'Im Westen nichts Neues' - Kapitel 07 - 09

  • Im siebten Kapitel gönnt der Autor auch uns Lesern eine "Verschnaufpause"....er nimmt uns heraus aus dem Geschehen an der Front, heraus aus den Schützengräben, heraus aus dem puren Entsetzen.....


    ....und liefert uns gleich anschliessend eine Kostprobe der poetischen Schreibkunst, die dieser Autor eben auch beherrscht....Grossartig beschrieben das erotische Abenteuer des jungen Paul im französichen Puff.....tief mitempfunden die Gefühle eines jungen Menschen, ein Kind fast noch, das gerade eben dem Grauen des Krieges entronnen, jetzt in den wärmenden Armen einer Frau liegt, das pulsierende Leben wieder in sich spürt.
    Sehr zurückhaltend und zärtlich erzählt.


    Dann dieser Urlaub zuhause....die krebskranke Mutter, die bedrängenden Fragereien des Vaters..... der Besuch bei der Mutter Kemmerichs, er muss ihr die Nachricht überbringen, dass ihr Sohn gefallen ist.


    Das unerträgliche Geschwafel der vom Kriegsdienst verschonten alten Männer am Stammtisch....ihre lockeren Sprüche, ihre Ansprüche an die kämmpfenden Soldaten, dass sie den Krieg zu gewinnen haben.
    Genau so ist es doch: an den Stammtischen der Welt wurden schon viele Strategien entworfen und Kriege gewonnen...palavernderweise. Im Sinne von: man muss das nur so und so machen, dann klappts doch.


    Die Komik kommt auch nicht zu kurz in diesem Kapitel. Die Beschreibung, wie Mittelstaedt seinen ehemaligen Lehrer Kantorek schlaucht....die befreiende Rache für viele Demütigungen dieses Lehrers seinem Schüler gegenüber....eine Rache eigentllich an allen Vorgesetzten, für die Verführung einer ganzen Jugend zu heroischem Kriegsgebrüll und Kampfwillen.


    Remarque hat in diesem Kapitel übrigens auch ein einschneidendes eigenes Erlebnis verarbeitet....er wurde für einige Tage aus dem Kriegsdiest (damals war er im Lazarett) nach Hause entlassen, um an der Beerdigung seiner Mutter teilnehmen zu können.

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    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

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  • "Verschnaufpause" ist genau das richtige Wort!


    Endlich ein paar Tage Frontpause. Das Erlebnis mit den Frauen (ist das ein Bordell?? - hatte ich so gar nicht verstanden) ist leicht und unbeschwert, und man gönnt es den armen Kerlen so richtig - besonders denen, die von der Schulbank weg noch nichts anderes erleben durften als töten und getötet werden...


    Erst bin ich erleichtert, dass Paul Heimaturlaub bekommt, dann aber habe ich die gleichen Gedanken wie er: Zwei Wochen - die schmelzen doch nur so dahin! Wie füllt man die sinnlos aus? Wird er seine Mutter je lebend wiedersehen? Kann er noch einmal in sein Leben vor dem Krieg eintauchen oder bleibt es ihm unwiederbringlich fremd? Sehr nervig die Kommentare von Verwandten, Bekannten und Kneipengängern - aber was wären denn die richtigen Worte gewesen in dieser Situation? Kann man da überhaupt das Richtige sagen? Mit seiner Familie mag Paul über seine Erlebnisse nicht sprechen, denn er will sie nicht unnötig belasten. Auch die Mutter des verstorbenen Kameraden will er mit Details verschonen. Und über den ganzen freien Tagen hängt wie ein Damoklesschwert der nächste Fronteinsatz...


    Sehr schön fand ich auch die Rache an Kantorek, und dass dieser nun selbst zum Einsatz muss!


    Im Heidelager begegnet Paul dem Feind in Form von russischen Kriegsgefangenen. Hier muss er sich damit auseinander setzen, dass diese Soldaten auch nur Menschen sind wie er und seine deutschen Kameraden. Er bemüht sich, ihnen etwas Gutes zu tun. Ein Ausgleich für die vielen feindlichen Soldaten, die er töten musste?


    Der Kaiser besucht die Frontsoldaten und verteilt eiserne Kreuze. Wieder einmal steht die berechtigte Frage im Raum: Was tue ICH eigentlich hier? Habe ICH diesen Krieg vielleicht gewollt? Warum bekämpfen sich nicht die Leute, die den Krieg angezettelt haben?


    Und dann dieses entsetzliche Erlebnis, als Paul sich freiwillig zur Patrouille meldet. Erst verliert der die Orientierung und läuft Gefahr, dem Feind in die Hände zu kriechen, dann sieht er sich gezwungen, einen feindlichen Soldaten kampfunfähig zu machen. Einen ganzen Tag lang sieht und hört er dem Sterbenden zu und wird sich vollkommen bewusst, dass er einen MENSCHEN umgebracht hat. Doch als er seiner misslichen Lage entkommt, ist der Tote bereits vergessen. "Krieg ist schließlich Krieg."


    Krieg ist entsetzlich. Warum "spielen" Menschen seit jeher so gerne Krieg und werden nicht schlauer?

  • Ist das jetzt möglich, dass das Kapitel 9 dem Autor nicht ganz soooo beeindruckend gelungen ist wie die übrigen bisherigen Kapitel?


    Aber vielleicht liegt es ja nur an mir....meine Stimmung dünkt mich heute sowieso ganz anders als gestern :rolleyes


    Die Szene ist zwar trotzdem immer noch sehr eindrücklich. Paul muss hautnah miterleben, wie ein paar Meter neben ihm ein junger französischer Soldat einen stundenlangen Todeskampf durchmachen muss, ehe er endlich sterben kann. Diesen grauenhaften Tod hat er, Paul Bäumer zu verantworten.
    Zwar versucht Paul noch, ihm das Sterben etwas zu erleichtern, indem er ihn in eine etwas andere Stellung bringt, er gibt ihn einige Schlucke Wasser zum Trinken....dabei sieht er das Gesicht ganz nahe, er muss ihm in die Augen sehen, Augen in denen das entsetzliche Leiden geschrieben steht.
    Er findet dann später auch noch die Papiere die der Tote bei sich trägt.


    Die vielfachen Tode, die man als Soldat zu verantworten hat, bekommen so stellvertretend Gesichter und Namen.
    Paul hat den Buchdrucker Gérard Duval umgebracht.

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  • Ich fand den den Satz in Kapitel 7 Seite 94 sehr beeindruckend:


    Das Grauen lässt sich ertragen, solange man sich einfach duckt, aber es tötet, wenn man darüber nachdenkt.


    Zitat

    Waldfee:
    Endlich ein paar Tage Frontpause. Das Erlebnis mit den Frauen (ist das ein Bordell?? - hatte ich so gar nicht verstanden)


    Das Erlebnis mit den Frauen hatte ich auch anders verstanden. ?(


    Irgendwie tat mir Paul leid. Er hat sich so auf seinen Fronturlaub gefreut. Endlich kommt er nach Hause und seine Mutter ist schwerkrank. Das war der erste Schlag. Dann Löchern die anderen Menschen und sein Vater ihn, indem Paul ihnen unbedingt von der Front erzählen soll. Aber sie können das Geschehen an der Front nicht ganz nachvollziehen. Was teilweise ja auch verständlich ist. Zu guter letzt kann er sich gar nicht wieder in die normale Welt einfinden. Als er es doch ein bischen schafft, ist der Urlaub vorbei und er muss wieder zurück an die Front. Dort kann er sich erst auch nicht eingewöhnen und das Schlimmste, die Angst kommt wieder verstärkt zum Vorschein. Als Krönung macht er Patrouille und verliert die Orientierung. Fand ich schon schlimm das Ganze.

  • Waldfee und Vivian


    dachtet Ihr beiden denn, dass diese drei Frauen eher "Zivilistinnen" ;-)waren, die da zusammen im gleichen Hause wohnten? .... die ihren Körper einfach nur wegen ihrem Hunger verkauften?


    Sie wohnten ja nahe bei den französichen Truppen.....???? Es ist bekannt, dass die Truppen von Prostituierten begleitet wurden.


    Remarque schreibt ja auch, dass es in den deutschen Soldaten-Puffs sehr viel liebloser zu und her ging....

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  • @ Joan


    Ein bisschen gewundert habe ich mich schon über die drei freizügigen Damen, aber ich dachte, vielleicht haben sie Hunger - oder auch lange keinen Mann mehr gehabt...? Dass sie Profis sind, kam nicht so deutlich rüber. Aber wahrscheinlich hast du Recht.


    Mir kam Kapitel 9 übrigens qualitativ nicht schlechter vor als die übrigen...

  • Als erholsam kann ich das siebte Kabitel nicht gerade bezeichnen, habe mich wieder mal in Tränen aufgelöst. Ich komme einfach nicht gegen an ... all dieses Leid.


    Ich bin erstaunt, was ein Mensch psychisch zu ertragen in der Lage ist. Die Anzahl toter Kameraden steigt täglich und doch, man hält sich am Rest der Überlebenden fest und verdrängt konsequent alle Erinnerungen. Eines Tages aber wird man eingeholt werden und auch davor graust man sich schon. Trotzdem, die Leute bringen sich nicht um sondern funktionieren und kämpfen und kämpfen ... Manchmal frage ich mich, was ein Sieg den Soldaten als solches eigentlich bringt.


    Die Szene mit den Mädchen habe ich ebenfalls nicht als Bordell-Szene gesehen sondern ganz richtig als Zivilistinnen, die hungern. Ich finde das Wort Prostitution an dieser Stelle so hart, weil in den Umarmungen so viel Gefühl drin war. Und ich betrauere Frauen, die wegen Hunger gezwungen sind sich zu verkaufen. Aber abseits davon habe ich in dieser Szene Paul als eben noch nicht ganz verrohten und alles versachtenden Menschen empfunden sondern als Fühlenden, Liebenden, Entdeckenden.


    Die Heimkehr dann war bittersüß. Was muss man als Soldat nicht alles in sich einsperren. Die Straßenbahn-Episode dagegen macht mich so nachdenklich, weil mein Vater, wenn er vom Wehrdienst zurück war, Erzählungen meiner Mutter nach, Wochen brauchte bis er wieder "normal" war, so groß muss der Druck gewesen sein. Uns Kindern erzählte er immer nur die lustige Sachen. ABER ist nicht gerade das gefährlich? Bedingt nicht gerade das die immer wieder neu erstehende Begeisterung der nachfolgenden Generationen, die ja nichts Negatives von Militär und Krieg zu hören bekommen?


    Und dann wieder diese Schreibtischtäter und Stammtischverteranen. Ich werde richtig agressiv wenn ich von ihnen lese.
    Und hinterher erfinden diese Sch... noch die Dolchstoßlegende. Ich könnte sie würgen, weit weg von aller Resignation.


    Alles in allem halte ich Kaptel für emotional belastend, vor allem sie Szene, als Paul im Treppenhaus steht und nicht mehr kann. Über das Tschentuch musste ich dann fast erleichtert kichern, das löste die innere Anspannung ein wenig. Und der fruchtbare Abschied.Traurig, Traurig.


    Zitat

    Waldfee
    Erst bin ich erleichtert, dass Paul Heimaturlaub bekommt, dann aber habe ich die gleichen Gedanken wie er: Zwei Wochen - die schmelzen doch nur so dahin!


    Genauso dachte ich auch. Genauso. Der Anfang ist irgendwie schon das Ende.


    Mein Satz: "Ich finde mich hier nicht mehr zurecht, es ist eine fremde Welt." Das nimmt die Situation der Soldaten nach dem Kreig bereits voraus.

  • Liesbett


    Remarque selber ging öfters ins Bordell....
    ....und in einigen seiner Bücher hat er Szenen mit Prostituierten eingebaut. Er erzählt von diesen Frauen immer voller Respekt und lässt ihnen ihre Menschenwürde.


    Daher habe ich wohl diese Szene mit den 3 Frauen so verstanden, dass es sich um französiche Prostituierte handelte.
    Aber es kann durchaus auch sein, dass es einfach hungernde Frauen waren, und keine Profis.

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  • Zitat

    Joan:
    dachtet Ihr beiden denn, dass diese drei Frauen eher "Zivilistinnen" waren, die da zusammen im gleichen Hause wohnten? .... die ihren Körper einfach nur wegen ihrem Hunger verkauften?

    ´


    Vielleicht bin ich in der Beziehung etwas naiv. Aber ich dachte mir, dass sind ganz normale Mädchen (Zivilistinnen) die auch mal ihren Spaß haben wollten und das Essen kam ihnnen gerade recht.

  • In Kapitel 9 sucht Paul sich ein Ziel. Nach dem Krieg soll es für ihn weitergehen, irgendwie und genau das finde ich sehr anrührend. Ein wenig Hoffnung ist immer da, irgendetwas hält die Menschen am Leben.


    Mein Satz hier: "Jeder Atemzug legt mein Herz bloß".

  • Ich finde das Kapitel 9 sehr wohl beeindruckend und gelungen.
    Nach dem eher friedlichen Kapitel 7 (Das Wort "Verschnaufpause" ist hier wirklich angebracht") waren die darauffolgenden für mich persönlich dann wieder wie ein Schlag in die Magengrube...
    Vor allem der Teil im Trichter mit dem jungen Franzosen...


    Die Mädchen sehe ich auch nur als hungernde Dorfbewohnerinnen, die sich genauso wie die Soldaten nach etwas "Wärme und Zärtlichkeit" sehnen.

  • So nach über einem Monat Pause hab ich heute das Buch wieder zur Hand genommen.
    Spaß beim Lesen macht dieses Buch wirklich nicht. Für mich ist es sehr bedrückend.
    Besonders das 9.Kapitel fand ich mitreißend. Wie Paul da in dem Trichter liegt und der Franzose dazukommt und er anfängt auf ihn einzustechen, weil er an sein blankes Überleben denkt. Der Franzose stirbt jedoch nicht gleich, sondern Paul kriegt sein Röcheln und Leiden noch stundenlang mit. Und er fängt an nachzudenken und zu bereuen. So eine Situation lässt einen doch das ganze Leben nicht los. :-(

  • Vielleicht hast du recht, Morgaine.
    Ich hätte mich wohl umgebracht oder konsequent verdrängt.


    Manchmal frage ich mich, an was man sich erinnert, wenn man solch grausame Dinge erlebt. Es häuft sich ja Eines aufs Andere. Verkommt das nicht zu einem Grundrauschen oder heben sich einzelne Szenen stark hervor, eben so wie im Buch?


    Es macht mich immer noch traurig. Wirklich.

  • Urlaub? Für Paul war es wohl eher Stress als Erholung. Die Armut daheim, die kranke Mutter, die Gespräche im Dorf...


    Für die Leute im Dorf war es eine Attraktion, der Heimkehrer. Keiner sah wie er litt.


    Eine Prise Humor kam auf bei der Schilderung von Kantorek auf dem Kasernenhof als Laufsturm.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Lesebiene


    bist Du denn die einzige Teilnehmerin an dieser Leserunde?


    Das wäre wirklich schade, denn bei einem so schwer verdaulichen Buch fände ich es entlastend, wenn man jemanden hätte, mit dem man sich über die Eindrücke unterhalten könnte.

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  • :wave


    Ich lese auch noch mit, aber da die Leserunde gestern erst losging, kann ja noch nicht jeder so weit sein.


    Die Situation des Urlaubs von Paul fand ich auch sehr bedrückend geschildert, aber auch sehr plastisch. Ich konnte mich richtig gut hineinversetzen und nachvollziehen, wie schwierig die Situation für ihn gewesen sein muss.


    Bei der 'Rache' von Mittelstaedt an Kantorek musste ich auch immer mal wieder lächeln, das war sehr witzig beschrieben.

  • Schwer verdaulich ist weit untertrieben. Zwischenzeitlich wird mir sogar richtig schlecht...


    Die Episode mit dem sterbenden Franzosen war auch recht traurig geschrieben wie ja auch das ganze Buch. Paul fühlt sich schuldig, obwohl keiner (außer den hohen Tieren) Schuld hat an dem Massensterben an der Front...


    Wenn nicht ich für mich eintrete, wer dann?
    Wenn ich nur für mich selbst eintrete, was bin ich?
    Wenn nicht jetzt, wann dann?