In einer einzigen Nacht - Douglas Kennedy

  • Diana Taschenbuch, 2007
    607 Seiten


    Englischer Originaltitel: State of the Union


    Kurzbeschreibung
    Hannah lebt mit ihrer Familie abgeschieden irgendwo in Maine und ist deshalb froh, Tobias Judson, einen Freund ihrer Familie, bei sich aufzunehmen. Da ihr Mann Dan seinen kranken Vater besucht, sind Hannah und Tobias allein, und es fällt dem charismatischen, politisch aktiven und dadurch sehr geheimnisvollen Mann nicht schwer, Hannahs Herz zu erobern. Hannah gibt der Versuchung nach, lässt sich verführen und erlebt Momente unendlichen Glücks. Doch Tobias hat andere Pläne, nutzt Hannahs Schwäche, um ein böses Spiel mit ihr zu treiben ...


    Dreißig Jahre lang gelingt es Hannah, zu vergessen, wie sehr sie damals verletzt wurde. Als Tobias in einem Buch öffentlich macht, was ihn mit Hannah verbindet, ahnt sie, dass sie ihr Geheimnis nicht länger hüten kann.


    Über den Autor
    Douglas Kennedy, 1955 in New York geboren, schrieb zahlreiche Hörspiele und Reisebücher, bevor er mit seinen beiden Psychothrillern 'Nachtblende' und 'Der Job' zum internationalen Beststellerautor avancierte. Für seinen letzten Roman 'Um jeden Preis' erhielt er den "Deauville Film Festival Literary Prize". Seine Bücher wurden in 16 Sprachen übersetzt. Heute lebt Kennedy mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in London.


    Meine Meinung
    Dieses als letztes ins Deutsche übersetzte Buch von Douglas Kennedy ist wunderschön, eine tolle, eindrückliche Sprache, wie ich sie vom Autor gewohnt bin und sehr mag.
    Der Klappentext und und auch den Titel finde ich passend, auch wenn ich nicht ganz zufrieden damit bin. Es ist etwas kitschig zusammengefasst, das Buch selbst ist dies jedoch nicht.


    Der erster Teil des Buches umfasst etwa ein drittel und ist, wie das gesamte Buch, in der Ich-Form erzählt. Hier wird die Hauptperson Hannah eingeführt, das Familienleben und wie sie ihren Mann noch während des Studiums kennen lernt und auch heiratet wird beschrieben. Auch werden ihre Lebenspläne, Wünsche, Hoffnungen und Gefühle gut dargestellt. Ihre familiäre Situation wird auch beleuchtet.
    Ihre Affäre mit Tobias wird erzählt, in welcher Situation Hannah sich befand und wie es dazu kommen konnte.
    Gut gefällt mir, dass es der Autor schafft, die Geschichte ohne erhobenen Zeigefinger zu erzählen. Er berichtet und überlässt es dem Leser, sich selbst eine Meinung zu bilden. Ich habe sehr mit Hannah sympathisiert, da sie mir so gut vermittelt werden konnte, dass ich vieles sehr gut nachvollziehen konnte, ohne dies gutzuheißen.


    Nach einem Zeitsprung von dreißig Jahren wird die Geschichte im zweiten Teil fortgesetzt. Hier musste ich eine Pause einlegen, da sich Hannah in den Jahren weiter entwickelt hat und dies auch durch ihre Sprach deutlich wird. Die Ereignisse der vergangenen Jahre werden eher nebenher abgehandelt und sind mehr als Erinnerungen Hannahs geschrieben. Dem Autor gelingt es grandios, das der Lesefluss nicht abreist, auch wenn man sich erst an die neue Zeit gewöhnen muss. Neue Technologien werden selbstverständlich verwendet, ohne Erläuterung, wie es zu ihrer Anschaffung kam.


    Die Vergangenheit holt Hannah ein, als sie wegen eines Schicksalsschlages in den Fokus der Öffentlichkeit gerät. Zeitgleich veröffentlich Tobias, mitterweile geläutert und bekennender Christ, eine Autobiografie, die durch die Erwähnung Hannahs zum Bestseller wird. Sie wird angefriffen, beschuldigt, bedroht, eine Hexenjagd auf sie beginnt. Andere Leute nehmen sich das Recht heraus, über ihr Leben und ihre Entscheidungen zu urteilen, ohne jedoch ihr die Möglichkeit auf Erwiderung oder Klarstellung zu geben. Die Empfindung Hannahs werden so eindringlich erzählt, das ich mit ihr mitfühlte und hoffte, dass es vielleicht doch noch gut enden möge.
    An diesem Punkt wurde für mich die Doppelmoral der Gesellschaft und der Medien sehr deutlich: Wem glaubt man? Dem, der scheinbar im Recht ist, der die Schlagzeilen macht? Können wir, als Außenstehende, überhaupt über das Leben anderer Menschen urteilen? Haben wir dazu überhaupt das Recht? Diese Fragen muss jeder für sich beantworten, Antworten gibt das Buch nicht.
    Leider kann ich nicht behaupten, das diese Entwicklung nur in den USA (auch wenn wir vielleicht weniger patriotisch sind) stattgefunden hat und wir davon nicht betroffen sind. Seit der Lektüre bin ich vorsichtiger mit meinen Urteilen gegenüber Menschen geworden, die ich nicht persönlich kenne und auch nicht objektiv beurteilen kann.


    Ich wollte, das Buch würde nie enden, so wohl habe ich mich mit den Protagonisten gefühlt und die wirklich sehr realistisch beschrieben sind. Teilweise könnte man sagen (besonders was das Verhalten von Hannahs Ehemann angeht), das hier auf Klischees zurückgegriffen wird. Ich bin jedoch der Meinung, das genauso die Menschen reagieren und handeln.


    Fazit: Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung für dieses Buch und volle 10 Punkte. Ich kann es nur jedem ans Herz legen, der eine gut geschriebene Geschichte lesen möchte, die sehr realistisch ist und ganz ohne Kitsch auskommt. Gegenwart trifft auf vergangenes, aber nicht vergessenes.


    Jetzt hoffe ich, dass bald die beiden letzten Romane des Autors veröffentlicht werden, die Klappentexte lassen auf gute Unterhaltung hoffen.

  • Endlich mal eine Rezi zu einem Buch, das ich mir nicht kaufen will ... ich habe es mir nämlich nach der "Entscheidungs-Leserunde" schon gekauft. Scheint ein ähnlich interessantes und komplexes Thema zu sein wie in "Die Entscheidung". Ich sollte es wohl doch endlich mal in die konkrete Leseplanung einbeziehen. :gruebel

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Es sind ein interessantes und hoch komplexes Themen, es geht nicht nur um Ehebruch und Moral, sondern auch um die amerikanische Gesellschaft mit ihren Wertvorstellungen und ihrem Patriotismus. Die aktuellen politischen Verhältnisse werden auch aufgegriffen, anscheinend wird dort häufig Moral und Politik vermengt.


    @ SiCollier
    Ich bin sehr gespannt auf deine Meinung. Nur vergleiche es nicht zu sehr mit dem anderen Buch, die Themen sind zwar ähnlich, aber anders behandelt.
    Besonders gut hat mir der leicht zu lesenden Ton gefallen, auch wenn es teilweise hochkonzentriert geschildert ist. Längen gibt es nicht, langweilig wird es auch nicht. Das Buch hatte ich in kürzester Zeit ausgelesen. :-]


    Ich habe die gebundene Ausgabe gelesen, es ist aber auch die Taschenbuchausgabe lieferbar.

  • Zitat

    Original von Eskalina
    :angel Auweia Wiggli, noch etwas für meine kurze Wunschliste. Danke für die tolle Rezi. :wave
    Edit: Was heißt hier Wunschliste, ich habe es gleich bestellt...


    :yikes Oui, das freut mich jetzt aber wie bolle! :chen
    Ich könnte noch so viel über das Buch schreiben, aber das würde den Rahmen sprengen. Es wird wohl das Monatshighlight werden. :-]

  • Zitat

    Original von Wiggli
    @ SiCollier
    Ich bin sehr gespannt auf deine Meinung. Nur vergleiche es nicht zu sehr mit dem anderen Buch, die Themen sind zwar ähnlich, aber anders behandelt.
    Besonders gut hat mir der leicht zu lesenden Ton gefallen, auch wenn es teilweise hochkonzentriert geschildert ist. Längen gibt es nicht, langweilig wird es auch nicht. Das Buch hatte ich in kürzester Zeit ausgelesen. :-]


    Wird aber noch etwas dauern; ich habe immer noch zu viele Leserunden vor mir (obwohl ich am Reduzieren bin). Längen machen mir nicht so viel aus, und an den Stil des Autors habe ich mich bei der "Entscheidung" ja gewöhnt. Ich bin gespannt, das wäre wohl auch das nächste Buch von ihm gewesen, das ich lesen will (ich habe übrigens auch die HC-Ausgabe).

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Danke für die Rezi! In der Leserunde zu "Die Entscheidung" des gleichen Autors war ich ja auch dabei und das Buch hatte mir recht gut gefallen. Da ich anstatt eines Psychothrilers von ihm doch lieber noch etwas belletristisches lesen würde, werde ich es gleich mal auf die Wunschliste setzen. Am Donnerstag, wenn ich sowieso in der Buchhandlung bin, werde ich mal danach Ausschau halten. Wenn es zufällig da ist, wird es mitgenommen... :grin
    .

  • In einer einzigen Nacht
    Douglas Kennedy
    Diana-Verlag
    608 Seiten


    Klappentext:
    Es beginnt als Verwirrung der Gefühle, einen Moment lang fühlt es sich an wie Liebe und lässt Hannah Buchan tief verletzt zurück. Doch erst dreißig Jahre später wird ihr die Begegnung mit Tobias Judson zum Verhängnis. Als dieser öffentlich macht, was damals in jener Nacht geschah, bleibt in Hannahs Leben nichts mehr, wie es war ...


    Meine Meinung:
    Ich weiß nicht, ob der Autor des Klappentextes Angst hatte, zu viel zu verraten oder was ihn sonst veranlaßt hat, dieses Buch auf zwei (sicherlich nicht unwesentliche) Punkte zu reduzieren, aber er vermittelt meiner Ansicht einen völlig falschen Eindruck zu dem Buch.


    Für mich war "In einer einzigen Nacht" ein interessantes Leseerlebnis mit vielen Eindrücken, es geht unter anderem um:
    Leben in einer Kleinstadt der USA,
    den Kampf zwischen Liberalen und Konservativen,
    das Führen einer Ehe,
    das Verhältnis von Eltern und ihren erwachsenen Kindern in sehr verschiedenen Konstellationen,
    den Umgang der Medien mit Menschen


    und in allererster Linie


    das Ringen zwischen Wahrheit und Lüge.


    Der Titel der Orignalausgabe trifft meines Erachtens ins Schwarze: "State of the Union" (zu deutsch "Lage der Nation"). Warum muß man das beim deutschen Verlag auf einen Seitensprung ("In einer einzigen Nacht") reduzieren? Es geht, wie schon gesagt, um wesentlich mehr. Der Autor schafft es, viele Themen einzubringen, ohne daß er sich verzettelt. Auch wie er am Ende des Buches alle vermeintlich losen Fäden nach und nach verbindet, ohne das es konstruiert wirkt, hat mich sehr überzeugt.


    Kann mich der Leseempfehlung von wiggli anschließen, von mir gibts 9 Punkte.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)