OT: Rum Punch 1992
Es gibt vieles, das ich an diesem Krimi von Leonard ausgesprochen gern mag. Am besten aber gefällt es mir, daß die beiden Hauptfiguren jenseits der vierzig (Jackie) und der fünfzig (Max) sind. Das höhere Alter hat hier seinen Sinn, es geht nämlich darum,. was man tut, wenn man eines Tages entdeckt, daß das Leben drauf und dran ist, an einer vorbeizuziehen, wenn die schöne Illusion, daß man eigentlich im Leben steht, platzt.
Jackie Burke(!) ist Stewardeß, seit fast zwanzig Jahren schon. Sie ist nicht mehr nur auf dem absteigenden Ast, sondern schon auf dem letzten Posten, nämlich bei einer kleinen Fluglinie angekommen, die die Strecke zwischen West Palm Beach (Florida) und den Bahamas bedient. Jackie bessert ihr Gehalt mit dem Einschmuggeln von Geld für den Waffenhändler Ordell Robbie auf. Max Cherry ist Kautionsagent, ein ehemaliger Polizist. Was Kautionen angeht, ist er mit allen Wassern gewaschen, seit kurzem aber ist er in die Fänge einer Versicherungsgesellschaft geraten, die das Kautionsgeschäft in erster Linie als Einkommensquelle sieht. Darüberhinaus ist Max unfähig, sich von seiner Ehefrau scheiden zu lassen, obwohl er seit viel zu vielen Jahren keine Gemeinsamkeiten mehr mit ihr hat.
Im Gegensatz zu Jackie und Max hat Ordell Robbie ein klares Ziel: er will sich als Millionär zur Ruhe setzen. Dafür hat er jahrelang gearbeitet und steht knapp vor dem Ziel. Dagegen hat allerdings die Behörde ATF - Alcohol, Tobacco und Firearms - etwas einzuwenden. Dummerweise können sie Ordell nichts beweisen. Sie tun ihr Möglichstes, aber jeder aus Ordells Umkreis, den sie ansetzen, kommt zu einem plötzlichen Ende. Ordell ist einfach schneller. Bis zu dem Tag, an dem er sich für sich besonders schlau hält und Max Cherry beauftragt, einen Helfershelfer gegen Kaution aus dem Gefängnis zu holen. Das klappt, wieder gibt es einen Toten. Ordell hat das Ganze nur inszeniert, weil er sicher war, daß sein Mann inzwischen zum ATF-Spitzel geworden ist.
Als nächste wird Jackie vom ATF erwischt. Und wieder spielt Ordell sein Spiel mit Max Cherry. Allerdings hat Jackie bei weitem mehr Ahnung von Ordells Geschäften, als Ordell weiß, und sie sieht eine Chance, ihr Leben grundlegend zu ändern.
Max seinerseits sieht Jackie und ihm dämmert, was das Leben sein könnte. Aber er braucht noch den einen oder anderen mehr oder weniger heftigen Stoß, bis er bereit ist, über ein neues Leben auch nur nachzudenken.
Leonards Krimis sind immer eine Art Spielbrett, auf dem bestimmte Züge gemacht werden, die die Spiellage dann dergestalt ändern, daß nur diejenige, die sie am besten überblickt, weiter kommen kann. Die beste Spielerin siegt. Man muß vorausdenken und möglichst viele Faktoren miteinbeziehen. Wer etwas übersieht, ist tot.
In dieser Geschichte wird man Zug für Zug über das Spielbrett geführt. Es gibt verschiedene Spielgruppen, jede einzelne ist überzeugt, Siegerin zu werden. Jede und jeder glaubt, die anderen manipulieren zu können. Am Ende jeder Phase des Spiels gibt es einen anderen Gewinner. Das sagt aber gar nichts darüber aus, wer am Ende, gewinnen wird.
Elmores Personen sind springlebendig, egal, ob Haupt - oder Nebenfiguren. Er schafft es, sie mit wenigen Sätzen dastehen und dann agieren zu lassen. Dialoge und knappe Beschreibungen halten sich die Waage, die wichtigsten Informationen aber werden in den Dialogen transportiert. Man muß beim Lesen dieselbe Wachsamkeit walten lassen, wie die Personen im Buch, die um ihr Leben spielen, sonst verliert man den Faden, wie die Figuren ihr Leben. Die Plots sind im Grund ganz einfach, da Leonard aber mit ihren vielen Facetten hantiert, scheinen sie ins Gigantische zu wachsen. Aber das ist nur einer der Tricks, die Leonard so gern anwendet.
Die Spannung schraubt sich nur langsam in die Höhe. Es scheint viel Nebensächliches zu geben, mehr und mehr Personen tauchen auf, ihre Beziehungen untereinander werden beschrieben. Tatsächlich aber gehört jede noch so beiläufige Handbewegung dazu. Man kann zwar nicht mitraten, aber man erkennt die einzelnen Runden und auch die Stärken und Schwächen jeder einzelnen Mannschaft. Wie in ‚Rum Punch - Jackie Brown’ Waffenhandel, eine halbe Million Dollar, ein desillusionierter Kautionsagent, ein skrupelloser Waffenhändler, Junkies, Huren unterschiedlichster Spielarten, Ehe - und Beziehungskrisen, Freundschaften und das US-Gesetz am Ende zusammengeschnürt werden und sich als einziger fein gesponnener Faden erweisen, ist eine Kunst besonderer Art.
Und ja, die Geschichte ist, auch das ein Kennzeichen von Leonard, blutig, kompromißlos und brutal. Die sehr wachen Beobachtungen menschlicher Verhaltensweisen und die weisen Kommentare dazu gibt es fast nebenbei.
Auch nach mehrmaligem Lesen trägt das Buch, mehr, es gewinnt an Tiefe.