krimi-Reihe ja geradezu hohe Literatur. Da gab's eine Reihe in der Reihe um den Geisterdetektiv Rick Masters, die ich verschlungen habe. Im Laufe der Jahre ist es mir auch gelungen bei diversen Antiquariaten fast alle fehlenden Hefte für meine Sammlung zu besorgen. Genial!! Und seltsamerweise finde ich die heute noch gut. :-)


    Aber ich will dieses Topic nicht missbrauchen. Sorry an alle ernsthaft Interessierten. Ziehe mich schon zurück. :-)


    Gruss,


    Doc

  • Hi Doc,


    Zitat

    Nur His unterstellt ja den Leuten eben jenes kritiklos hinzunehmen oder erst gar nicht zu merken.


    Mensch, ich unterstelle hier niemanden etwas. Ich habe eine interessante Diskussionsfrage aufgeworfen mehr nicht, wer sich betroffen fühlt, muss ohnehin einen Grund dafür haben. Seien wir doch nicht so sensibel. :grin :grin


    Zitat

    Jeder hat eine eigene Wahrnehmung und die lasse ich mir nicht absprechen.


    Und welche Wahrnehmung hast du? Dass die inhaltliche Qualität egal ist, der Autor und Verlag uns verarschen darf, Hauptsache es unterhält? So INTERPRETIERE ich deine Aussagen. *mal an der Lunte zünd* :grin


    Zitat

    Solche Leser wird His mit so einer Art Diskussion niemals erreichen. Und alle anderen, die sich selber einen Kopf machen können, aber das eben nicht immer und bei jedem Buch tun wollen, fühlen sich von His eben auf die Füsse getreten, weil er verallgemeinert.


    Wenn es schon so ist, kann zukünftig keiner mehr einen Thread eröffnen, denn eine (meistens unbeabsichtigte) verallgemeinernde Aussage findest du in jedem Beitrag ...
    Wenn man in einem Forum schreibt, sollte man nicht kleinlich sein und den Beitrag lieber dreimal durchlesen, bis man ihn versteht. Denn schließlich sieht man den gegenüber nicht, Mimik und Gestik bleiben verschlossen. :grin


    Zitat

    Natürlich nicht, dazu macht His das auch zu schlau. Sonst könnte man ihn ja darauf festnageln.


    Und warum wirfst du mir dann gleichzeitig vor, ich würde alles verallgemeinern? Ein Widerspruch, lieber Doc. ;-)


    Diskussionsfreudige Grüße
    Historikus

  • PS: Und bevor mir die Hormone entgültig aus den Ohren hüpfen, mache ich einen laaaaaangen Spaziergang. *MrHormon sagt: Kämpfe weiter. Du bist der Leitwolf. Kämpfe.* :grin :grin ::grin