Herrin des Hügels - Oliver Hilmes

  • Herrin des Hügels/Das Leben der Cosima Wagner von Oliver Hilmes


    Cosima Wagner (1837 bis 1930) war die uneheliche Tochter von Franz Liszt und der Gräfin Marie d´Agoult. Durch diese Umstände geprägt, und aufgrund des sehr berühmten Vaters war ihre Kindheit nicht von Lebensfreude erfüllt. Franz Liszt übernahm die Vaterschaft und verbat es Marie, ihre Kinder (drei an der Zahl) zu sehen, oder gar ihre Mutterschaft wahrzunehmen. So wuchsen die Kinder in Frankreich auf, und wurden zunächst von seiner Mutter erzogen. Später wurden sie in Internate abgeschoben, und am Ende ihrer Teenagerjahre von der ungeliebten „Stiefmutter“ Prinzessin von Sayn-Wittgenstein gedrillt. Ein normales Familienleben hatte also Cosima nie erlebt, eigentlich hatte sie nur Leid und Demut kennen gelernt, was ihr ganzes Leben prägen sollte und zur Aufopferung ihres eigenen Ichs zu Gunsten ihres Ideals führte.


    Die erste Ehe (1857) mit Hans von Bülow erschien zunächst glücklich, da sie zu ihrem Gatten aufblicken konnte. Allerdings erwies sich Hans nicht als die Verkörperung ihres Prinzipals. Im Bekanntenkreis von Franz Liszt und Hans Bülow fand sie ihren „Meister“, doch es dauerte Jahre bis sie sich ihm auch körperlich hingeben konnte. Die ersten Kinder der Liaison Cosima und Richard Wagner waren ebenfalls unehelich und wurden Hans zugesprochen. Erst im Jahr 1870 wurde das Traumpaar offiziell getraut, und die Vergötterung kannte keine Hindernisse mehr. Cosima arbeitete nur für Richard und seinen Erfolg, ihr eigenes Leben stellte sie in den Schatten. Nach seinem Tod unternahm sie das Projekt „Bayreuth“, „Der grüne Hügel“, eigentlich eine Wahnvorstellung, doch eisern und unermüdlich rief sie die Festspiele ins Leben, die bis heute bestehen und einen riesigen Zulauf haben.


    Oliver Hilmes beschreibt das Leben der Cosima Wagner sehr objektiv. Er bedient sich zahlreicher Aufzeichnungen aus Tagebüchern und Briefen des Wagner Archivs, welches noch gar nicht lange freigegeben ist (1976). Dadurch ist das vorliegende Werk über Cosima und Richard Wagner eine Biographie, die diese Vielzahl an Beweismittel nutzen kann, und wertneutral und unvoreingenommen das Leben der Wagners erzählt.
    Darüber hinaus erhält der Leser auch einen großen Rund-um-Blick über das Zeitgeschehen dieser Jahrhundertwende, tiefe Einblicke in die Musikszene, sowie über den Umschwung von der Kaiserzeit zur Demokratie. Auch werden zahlreiche Persönlichkeiten im Buch vorgestellt, wie zum Beispiel Ludwig II, Nietzsche und Richard Strauss.
    Für diese Biographie sollte man sich viel Zeit nehmen, da sie eben so gut recherchiert ist, und damit ein Zeitbild darstellt. Sie liest sich flüssig, obwohl Hilmes so viele Zitate einspeist. Ohne Umschweife kann ich diese Biographie zu einer der besten zählen, die ich je gelesen habe. Bravo!


    Oliver Hilmes wurde 1971 in Viersen geboren, und studierte Geschichte, Politik und Psychologie in Marburg, Paris und Potsdam. Er promovierte in "politische Musikgeschichte des 20. Jh." und arbeitete in der Intendanz der Berliner Philharmoniker. 2004 veröffentlichte er mit Erfolg die Biographie >>Witwe in Wahn<<, das Leben der Alma Mahler-Werfel.

  • Gestern las Herr Hilmes aus seinem Buch in Braunschweig. Ich fand den Abend sehr gelungen. Die Auswahl der Kapitel war so gewählt, dass man eine Zusammenfassung des Buches bekam. Es kam sehr gut heraus, dass die jahrelange Recherche zu einem informativen Lesevergnügen verpackt wurde. Der Autor las teilweise so, dass man seine Achtung vor Cosima Wagner heraushören konnte und teilweise auch nicht ohne einen gewissen Spot über die menschlichen Unzulänglichkeiten, die mit aller Macht verborgen bleiben sollten. In über einer Stunde machte er mich so neugierig, dass dieses Buch nicht mehr allzu lange auf dem SUB bleiben soll.

  • Heute morgen habe ich ebenfalls dieses Buch zu Ende gelesen und möchte dieses Werk auch jedem ans Herz legen, der sich für Oper, Richard Wagner oder bewegte Biographien interessiert.


    Klappentext:
    "Oliver Hilmes erzählt auf der Basis neuer Quellenfunde das widersprüchliche Leben der Cosima Wagner (1837-1930). Ihre Ehe mit Richard Wagner begriff sie als künstlerische und weltanschauliche Mission. Als Festspielleiterin auf dem Grünen Hügel in Bayreuth verhalf sie der Musik Wagners zum großen Durchbruch. Gleichzeitig nutzte sie ihre Aura als Witwe des Komponisten, die Gemeinde der Wagner-Verehrer schon vor 1933 zu einer antisemitischen Sammelbewegung zu formen."


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    Mit „Herrin des Hügels – Das Leben der Cosima Wagner“ hat Oliver Hilmes nicht nur meiner Meinung nach eine sehr unvoreingeommene und neutrale, sondern zugleich auch sehr fundierte und bewegende Biographie der Tochter Franz Liszts und Ehefrau Richard Wagners geschaffen.


    Er beschreibt den Lebensweg Cosimas sehr detailliert und trotzdem spannend. Ihre Kindheit im zerrütteten Elternhaus (die Liason zwischen Cosimas Mutter Gräfin Marie d'Agoult und ihrem Vater Franz Liszt hielt nicht und endete in einem erbitterten Rosenkrieg) bzw. bei diversen Verwandten und Gouvernanten zeichneten das Mädchen und ihre beiden Geschwister und bestimmten viele ihrer Ansichten und vielleicht auch ihren Lebensweg teilweise bereits vor. Cosimas erste Ehe mit dem Dirigenten Franz von Bülow und ihre zweite Ehe mit Richard Wagner nehmen große Teile des Buches ein und zeigen auch sehr deutlich die Entwicklung dieser im positiven als auch im negativen Sinne beeindruckenden Frau. Auch hier bemüht sich Hilmes immer um Neutralität und eine kritische Analyse seines ausgewerteten Materials. Sehr schön ist auch die stetige Einbettung dieses bewegten Lebens in den historischen und politischen Hintergrund.


    Am Beeindruckensten waren für mich jedoch fast zu meiner eigenen Verwunderung die Kapitel nach Bülow und Wagner. Mit Richard Wagners Tod 1883 war für Cosima, die sich ihrem Mann und vor allem dessen Werk völlig aufgeopfert hatte, eine Welt zusammengebrochen. Doch sie raffte sich wieder auf und begann nun Wagners Werk zu fortzuführen und zu verwalten. Wagner hatte kein Testament hinterlassen und sich auch ganz öffentlich dazu geäußert, dass er keinem anderem Menschen außer sich selbst die Leitung der Bayreuther Festspiele zutraute – auch seiner Frau nicht. Dennoch konnten die Festspiele ja nicht einfach im Nichts versinken und so übernahm Cosmia deren Leitung.


    Es ist wirklich sehr faszinierend zu lesen, mit welchen Mitteln sie ihre Macht in Bayreuth festigte und das durch Wagners Tod entstandene Machtvakuum ausfüllte. Sie stilisiert sich selbst zur Herrin und Meisterin und führt ein wirklich unangefochtenes Regiment auf dem Grünen Hügel. Hilmes analysiert auch diese Machtübernahme sehr kritisch und macht den Lesern klar, dass Cosima (und oftmals andere Leute) dafür einen hohen Preis zahlen mussten. Sie stellte ihre eigenen privaten Gefühle ganz in den Hintergrund, was sich auf ihr ganz persönliches und eh schon vorgezeichnetes Selbstbewusstsein auch entsprechend negativ auswirkte. Auch diese wilde Entschlossenheit, das Erbe des „Meister“ sozusagen unsterblich zu machen, beeindruckt. Sie hält lange Zeit einfach alle Fäden in der Hand und sichert so das Erbe ihres Ehemannes.


    Dennoch, beim Lesen dieser Biographie wird auch klar, wie sich Schwerpunkte fast automatisch zu verlagern scheinen. Ging es Cosima anfangs noch darum, das Werk ihres Mannes in Ehren zu halten und die Festspiele auf höchsten Niveau zu veranstalten merkt man auch schnell, wie sich die Dinge ändern: Die Fortführung und Machterhaltung des eigenen Clans rückt in den Mittelpunkt. Cosimas Töchter Isolde, Blandine, Eva und Daniela (teilweise aus der Ehe mit von Bülow, teilweise aus der Ehe mit Richard Wagner stammend) zählten nie so viel wie der Stammhalter Siegfried (der übrigens auch ganz bezaubernde Opern geschrieben hat), dem böse gesagt alles in den Hintern geschoben wird und der außerhalb jeglicher Kritik zu stehen scheint (diesbezüglich ergeben sich aus sehr interessante Passagen, wie beispielsweise mit dessen Homosexualität umgegangen wurde). Es steht schon früh fest, das Siegfried nach Cosima die Festspielleitung übernehmen wird (ob er will/kann oder nicht) und die Mädchen haben den „Meistersohn“ entsprechend zu unterstützen. Ihre eigenen Wünsche und Sorgen spielen dabei keine Rolle.


    Auch Cosimas Antisemitismus sind viele Passagen gewidmet. Oliver Hilmes versucht genau abzuwägen, inwieweit der allgemeine judenfeindliche Zeitgeist, Cosimas katholische und konservative Erziehung und auch ihr eigenes minderes Selbstbewusstsein diesen scheinbar wirklich abgrundtiefen Antisemitismus erklären können. Beispielsweise stellt er wirklich gut begründet und erklärt die Theorie auf, dass Cosima in den eh oftmals angefeindeten Juden eine Gruppe von Menschen gefunden hat, die sie noch unter sich ansiedeln kann. So lange sie ihrem Hass gegen diese Menschen fröhnt, sieht sie sich selbst sozusagen als wertiger. Deshalb konnte sie z.B. eine Gleichberechtigung oder sonstige Emanzipation der Juden unter keinen Umständen zulassen. Eben dieser Antisemitismus prägte dann auch lange Zeit das Haus der Wagners, z.B. als der bekennende Antisemit Housten Steward Chamberlain ins Haus einzog und am Ende auch die Wagner-Tochter Eva heiratete. Auch den innigen Umgang mit Hitler und seinen Nationalsozialisten darf man nicht vergessen. Auch hierfür bereitete Cosima mit ihren Ansichten natürlich letzten Endes den Boden.


    Es gibt viele Passagen und Beispiele, die man aus dieser Biographie herausziehen und über die man lange und breit reden und diskutieren kann, so spannend und vielschichtig ist dieses Leben und dieses Buch. Beispielsweise merkt man auch schnell, dass bei den Wagner-Männern ohne die Frauen nicht sonderlich viel geht. Die Managerinnen waren dort nämlich von jeher die Frauen: erst Cosima, dann deren Tochter Eva (auch wenn diese nie Festspielleiterin war) und schließlich während der NS-Zeit Siegfrieds Ehefrau Winifred.


    Jedenfalls bleibt für mich als Liebhaberin von Wagners Musik letztlich auch die Erkenntnis, dass der Komponist wohl oftmals in seinem Grab rotiert wäre, wenn er mitbekommen hätte, was denn da im Hause Wahnfried so vor sich geht. Wie kalkuliert und fehlinterpretiert dessen Werk und Wirken oftmals ausgelegt wird, wie sehr Wagner als Vorwand zur Machterhaltungen seiner Nachfahren herhalten muss, wie elend zerstritten dieser Clan nach diversen Affären (z.B. Beidler-Affäre) schließlich ist. So viele Intrigen, Verheimlichungen, Lügen, etc. wie man hier mitbekommt, gibt es wohl in keinem fiktiven Roman und in keiner Oper. Ein wunderbares, fundiertes und zugleich sehr interessantes und auch unterhaltsames Werk über ein beeindruckendes Leben!

    ich lese: R. Riggs - Die Stadt der besonderen Kinder :lesend

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von kero-chan ()

  • Die phantastische Rezension von kero-chan kann ich nur unterschreiben, und nur wenig hinzufügen.


    Auch mich hat dieses Buch und insbesondere die Recherchearbeit von Oliver Hilmes ungeheuer beeindruckt. So viele Hintergrundinformationen bekommt man selten in Biografien geliefert.


    Beinahe erschreckt haben mich die Erziehungsmethoden, denen Cosima (und vermutlich alle Mädchen der "gehobenen Gesellschaft" dieser Zeit) ausgeliefert war. Hier kann man einige Erklärungen für ihre späteren Einstellungen und Handlungen finden.


    Dem erbarmungslosen Machterhalt über die Festspiele in Bayreuth ist ein recht großer Teil des Buches gewidmet - das war nach dem Tode von Richard Wagner das beherrschende Thema in der Familie. Erstaunt hat mich, wie hier wirklich ohne Gnade vorgegangen wurde, auch engste Familienmitglieder wurden "gebannt", wenn sie nicht taten, was sie sollten. Cosima Wagner legte den Grundstein für die Weitergabe der Festspielleitung innerhalb der Familie Wagner - und das funktioniert bis heute, trotz aller Kritik.


    Aufgrund der Fülle der Informationen ist das Buch nicht ganz leicht zu lesen, aber es lohnt sich auf jeden Fall.


    ASIN/ISBN: 3328101608