Die andere Seite der Stille - André Brink

  • Osburg Verlag, 2008, gebundene Ausgabe, 407 Seiten


    OT: The Other Side of Silence
    Übersetzt von Michael Kleeberg


    Kurzbeschreibung:


    André Brink erzählt die Geschichte der Hanna X zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Nach Jahren der Erniedrigung und des Missbrauchs in einem Bremer Waisenhaus kehrt Hanna ihrer Heimat den Rücken und reist nach Deutsch-Südwestafrika, wo die Siedler nach deutschen Frauen verlangen. Doch statt Freiheit erfährt sie dort nur Gewalt und Verstümmelung, bis schließlich die Zeit der Vergeltung kommt. Grausam und poetisch die Tragödie des deutschen Kolonialismus im Spiegel eines zerstörten Frauenlebens.



    Über den Autor:


    André Brink, geboren 1935, war neben Breyten Breytenbach eine der Schlüsselfiguren im Kampf weißer südafrikanischer Autoren gegen die Apartheid. Seine überwiegend simultan in Afrikaans und Englisch geschriebenen Romane wurden in 30 Sprachen übersetzt, verfilmt und vielfach international mit Preisen ausgezeichnet.



    Meine Meinung:


    André Brink erzählt das bewegende und tragische Schicksal einer jungen Frau Anfang des 20. Jahrhunderts.


    Während des Kaiserreiches lebt die kleine Hanna in einem Waisenhaus in Bremen. Dort herrschen strenge, oft unsinnige, Regeln, denen sich Hanna nicht stets beugen will und kann. Die Folge sind harte Strafen von der Leiterin des Waisenhauses, Frau Agathe, und Pastor Ulrich. Schon diese kosten Hanna beinahe das Leben - was nicht zum letzten mal passieren wird.
    Hanna kommt früh als Dienstmädchen in zahlreiche Haushalte, in denen sie auch nur Kälte, Gewalt und Ausnutzung erwarten. Seltene Momente der Freude erlebt Hanna nur, wenn sie Zeit findet, sich anhand von Büchern in eine andere Welt zu träumen.


    Um die Palmen zu sehen, beschließt Hanna nach Deutsch-Südwestafrika zu gehen, denn dort werden Haushälterinnen und Ehefrauen gesucht. Aber sie wird ausgesondert und mit anderen "abgelehnten" Frauen in einem Zug ins Landesinnere gebracht. Die in dem Zug mitfahrenden Soldaten vergewaltigen, foltern und verstümmeln Hanna X (ihren Nachnamen hat sie da schon "verloren"). Insbesondere Hauptmann Böhlke erniedrigt Hanna auf jede nur erdenkliche Weise.


    Hanna gelangt in das mitten in der Wüste liegende Haus "Frauenstein". Dort stranden Frauen, wie sie: ausgebeutet, psychisch und physisch zugrunde gerichtet.
    Hanna fügt sich in ihr Schicksal.


    Dies ändert sich, als das junge Mädchen Katja nach "Frauenstein" kommt. Hanna beschützt Katja während soldatischer Übergriffe und die beiden fliehen nachts hinaus in die Wüste.


    Hanna treibt nur noch eines an: ihr Hass auf die Männer, insbesondere auf Hauptmann Böhlke.


    Es ist eine grausame und traurige Geschichte, die André Brink da zeichnet - eine Geschichte, die so oder ähnlich vielen Frauen in Deutsch-Südwestafrika Anfang des letzten Jahrhunderts widerfuhr, die brutale Realität deutscher Kolonialgeschichte.
    Aber dem Autor gelingt es sehr feinfühlig auch die Zwischentöne herauszuarbeiten, die Mut machen - damals wie heute.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Was Hanna an Grausamkeiten erleiden muss, ist wirklich kaum vorstellbar.


    Aber ich fand es trotzdem gut lesbar. André Brink hat schon auch mit viel Fingerspitzengefühl geschrieben.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • :wave Und ich habe die Rezi irgendwie bisher übersehen, dabei war ich doch so gespannt auf eine andere Meinung. Danke für deine Rezi Sigrid. Ich bin nicht in die Geschichte rein gekommen, sie war mir am Anfang zu vage und die Sprache zu verallgemeinernd - vielleicht hätte ich etwas länger durchhalten sollen, denn so klingt es ja doch sehr interessant. :gruebel

  • Der Einstieg war wirklich schwierig. Es wurde zunächst berichtet, wie (der Autor?) Nachforschungen über Hanna angestellt werden, um mehr über sie zu erfahren.


    Dann ändert sich der Stil sehr. In kürzeren Absätzen wird abwechselnd über Hannas Kindheit und ihre Anfangszeit in Afrika berichtet.


    Erst nach ihrem Aufbruch aus "Frauenstein" beginnt eine durchgängige Geschichte, die dann auch sehr ergreifend wird.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Vor vielen Jahren habe ich von Andre Brink "Die Nilpferdpeitsche" und "Weiße Zeit der Dürre" gelesen.
    Als ich von diesem Buch hier gehört habe, bin ich sofort in meine Buchhandlung und habe es gekauft.


    Manchmal dachte ich, mir bleibt die Luft weg, so ergriffen war ich.
    Ein ganz tolles Buch, ein wichtiges Buch.


    :flowers :flowers :flowers

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Meine Meinung:
    "Die andere Seite der Stille" ist ein gewaltiges Buch. Der Autor benutzt eine kraftvolle, wortgewaltige Sprache mit starken Bildern und starker Symbolik und beschreibt Grausamkeiten und Gewalttaten im Deutschen Kaiserreich und in der deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
    Mich hat das Buch mit Wucht getroffen und nach dem ersten Viertel des Buches, nach dem sich auf 100 Seiten Gewalttat an Gewalttat gereiht hat, habe ich ernsthaft überlegt, das Buch abzubrechen. Ich bin sicher nicht zu zart besaitet, um derartiges lesen zu können, ich empfand es nur in dieser Menge ab einem bestimmten Punkt einfach nur als sinnlos und habe mich gefragt, warum ich das lesen soll … Ich habe das Buch dann doch zu Ende gelesen, weil es mich interessiert hat, wie es mit Hanna weitergeht und weil das Buch sehr gut geschrieben ist. Zwischen den beschrieben Gewaltakten gab es dann auch einige Lichtblicke zum Aufatmen. Trotzdem ist das Buch wegen seines Inhalts nicht leicht zu lesen.


    Am meisten hat mir die Erzählweise des Autors gefallen. André Brink erzählt Hannas Geschichte nicht chronologisch, die einzelnen Stationen (Waisenhaus, Zeit als Dienstmädchen, Reise nach Afrika, die ersten Tage in Afrika, die Zeit in "Frauenstein" und der Rachefeldzug zum Schluss) werden versatzstückartig aneinander montiert. Es gibt immer wieder Rückblenden, Hanna erinnert sich an frühere Lebensstationen oder erkennt Parallelen und reflektiert das Geschehen. Insofern ist der Roman gekonnt aufgebaut, langweilig wurde es mir beim Lesen nie.


    Auch die benutzte Symbolik (das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten, eine Muschel, die im Ohr das Meer rauschen lässt, Jean d`Arc …) hat mir gefallen, wenn auch manche Motive zum Ende hin ein bisschen zu oft bemüht wurden und allmählich auf mich penetrant wirkten.


    Meine Schwierigkeiten hatte ich auch mit der historischen Glaubwürdigkeit des Buches. Vor allem zum Ende hin war es doch eine arge Mischung aus Erfindung und Historie. Das fand ich schade, weil es auf mich den Eindruck machte, als ob der Autor zugunsten eines reißerischen Inhalts Authentizität geopfert hat.


    Ich gebe dem Buch 8 Punkte, verbunden mit einer vorsichtigen Leseempfehlung.