Hotel zu den zwei Welten - Eric-Emmanuel Schmitt

  • Hôtel des deux mondes
    Eric-Emmanuel Schmitt, 1999

    Meine Rezension bezieht sich auf die französischsprachige Ausgabe:
    Klett, ISBN: 978-3125978331


    Deutsprachige Ausgabe:
    "Hotel zu den zwei Welten", Libelle, 978-3909081028


    Eric-Emmanuel Schmitt wird den meisten Lesern seit dem überschätzten "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran" oder dem leicht abgekupferten "Oscar und die Dame in Rosa" ein Begriff sein. Viele seiner Geschichten sind mystisch oder philosophisch beeinflusst, und das Theaterstück "Hôtel des deux mondes" (zu deutsch: Hotel zu den zwei Welten") behandelt eine der großen Fragen der Menschheit: Was erwartet uns nach dem Tod?


    Der Ort, an dem dieser Frage nachgegangen wird, ist mysteriös: ein Hotel, dessen einziger Zugang aus einem Aufzug besteht, der sich nicht von Menschenhand rufen lässt. Es ist das "Hotel zu den zwei Welten", in dem Komapatienten darauf warten, entweder mit dem Fahrstuhl wieder nach unten, d.h. auf die Erde, oder nach oben zu fahren. Es ist wohl kein Zufall, dass einem sofort himmelwärts in den Sinn kommt.
    Doch wäre es nur so einfach. Doktor S..., distanzierter Aufseher, Wegbegleiter seiner "Patienten", und seine engelsnamigen Gehilfen geben sich keine Blöße. Der Tod ist und bleibt Mysterium in diesem Stück. Ebenso wie das Leben. Nur ein wenig kommen wir, vor allem Letzterem, durch die Patienten auf die Spur.


    Da ist der Präsident, ein selbstverliebter Mensch, der auf Beständigkeit und Seriösität setzt, und vor dem Höchsten Gericht, das er nach christlich-konventioneller Vorstellung erwartet, keine Angst hat, da man ihm seine Steuertricksereien nicht nachweisen kann. Oder der Magier, längster Gast im Hotel, der noch ein Geheimnis birgt und von einer menschlichen Weisheit und Toleranz geprägt ist, die ihn das ein ums andere Mal dazu bringt, mit dem starrsinnigen Präsidenten in Streit zu geraten.
    Marie, der das Leben bisher nichts Positives gebracht hat, die immer putzen, wischen, sich abrackern musste, und nun die gesundheitlichen Konsequenzen tragen muss, wünscht sich kindlich-naiv einen paradiesischen Garten. Und Julien, das Enfant gâté, der pessimistisch das Leben um des Todes willen nicht genießen konnte, von einer Frau zur andern hechelte - trifft auch Laura, sein krasses Gegenstück, von einer angeborenen Krankheit ans Bett gefesselt auf der Erde, aber voller Vitalität und Lebensfreude.


    Es sind völlig unterschiedliche Charaktere, und jeder wird seinen Weg - nach unten oder nach oben - finden müssen. Das Leben, und das, was danach kommen wird, sind nicht gerecht. Das weiß auch Doktor S..., der manchmal in seinen Ausflüchten, er sei nur ein an Regeln gebundener Ausführender, doch durchblitzen lässt, dass ihm der ein oder andere Patient ein wenig mehr ans Herz gewachsen ist. Und alle haben die Chance sich zu ändern, der Doktor spricht uns den freien Willen zu, wir haben nur einige wenige "gegebene Größen", die uns beeinflussen.


    Eric-Emmanuel Schmitt nähert sich, wie auch in anderen Texten, dem Thema auf eine leichte Art und Weise. Das Stück ist weder hochphilosophisch noch hoffnungslos. Vor allem die satirische Zeichnung des Firmenpräsidenten, mit seinen überholten Ansichten und seiner vermessenen Selbsteinschätzung, sorgt im Kontakt mit den anderen Insassen des Hotels für immer wiederkehrendes Lachen und Schmunzeln. Schmitt brilliert in diesen Schlagabtäuschen besonders sprachlich, es ist ziemlich schwer, sich dem Humor zu verschließen.
    Und das ist auch gerade das, was Schmitt bewirken möchte, die Einsicht, dass man nichts daran ändern kann, aber dass man das Leben positiv angehen sollte. Wie fragt Laura so schön: "Wenn Sie gezwungen wären, in einem Koffer zu reisen, zögen sie es vor, dass er mit Nägeln gespickt oder mit Satin ausgestattet sei?"(1)


    Denn trotz aller Bezüge zum Tod ist es ein Stück über das Leben, Zwischenmenschliches. Angst, Liebe und Freundschaft - die Gefühle der Menschen spielen eine große Rolle an dem Ort, von dem man nicht entkommen kann und wo eine der wenigen Beschäftigungen im Austausch mit dem Mitpatienten besteht. Schmitt schreibt über das Leben und die Hoffnung. Und der Aufzug fährt in beide Richtungen.


    All diese kleinen Ansätze, seien es kindliche Paradiesvorstellungen, sarkastische Kommentare eines Pessimisten, bringen zum Nachdenken, wenn sie auch nie so tief führen, dass man ins Grübeln versinkt. Schmitt schreibt Unterhaltung. Und ich kann mich bei ihm häufig nicht entscheiden, zu welchem Ausmaß er dabei nur pseudophilosphisch sämtliche philosophischen Themen mehr oder minder oberflächlich abgrast.
    Anders als Monsieur Ibrahim ist dieses Stück allerdings einer der Texte, die mich begeistern und dazu bringen, immer wieder Bücher von ihm zu versuchen.


    Schmitts Talent dafür, den Leser oder Zuschauer in seinen Bann zu ziehen, geht im "Hotel zu den zwei Welten" eine gelungene Verbindung mit leichter Philosophie, Hoffnung und schwarzem Humor ein, die ein wenig nachdenklich machen kann und sprachlich wie auch inhaltlich überzeugen kann. Sehr empfehlenswert, ich habe es an einem Tag begeistert ausgelesen.


    Mein Monatshighlight im Januar - 10/10 Punkten


    :wave bartimaeus


    (1) Mangels deutscher Ausgabe von mir übersetzt. :-)

  • Tolle Rezension! :wave


    Mir hatte das Hotel zu den zwei Welten auch sehr gut gefallen!


    Zitat

    Original von bartimaeus
    Wie fragt Laura so schön: "Wenn Sie gezwungen wären, in einem Koffer zu reisen, zögen sie es vor, dass er mit Nägeln gespickt oder mit Satin ausgestattet sei?"(1)


    (1) Mangels deutscher Ausgabe von mir übersetzt. :-)


    In der Übersetzung von Annette und Paul Bäcker heißt es:


    „Wenn Sie in einem Koffer reisen müssten, was hätten Sie lieber, einen Koffer gefüttert mit Nägeln oder mit Seide?“


    Also sehr ähnlich mit deiner Übersetzung! :-]