Tulpenwahn - Mike Dash

  • OT: Tulipomania


    Kurzbeschreibung:
    Sie verhexte Kaiser und Könige, trieb reiche Kaufleute in den Ruin und vereinte ehrbare Bürger, Händler und Halunken in gemeinsamer leidenschaftlicher Obsession: Das Objekt der Begierde war die Tulpe, eine gärtnerische Novität aus dem Orient, die vor allem in den Niederlanden großen Anklang fand. Hier entbrannte bald ein intensiver Tulpenhandel, und die Blume, deren Wert schlagartig ins Unermeßliche stieg, wurde zum Anlage- und Prestigeobjekt Nummer eins. Nicht nur professionelle Händler, sondern Angehörige aller Stände und Berufe beteiligten sich an dieser profitversprechenden Spekulation und verschuldeten sich bis über die Ohren mitunter für eine einzige Tulpenzwiebel. Doch als dann plötzlich 1637 im ganzen Land die Preise in den Keller fielen, folgte ein wirtschaftliches Desaster von ungeahntem Ausmaß, das zum ersten Börsenkrach in der Geschichte führte ...


    Über den Autor:
    Mike Dash ist Dozent für Geschichte an der Universität in Cambridge. Er arbeitet als freier Schriftsteller und Journalist und hat sich als Autor zweier Sachbücher zu außerordentlichen Phänomenen einen Namen gemacht. Dash lebt mit seiner Familie in London.


    Meine Rezension:
    Für uns sind Tulpen relativ gewöhnliche Blumen, die alljährlich im Frühjahr die Vorgärten verschönern. In den Niederlanden des 17. Jahrhunderts waren sie wertvoller als alles bisher Dagewesene und stürzten das ganze Land in eine regelrechte Tulpen-Manie. Mike Dash greift in seinem Buch diese spannende und faszinierende Geschichte über die Vorgänge des Tulpenwahns auf und beschreibt den Weg der Tulpe aus den weit entfernten Tälern des Tien-Shan bis ins Herz Mitteleuropas. Obwohl es sich um ein Sachbuch handelt, liest es sich fast so gut wie ein Roman. Dash weiß die vielen Fakten und Details, die seiner offensichtlich sehr umfangreichen Recherche geschuldet sind, mit lustigen und spannenden Anekdoten zu würzen, er beschreibt einzelne Szenen so lebendig, dass man sich zwischen den aufgewühlten Käufern und Verkäufern in den Schankstuben wähnt, die sich gegenseitig überbieten. An zahlreichen konkreten Beispielen und historisch überlieferten Personen und Ereignissen veranschaulicht er die Welt, in der Tulpen für eine Hysterie sorgten, die heute kaum nachvollziehbar ist. Und doch lassen sich Parallelen zu neueren Ereignissen ziehen, die ebenfalls die Finanzwelt in ein Chaos gestürzt haben. "Tulpenwahn" ist ein sehr informativer Ausflug mitten hinein in eine bunte Welt voller Widersprüche, in der sich alles um die Schönheit der neuen orientalischen Blumen dreht. Und um den Profit, der sich mit ihr erzielen lässt.


    Weitere Informationen bieten die umfangreichen kapitelweisen Anmerkungen, die am Ende des Buches zusammengestellt sind. Eine Quelle für weitere Informationen ist die ebenfalls angehängte Bibliographie.


    Ich vergebe 9 Punkte! :wave

  • Herzlichen Dank für diese sehr interessante Rezi. Ich denke dieses Buch gehört einfach auf die Wunschliste. Dunkel erinnere ich mich an eine Geschichte/Bühnenstück mit dem Titel "Die blaue Tulpe". Es ging darum, dass alle Versuche eine gänzlich blaue Tulpe zu züchten fehlschlugen. Aber wie gesagt, diese Erinnerung ist sehr dunkel..... :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    Danke für die schöne Rezi :-)


    Hast Du das zur Vorbereitung auf die Leserunde gelesen? Es passt ja wirklich gut zum Thema :-)


    Ja genau, das dachte ich auch :-] Und tatsächlich gibt es in Jörgs Buch vieles, was hier ausführlich dargestellt wird. Mein Interesse für diese spannende Episode geweckt hatte übrigens eine Leserunde vor 2 Jahren: "Die Tulpenkönigin" - Enie van Aanthuis" :wave

  • Die Geschichte der Tulpe und der damals verbundene Bohei darum haben mich auch schon immer sehr interessiert. Ich hatte mir dazu diesen Roman zugelegt, aber schändlicherweise noch immer nicht gelesen.


    Dein Buch, milla, ist mir auch schon mal in die Finger gefallen, aber ich hatte die Befürchtung, es wäre nur eine Aneinanderreihung trockener Fakten. Nach Deiner Rezi hört es sich aber eher nicht so an. ;-)

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Es soll ja Leute geben, die keine Tulpen mögen, meine Wühlmäuse jedenfalls lieben sie, weshalb Tulpen in meinem Garten ein ewiger Wunschtraum bleiben werden (es sei denn, die diversen Nachbarskatzen, die meinen Garten zukacken, entscheiden sich, anstatt Rotschwänzchen endlich mal die eigentlichen Bösewichter aufs Korn zu nehmen).
    Ob des moderaten Preises wandert das Buch jedenfalls sofort auf meine Wunschliste.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zugegeben, ich brauchte ein paar Anläufe, um in dieses Buch reinzukommen, aber ab einem bestimmten Punkt war es dann doch ein Selbstläufer.
    Tulpen also, diese unspektakulären und allgegenwärtigen Blumen, ohne die sich jeder ordentlich Vorgarten was schämen sollte, als Prestigeobjekt?


    Dash beginnt ganz von vorne, der Herkunft der eher unauffälligen Wildtulpen aus dem Pamirgebirge, wie sie sich langsam wachsender Beliebtheit bei türkischen Sultanen erfreute, schließlich begehrtes Objekt humanistisch gebildeter Europäer wurde um dann eine nur auf den ersten Blick haarsträubende Spekulationswelle auszulösen. Doch anders, als der Klappentext uns weismachen will, verhexte sie weder Kaiser und Könige, noch trieb sie reiche Händler in den Ruin, sondern sie war eine, wenn auch vielleicht die erste, klassische Finanzblase, deren Platzen zwar für einige Unruhe sorgte, doch keineswegs die katastrophalen Ausmaße hatte, wie uns wiederum der Klappentext weismachen will.
    Im Gegenteil, sie folgte einer Choreographie, die uns, da heutzutage ja ständig irgendwelche Blasen platzen, regelrecht natürlich erscheint. Und das macht die Sache so unheimlich.


    Tulpen, als sie endlich Europa erreichten, waren nicht nur schön, sondern auch selten, weshalb sie sich nur die Wohlhabendsten (oder Botaniker mit entsprechenden Kontakten) leisten konnten. Es ließen sich zwar leicht immer neue Varianten züchten, und auch das europäische Klima sagte ihnen zu, aber da die Kultur und Vermehrung Jahre beanspruchte, trieb das sehr geringe Angebot die Preise in die Höhe. Erst als eine solide Basis an Zwiebeln vorhanden war, konnte sich so etwas wie ein Tulpenhandel überhaupt entwickeln.
    Und dann begann das, was auch aktuell mal wieder die Welt erschüttert: Zwiebeln wurden verkauft, die noch irgendwo in der Erde schlummerten, Leerverkäufe und Hebel erfunden, Optionsscheine und Anteile an noch gar nicht existierende Tulpen wurden gehandelt, Transaktionen auf Pump finanziert. Immer mehr Menschen wollten an den sagenhaften Gewinnen teilhaben und das taten sie auch für kurze Zeit, eine klassische Dienstmädchen-Hausse. Tulpen an sich spielten dabei gar keine Rolle mehr, teure seltene Edelsorten erreichten ebenso Höchstpreise wie billige Massenware, die meisten durchschauten schon nicht mehr, was da eigentlich ablief. Und als das Ganze krachen ging, gab's Schuldenschnitte, der Staat sprang ein, und die Armen waren wieder so arm wie zuvor, während der Reichtum der Reichen nahezu unbeschadet aus der Krise kam.
    Angeblich gehört diese Anekdote der Geschichte, die Dash erstmals zu einem gründlich recherchierten Sachbuch aufarbeitet, zur Grundausbildung angehender Investment-Banker. Falls das der Fall sein sollte, ist ihre pädagogische Wirkung eher zweifelhaft. Denn so sehr man sich ob des Tulpenwahns die Augen reiben möchte, so wenig hat der Mensch gelernt: man ersetze nur „Tulpe“ durch „amerikanische Bruchbude“ oder „dubiose Internetaktie“,


    Überzeugend an diesem Sachbuch ist dabei, dass Dash sowohl vor dem historischen Hintergrund, sei es im osmanischen Orient, sei es im Calvinistischen Holland, als auch bezüglich damals vorherrschender gesellschaftlicher Normen und Ideale, schlüssig erklärt, warum es ausgerechnet die Tulpe war und nicht etwa Muskatnüsse oder Purpurschnecken, die diesen Hype auslöste. Und er tut das Geschehen auch nicht als kuriose Fußnote der Geschichte ab, sondern zeigt, dass nicht die Tulpe, sondern der ganz normale menschliche Wahnsinn Ursache des „Tulpenwahns" war.


    Lehrreich und spannend!

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Jedes Frühjahr auf's neue verfalle auch ich dem Tulpenwahn - am liebsten in meiner schlichten weißen Lieblingsvase.


    Das Buch schlummert schon längere Zeit im SUB, aufgrund der interessanten Besprechungen hier kommt es aber nun bestimmt bald - vor der nächsten Tulpensaison - dran.



    .

  • Mach das mal, Uta, es ist faszinierend, dass die vor 400 Jahren mit den Tulpen genau das gleiche wie heute mit den Hypothekenkrediten gemacht haben: gute und schlechte gebündelt, gepoolt und tranchiert, das Ganze verbrieft und dann an irgendwelche Deppen zu exorbitanten Preisen verkauft.


    Bei mir verfallen übrigens nur die Wühlmäuse in Tulpenwahn und lassen dabei nur die blöden gelben übrig, die schon 16Äppelstückchen Subprime waren :cry

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)