Armistead Maupin - Der nächtlicher Lauscher

  • Gebundene Ausgabe
    Verlag: Rowohlt, Reinbek (2002)
    Sprache: Deutsch
    351 Seiten


    Kurzbeschreibung
    Eine nächtliche Radioshow und ein geheimnisvoller Anrufer. Armistead Maupin erzählt die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft. Armistead Maupin hat mit seinen legendären "Stadtgeschichten" (über eine Million verkaufte Exemplare) bewiesen, dass er das Leben und die Menschen liebt. In "Der nächtliche Lauscher" geht er einer wundersamen Freundschaft auf den Grund, die ein seltsames Rätsel birgt. Der Geschichtenerzähler Gabriel Noone aus San Francisco rührt und tröstet in seiner mitternächtlichen Radio-Lese-Show viele Menschen, ist aber selbst nicht glücklich. Da schreibt ihm ein dreizehnjähriger Fan seiner Sendung. Pete Lomax ist unheilbar krank, verfügt jedoch über eine bewundernswerte Lebenskraft und ein ungewöhnliches literarisches Talent. In nächtlichen Telefonaten freunden sich die beiden an. Doch je mehr Gabriel auf eine Begegnung drängt, umso mehr entzieht sich Pete. Ein schlimmer Verdacht keimt in Gabriel: Treibt hier jemand ein böses Spiel mit seinen Gefühlen? Er macht sich auf, um Pete zu suchen, und was er findet, stellt sein ganzes Leben auf den Kopf...


    Über den Autor:
    Armistead Maupin, geboren 1944 in Washington, studierte Englisch an der University of North Carolina und arbeitete als Reporter für eine Nachrichtenagentur. Er schrieb für Andy Warhols Zeitschrift «Interview», die «New York Times» und die «Los Angeles Times». Seine berühmten «Tales of the City» verfasste er über fast zwei Jahrzehnte als täglichen Fortsetzungsroman für den «San Francisco Chronicle». Maupin lebt in San Francisco.


    Meine Meinung:
    Dank Herr Palomar durfte ich in den Genuss dieses Buches kommen. Es war mein erste Buch von Armistead Maupin und ich war neugierig. Sicherlich hatte ich von dem Autor schon etwas gehört. "Stadtgespräche" war ja sehr bekannt.
    Der schwule Autor Gabriel befindet sich gerade in einer Lebens- und Schreibkrise. Es hat den Anschein, dass in seinem Leben alles den sogenannten Buch heruntergeht. Da lernt er Pete kennen und so langsam schöpft Gabriel wieder Hoffnung. Petes Schicksal berührt ihn und auch den Leser. In Pete sieht Gabriel den Sohn, den er niemals haben wird. Und so entwickelt sich zwischen den zwei ungleichen Menschen eine tiefe und warme Telefonfreundschaft. Unzählige Telefonate bringen die zwei Menschen näher zusammen. Aber wer ist Pete wirklich? Gabriel kommen Zweifel auf. Er machte auf mich den Eindruck, dass er eh ein sehr unsicherer Mensch ist. Diese Unsicherheit durchzieht in meinen Augen das ganze Buch. Unsicher im Schreiben, Unsicher in der Liebe zu seinem Noch-Partner, unsicher im Umgang mit seinem Vater etc pp.
    Gabriel macht sich auf die Suche nach Pete und vielleicht auch nach sich selber. Ob er schließlich fündig wird, werde ich nicht verraten. :-]
    Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Der Schreibstil war flüssig und die Personen sehr liebevoll und warm umschrieben. Dieses Buch wollte ich kaum aus der Hand legen.
    Ein schönes, ein stilles Buch. Ein Buch über Liebe und Vertrauen.


    Ich vergebe 9 Punkte.


    Edit: RS-Fehler

    Bücher sind fliegende Teppiche ins Reich der Phantasie. (James Daniel)

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  • Der nächtliche Lauscher
    "The Night Listener", Gabriel Noone, 2000

    Übersetzung: Miriam Mandelkow, 2002

    Meine Rezi bezieht sich auf die Ausgabe:
    Rowohlt, 2002, ISBN: 978-3498044787


    Schon zu Beginn des Buches eröffnet uns Gabriel Noone, dass es ihm schwerfällt, immer bei der Wahrheit zu bleiben und er manchmal ein paar juwelenbesetzte Elefanten dazuerfindet. So ganz sicher ist man sich nie, wie die Wirklichkeit ist, in diesem Buch.


    Als Gabriel Noone eines Tages das Manuskript eines von seinen Eltern missbrauchten und AIDS-kranken Jungens bekommt, ist er zutiefst berührt, schockiert, begeistert vom Talent des jungen Autors. Auch, weil dieser ihn, den schwulen Geschichtenerzähler mit seinen Episoden im Radio, als eine Art Vorbild sieht, auch, weil Gabriel gerade in einer Beziehungs- und damit verbundenen Schaffenskrise steckt.
    Schon bald telefonieren sie regelmäßig miteinander. Pete, der kaum das Haus verlässt (außer auf dem Weg ins Krankenhaus), der von seiner Pflegemutter so behütet wird - und der Gabriel, der sich freut, jemanden zu haben, dem er sich öffnen kann. Immer enger wird die Beziehung der beiden, fast ein wenig zwanghaft, sie gehen dazu über sich als Vater und Sohn zu bezeichnen.


    Und so ist es auch kaum verwunderlich, dass Gabriel sehr geschockt ist, als sein auf Abstand gegangener Freund Jerry, der ebenfalls mit dem Jungen und dessen Pflegemutter gesprochen hat, bemerkt, dass die Stimmen der beiden sich unnatürlich stark ähneln, vom Duktus, der Betonung, von allem.


    Gabriel beginnt an "seinem Sohn" zu zweifeln, ruft beim Verlag an, der das Buch veröffentlichen will - niemand hat den Jungen je gesehen, alles läuft per Telefon ab, die Pflegemutter wehrt sich panisch, irgendjemanden in die Nähe des Jungen zu lassen. Gabriel macht sich auf den Weg um mehr herauszufinden....


    Während all dieser Zweifel hält einen das Buch in einem Schwebezustand. Man will nicht, dass all das eine Lüge ist. Einem Jungen, der so viel durchlebt haben soll, und trotzdem so rotzfrech reagiert, Witze reißt, sich über ein zugesandtes Playboy-Heft freut, den man wie Gabriel durch die Telefonate kennen lernt - dem will man nicht einfach die Existenz absprechen. Vor allem, weil er auch am Telefon zu Gabriel gesagt hat, dass er Angst hat, dass man ihm nicht glaubt.
    Andererseits gibt es da all diese Verdachtsmomente, die Ungewöhnlichkeiten, die ähnlichen Stimmen, es gibt keinen Beweis für die Existenz Petes, die Pflegemutter versucht panisch, alles vom Jungen fernzuhalten... Es scheint so widersprüchlich.


    Und auch Gabriel schwankt, er ist in einem eher unsicheren Zustand, nachdem ihn Jerry verlassen hat. Trauer, Einsamkeit, die Sympathie für Pete, er ist ein wenig verloren, sein Leben ein wenig erschüttert. Aber das macht ihn auch so sympathisch, dieses Schwanken, dieses langsame Bewusstwerden, dass er selbst etwas in die Hand nehmen muss.
    Da ist sein Vater, mit dem er sich immer aussprechen wollte, bei dem er sich immer fremd fühlte, da ist Jerry, den er zurückgewinnen möchte, weil er ohne ihn nicht leben kann.


    Es geht nicht nur um die Frage nach der Existenz Petes, die letzlich jeder Leser selbst beantworten muss, auch wenn sie die zentrale Rolle einnimmt, um die sich alles herumrankt. Es geht um Vertrauen, Selbstfindung und -verwirklichung - und das verbunden mit kleinen, selbstverständlich anmutenden Einblicken in die Schwulenszene, in der sich Gabriel und vor allem Jerry, der ebenfalls von Aids betroffen ist, bewegen.


    Das Buch lebt dabei von den überzeugenden Personen, vor allem dabei natürlich von Gabriel, dem Ich-Erzähler, der sehr viel erzählt, reflektiert und dessen innere Konflikte man am meisten wahrnimmt. Ebenso ist Pete, obwohl er nur am Telefon in Erscheinung tritt, so greifbar, dass das Buch furchtbar mitreißend wird. Aber auch bei den Nebenfiguren gelingen Maupin völlig natürliche und selbstverständliche Personen, die man, auch wenn sie teilweise nur wenig Platz im Buch einnehmen, zu kennen glaubt.
    Trotz der eher langsamen und ruhigen Erzählweise habe ich das Buch verschlungen, da es behutsam durch den Konflikt um Pete eine furchtbare Anspannung aufbaut, die mich immer weiter vorangetrieben hat.


    All das überdeckt kleine Unstimmigkeiten in der Handlung. Ein wenig einfach findet Gabriel am Ende das Haus, man mag nicht glauben, dass der Verlag das nicht auch hinbekommen haben könnte, es hätte Methoden gegeben, um Gewissheit zu erlangen. Aber dann wäre diese schöne Geschichte nicht möglich gewesen.


    Ich konnte mich kaum von diesem Buch loseisen und saß am Ende noch ein wenig erschlagen da, vor allem, weil dieses alles noch ein wenig unsicherer macht.
    Ich habe dann aber im Internet ein wenig recherchiert ... Das Buch beruht auf Erlebnissen Maupins, einer wahren Begebenheit also, verändert, umgemodelt und literarisch aufbereitet - hier finden sich bei wikipedia Informationen über das vermutliche "Vorbild" Vicki Johnson.


    Ob der Junge in "Der nächtliche Lauscher" existiert hat? Ich bin mir nicht ganz klar darüber - vielleicht ist diese Ungewissheit auch besser als ein klares JA oder NEIN - ich weiß nur, dass Maupin ein auerordentlich gutes Buch gelungen ist.


    Fazit
    Maupin ist mit "Der nächtliche Lauscher" ein außergewöhnlich leises und mitreißendes Buch gelungen, das ein wenig wie ein Rätsel ohne bestimmte Lösung anmutet - ein Schwebezustand zwischen Zweifel und Vertrauen. Empfehlenswert.


    9/10 Punkten


    Edits: Sprachliche Verbesserungen

  • Mir hat es ja nicht ganz so gut gefallen. Der "Clou", das Überraschenede des Buches hat mich nicht überzeugt, obwohl ich bis dahin gern gelesen habe. Tja, so verschieden sind die Geschmäcker ;-)
    Von mir gibt es nur 6 Punkte.

  • hestia und bartimaeus, ich danke Euch für die treffenden Worte, die Ihr für das Buch gefunden habt. Ich habe es soeben beendet und kann auch sagen, dass es ein wunderschönes und auch fesselndes Buch ist. Ich kenne auch die "Stadtgeschichten", wovon mich vor allem die ersten Bände fasziniert hatten. Auch hier wendet Maupin seine Tricks an, um die Spannungsschraube immer wieder ordentlich anzuziehen, was ich zu schätzen weiß.


    Die Geschichte ist sehr anrührend, wenn auch ein wenig unheimlich, wie ich finde. Der Ich-Erzähler ist mir ans Herz gewachsen und, wie schon gesagt wurde, auch die anderen Figuren sind rundum überzeugend. Und zum Glück kommt mitten in dieser tragischen Geschiche auch immer wieder der herrliche Humor von Maupin durch.


    "Der nächtliche Lauscher" ist ein besonderes Buch von einem Autor mit einem großen Herzen.


    10/10

  • Nachdem ich dem Link von bartimaeus gefolgt bin (ich hatte nicht gewusst, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruft), wollte ich unbedingt noch mehr wissen und habe dieses hier gefunden:


    http://amanidreamtup.blogspot.…ohnson-invisible-boy.html


    Die Geschichte ist ja viel unglaublicher, als ich dachte! Also, für alle, die das Buch gelesen haben und halbwegs gut Englisch lesend verstehen können, kann ich die Lektüre dieser Seite nur empfehlen, denn hier ist fast die vollständige Geschichte um diesen Jungen (?) und seiner Beziehung zu Maupin und den vielen anderen Personen, die mit ihm telefoniert haben, erzählt.


    Wirklich unglaublich!