'Die zwölfte Nacht' - Seiten 265 - 364

  • Das stimmt unbedingt, Beo.
    Sehr auffaellig ist, dass er als junger Mann Verantwortung (und damit Macht) gerne und leichter Hand anderen ueberliess. Waehrend er spaeter selbst Banalitaeten nicht mehr aus der Hand gab.

  • Zitat

    Original von Charlie


    Wir haben hier in der Runde - wie es auch die Geschichtswissenschaft tut - darueber spekuliert, ob wohl eine Krankheit dahintersteckte (Manche Medizinhistoriker nehmen an, dass Henry an einer Erkrankung der Schilddruese litt - sehr lange hielt sich auch die Syphillis-Theorie, die allerdidngs allmaehlich Anhaenger verliert) oder ob es schlicht etwas ist, das Machtfuelle an einem Menschen anrichten kann.


    Und was ist mit dem vergammelten Bein? Das muss ja auch Auswirkungen auf ihn gehabt haben. Ich finds auf jeden Fall gruselig, dass er heute so und morgen so entschieden hat. So willkürlich. Man war sich in seiner Nähe nie sicher, was passiert. Wussten eigentlich die normalen Mitbürger etwas von dem Stress, den die Leute am Hof durchgemacht haben? Oder ist das alles nur irgendwie überliefert worden?

  • Wegen des Beins habe ich letztens auch die Theorie gehört, dass er sich schlicht überfressen hat, maßlos war und an Alters-Diabetes gelitten haben könnte.
    Da ist es so, dass die Wundheiluing nicht mehr funktioniert und auch dass es Momente gibt, in denen sich die Diabetes aufs gehirn niederschlägt. Sich eben auf viele weitere Organe niederschlägt.


    Das fand ich ganz interessant.




    P.S.
    Nun hatte ich zwei Tage keine Zeit zu lesen und das kurz vorm "Count down".
    Das wird sich morgen hoffentlich weider ändern, ich will doch nun wissen, wie es weitergeht.

  • Was mir grad noch einfällt.
    Ich kann auch nicht wirklich nachvollziehen, warum Anne ihren ersten Sohn, den sie mit 6 Monaten verloren hat, so sehr behütet und geliebt hat, ihre anderen Kinder (Söhne und Töchter) aber direkt weggibt bzw. siie augenscheinlich nicht so sehr liebt.
    Habe ich da etwas überlesen? Oder kann ich mir das selbst zusammenreimen?
    Mir würde da schon eine Erklärung einfallen. Ich wollte nur sicher gehen, daß ich nicht doch etwas übersehen habe.

  • Johanna, die Diabetes-Theorie finde ich auch sehr plausibel - das halte ich durchaus auch fuer moeglich.


    Was mit Anne passiert, ist ein haeufiges Phaenomen bei Eltern, die ein Kind verlieren: Sie koennen die anderen zumindest temporaer nicht mehr annehmen, koennen sich an kein Kind mehr binden.
    Heute, wo man sich mit solchen traumatischen Ereignissen und den Folgen fuer die Betroffenen befasst, koennen diese Hilfe erfahren.
    Damals ging man darueber hinweg, die Menschen hatten damit klarzukommen.


    Fuer mich ist die Vorstellung so grausig, dass ich mir nicht mal vorstellen kann, wie man damit weiterlebt.


    Anne hat sich nach dem Tod des Kindes ins Hofleben gestuerzt und die weiteren Kinder fremdaufziehen lassen - ein Verhalten, das fuer eine Hofdame des 16. Jahrhunderts ja nicht ungewoehnlich war.
    Sie hat sich aber fuer alle Kinder - trotz der dann schon schwierigen Lage - um gute Heiraten und Versorgungen gekuemmert und wird auf dem von ihrem Sohn gestifteten sehr grossen Grabmal in Westminster Abbey als gute Mutter gepriesen.


    Das sei nur erwaehnt um der Gerechtigkeit willen. Ich habe mit Anne Stanhope auch meine Schwierigkeiten. Aber dass sie ihren kleinen Jungen verloren hat, tut mir einfach nur von Herzen leid.


    Alles Liebe von Charlie

  • Ich habe mal drüber nachgedacht, wie schlimm es damals war. Die Frauen haben ihr Kind bekommen und sind kurz danach gestorben - teilweise - und die Kinder waren dann irgendwo.
    Oder sie werden einfach so weggegeben, wie die Kinder von Anne oder auch Catherine selbst.
    Mir war das nicht so klar, dass es so war. Ich kenne mich in der Zeit überhaupt nicht aus.

  • Ja, die Kindheit, wie wir sie kennen, war im Sinne des Wortes noch nicht "erfunden". (Ich fand diese Boleyn-Eltern, die cool eine Tochter nach der anderen verschacherten, am allerkrassesten. Das kommt in meinem Buch gar nicht vor, aber es hat mich schockiert.)
    Trotzdem trifft man bei der Recherche auch auf sehr viel Liebe und Sorge zwischen Eltern und Kindern, wenn auch sicher anders manifestiert als heute.


    Catherine selbst war die geborene Mutter, die es ausgesprochen genoss, sich um Kinder und junge Menschen zu kuemmern und sich ueber ihre Erziehung und Ausbildung Gedanken zu machen.
    Ich habe oft gedacht: Vielleicht hatte das viel damit zu tun, dass sie selbst ohne Mutter aufwuchs.


    Alles Liebe von Charlie

  • Zitat

    Original von Johanna
    dass es Momente gibt, in denen sich die Diabetes aufs gehirn niederschlägt.


    :write Sowas hab ich mal live miterlebt als Kind. Wir waren bei einem Bekannten zu Besuch der einen Zuckerschock (oder wars Unterzucker? :gruebel) hatte. Nur wusste der dummerweise gar nicht, dass er Diabetes hat. Der hat sich plötzlich völlig ohne Grund mit nem Messer in einen Abstellraum zurückgezogen und gedroht sich zu töten und jeden abzustechen der reinkommt. Und sonst war das ein ganz normaler vernünftiger Typ. War total gruselig, vor allem ich als Kind hab überhaupt nicht begriffen was auf einmal mit ihm los war. Später hatte er dann immer seine Medikamente, aber wie gesagt, zu dem Zeitpunkt wusste er noch nichts davon.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

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  • Genau so dachte ich mir das mit Anne auch. Schade nur, daß es nicht nochmal direkt angesprochen wurde.
    Aber das hat mich eben immer wieder gewundert. Wo sie doch so an Ihrem ersten Sohn hing.


    Ich mag mir das aber auch nicht vorstellen. Es muss schrecklich sein, ein Kind zu verlieren. Gerade wenn man auch noch Zeit hatte, sich aneinander zu gewönnen.

  • Zitat

    Original von Booklooker
    Sonst hätte er sie wahrscheinlich auch noch köpfen lassen :rolleyes


    Das ist natuerlich moeglich. Trotzdem spricht aus den erhaltenen Briefen und Dokumenten, dass sie eine sehr enge Bindung zu den Kindern entwickelt hat - und sie zu ihr.


    Das mit der Diabetes ist ja gruselig. Ich kannte das absolut nur theoretisch. Ja, solche Dinge wuerden zu Henry passen. Er hat im Alter auch eine ausgepraegte Paranoia entwickelt. - Seine Tochter uebrigens ganz genauso.


    Mandy, explizit erwaehnen moechte ich solche Dinge nicht, denn dazu braeuchte ich einen Erzaehler von aussen, den ich grundsaetzlich nicht benutze (das ist kein Werturteil! Dass ich den nicht benutzen moechte, heisst nicht, dass ich den prinzipiell nicht mag). Ich moechte nur aus Figurenperspektive erzaehlen, und die Figuren haetten darueber eben nicht nachgedacht - es war normal, seine Kinder fremdbetreuen zu lassen. Es war - so schlimm sich das anhoert - auch normal, dass Kinder sterben.
    Edward ist ja der einzige, der versucht, das Thema mit Anne ueberhaupt anzusprechen. Darauf geht sie aber nicht ein. Freundinnen, Schwestern, Vertraute - all das hat sie nicht.


    Alles Liebe von Charlie

  • Zitat

    Original von Charlie


    Das ist natuerlich moeglich. Trotzdem spricht aus den erhaltenen Briefen und Dokumenten, dass sie eine sehr enge Bindung zu den Kindern entwickelt hat - und sie zu ihr.


    Ich wusste nicht, wie viel du in Catherine interpretiert hast. Ob sie wirklich die Kinder so gern gehabt hat oder nicht. Aber dann erscheint es mir total klar.
    So, wie du sie dargestellt hast - ich hab vorher noch nicht von ihr gehört *schäm* - hätte ich auch nicht geglaubt, dass sie es spielt.

  • Das ist kein Grund, sich zu schaemen.
    Hier nehmen alle Kinder die Tudors ausfuehrlich in der Schule durch. Trotzdem haben uns unendlich viele Leute, die hoerten, dass ich ueber eine von Henrys Frauen schreibe, gefragt: "Catherine Parr? Welche ist denn das die kenne ich gar nicht?"


    Was sehr schade ist, sie haette viel mehr Beachtung verdient. Troestlich ist jedoch: Sie hat sich aus derlei nicht viel gemacht.
    Die Kinder hat sie sehr lieb gehabt.
    Es haette sicher viel Spass gemacht, sie zur Mutter zu haben.


    Alles Liebe von Charlie

  • Zitat

    Original von Charlie
    Das ist kein Grund, sich zu schaemen.
    Hier nehmen alle Kinder die Tudors ausfuehrlich in der Schule durch. Trotzdem haben uns unendlich viele Leute, die hoerten, dass ich ueber eine von Henrys Frauen schreibe, gefragt: "Catherine Parr? Welche ist denn das die kenne ich gar nicht?"


    Da bin ich ja froh....
    Meine Schwiegerma kennt sie auch nicht - und die kennt sich ganz gut aus mit sowas... Hab ihr direkt das Buch versprochen für Montag... :-)

  • Bouquineur hat diesen Teil, wie ich finde, sehr schön zusammengefasst.


    Zitat

    Catherines zwiespältiger Glaube wird hier sehr deutlich. Obwohl sie gerne an die lutherisch geprägten Lehren glauben möchte, sind die katholischen Lehren ihr doch noch tief verinnerlicht. Sie bittet Cranmer, er möge ihr die Beichte abnehmen, doch der lehnt ab. Sie soll selber ihren Frieden mit Gott machen. Ich bin gespannt, ob sie es schafft oder irgendwann daran zerbricht.


    :write
    Diesen Zwiespalt mitzuerleben, war für mich sehr wichtig, hat er mich doch die Bedeutung des Glaubens für die Menschen dieser Zeit spüren lassen. Es ist eben keine "einfache" Sache das alles aufzugeben.


    Zitat

    Charlie, deinen Gedankenanstoß auf Seite 316 kann ich nur zustimmen. "... Aber von diesem Herrscher geliebt zu werden, ist vielleicht schmerzhafter als sein Hass." Da er ja recht spontan mit seinen Empfindungen umging, konnte man nie wissen, ob man morgen immer noch willkommen war.


    Oh ja, er hat etwas sehr [Natur]gewaltiges.


    Dudley war die Figur, die ich zuerst einmal vollkommen abgelehnt habe. Merkwürdig fand ich ihn, unheimlich, nicht vertrauenswürdig. Seine eigene Geschichte ist natürlich eine äußerst grausame. Außerdem komme ich nicht umhin zu bemerken, dass er sich offenbar ständig betäuben muss (das Fläschchen!). Auch hier kein Schwarz und Weiß.


    Was die Bärenhatzszene angeh: Ja, sie war unangenehm, aber sie gehört da unbedingt rein.


    Das Turnier und Toms Aufgeben ist eine Szene, die sich mir besonders eingeprägt hat.
    Und einen Weinkeller finde ich sehr romantisch! Ich habe ja durchaus schon mehrere alte in meiner Wohngegend besucht.


    Vielen Dank für Love – Agape – Charity


    Kirsten

  • Zitat

    Original von Rosenstolz


    Ich musste mir jetzt unbedingt mal ein Zeisigweibchen näher anschauen. :-)


    Na - ein Lob ist das für Catherine ja nicht... :rolleyes
    Aber das hätte ich auch nicht erwartet...
    Ich wusste nicht, dass es das wirklich gibt, ich dachte eher, das wäre ne Umschreibung für ne Vogelscheuche - hab ich wohl in Bio nicht aufgepasst :lache

  • Henry ist unbedingt so ein Typ von Mensch, der ( ob nun krank oder nicht ) auf gar keinen Fall in der Lage sein sollte, Macht über Menschen ausüben zu dürfen. Und schon gar nicht in dem Ausmasse, wie dies einem König möglich ist. Das ist noch nie gutgegangen.


    Die Bärenszene: schlimm ( und ich bin bei Tierszenen auch immer seeehr mitgenommen :cry) aber nichts im Vergleich zu dem, was vielen Menschen willkürlich angetan wurde. :-(


    Anne ist für mich eine total interessante Frau ( ihr "Liebeserlebnis" mit Tom hat sie wohl grundlegend geprägt und verändert), richtig sympathisch waren mir ihre Gedanken auf Seite 329 bei der "Jagd": "Geistloses Weibsvolk beklatschte Mannsvolk dabei, wie es sich selbst beklatschte. Von der leuchtenden Einfalt auf beiderlei Gesichtern krümmte sich Anne der Magen."