Was ist Judentum? - Marc Stern

  • 168 Seiten, 21 Fotos, kartoniert, mit einem Glossar der hebräischen Begriffe
    Verlag: Otto Lembeck Verlag, Frankfurt/M. 2001
    ISBN-10: 3-87476-388-9
    ISBN-13: 978-3-87476-388-2



    Zum Inhalt (Quelle: Buchrücken)


    Was ist Judentum? Wer ist Jude? Kann man Jude werden? Was sind koschere Lebensmittel? Was bedeutet die Beschneidung? Fragen dieser Art werden Grand-Rabbin Stern häufig während seiner Führungen durch die Osnabrücker Synagoge gestellt. Das war ihm Anregung, diese praktische Einführung in das Judentum zu schreiben.


    Mit der vorliegenden Buch will der Autor seinen persönlichen Beitrag zur Förderung des jüdisch-christliches Dialogs geben.



    Über den Autor (Quelle: Buchrücken, Wikipedia)


    Rabbiner Marc Schlomo Jizchak Stern wurde 1956 in Antwerpen als Sohn von nach 1945 aus Osteuropa nach Belgien eingewanderten Juden geboren; er entstammte einer Rabbinerfamilie. Er war Kantor, orthodoxer Rabbiner sowie Leiter der jüdischen Gemeinde in Osnabrück. Von 1996 bis 1998 hatte er einen Lehrauftrag für jüdische Religion an der dortigen Universität. Er starb nach langer Krankheit am 13. April 2005.


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    Meine Meinung


    Das war das zweite, dieses Mal etwas ausführlichere, Buch über das Judentum, welches ich gelesen habe. Kratzte das erste „Der jüdische Glaube“ eher an der Oberfläche, so geht Marc Stern deutlich in die Tiefe. Zwar kann man auf knapp 170 Seiten eine Religion nicht wirklich umfassend und erschöpfend darstellen, aber - vor allem bei dem gut lesbaren Stil des Autoren - zu einem fundierten Überblick reicht es auf jeden Fall.


    Im den Buch sind so viele Sachinformationen enthalten, daß die beim erstmaligen Lesen gar nicht alle zu behalten und verarbeiten sind. Auf Grund des Aufbaus nach Themen und Stichworten ist das Buch auch gut als Nachschlagewerk geeignet. Immerhin, das ist ein Nebeneffekt, weiß ich jetzt, weshalb in amerikanischen Spielfilmen nie eine standesamtliche Hochzeit zu sehen ist: dort (wie auch in Israel) werden Ehen gültig vor dem Rabbi (bzw. Priester) geschlossen, ohne daß es einer zivilen Eheschließung bedarf.


    Wie anders die jüdische Religion und Weltauffassung jedoch etwa von der meinen ist, wurde mir beispielsweise (aber nicht nur) bei der Beschreibung der am Sabbat erlaubten und verbotenen Tätigkeiten deutlich. Wenn ich das richtig interpretiere, dürfte etwa Modelleisenbahnbauen verboten sein; telefonieren auch. Wenn eine Frau ein Kind bekommt, darf der Ehemann zwar per Telefon einen Krankenwagen rufen, muß selbst aber ins Krankenhaus zu Fuß gehen, weil Autofahren verboten ist. Bei uns fing es seinerzeit auch am Ruhetag (der für uns der Sonntag ist) an. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich die rund 13 km bis ins Krankenhaus des Nachts zu Fuß gegangen wäre. Und es gibt einige weitere Dinge, die mir ungewöhnlich oder nicht nachvollziehbar vorkommen.


    Insgesamt, so habe ich gelernt, gibt es in der Tora 613 Ge- und Verbote, die die Juden einzuhalten haben. Wie dieses in der heutigen modernen Welt funktionieren soll, ist mir rätselhaft. Aber dennoch scheint es zu funktionieren, siehe Israel.


    Alles in allem bietet das Buch, das auch ohne Vorkenntnisse gut verständlich ist, sehr vielfältige Information über die jüdische Religion und das jüdische Leben. Sehr empfehlenswert; schade, daß es vergriffen ist.



    Kurzfassung:


    Eine umfassende, stichwortartige Einführung in die Grundzüge des Judentums. Trotz des Lexikoncharakters gut lesbar.
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich hab keine Ahnung, ob es in Israel funktioniert. Ich habe nur mal einen Bericht gesehen, in dem allerlei skurrile Erfindungen vorgestellt wurden, mit denen man die Verbote umgehen kann. :rolleyes Und man muss auch bedenken, dass ein Viertel der Bevölkerung Israels gar nicht jüdisch ist und von den Juden bezeichnen sich noch mal 43 % als säkular.


    Hast Du "Die Bibel & ich" ("The year of living biblically") schon gelesen? Der Autor hat versucht, sich ein Jahr lang an die 613 Ge- und Verbote zu halten. Mir gefiel es nicht so gut, aber das will ja nichts heißen. ;-)

    Die Bibel und ich - A.J.Jacobs

  • @ Idgie


    Ich hatte mein Exemplar auch aus der hiesigen Stadtbibliothek. Wenn ich in absehbarer Zeit kein vergleichbares lieferbares Buch finde, werde ich mir das wohl gebraucht für meine Handbibliothek zulegen.



    @ Delphin


    Die Zahlen zur Bevölkerung Israels, die Du angibst, sind vermutlich neueren Datums. Im Buch, das 2001 erschien, gibt der Autor für Israel folgendes an:
    Ca. 6 Millionen Einwohner, davon 16% Muslime, 4% Christen und andere Religionen, der Rest (80%) Juden. Besonders für Muslime und orthdoxe Juden nimmt er starke Zuwächse an (auf Grund der hohen Geburtenrate).


    Mir war schon in „Der jüdische Glaube“ aufgefallen, ich zitiere mich einfach mal:

    Zitat

    Original von SiCollier (von hier)
    Ein paar Mal - man möge mir verzeihen - habe ich dabei an die Amish denken müssen. Inwieweit das hier Geschriebene auch in der Praxis so ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedoch hatte ich stark den Eindruck, daß das Judentum (so es das Judentum überhaupt gibt) ähnlich wie die Amish nicht einfach alles an Entwicklungen übernimmt, sondern zunächst fragt, ob es mit den eigenen Überzeugungen und Traditionen vereinbar ist. Und wenn nicht, es damit in Übereinstimmung bringt - oder ablehnt. Und nicht, wie sonst in der westlichen Welt üblich, Tradition und Überzeugungen aufgibt, um eine neue Entwicklung bedenkenlos einführen zu können.


    Diesen Eindruck hatte ich hier ebenfalls wieder. Diese Einstellung finde ich gegenüber der in der westlichen Welt verbreiteten (überspitzt ausgedrückt) „bedingungslosen Huldigung des Fortschritts um jeden Preis“ im Prinzip besser. Ob das dann letztlich immer zu besseren, sinnvolleren Ergebnissen führt, sei dahingestellt.


    Übrigens: diese „skurillen Erfindungen“ erinnerten mich auch wieder an die Amish. Nur daß ich merke, daß mir die Amish (als christliche Gemeinschaft) doch in vielem näher stehen als die Juden. Überhaupt ist mir in Ansätzen klar geworden, weshalb es schon bald, als sich das Christentum sich unter Heiden auszubreiten begann, zu Spannungen Urchristentum - Judentum kam bzw. kommen mußte, losgelöst von der damaligen historischen Situation. (Anm.: Das ist eine Feststellung, keine Wertung!)


    Beim Lesen dieses Buches hatte ich immer wieder den Eindruck, daß die Rabbiner eine sehr starke Stellung haben und das tägliche Leben mehr beeinflussen, als wir das hier etwa gewohnt sind. Rein subjektiv sieht es für mich so aus, daß die vielgeschmähte katholische Kirche selbst vor dem Konzil (2. Vaticanum) deutlich weniger Vorschriften und einengende Bestimmungen hatte als das Judentum heute. Wie gesagt, das ist mein persönlicher subjektiver Eindruck auf Grund der beiden Bücher, die ich in den letzten drei Wochen gelesen habe.


    Ich entsinne mich, daß vor vielen Jahren im Religionsunterricht (?), als es um Speisevorschriften ging, unser Lehrer sinngemäß sagte, daß damals viele Menschen von Schweinefleisch krank wurden und es deshalb verboten wurde. Man wußte nichts von Trichinen. Heute würden die durch die Fleischbeschau entdeckt und das Fleisch sei daher unbedenklich genießbar, weswegen diese Speisevorschrift sich eigentlich überholt habe. Es folgte der ausdrückliche Hinweis, beim Metzger auf den Stempel der Fleischbeschau zu achten und nur solche Stücke zu kaufen, auf denen ein Stempel war. (In meiner Kindheit gab es noch richtige Metzger, und ich entsinne mich in der Tat an die blauen Stempel.)


    Danke für den Hinweis auf „Die Bibel und ich“. Das hatte ich mir nach Erscheinen zum Lesen vorgemerkt, ging aber unter. Werde ich mir in absehbarer Zeit sicherlich besorgen. :-) Momentan wollte ich vor allem Sachinformation über das Judentum. Ich schätze, daß ich erst jetzt eben mit selbigen „Die Bibel und ich“ richtig werde genießen können. Nun, ob „genießen“ allerdings eine zutreffende Wortwahl ist, sei mal dahingestellt.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Hallo zusammen,
    ich habe eine zeitlang in Israel gelebt. Zum Thema Sabbath: Freitag abend und Samstags fahren unheimlich viele Leute zum Grillen an den Strand.
    Die Orthodoxen vielleicht nicht, logisch. Aber die Strände sind voll, die Menschen denken in erster Linie ans Überleben, aber ihre Kultur halten sie aufrecht. Es wird nicht alles so streng gesehen.
    Was die 613 Glaubensgesetze angeht: Das Judentum ist das Volk des Buches und mußte nicht wie die Katholiken jeden und alles missionieren.



    Das ist in knappen Worten meine Sicht, aber das Buch möchte ich mir auch besorgen.


    Gruß Petra

  • Eine außergewöhnlich interessante Buchvorstellung. Dafür ganz herzlichen Dank. An diesem Buch werde ich wohl nicht vorbei gehen können. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Danke allerseits. :-)



    Zitat

    Original von Tosca113
    Zum Thema Sabbath: Freitag abend und Samstags fahren unheimlich viele Leute zum Grillen an den Strand.


    Danke für den Hinweis. :-) Allerdings widerspricht dieses Verhalten dem, was im Buch über die am Sabbat erlaubten Tätigkeiten geschrieben ist; Feuer machen zum Beispiel. Man darf nicht mal das elektrische Licht einschalten - es sei denn, man läßt es einfach durch brennen oder schaltet es über eine Zeitschaltuhr ein und aus.


    Ich vermute, daß es im Judentum ähnlich wie im Christentum (und anderen Religionen?) ist, Beispiel Katholiken: es gibt zwar eine Sonntagspflicht, dennoch sind die Kirchenbesuche deutlichst geringer als die Mitgliederzahl.



    Zitat

    Original von Tosca113
    Das Judentum ist das Volk des Buches und mußte nicht wie die Katholiken jeden und alles missionieren.


    Da verwechselst Du möglicherweise etwas: sicher hat die kath. Kirche Missionsstationen und einen Missionsauftrag. Wesentlich, ähm, deutlicher jedoch tun dies die evangelikalen Christen - die durchaus nicht katholisch sind. ;-) Aber das ist hier OT und gehört mMn hier nicht hin.


    Ich fand das Buch übrigens gerade deswegen interessant, weil es von einem orthodoxen Juden geschrieben wurde und mir so eine, :gruebel wie drücke ich mich aus, harte Sicht bot.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")