Genervt bei historischen Romanen

  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    Wie geht ihr denn vor, nehmt ihr eine Epoche und denkt euch die Geschichte dahinein, oder habt ihr einen Plot und sucht euch dann eine geeignete Ära?


    Das wäre ein Thema für einen eigenen Thread. Ich weiß allerdings nicht, ob wir so was nicht schon hatten ... :lupe

  • Hallo ihr Lieben!
    Ich bin jetzt nicht grade der große Leser historischer Romane...zwischendurch immer mal gerne, aber eher seltener. Natürlich ist dieser Trend zum Immer gleichen zu beobachten...aber gibt es irgendeine Sparte, in der das nicht der Fall ist? Bei den historischen Romanen sind es die Frauenfiguren, bei den Thrillern kamen die Kirchengeschichten, die "Vampirfrauenromane" braucht man wohl kaum zu erwähnen, nach Frau Ahern kamen gefühlte 137 Bücher mit gleichem Cover und ähnlichem Inhalt. "Feuchtgebiete" hat bewirkt, dass mittlerweile auch alle auf den Zug aufspringen. Das ist doch eigentlich ganz normal und die Verlage, die dieses Spiel nicht mitspielen, wären ja auch eigentlich blöd, schließlich gibt es hier Geld zu verdienen. Und diejenigen, die die Bücher gerne lesen, freuen sich über immer mehr, das in die gleiche Kerbe schlägt. Diejenigen, die es nicht mögen, sind irgendwann entnervt. Für mich kann man das ähnlich auf Musik und Fernsehen übertragen. Vor, ich weiß nicht genau, 5 Jahren oder so kam plötzlich eine Flut von jungen deutschen Musikern à la Wir sind Helden, Silbermond, Juli etc. Oder im TV...kaum hat eine Reality-Doku wie "Die Auswanderer" großen Erfolg, kommen direkt ähnliche Sendungen auf anderen Programmen und entsprechende Shows wie "Die Rückwanderer", diverse Koch- und Restaurantgeschichten und mittlerweile begleiten wir jede zweite Familie nahezu überallhin. Aber mein Gott, das sind halt die Trends und so lange das Publikum da ist, warum nicht. Irgendwann werden sie von anderen Trends abgelöst...
    Sicher ist es schwierig, wenn einem eine bestimmte Sparte sehr am Herzen liegt. Aber ich bin der Meinung, es gibt neben diesen Büchern noch jede Menge, die eben nicht auf den gleichen Zug aufspringen.
    Ich kann mich eigentlich gar nicht darüber ärgern, vielmehr lass ich eben einfach links liegen, was mich nicht interessiert und greife nach den Massen an anderem, das ich gerne lesen möchte. Und da gibt es soviel, dass ich in diesem Leben sowieso nicht damit fertig werde.

  • Liebe Eulen,


    mit steigendem Interesse habe ich eure Diskussion gelesen. Als Autorin mache ich mir nämlich die gleichen Gedanken. Wenn "Das Marzipanmädchen" auch mein erster historischer Roman war, sehe ich doch die Flut von Büchern, die in ein wiederkehrendes Schema gepresst werden.
    Ein Aspekt, den Ihr vielleicht nicht bedacht (oder zumindest noch nicht erwähnt) habt: Das "Anhängen" an einen Erfolg kann auch eine große Gefahr sein. So hatte ich z.B. Angst, dass das Marzipanmädchen für einen Abklatsch oder eine Fortsetzung von "Das Schokoladenmädchen" gehalten wird. Angst deshalb, weil der Stil des Marzipans ganz anders ist, als der der Schokolade. Hat jemand das Schokoladenmädchen gern gelesen, würde er das Marzipanmädchen vielleicht nicht mögen. Hat er das Schokoladenmädchen dagegen nicht gemocht, würde er dem Marzipanmädchen erst gar keine Chance geben.


    Zum Glück für mich hat es funktioniert - ja, Bücher müssen auch "funktionieren", wenn der Autor hauptberuflich der Schreiberei nachgehen will. Sowohl Verkaufszahlen als auch Reaktionen waren erfreulich. Aber es gab natürlich auch Kritik. Zum Beispiel die, dass eine Frau in der Zeit doch dieses oder jenes gar nicht gedurft oder gekonnt hätte. Ein wenig ketzerisch frage ich: Recherchieren die Leser so gründlich wie (hoffentlich) die Autoren? Gerade in Lübeck, wo mein Roman spielt, gab es zu der Zeit, in der die Handlung angesiedelt ist, sehr viele Frauen, die einiges bewegt haben. Mir ist es sehr wichtig, dass der historische Rahmen stimmt, dass alles so stattgefunden haben könnte.
    Will sagen, Vorsicht ist geboten, wenn vermeintliche historische Unmöglichkeiten angeprangert werden. Wichtig ist natürlich, wie hier schon so schön gesagt wurde, dass Sprache und Denkweise in die Zeit passen, anstatt dass eine Emanze des 21. Jahrhunderts eine Zeitreise rückwärts unternimmt ...


    Schon vor einigen Jahren haben "Insider" des Buchgeschäftes über die immer gleichen Aufgüsse von Titeln, Covern und vielleicht sogar Inhalten diskutiert. Wer sich mutig abgewendet hat, ist nicht selten auf die Nase gefallen und reumütig zurückgekehrt. Offenbar gibt es viele Leser, die Stereotype nutzen, um schnellen Zugriff auf das zu haben, was ihnen gefällt. Was mich betrifft, ich würde mich nicht so einfach darauf verlassen. Ich würde aber auch nichts ablehnen, nur weil es in ein Stereotyp gepresst wurde.


    Mein nächster Roman heißt "Die Bernsteinsammlerin". Ja, "Die ...in". Na toll! Es geht weder klassisch um einen Beruf noch um eine Frau, die in eine Männerrolle schlüpft oder emanzipiert wäre. Als Autorin bin ich auch Teil einer Marketing-Maschinerie, der ich einiges zu verdanken habe. So muss ich eben auch die Nachteile hinnehmen. Euch als Leser, die Ihr diese Maschinerie ganz offensichtlich durchschaut habt, kann ich nur bitten, nicht auf sie "hereinzufallen", sondern jedem Buch durch kurzes Anlesen die gleiche Chance zu geben.

  • Zitat

    Original von janda
    Ich glaube schon (und es ist auch historisch belegt), dass Frauen aus ihren tradierten Rollen ausgebrochen sind - doch oft wird eine emanzipatorische Haltung in den Romanen formuliert mit Floskeln und die Frauen sind so beschrieben, als ob da eine Frau des 21. Jahrhunderts in eine Zeitmaschine geraten ist. Da stimmt weder Sprache, noch Motiv.


    Gut dass du das so ansprichst. Genau aus dem Grund find ich naemlich die Claire und Jamie fantastische Saga von Gabaldon "ehrlicher" und "realistischer" als so viele andere historische Romane. Das kling paradox, ist aber letztlich durchaus logisch. Sie startete beim Schreiben ja mit einem klassischen historischen Roman und fuegte die Zeitmaschine erst ein, als sie merkte, dass ihr Claire zu modern wurde. Okay, sie geht da auch gelegentlich over the top, es passt aber zum Stil der ganzen Reihe und funktioniert m.M. sehr gut zumindest in den ersten Baenden.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich


  • :write



    Ich nenne nur die Romane von Bernhard Cornwell - eintauchen in das England vor William the Conqueror aus der Sicht eines Mannes. Extrem gut geschrieben und spannend von Anfang bis Ende...
    Auch wenn eine "starke" Frau darin vorkommt, so ist sie völlig eingebunden in "ihrer" Zeit und man kann sie nicht mit den Frauen von den "die ....in" vergleichen.

  • Zitat

    Original von Lena J.
    So hatte ich z.B. Angst, dass das Marzipanmädchen für einen Abklatsch oder eine Fortsetzung von "Das Schokoladenmädchen" gehalten wird. Angst deshalb, weil der Stil des Marzipans ganz anders ist, als der der Schokolade. Hat jemand das Schokoladenmädchen gern gelesen, würde er das Marzipanmädchen vielleicht nicht mögen. Hat er das Schokoladenmädchen dagegen nicht gemocht, würde er dem Marzipanmädchen erst gar keine Chance geben.


    Also von Titel und Aufmachung her hätte ich das Marzipanmädchen nie gelesen, aber dank der Reaktion hier im Forum habe ich es mir gekauft und dann lag es noch elend lange im SuB bis zur persönlichen Begegnung mit der Autorin und der Lesung in Hannover- das Problem, dass gute Bücher wegen einer Marketinghysterie ungelesen bleiben taucht für Eulen glücklicherweise weniger auf.

  • Ich lasse mich von dem "Massenwahn" überhaupt nicht abschrecken. Ich liebe historische Romane.
    Ganz im Gegenteil: Je größer das vergleichbare Angebot, umso besser für mich.
    Ich lasse mich von der Aufmachung und vom Klappentext verleiten und bin bis jetzt damit immer gut gefahren.
    Offensichtlich gehöre ich also auch zu den Lesern, die Stereotype nutzen und suchen.
    Wenn ich einen historischen Roman lesen möchte, erwarte ich am liebsten das ganze Programm, sprich: Macht des Klerus, Ketzerei, Monarchie, politische Intrigen, Rittertum, Bauern,- und Lehenstände, aber auch fortschrittliche und emanzipierte Frauen und mutige Männer.
    Fesselnd muss er sein, wie zB. Rebecca Gable oder Iny Lorentz.
    Einen Anspruch an Authenzität wünsche ich mir narürlich ganz besonders, aber auch da gibt es das Beispiel von "Der Päpstin". Das Buch wurde diesbezüglich kritisiert. Es gehört aber meiner Meinung nach trotzdem zu den sehr lesenswerten Romanen.

    Zitat

    Ein wenig ketzerisch frage ich: Recherchieren die Leser so gründlich wie (hoffentlich) die Autoren?


    nein, ich nicht.

    Zitat

    Wichtig ist natürlich, wie hier schon so schön gesagt wurde, dass Sprache und Denkweise in die Zeit passen, anstatt dass eine Emanze des 21. Jahrhunderts eine Zeitreise rückwärts unternimmt ...


    und das macht für mich auch einen guten und lesenswerten Roman aus.

  • Sehr interessantes Thema hier.


    Und im Grunde wurde auch schon alles gesagt, was mir dazu auf dem Herzen liegt: vom Fließband-Schema-F-Angebot bis hin zu dessen Notwendigkeit und den vielen Zwischentönen.


    Ich kann dazu nur noch meine Meinung anbringen, dass ich es bedauere, in dem aktuellen Angebot mit übervielen Deutschland-im-Mittelalter-Romanen sehr selten das zu finden, was ich suche. Sowohl sprachlich wie auch thematisch.
    Aber zum Glück gibt es eine ellenlange Reihe antiquarischer historischer Romane aus früheren Zeiten (die auch noch ausgezeichnet recherchiert und nicht von Emanzen besiedelt sind). Und ich gebe auch die Hoffnung nicht auf, ab und an noch im aktuellen Sortiment eine Perle zu entdecken. Man muss eben die Augen aufhalten, denn die Schmuckstücke sind oft versteckt und nicht immer augenfällig.

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • Bitteschön, ich ziehe das eindeutig vor, dass eine Frau es vielleicht als ihre gesellschaftliche Aufgabe erkennt, schwanger in der Küche zu stehen, es aber trotzdem nicht unbedingt als ihre Lebenserfüllung versteht. Ich habe lieber eine starke Hauptperson als eine, die nur dahinkümmert und dabei glücklich ist, die gottgebene Ordnung allenfalls abzustauben und ja nicht in ihrem kleinen Winkel ein bisschen umzuarrangieren.


    Mit anderen Worten: Wenn jeder x-beliebige Bauernlümmel ausziehen darf um Ritter zu werden, warum soll sich eine Bauerntriene nicht auch ein bisschen phantasiebegabt zeigen, was die Ausgestaltung ihrer Zukunft betrifft?


    Ach so, es ist Mittelalter und mehr oder weniger finster, da hat es sich was mit gleiches Recht für alle (Geschlechter). Sooo Sorry. Hatte ich vergessen. Das war's dann wohl, Hildchen, will sagen, Frau von Bingen. Später gildet es anscheinend auch nicht. Also, nix mit dem Olymp der Geistesgrößen. Ab aufs Schafott, Madame de Gouges. Tja.


    Jeder historisch gemeinte Roman, der sich bemüßigt fühlt, seinen Lesenden einen Helden mit "moderner Denke" - sprich, bewusster Individualität, vorzuführen, begibt sich auch auf Glatteis. Selbst ohne "Emanzen".


    Es sind nicht nur die Männer, die nach oben wollen. Jaha, das kann, horribile dictu!, auch für Frauen einen gewissen Reiz haben. Und wer will ernsthaft den trüben Alltag der Küchenmagd per Roman kennenlernen, wenn sie stattdessen auch ein grandioses Abenteuer erleben kann? Dass sie dazu erst einmal aus der Küche raus muss, versteht sich ja wohl. Ist sie damit automatisch eine Emanze?

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Blaustrumpf, ich kann dir nur zustimmen. Eigentlich gibt es nur zwei Arten von Geschichten: Gewöhnlich Menschen, die ein außergewöhnliches Leben haben -- oder außergewöhnliche Menschen, die ein gewöhnliches Leben erleiden. :lache


    Insofern macht das Aschenputtel, das nicht bloß heult, sondern die tollen Klamotten anzieht, bei Königs mittanzt und am Ende den Prinzen kriegt, Sinn.


    Schon Sagen, Märchen und Legenden sind voll von Geschichten, in denen Menschen über sich hinauswachsen -- oder scheitern.

  • Also ja, das Thema hier ist wirklich sehr interessant.


    Ich wage es auch mal, mich hierzu zu äußern, auch wenn ich bisher außer der Ines-Thorn-Bücher und die Trilogie von Iny Lorentz und ein paar anderen wenigen historischen Romanen noch keine anderen wie z.B. Die Säulen der Erde von Follett gelesen habe.


    Um jetzt nochmal auf den Anfangspost von Alraune zu kommen:


    Es gibt Leser, die wünschen sich gut recherchierte Mittelalter - bzw. Historienromane und es gibt Leser (so wie ich :-)), die es nicht wirklich stört, wenn die Romane nicht gut recherchiert und geschichtlich korrekt sind.


    Es gibt natürlich diese ganzen historischen Bücher, die in etwa das gleiche Cover haben und die Geschichten sich ähneln. Aber gerade das finde ich gar nicht schlimm, denn ich liebe historische Romane und besonders diese mit den Frauen"geschichten" und "-schicksalen" und die Bücher von Iny Lorentz und Ines Thorn, welche ja auch erfolgreich sind, knüpfen ja in etwa aneinander an (jeweils 2 Frauen mit Schicksal und Happy End).


    Und vor allem ist es mir auch wichtig, dass diese Bücher flüssig zu lesen und fesselnd geschrieben sind. Alles andere ist mir persönlich nicht so wichtig, denn so gut kenne ich alle historischen Ereignisse von damals eh nicht, von daher würde ich es auch nicht merken, wenn etwas dazuerfunden wurde. Ich möchte beim Lesen einfach nur in eine schöne Geschichte hineinschlüpfen und mich in diese Welt entführen lassen.


    Vielleicht fehlt es dir, Alraune, ja wirklich an neuen Ideen, du hast ja auch schon viel mehr historischen Bücher/Romane gelesen als ich, wie ich aus deinem Post herauslesen kann. Von daher denke ich ist es für deinen Geschmack langweilig geworden.
    Für mich ist das Genre noch nicht "ausgelutscht" ;-) , da kommt noch was auf mich zu denke ich.

  • Da hätte ich doch noch mal gerne eine Fraaaache ...


    Woran merkt eigentlich die geneigte Leserin/der geneigte Leser, ob ein Buch gut recherchiert ist? Gut, eine Kartoffel, deren umstrittener Besitz schlussendlich zum Auslöser der Schlacht im Teutoburger Wald wird, da werden wohl die meisten helllesig. Genau deshalb wählte ich dieses Beispiel - weil Iris Kammerer nun nicht gerade schlampig recherchiert. Und wenn Ines Thorn ihre Heldin genüsslich den Badezuber mit Ingredienzien versieht, dann sprudelt das Wasser allenfalls dann, wenn jemand vor dem Bad Zwiebeln gegessen hat.


    Aber was ist, wenn mal ein Datum im Roman ein anderes ist, als in meinem Unterstufengeschichtsbuch abgedruckt wurde? Ist das dann schlampige Recherche? Oder ist es eventuell dem julianischen Kalender geschuldet, der in Russland die Oktoberrevolution stattfinden lässt, während es in Westeuropa bereits November ist? Mit anderen Worten: Woran genau soll ich merken, ob ein Roman gut recherchiert ist? Dazu braucht es Glück. Und bitteschön, ich finde, es ist schon Glückes genug, wenn ein Roman gut geschrieben ist. Wer will, dass ein Geschichtslehrbuch spannend ist, soll erst einmal eins schreiben. Natürlich nicht ohne vorher gründlichst zu recherchieren. Aber ein Unterhaltungsroman soll mich doch eher unterhalten. Möglichst natürlich nicht mit Details, die unfreiwillig komisch wirken, einfach, weil sie falsch sind. Aber ein Roman ist ein Roman. Da gehört Fiktion dazu.


    Problematisch ist es für mich eher, wenn das "historische Setting" nur Staffage ist, so nach dem Motto, im Mittelalter wird die Sau noch durchs Dorf getrieben, also rein mit dem Schweinskram ins Buch. Bitte, ich mag ja Schweinskram durchaus. Aber feigen Etikettenschwindel, den mag ich nicht. Also, was will ich von einem "historischen Roman"? Ich persönlich will erst einmal unterhalten werden. Und, ja, ich habe nichts dagegen, wenn ich dabei auch noch etwas über Zeit, Land und Leute lerne. Wenn es denn stimmt - umso besser.


    Und an den Grabbeltischen direkt gegenüber der Kasse gehe ich sowieso prinzipiell vorbei.

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Was die gute Recherche bei historischen Romanen angeht, bin ich recht offen, da ich einem historischen Roman unter vielen verschiedenen Gesichtspunkten etwas abgewinnen kann.


    Ein historischer Roman ist für mich ersteinmal ein Roman, der in historischen Zeiten spielt, und nicht in der Moderne. Und da bleibt ja nun viel Raum für die verschiedensten Ansätze. Informativ oder nur unterhaltsam oder beides? Alles ist gut - wenn es gut geschrieben ist.


    Erfahre ich in einem solchen Roman hautnah etwas über die damalige Zeit, und dies ist glaubhaft geschildert, freue ich mich.


    Dann hoffe ich natürlich schon auch, dass ich mich mit meiner Einschätzung, dass es glaubhaft wirkt, nicht irre - denn sonst könnten sich mir ja falsche Dinge einprägen und mein Bild vom Mittelalter verfälschen. ABER:
    Ich neige nicht dazu, die Dinge einfach für bare Münze zu nehmen, wenn ich einen Roman lese. Ich würde mir nie einbilden, mich über Romane verlässlich bilden zu können, wenn es um Details und Einzelheiten geht.


    Andererseits ist ein Leser oft ja auch kein völlig unbeschriebenes Blatt und besitzt schon eine Wissensgrundlage, was historische Dinge betrifft, sei es aus dem lange zurückliegenden Geschichts- und Lateinunterricht, dem Lesen von Sachbüchern, aus Fernsehdokumentationen, usw., und beurteilt danach, ob er die Charaktere und Ereignisse als in die geschilderte Zeit passend empfindet und ob er sie so akzeptieren kann. Ergeben sich da keine groben Abweichungen und Unmöglichkeiten, kommt es noch auf eines an: Ist es interessant, mitreißend, aufregend, rührend, berührend, inspirierend, unterhaltsam? Gut geschrieben? Wenn ja, prima. Will ich etwas anderes, lese ich ein Sachbuch.


    In die Säulen der Erde musste ich den Kopf über so manche Romanfigur schütteln, da sie für mein Empfinden gar nicht in die damalige Zeit passten und da sie so eindimensional und vorhersehbar geschildert waren. Das Kontrastprogramm von offensichtlich gut recherchierten Darstellungen von Bauweisen und Kathedralenarchitektur, die schon fast wie aus einem Sachbuch übernommene Abschnitte klangen, und dann plötzlich eine im Stil völlig andere Darstellung mancher Personen, die auch aus einem Billigromanheftchen hätten stammen können - nee.


    Aber das ist mein persönliches Gefühl.


    Außerdem muss ich zugeben, es gibt Themen, auf die ich einfach anspringe und andere, die mich gar nicht reizen.
    Ich versuche aber bewusst, diese Voreingenommenheit manchen Themen gegenüber zu sprengen und lese trotzdem solch ein Buch mit "langweiligem Thema". Und manchmal stelle ich fest, dass dieses an sich langweilige Thema gar nicht mehr langweilig ist, weil die Autorin/der Autor mich durch die Art des Schreibens einfach hypnotisiert, bezaubert, mitreißt.

  • Zitat

    Original von blaustrumpf
    Woran genau soll ich merken, ob ein Roman gut recherchiert ist? Dazu braucht es Glück.


    Ich lese historische Romane häufig als Einstieg in eine Zeit und lese danach Fachbücher- nach Deanas Empfehlung derzeit noch den Dillinger, als ich die ersten Hexenverfolgungsbücher las den Hexenhammer, oder eben nach Maiken Nielsen ein Buch über Freimaurer. Darüberhinaus nutze ich während des Lesens intensiv Google um mir Handlungsorte oder historische Protagonisten anzusehen- und dann ärgert mich ein Buch, das vielen gefällt- wie die "Schwester der Königin" maßlos, wenn eine historische Person so verzerrt dargestellt wird. Teil dieses Ärgers ist das Bewußtsein, dass Belletristik und Film prägend sind. Niemand interessiert in zehn Jahren der historische Stauffenberg- jeder meint alles zu wissen, Stauffenberg sieht aus wie Tom Cruise und Hitler wie Bruno Ganz in der Untergang und die Sklavenhaltung kennen alle aus Vom Winde verweht.



    Zitat

    Original von blaustrumpf
    Aber ein Unterhaltungsroman soll mich doch eher unterhalten. Möglichst natürlich nicht mit Details, die unfreiwillig komisch wirken, einfach, weil sie falsch sind. Aber ein Roman ist ein Roman. Da gehört Fiktion dazu.


    Sicher, aber ein Unterhaltungsroman ist etwas anderes als ein historischer Roman. Sollte es zumindestens sein- konkreter ein Unterhaltungsroman ist der Roman vor historischer Kulisse und nicht der historische Roman, den ich als solchen bezeichnen würde.


    Zitat

    Original von blaustrumpf
    Problematisch ist es für mich eher, wenn das "historische Setting" nur Staffage ist, so nach dem Motto, im Mittelalter wird die Sau noch durchs Dorf getrieben, also rein mit dem Schweinskram ins Buch. Bitte, ich mag ja Schweinskram durchaus. Aber feigen Etikettenschwindel, den mag ich nicht.


    Eben, das abzugrenzen ist aber individuelle Geschmacksfrage und erst nach dem Lesen möglich.


    Zitat

    Original von blaustrumpf
    Also, was will ich von einem "historischen Roman"? Ich persönlich will erst einmal unterhalten werden. Und, ja, ich habe nichts dagegen, wenn ich dabei auch noch etwas über Zeit, Land und Leute lerne. Wenn es denn stimmt - umso besser.


    Da du das ganze als Frage formuliert hast: Da will ich mehr. Ich will nicht verarscht werden, sondern dass die Fakten den aktuellen historischen Erkenntnissen entsprechen, das historische Personen entsprechend dem handeln, was über sie bekannt ist.

  • Zitat

    Original von beowulf



    Da du das ganze als Frage formuliert hast: Da will ich mehr. Ich will nicht verarscht werden, sondern dass die Fakten den aktuellen historischen Erkenntnissen entsprechen, das historische Personen entsprechend dem handeln, was über sie bekannt ist.


    Ahja...und Du glaubst wirklich, das könntest Du für Dich persönlich alles so eben nachrecherchieren, Beo?


    Ich bin nicht besonders firm in Geschichte und werde das auch nie sein...und gebe ganz ehrlich zu, dass ich Blaustrumpfs Ansichten teile. Ich will meistens bei einem historischen Roman einfach nur unterhalten werden.


    Ich käme nie auf den m.M.n. sehr anmaßenden Gedanken, dass ich aus dem, was z.B. über Heinrich VIII "bekannt" ist, Rückschlüsse auf sein Wesen zu ziehen. Der eine Geschichtsforscher stellt ihn so dar und der andere aus einem anderen Blickwinkel.


    Und dabei nimmt doch jeder nur das wirklich zur Kenntnis, was in das jeweilige Gesamtkonzept gut reinpaßt, oder?


    Ich hoffe, man versteht, was ich hier so laienhaft sagen will?

  • Natürlich soll ein Roman in aller erster Linie unterhalten. Würde man nur geschichtliche Unterrichtung suchen, wäre ein historisches Fachbuch angebrachter.
    Das große Problem bei Historischen Romanen ist, dass ich - solange ich den Autor, seine Rechercheintensität und seine historisches Wissen nicht kenne - nie weiß, ob es sich bei einem Historischen Roman um einen Roman handelt, der wirklich versucht, Ideen, Handlungsweisen und Lebensumstände einer vergangenen Zeit möglichst wirklichkeitsgetreu wiederzugeben (das es da immer noch genug Streitpunkte gibt, ist unbestritten) oder ob es sich eher um Fantasy, etikettiert mit dem Begriff "Historischer Roman" handelt. Nichts gegen Fantasy, aber gerade der historisch nicht absolut sattelfeste Leser dürfte große Probleme der diesbezüglichen Einschätzung haben.
    Andererseits setzen sich nach mehreren hundert Seiten Geschichte zu einer angeblichen Zeit eben doch Muster fest - selbst ich kann mich kaum dagegen erwehren, bestimmte Bilder und Vorstellungen dann in meinen Kopf zu lassen, selbst wenn ich weiß, dass sie nicht verlässlich sind.


    Das ist einer der Gründe, warum ich Abstand von der Masse Historischer Romane halte, weil ich diese Verwirrung vermeiden will.

  • Die "wirkliche" Geschichte - tja. Dass es selbst im bestrecherchierten Roman zu - nun, sagen wir mal - Ungenauigkeiten kommen kann, ist doch allein schon durch die Gattung als solche gegeben. Roman ist Fiktion. Sobald eine historisch nicht belegbare Person durch die Kapitel wandert, ist - bei einem strengen Geschichtsbegriff - schon Klitterungsalarm möglich. Es ist eine Frage der Kunstfertigkeit des Autors, der Autorin, ob wir glauben wollen, was da berichtet wird.


    Aber wenden wir uns mal vom Genre ab. Die Sage von Agamemnon, Klytemnästra, Orest, Elektra, Ägist und all den anderen haben wir natürlich prima parat, alle mitsamt. Und die Oper "Elektra" von Richard Strauss auch und können sie eventuell gar mitsingen (öhm, danke, ich glaub's auch so). Bei dem hat besonders die Titelheldin aber nur noch wenig gemein mit der Sagengestalt - zumindest, mit der, die via Gustav Schwab auf die geneigte heranwachsende Leserschaft kam.


    Na und? Eben. Na und. In einer Oper wird eh gesungen, da wissen wir ja gleich, dass die Geschichte nicht stimmen kann. Warum eigentlich nicht? Wer sagt denn, dass der antike Grieche an sich nicht zum Rhapsoden wurde bei der kleinsten Provokation? Die Statuen waren ja auch sehr viel bunter, als es die edle Einfalt und stille Größe eines Herrn Winckelmann für möglich hielt. Notabene: Auch ein alter Grieche kratzt sich mal und zieht sich nicht nur Dornen aus.


    Kurzfassung: Auch einem Geschichtsbuch, so gut recherchiert es ist, muss ich erst einmal glauben. Und gerade die Geschichtsbücher wandeln sich. Wie ist es beispielsweise mit der wunderlichen Wandlung des Hermanns, des Arminius, des deutschen Volkshelden, des kleinen Partisanen, des intriganten Kleinfürsten, dem Ermöglicher deutscher Souverän? Ich warte auf den großen Thusnelda-Roman, der da alles mal aus einem weniger militärischen Blickwinkel beleuchten wird.

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Ich muss noch mal einspringen ...


    Zitat

    Original von Sophia
    Ist es interessant, mitreißend, aufregend, rührend, berührend, inspirierend, unterhaltsam? Gut geschrieben? Wenn ja, prima.


    Die gestellte Frage lässt sich nur subjektiv und situativ beantworten. Es gibt nämlich Leute, die empfinden so, wenn sie Romane von Umberto Eco, Heinrich Mann oder Lion Feuchtwanger lesen, andere -- um mal die ganze Bandbreite zu umfassen -- empfinden so bei "Nackenbeißern". Wie will man da von "gut" oder "schlecht" sprechen, wenn die Beurteilung allein dem individuellen subjektiven Empfinden überlassen ist?


    Außerdem wird das subjektive Empfinden von der eigenen Stimmungslage beeinflusst: Manchmal muss es eben Eco sein und manchmal Charlotte Thomas oder Ken Follet, Noah Gordon oder Ines Thorn.


    (Nennung der Namen ist keine Wertung!)



    Zitat

    Will ich etwas anderes, lese ich ein Sachbuch.


    Wenn ich mal ganz offen sein darf: Diese Aussage (nicht du als Person, sondern nur diese Aussage!) ist schlichtweg naiv. Sachbücher zeichnen sich nur dadurch aus, dass sie den Anspruch erheben non-fiktionale Literatur zu sein; d.h. sie geben keine erfundenen Geschichten wieder.


    Ohne jemandem auf die Füße treten zu wollen: Sachbücher über Glühbirnen im alten Ägypten, wilde Verschwörungstheorien und UFOs über dem Ebsdorfergrund sind eigentlich alles andere als "non-fiktional", denn erfunden ist der Gehalt allemal.


    Sachbücher sollen über "Sachen" berichten, Sachverhalte darlegen, Informationen vermitteln. Dahinter steht dann selbstverständlich auch der Anspruch, das, was man darstellt, auch gründlich recherchiert zu haben.


    Schön wär 's, wenn Sachbücher genauso oder sogar besser recherchiert würden als Belletristik. Aber dem ist keineswegs so.
    Ebenso wie etliche Unterhaltungsautoren sich bei ihrer Recherche auf Sachbücher stützen und diese Kenntnisse, wenn sie gut ins bereits vorhandene eigene Bild passen, übernehmen ohne sie zu hinterfragen, schreibt so mancher Sachbuchautor im Grunde vorwiegend aus anderen Sachbüchern ab -- und das nicht selten aus veralteten.


    Außerdem hat mancher Sachbuchautor eine "Agenda", eine eigene Weltanschauung, in die er alle recherchierten Informationen einordnet.


    (Bei einem wissenschaftlichen Fachbuch kann man wenigstens davon ausgehen, dass die eigene Position reflektiert wird und andere Positionen durchaus angesprochen werden -- aber das ist für die Mehrheit der Leser nun mal von geringem Unterhaltungswert.)


    Wer glaubt, dass er im Sachbuch grundsätzlich mehr tatsächliche Faktentreue finde als in der Belletristik, irrt! Das bitte ich zu bedenken!

  • Zitat

    Original von Iris
    (...)
    Wer glaubt, dass er im Sachbuch grundsätzlich mehr tatsächliche Faktentreue finde als in der Belletristik, irrt! (...)


    :write


    Das Schöne an Romanen ist ja, dass die AutorInnEn implizit sagen, okay, ich weiß, dass ist nicht belegbar, aber es könnte so gewesen sein. Und selbst wenn nicht, haben wir hoffentlich einen netten Nachmittag zusammen.
    Bei manchem Sachbuch geht es mir eher den umgekehrten Weg: So und so ist es gewesen und ich belege das jetzt mal mit sorgfältig ausgewählten Fakten, die zu meiner Idee passen. Und mir ist egal, wie lang Du daran lesen musst.

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag