Hanns-Josef Ortheil - Die Erfindung des Lebens

  • Titel: Die Erfindung des Lebens
    Autor: Hanns-Josef Ortheil
    Verlag: Luchterhand
    Erschienen: September 2009
    Seitenzahl: 589
    ISBN-10: 3630872964
    ISBN-13: 978-3630872964
    Preis: 22.95 EUR


    Zum Inhalt (Klappentext):
    Die Erfindung des Lebens" ist die Geschichte eines jungen Mannes von seinen Kinderjahren bis zu seinen ersten Erfolgen als Schriftsteller. Als einziges überlebendes Kind seiner Eltern, die im Zweiten Weltkrieg und der Zeit danach vier Söhne verloren haben, wächst er in Köln auf. Die Mutter ist stumm geworden, und auch ihr letzter Sohn lebt zunächst stumm an ihrer Seite. Nach Jahren erst kann er sich aus der Umklammerung der Familie lösen, in Rom eine Karriere als Pianist beginnen und nach deren Scheitern mit dem Schreiben sein Glück zu machen versuchen.


    Der Autor:
    Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren, er lebt in Stuttgart, Hildesheim und Wissen a.d. Sieg. Er gehört zu den bedeutenden deutschen Schriftstellern der Gegenwart, sein Werk ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Brandenburger Literaturpreis und dem Thomas-Mann-Preis der Hansestadt Lübeck. 2009 erhielt Hans-Joseph Ortheil den Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis der Stadt Alzey. Der Autor lehrt als Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim.


    Meine Meinung:
    Hanns-Josef Ortheil hat ein ruhiges, ein sensibles Buch geschrieben, ein Buch mit einer leichten Prise Traurigkeit, ohne dabei jedoch übertrieben sentimental zu sein. Ortheil findet stets das richtige Maß. Übertreibungen sind so gar nicht sein Ding. Er schafft es, mit wenigen, aber eben mit den richtigen Worten, emotionale Glanzpunkte zu setzen. Seine Beschreibungen von Personen und Situationen bleiben im Gedächtnis und machen dieses Buch zu einem wirklichen Leseerlebnis. Ortheil gehört ohne Frage zu den besten deutschen zeitgenössischen Autoren. „Die Erfindung des Lebens“ ist ein Buch welches ohne die manchmal nervende Hektik so vieler anderer Bücher auskommt, es braucht auch nicht die den Leser oftmals verwirrenden schnellen „Umschnitte“. Die Ruhe in diesem Buch ist aber nicht einschläfernd, ganz im Gegenteil. Gerade durch seinen ruhigen, unaufgeregten Erzählstil wird Ortheil seinem Thema wirklich gerecht. Sehr lesenswert.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Selten passiert es mir, dass ich bei einem fast 600 Seiten starken Buch den Wunsch verspüre, der Autor wäre doch etwas detaillierter vorgegangen, hier nun war es so. Sind Ortheils Beschreibungen und szenenhaften Ausschmückungen anfangs noch sehr ausgewogen, so überwiegen später die Beschreibungen deutlich. Ganze Lebensabschnitte werden in wenigen Absätzen erzählt, manche Entwicklung (z.B. Vom Leben im Musikinternat) hätte ich gern lebendiger gelesen. Nicht ganz unproblematisch fand ich die Darstellung der Eltern, vor allem des Vaters, der selbst in der reflektierenden Rückschau des mittlerweile erwachsenen Protagonisten seltsam überhöht und makellos, nahezu glorifiziert erscheint.
    Dennoch ein starkes und lesenswertes Buch, das mir gut gefallen hat, was natürlich daran liegt, dass Ortheil einfach gut erzählen kann.

  • Ich habe die Taschenbuchausgabe gelesen:


    Taschenbuch: 592 Seiten
    Verlag: btb (11. April 2011)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3442739780
    ISBN-13: 978-3442739783



    Über Inhalt und Autor hat Voltaire bereits alles Wichtige geschrieben, ich beschränke mich auf meine Meinung - welche zu formulieren mir durchaus schwer fällt.


    Ich muss mit einer gewissen Scham eingestehen, dass dies mein erstes Buch von Ortheil war und eher ein Verlegenheitskauf, da mich in der Buchhandlung nichts anderes ansprang. Ohne große Erwartungen ging ich also an dieses Buch - und wie angenehm wurde ich überrascht.


    Dies ist eines der seltenen Bücher, die mich von ersten Zeile an derart fesseln, dass ich nicht aufhören kann zu lesen. Eigentlich wollte ich nach meiner Neuerwerbung daheim nur mal kurz reinlesen - wie ich es immer mache, wenn ich vom Bücherkaufen heimkehre - und nun ja. 20 Stunden später, lediglich durch kurze Pausen und ein bisschen Schlaf unterbrochen, war das Buch beendet. Einen solchen Sog üben die wenigsten Bücher auf mich aus.


    Worin besteht das Besondere? - Denn sonderlich spannend im herkömmlichen Sinn ist das Buch nicht. Die Sprache macht es wohl; dieses Buch ist irgendwie melancholisch, ohne deprimierend oder sentimental zu sein. Dieses Buch hat mich wie schon lange keines mehr tief im Innern berührt. Und die unaufgeregte, ruhige Erzählweise wirkte auf mich irgendwie "entschleunigend" - ein Buch, in das man in Ruhe völlig eintauchen kann, die Stille, die nicht nur Fluch sondern eben auch Segen ist, einfach genießen. Trotz der eigentlich eher traurigen Geschichte macht dieses Buch unglaubliche Lust aufs Leben - allerdings abseits der großen Shoppingcenter, Privatfernsehen, Discotheken etc. Sondern aufs Musizieren, Schreiben, Spaziergänge und Cafébesuche.....und sogar aufs Schweigen und einfach nur mal Lauschen/Zuhören.


    Wie konnte mir so ein Autor bisher entgehen? Dies war mein erster Roman von Ortheil, aber keinesfalls mein letzter.


    Ich vergebe begeisterte 10 Punkte.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

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  • Auch für mich war es mein erster Ortheil und ich bin sehr angetan. Ortheil erzählt raumgreifend und weit ausholend, dabei stets unaufgeregt und nicht übertrieben emotional, dafür aber immer wieder einmal wehmütig bis melancholisch.
    Den größten Raum nimmt die Kindheit und frühe Jugend von Johannes ein, der Teil in Italien war mir fast zu schnell abgehandelt, auch im Gegenwartsteil mit der Nachbarin Antonia hätte ich mir noch ein paar Worte mehr gewünscht.
    Nichtsdestotrotz ein dank seiner Ruhe bärenstarkes Buch, das Lust macht, sich wieder einmal Klaviermusik anzuhören und stundenlang durch die Natur zu streifen.

  • Auch mich hat dieses Buch fasziniert. Auf eine ganz ruhige, beharrliche Art und Weise nehme ich am Leben des Kindes Johannes teil, sehe die Welt mit seinen Augen. Eine Welt, die zunächst stark eingeengt ist und auf fast beklemmende Weise beschränkt und eintönig.
    Doch da ist die Liebe der Eltern zu ihrem Kind, die sich auf die einzige ihnen mögliche Weise äußert. Zum Bösen wie zum Guten für dieses Kind und dadurch wird eine Entwicklung möglich, die mir wie das Schlüpfen eines Kükens in eine neue Welt erschien. Trotz seiner Liebe und Anhänglichkeit - oder sollte ich Abhängigkeit sagen? - verlässt Johannes seine Eltern um eine Welt für sich zu entdecken.


    Erzählt wird das vom inzwischen erwachsen gewordenen Johannes, der die Geschichte seines Lebens vor unseren Augen entstehen lässt und gleichzeitig in seiner Traumstadt Rom ganz neue Beziehungen knüpft und für sich selbst eine Zukunft sucht.


    Ein Buch, das ich immer wieder beiseite gelegt habe um darüber nachzudenken, wie ein Mensch zu dem wird, was er eben ist und das mich noch eine Weile beschäftigen wird.