Ein einziger Blick – Michelle Richmond
Klappentext:
Während eines Spaziergangs am Strand verschwindet die sechsjährige Emma spurlos. Nur einen einzigen Augenblick lang hat Abby nicht auf sie geachtet. Emmas Vater ist außer sich vor Schmerz und gibt ihr die Schuld. Doch Abby glaubt unerschütterlich daran, dass das kleine Mädchen noch lebt. Wieder und wieder ruft sie sich jeden Morgen in Erinnerung, auf der Suche nach einem Anhaltspunkt, und allmählich kommt die Wahrheit über Emmas verschwinden ans Licht.
Autorin:
Michelle Richmond ist Herausgeberin der Literaturzeitschrift „Ficiton Attic“ und unterrichtet creative writing. Für „Ein einziger Blick“ wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Michelle Richmond lebt mit ihrer Familie in San Francisco.
Meine Meinung:
Ohne allzu viel Dramatik, trotzdem eindringlich, schildert die Autorin was passiert, wenn ein geliebter Mensch – hier die kleine Emma – einfach so verschwindet. Dass Abby nicht die leibliche Mutter ist, lässt es vielleicht etwas anders erscheinen, aber nicht weniger schlimm. Für Abby bricht die Welt zusammen. Sie hat ein ihr anvertrautes Kind verloren, das ihr inzwischen sehr nahe stand. Und nicht nur das. Auch die Zukunft, das gewünschte und erhoffte Familienleben zu dritt, scheint unmöglich geworden.
Emma’s Vater Jake und Abby machen sich nach dem ersten Schock auf die Suche. Jeder auf seine Art. Jake richtet sofort ein Büro als Stützpunkt für die Suche ein und organisiert von da aus eine großangelegte Suche mit zahlreichen freiwilligen Helfern, Flugblättern, Fernsehauftritten etc. Während Abby alleine und in fast selbstzerstörerischer Weise stunden-, tage- und auch nächtelang rastlos durch die Stadt wandert und nach Hinweisen sucht.
Überzeugt davon, dass Emma noch lebt, durchforstet sie immer und immer wieder ihre Erinnerungen. Läßt ständig diesen Tag am Strand wie einen Film vor ihren Augen ablaufen, um sicherzugehen, dass sei kein Detail übersehen hat. Sie liest Fachliteratur, die sich mit dem Gedächtnis, dem Erinnern und Vergessen beschäftigt. Dies wird auch in kurzen Kapiteln beinahe wissenschaftlich erläutert, was sich auch interessant fand. Dabei geht Abby auch immer wieder zurück in ihre Vergangenheit. Sie erinnert sich an teils weit zurückliegende Ereignisse, teils an neuere Erlebnisse mit Jake und Emma.
Einerseits könnte ich jetzt schreiben, dass mich die ständigen Wiederholungen, die häufig gleichen Wanderungen und Suchaktionen von Abby spätestens nach zwei Dritteln gelangweilt haben und die Geschichte sich etwas langatmig lesen ließ.
Andererseits hat mich genau das die Ohnmacht, die Angst und Verzweiflung von Jake und Abby nachempfinden lassen.
Und auch die sehr genauen Beschreibungen von Orten und Menschen, die Abby während ihrer Suche aufgesucht und getroffen hat, vermittelten einem das Gefühl, mit ihr durch die Stadt zu streifen.
Die Spannung wird während des ganzen Buches zwar aufrecht erhalten, weil man ständig auf irgend etwas Bestimmtes wartet. Auf eine Erinnerung, ein Detail, das plötzlich einen Hinweis gibt. Aber für meine Begriffe lässt sie den Leser ein klein wenig zu lange zappeln, als dass es noch überraschend gewesen wäre. Obwohl es auch kein Thriller ist, kam doch zu wenig „Futter“ zwischendurch, das einen bei angespannter Laune gehalten hätte.
Auch der Schluss, der mir gar nicht gefallen hat, konnte mich nicht mehr ganz mit dem Buch versöhnen. Ein mittelmäßiges Buch, das man wohl nicht unbedingt gelesen haben muß, aber dennoch unterhaltsam ist.
Ich gebe 6 von 10 Punkten.