Das Flüstern der Walfrau. Alonso Cueto

  • Das Flüstern der Walfrau. Alonso Cueto


    Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
    Verlag: Berlin Verlag; Auflage: 1 (2. Februar 2008)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3827007755


    Kurzbeschreibung
    Das scharfsinnige Porträt zweier Frauen, die durch Freundschaft und Hass miteinander verbunden sind. Mit seinem jüngsten Roman bestätigt Alonso Cueto seinen Ruf als einer der wichtigsten lateinamerikanischen Autoren der Gegenwart.
    Was verbindet nach vielen Jahren noch zwei Frauen, die in der Schulzeit miteinander befreundet waren - wenn auch nur heimlich, da die eine der beiden so dick war, dass die andere sich nicht mit ihr auf offener Straße zeigen wollte. Wie gehen sie mit den Verletzungen und Schuldgefühlen um, die sich in all den Jahren angestaut haben? Als Verónica nach fünfundzwanzig Jahren ihrer alten Klassenkameradin Rebeca zufällig wiederbegegnet, ist ihr erster Impuls zu fliehen. Doch scheint es in Lima keinen Ort mehr zu geben, an dem Rebeca nicht auftaucht, und auch Verónicas Gedanken kreisen obsessiv um die Freundin. Ein Tanz zwischen Anziehung und Abstoßung beginnt, in dessen Verlauf Rebeca zeitweise die bedrohlichen Züge einer kalten Psychopathin annimmt. Doch auch das zutiefst einsame, gedemütigte Mädchen scheint in ihr auf. Alonso Cueto erzählt in diesem spannenden, psychologisch feingezeichneten Roman von den Nöten einer Frau, die zeitlebens als Außenseiterin stigmatisiert wurde, und stel
    lt ihr die Gewissensbisse einer anderen entgegen, die nicht den Mut hatte, sich zu ihr zu bekennen. In knappen, prägnanten Sätzen und meisterhaften Dialogen zeichnet er das eindrückliche Porträt einer Gesellschaft, die sich dem Körperkult und der Konformität verschrieben hat.


    Über den Autor
    Alonso Cueto wurde 1954 in Lima geboren. 1983 debütierte er mit dem Erzählband La batalla del pasado, den die Kritik als eines der bedeutendsten Bücher der modernen peruanischen Literatur feierte. Seitdem wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Anna-Seghers-Preis (2000), einem Stipendium der Guggenheim Foundation (2002) und dem Premio Herralde für Die blaue Stunde (Berlin Verlag 2006). Mit Das Flüstern der Walfrau wurde er 2007 Finalist des erstmalig vergebenen Premio Iberoamericano Planeta-Casa de América de Narrativa.



    Meine Meinung


    Zwei ehemalige Schulfreundinnen stehen im Mittelpunkt dieses spannenden Romans.


    Da ist Vero, dem Körperkult huldigende, erfolgreiche Journalistin, Ehefrau, Mutter und Geliebte, zuhause im Lima der Reichen und Schönen, immer auf der Suche nach Anerkennung.
    Daneben Rebeca, die Walfrau, schwerstgewichtige „fette“, betuchte Firmenchefin und Weltenbummlerin, Single, die nicht nur ihre seelischen Verletzungen und Kränkungen aus der Kindheit sondern auch ihre Körpermassen durchs Leben trägt.


    Nach Jahrzehnten treffen sich die beiden auf einem Flug nach Lima wieder. Scheinbar zufällig für die eine, gezielt inszeniert durch die andere. Ab diesem Zeitpunkt fühlt sich Vero von Rebeca quer durch Lima auf Schritt und Tritt verfolgt.
    Beide Frauen tauchen in die Abgründe der Vergangenheit ein und bescheren dem Leser ein Katz-und Mausspiel. Anhand von Rückblenden wird eine sich immer schneller drehende Spirale des Erinnerns und Verdrängens in Gang gesetzt. Dabei führt der Autor den Leser an der Nase herum, Kaum glaubt man auf der richtigen Spur zu sein, nimmt die Handlung einen anderen Verlauf, die vermuteten Charaktere zeigen sich wieder von ganz anderer Seite. Liebe und Hass verschwimmen. Atemlos folgt man den Protagonistinnen auf ihrem Parcours zwischen Liebe und Hass, Freundschaft und Feindschaft, Business und Fitness, Familie und Affären. Auf der Jagd nach dem Glück und beim Versuch, die Fesseln der Vergangenheit abzustreifen.


    Der Roman ist kompakt ummantelt, in sich geschlossen und beginnt eigentlich mit der Fortsetzung des Romanendes. Ein Ende, das wunderbar leserundentauglich wäre!


    Ein aufregendes Buch, in einer knappen, pointierten, dichten Sprache, die endlosen Raum lässt, Parallelgeschichten im Kopf des Lesers entstehen zu lassen.


    Ein sehr interessanter peruanischer Autor, von dem es sich lohnt, mehr
    zu lesen.


    Ein echter page-turner!

  • Hallo Eli!


    Danke für die schöne Rezi!
    Hingerissen von Deiner Beschreibung, hab ich gerade bei Amazon nach dem Buch geschaut, um herauszufinden, ob es auch eine TB-Version gibt.
    Dabei wundere ich mich über den Amazon-Tipp: "Kaufen Sie diesen Artikel zusammen mit - FEUCHTGEBIETE- (!!!)"
    Jetzt bin ich ziemlich verunsichert, da ja immer artverwandte Themen zusammen dargestellt werden.
    Durch die aktuellen Diskussionen hier im Forum, insbesondere im neuen Fred über "Was darf Literatur", möchte ich gerade DAS nicht lesen, sondern wie schon vorgeschlagen, am liebsten ignorieren.
    Kannst Du mir sagen, ob die beiden Romane ähnlich sind?
    Laut Deiner Inhatsangabe finde ich keinen Hinweis auf Parallelen. ?(


    Viele Grüße von Anton!

  • Liebe Anton! :wave


    Wenn Körperfett als Körperflüssigkeit durchgeht, wäre das der einzig denkbare Nenner. Ist aber eigentlich Quatsch!


    Keine Sorge, das Buch ist ansonsten feuchtgebietfrei. :lache Auch wenn das Cover und das Ende auf anderes schließen lassen. ;-)

  • Zitat

    Original von Eli
    Liebe Anton! :wave


    Wenn Körperfett als Körperflüssigkeit durchgeht, wäre das der einzig denkbare Nenner. Ist aber eigentlich Quatsch!


    Keine Sorge, das Buch ist ansonsten feuchtgebietfrei. :lache Auch wenn das Cover und das Ende auf anderes schließen lassen. ;-)


    Genau das habe ich auch vermutet. :-]
    Jetzt kann ich es ja ruhigen Gewissens auf meine WL stellen :grin

  • Eli, vielen Dank für die wirklich schöne Rezension!
    ich habe den Titel gleich notiert, da er, wie Du sagst auch sprachlich so schön sein soll, habe richtig Lust ihn zu lesen. :-]


    angefixte Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Eben hab ich den Roman beendet und fand ihn beeindruckend.
    Wie Eli schon richtig beschreibt:


    Ein aufregendes Buch, in einer knappen, pointierten, dichten Sprache, die endlosen Raum lässt, Parallelgeschichten im Kopf des Lesers entstehen zu lassen.


    Eine weitgehend psychologisches Gedankenkarussel der Ich-Erzählerin Veronica, lässt den Leser richtig mit in diese Spirale von Wut, Verfolgungsangst, Verdrängung, Reue und Zerrissenheit eintauchen. Man glaubt oft selbst einen Spiegel vorgehalten zu bekommen. Der Kern der Geschichte wird vom Autor weit herausgezögert, so dass der Leser vor Spannung keine Pause einlegen mag. Die Sprache scheint zunächst recht einfach, entwickelt aber im Laufe der Geschichte eine unheimliche Tiefe und schlägt auch ein Stück weit philosophische Richtungen ein.
    Totzdem liest sich das Buch sehr flüssig. Ich hatte es in eineinhalb Tagen aus.


    Auszug:


    Die Vergangenheit ist ein Kontrolleur. Regelmäßig stellt sie überraschende Fallen. Plötzlich ist sie wie durch einen Zauber da. Sie ist ein Schatten mit sehnigen Händen, hat keine Gesichtszüge, kein Alter. Sie überreicht uns ein leeres Blatt. Wir weigern uns. Aber sie bedrängt uns mit ihrer harten, ruhigen, kühlen Stimme. Sie wird wiederkommen.


    9/10 Punkte

  • Meine Meinung:
    Zu Beginn des Romans lernt der Leser die 42-jährige Verónica kennen, die mit Ehemann Giovanni und Sohn Sebastián, als Journalistin für die Rubrik „Internationales“ einer Zeitung schreibend, 2005 in Lima lebt. Ihr Arzt Pepe Barco versichert ihr, dass alles in Ordnung sei und beim Verlassen des Behandlungszimmers fasst Verónica einen Entschluss: sie wird die Notizen in ihrem Tagebuch vervollständigen, die Geschichte, die sie ins Krankenhaus brachte, zu Ende schreiben. Diese liegt nun, erzählt durch den Schriftsteller Alonso Cueto, in diesem Buch vor.


    Auf einem Rückflug von Kolumbien nach Lima trifft Verónica nach 25 Jahren ihre ehemalige Schulkameradin Rebeca wieder. Die beiden verband damals eine heimliche Freundschaft. Heimlich, weil Rebeca aufgrund ihrer Fettsucht, ihres Anders-Sein von ihren Mitschülern gehänselt und schikaniert wurde. Verónica, eine beliebte Schülerin, konnte und wollte sich nicht zu Rebeca bekennen, sie sah dem Spott teilnahmslos zu. Doch zum Ende der Schulzeit zerbrach diese Freundschaft durch einen schrecklichen Verrat, mit dem Verónica große Schuld auf sich lud.


    Nun, 25 Jahre später, möchte Verónica nichts mehr mit dieser „Walfrau“ zu tun haben. Aber Rebeca drängt sich auf. Zwar selbst als Managerin beruflich erfolgreich und wohlhabend, leidet Rebeca an ihrer Einsamkeit und ringt um Aufmerksamkeit. Sie verfolgt Verónica, ruft sie an, taucht auf Empfängen auf, fängt Sebastián vor der Schule ab.


    Alonso Cueto lässt Verónica sehr eindringlich erzählen, wie sie immer mehr von Rebeca bedrängt wird, diese aufgezwungene Nähe fast paranoide Züge annimmt. Gleichzeit resümiert Verónica ihr Leben. Trotz Familie, Beruf, Freunden geht sie recht freudlos durchs Leben. Daran ändert auch ihr Liebhaber Patrick nichts.
    Wie eine dunkle Wolke hängen die Erinnerungen Verónicas über der Geschichte. Was in der Schulzeit als vorsichtige Annäherung zwischen Verónica und Rebeca durch die gemeinsame Liebe zu Büchern und Musik begann, gipfelte in einem schmerzhaften Bruch – durch Schwäche, durch Weg-Sehen.


    Cueto gelingt es, eine Bedrohung über der Geschichte schweben zu lassen, ohne dass der Leser ahnt, was dahinter steckt. Auf nur 270 Seiten gibt der Autor tiefgründige und facettenreiche Einblicke in das Seelenleben seiner Protagonisten. Die auf ihren Körper fixierte Verónica, die sich durch Diät, Fitness-Training und Unmengen Cremes ihr jugendliches Aussehen zu erhalten zwingt, aber keinen zu ihrer Seele vorstoßen lässt, niemandem ihren Groll und ihre Angst zeigt. Rebeca, die sich einen „Schutzwall“ angefressen hat, die sich mit Essen tröstet und ihre Einsamkeit lindert.


    Die Sprache Cuetos ist klar und schnörkellos, wobei er trotz knapper Sätze wunderschöne Formulierungen findet. Dabei beschränkt er sich auf ein Minimum, um die Tiefen seiner Figuren auszuloten. Einzig das Umfeld Perus Hauptstadt Lima kommt dabei ein wenig zu kurz, vielleicht vom Autor beabsichtigt?


    Ein „kleiner“ Roman, der sprachlich und inhaltlich eine Botschaft vermittelt, die nicht allein Lateinamerika betrifft, sondern universell ist. Mich als Leserin haben Verónica und Rebeca gleichermaßen mitten ins Herz getroffen.


    10 Punkte von mir.


    Ich habe das TB gelesen, dass im September 2009 erschienen ist.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

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    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Dies war mein erster Cueto. Ob weitere folgen werden, weiß ich noch nicht. Im Moment würde ich nicht danach suchen.


    Der Schreibstil ist gut und flüssig, liest sich wie nichts weg. Auch die weibliche Sicht der Hauptfigur, geschrieben von einem Mann, habe ich als glaubhaft empfunden und dem Autor abgenommen.


    Letztendlich handelt es sich hier um den Mini-Amoklauf einer Frau, die sich selbst als normal empfindet (was sie ja auch ist), jedoch von ihrer Umwelt vor allem in der Schulzeit emotional geschändet wurde, selbst von ihrer heimlichen Freundin, der Hauptfigur und Ich-Erzählerin.


    Einziger Lichtblick des Romans, der immer droht, sich in den Ego-Gedanken der mittelalten Frau zu verlieren, ist die Hoffnung auf eine Freundschaft, die sich beide Frauen eigentlich wünschen, nur nie zur selben Zeit.


    Das Ende hat mir persönlich nicht zugesagt. Wo sonst durchgehend in klaren Worten geschrieben wurde, ist hier alles verwischt und irgendwie neblig. Ich mag solche Abschlüsse nicht.


    Von mir bekommt das Buch 7 Punkte.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“