Colm Tóibín - Brooklyn

  • # Gebundene Ausgabe: 302 Seiten
    # Verlag: Hanser; Auflage: 2 (6. September 2010)
    # Sprache: Deutsch


    Kurzbeschreibung
    Die junge Irin Eilis Lacey wandert um 1950 nach Amerika aus, um in Brooklyn eine neue Arbeit zu finden. Doch sie passt sich nur langsam an das neue Leben an, schließt nicht leicht Freundschaft. Ganz allmählich gewinnt sie Selbstvertrauen und merkt, dass sie zu einer selbständigen, erwachsenen Person geworden ist. Das macht ihr die Entscheidung zwischen Irland und Amerika, zwischen dem einen und dem anderen Mann, nicht leichter. Der preisgekrönte Autor Colm Tóibin beschreibt eindrucksvoll ein klassisches Schicksal einer Emigration, den Werdegang einer ganz normalen Frau - ganz und gar aus ihrer Perspektive gesehen.


    Über den Autor
    Colm Toibin, 1955 in Irland geboren, wurde für seine Bücher mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.Giovanni Bandini, geb. 1951, studierte Indologie, Vergleichende Religionswissenschaft, Romanistik und Indische Kunstgeschichte. Er unterrichtete an der Universität Heidelberg und arbeitet seit 1987 als freier Übersetzer.Ditte Bandini, geb. 1956, studierte Völkerkunde, Religionsgeschichte und Indologie. Sie arbeitet an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften sowie als freie Schriftstellerin und Übersetzerin.


    Meine Meinung
    In "Brooklyn" wird die Geschichte der jungen Irin Eilis Lacey erzählt, die mit Hilfe des Priesters die Chance bekommt, nach Amerika auszuwandern. Eilis arbeitet in Brooklyn in einem Kaufhaus und belegt am Abend Collegekurse, um sich zur Buchhalterin weiterzubilden. Obwohl sie starkes Heimweh hat, bemüht sie sich sehr in Amerika zu bleiben, da ihre Familie - vor allem ihre Schwester Rose - viel aufgeben musste, um ihr die Auswanderung zu ermöglichen:


    "Rose war jetzt dreißig, und da es offensichtlich war, dass ihre Mutter nie würde allein leben können, nicht nur wegen ihrer kleinen Rente, sondern auch, weil sie sich ohne zumindest eines ihrer Kinder zu einsam fühlen würde, bedeutet Eilis' Abreise, die Rose so sorgfältig organisiert hatte, dass Rose nie würde heiraten können."


    Mit der Zeit gelingt es Eilis sich einzuleben und auf einer Tanzveranstaltung lernt sie ihren ersten Freund, Tony, kennen - den sie ihrer Familie in Irland jedoch zunächst verschweigt, selbst dann noch, als beide schon verheiratet sind. Als sie eines Tages jedoch Nachrichten von zu Hause erhält, die sie bewegen zurückzufahren, steht sie vor der Entscheidung, ob sie ihre Mutter an ihrem Leben in Amerika teilhaben lassen kann oder ob sie in ihrer Heimat nichts davon erzählt. Und vor allem, für welches Leben sie sich am Ende entscheidet.


    In dem Roman "Brooklyn" hat mir vor allem der ruhige Schreibstil gefallen - Tóibín erzählt Eilis Geschichte sehr zurückhaltend und gelassen und dennoch war ich von Beginn an gefangen und neugierig darauf, zu erfahren, wie ihr Leben weitergeht.


    Ein wirklich schöner und ruhiger Roman, den ich gerne gelesen habe.


    9 Punkte.

  • Danke für deine schöne Rezi, buzz.
    Ich habe das Buch letzte Woche im Urlaub gelesen und war auch von der stillen, unaufgeregten Schreibweise sehr angetan.
    Hat mir gut gefallen

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Brooklyn – Colm Toibin


    Meine Eindruck:
    Colm Toibin erzählt die Geschichte einer Auswanderung von Irland in die USA im Jahr 1950 vollkommen realistisch und unpathetisch. Dass die Geschichte nie trocken wirkt, ist dem eleganten, ruhigen Stil zu verdanken, der sich angenehm lesen lässt und das mit Eilies eine eigentlich ganz normale, aber doch eindrucksvolle Protagonistin entworfen wird.


    Eilies ist eine Durchschnittsfrau, aber da Colm Toibin sie mit Intelligenz und eigenständigen Charakter ausstattet, wächst sie dem Leser allmählich an Herz. Der komplette Roman ist durchdrungen von Eilies Gedanken und Emotionen.


    Sie hatte ursprünglich nicht den Drang auszuwandern, aber die schlechte Perspektive in Irland und den dafür umso besseren Chancen in den USA sowie die Erwartungen ihrer Familie, lassen ihr praktisch keine Wahl.
    Nach anfänglichem Heimweh, schafft Eilie es, sich in Brooklyn heimisch zu fühlen. Von Manhattan hält sie zum Beispiel nicht viel. Sie macht sogar einen anspruchsvollen Abendkurs, um ihre beruflichen Chancen zu verbessern und findet ihren Platz. Nebenbei ist es auch interessant, wie die Gesellschaft in Brooklyn sich verändert. Der Anteil an schwarzer Bevölkerung nimmt zu.


    Toibin beschreibt Eilis innere Veränderungen langsam, aber eindringlich. deswegen ist es so glaubwürdig und nachvollziehbar. Als Eilie einmal zurück nach Irland reist, fühlt sie sich dort wie zerrissen und nicht mehr heimisch. Es stellt sich die Frage: Liegt ihre Zukunft in den USA oder in Irland?


    Für mich ist Brooklyn einer der besten und atmosphärischsten Romane über Auswanderung in die USA im 20.Jahrhundert.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Für mich ist Brooklyn einer der besten und atmosphärischsten Romane über Auswanderung in die USA im 20.Jahrhundert.


    Es freut mich sehr, dass dich das Buch auch begeistern konnte :wave


    Bisher hat es bei den Eulen ja nicht sehr viel Interesse wecken können, was ich schade finde, da "Brooklyn" wirklich sehr beeindruckend finde. Sehr ruhig, aber dennoch auch fesselnd. Ein Buch, dem ich wirklich noch mehr Leser wünschen würde.

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Bisher hat es bei den Eulen ja nicht sehr viel Interesse wecken können, was ich schade finde, da "Brooklyn" wirklich sehr beeindruckend finde. Sehr ruhig, aber dennoch auch fesselnd. Ein Buch, dem ich wirklich noch mehr Leser wünschen würde.


    Für mich war Brooklyn auch einer der stillen Lesehöhepunkte des letzten Jahres.

  • Ich war im Kino- die Hauptdarstellerin mit dem unaussprechlichen irischen Namen ziert das Cover des Taschenbuches. Da das Drehbuch von Nick Hornby stammt wollte ich das Buch lesen um den Unterschied zu bewerten- und war überrascht, das bis auf das Ende dies eine der buchnähesten Literaturverfilmingen war, die ich kenne.


    Die Geschichte einer Immigration, eines Aufbruchs in eine neue Welt, verbunden mot Entscheidungen, die Schmerzen verursachen, das wird von Tóibin so klar, fast sachlich geschildert, so nachvollziehbar und unmittelbar, das ich das Buch in einem Rutsch durchgelesen habe. Das Jahr 1952, der Krieg ist Geschichte und weit zurück (was in einem Dialog in einer Buchhandlung für juristische Bücher klar wird), aber in Irland herrscht gerade wieder Arbeitslosigkeit an allen Ecken, darum wird die junge Eilis nach Amerika, nach Brooklyn, verfrachtet, bevor sie weiß was ihr geschieht. Es war nicht ihr Entschluss und so miss sie mit der neuen Situation zurechtkommen. Eine alltägliche Geschichte, keine Sensationen, keine Bomben, keine Vergewaltigungen. Die Entwicklung einer jungen Frau in einer Zeit in der sich viel verändert- die Berufstätigkeit trotz Kindern, die ersten Farbigen trauen sich in ein Kaufhaus, Telefone- wenn auch nur von Pfarrhaus zu Pfarrhaus. Als die geleibte Schwester überraschend stirbt reist Eilis zurück und als in der Persönlichkeit in der Fremde gereifte Frau findet sie plötzlich Anschluss und Erfolg auch im heimatlichen Irland. Sie gerät in tiefe Konflikte- wird sie bleiben oder zurückkehren nach Brooklyn?

  • Die junge Irin Eilis möchte und ihre Familie finanziell unterstützen. Um einen besseren Job ausüben zu können, wandert sie nach Amerika aus. Dort angekommen nimmt sie eine Stelle als Verkäuferin an und besucht nebenher eine Schule, an der sie zur Buchhalterin ausgebildet wird.


    In einer kleinen Pension, in der mehrere alleinstehende Frauen unterschiedlichen Alters leben, findet sie eine Unterkunft. Ein richtiges Zuhause ist das für sie jedoch nicht. Ihren fehlen Trubel und familiäres Beisammensein. Heimweh plagt sie.


    Einziger Trost ist Tony, der freundliche junge Mann, den sie beim Tanz kennengelernt hat. Ein echter Freund, der sich von Eilis mehr wünscht als nur Freundschaft. In der Stunde der Not bindet er sie mit einem Versprechen, das sie in einen großen Gewissenskonflikt treibt und von ihr eine Entscheidung fordert, die ihr Leben auf ewig beeinflussen wird.


    Eilis, das gute Mädchen. Die treue Seele. Beißt in jede saure Zitrone, die das Schicksal ihr entgegen streckt. Geduldig und fast ein bisschen lethargisch. Manche Chance ergreift sie, aber manche eben auch nicht. Große Gefühle und vor allem die Äußerung derer, hat sie in Irland zurück gelassen. Wie gern hätte ich sie an den Schultern gepackt und gerüttelt. Ihr zugeflüstert, dass es ihr erlaubt ist, ihre Meinung zu sagen und den Weg einzuschlagen, den sie sich wünscht.


    Aber es ist nun mal nicht das Jahr 2016, sondern 1950 und da tickten die Uhren noch anders. Es ist eine Zeit des Umbruchs. Frauen erlangen mehr und mehr Autonomie, müssen aber erst lernen mit dieser neu gewonnenen Freiheit umzugehen. Vor allem dann, wenn zwei so unterschiedliche Kulturen wie die der Amerikaner und die der Iren aufeinandertreffen.


    Colm Tóibín, der vielfach ausgezeichnete irische Autor, zeigt offen seine Liebe zu seinem Geburtsland. Protagonistin Eilis wirkt in den Passagen in Irland viel freier, viel fröhlicher. Ihre Landsleute bestechen durch Sympathie und Offenheit.


    Amerika hingegen ist viel schwieriger zu verstehen und liegt mit seiner Art schwer auf Eilis Schultern. Dort muss farbigen Frauen extra erlaubt werden in öffentlichen Geschäften einzukaufen, aber keine der weißen Verkäuferinnen möchte sie freiwillig bedienen oder mit ihnen sprechen.


    Das Miteinander dort ist für Eilis ungewohnt. Das Land der Möglichkeiten ist für sie ein Land der Pflichten.


    Es tut mir ein wenig Leid, dass Eilis so schlecht aus ihrer Bahn herausgleiten kann. Ich hätte es ihr gegönnt, denn ihre ungesunde Blässe nimmt mit jedem Tag in Amerika zu. So zumindest mein Bild von ihr. Ich hab sie sehr gern gemocht, gern begleitet.


    Im Januar diesen Jahres ist „Brooklyn“ in deutschen Kinos angelaufen. Ich werde mir den Film ganz gewiss ansehen. Nicht nur, weil ich den Roman sehr gern gelesen habe, sondern auch weil mich interessiert, wie Eilis Gefühl des fremd Seins umgesetzt wurde.