Tagebuch eines schlimmen Jahres – J.M.Coetzee

  • S.Fischer
    Gebundene Ausgabe: 288 Seiten


    OT: Diary of a bad year, 2007
    Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke


    Kurzbeschreibung:
    Der aufregende Roman von John Coetzee: Vexierspiel um den Autor J.C.J.C., ehemals bekannter Autor aus Südafrika, jetzt in Sydney lebend, ist die Hauptfigur in Tagebuch eines schlimmen Jahres , dem neuen Roman von John Coetzee, Literaturnobelpreisträger aus Südafrika, heute in Adelaide lebend. J.C. schreibt bittere Kurzessays über den gegenwärtigen Zustand der Welt als Beiträge für einen Sammelband; Anya, seine Bekanntschaft aus der Waschküche, tippt sie für ihn in den PC; Alan, ihr Freund, ein schlitzohriger kleiner Broker, denkt über einen Zinsbetrug an J.C. nach. Mehrere parallel laufende Handlungsstränge bilden ein kühnes Erzählkonstrukt um J.C. auf dem scharfen Grat zwischen Distanzierung und unerbittlicher Selbstbetrachtung. Coetzees Blick aus nächster Nähe ist atemberaubend.


    Über den Autor:
    J.M. Coetzee, geboren 1940 in Kapstadt, stammt aus einer Afrikaaner-Familie, wurde jedoch englischsprachig erzogen. 1962 verließ er erstmals Südafrika, um bei IBM in Großbritannien als Programmierer zu arbeiten. 1965 zog er in die USA, wo er 1969 über Beckett promovierte. Er kehrte 1972 als Literaturprofessor nach Südafrika zurück. Der internationale Durchbruch gelang ihm 1980 mit "Waiting for the Barbarians". Er wurde für seine Romane mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. zweimal mit dem Booker Prize. 2003 erhielt Coetzee den Nobelpreis für Literatur.


    Über den Übersetzer: Reinhild Böhnke, geb. 1944, Dr. phil., Studium der Germanistik und Anglistik; Übersetzung von Belletristik, Essays und Theaterstücken aus dem Englischen.


    Mein Eindruck:
    Es handelt sich um einen Jahresabschnitt von 2005 bis 2006, in dem der Schriftsteller C. ein Essay über politisch-gesellschaftliche Themen schreiben soll.
    Die Lebensdaten dieses Schriftstellers ähneln denen von Coetzee, er ist also im Prinzip ein Alter Ego.
    C. lernt eines Tages im Mietshaus, in dem er als Exilant in Australien wohnt, seine junge Nachbarin Anya kennen. Anya lebt mit ihren Freund Alan zusammen. Sie wird dann schnell seine Sekretärin, die seine Texte abtippt und redigiert.


    Das ungewöhnliche an dem Buch ist sein struktureller Aufbau. In der oberen Hälfte befinden sich die erwähnten Essay-Passagen über Themen wie die Demokratie, über Machiavelli, über Terrorismus, Al-Quaida, Guantanamo Bay und vieles andere.
    Dann sind darunter, getrennt durch einen horizontalen Strich die persönlichen Gedanken und Befindlichkeiten des Schriftstellers. Als drittes kommen nach einer Weile noch die Gedanken von Anya hinzu, manchmal sind es auch ihre Dialoge mit Alan. Das ist raffiniert gemacht und ändert das Leseverhalten des Lesers beträchtlich.


    Überraschenderweise gewöhnt man sich aber schnell an die außergewöhnliche Form und das Buch lässt sich besonders leicht und gut lesen. Man erhält sogar mehrere Lesmöglichkeiten, kann ausprobieren und testen, wie es einem am Besten gefällt. Genial, wie der Literaturnobelpreisträger auf so einfache Art dem Leser so viel ermöglichen kann. Im Grunde ist es sein zugänglichstes Buch geworden.


    Einen Plot gibt es übrigens auch: Anyas windiger Freund Alan hat es auf das Geld des Schriftstellers abgesehen. Er platziert ein Trojaner-Programm auf C. Computer und versucht, Anya anzustiften, C. zu betrügen. Währenddessen nimmt die Sympathie zwischen Anya und dem wesentlich älteren Mann zu, es kommt sogar zu sexuellen Spannungen.


    Die einzige Schwäche des Romans ist vielleicht, wie eindimensional die Figur Alan angelegt ist. Auch Anya als schöne junge Frau ist ansatzweise eine Männerphantasie. Sie macht sich viele Gedanken über ihr Aussehen und wie sie auf Männer wirkt. Glaubhaft finde ich sie erst im Verlaufe des Romans, als sie sich immer mehr entwickelt und schließlich sogar die moralische Instanz des Romans wird.


    Ich halte den Roman für sehr gelungen. Eine klare Leseempfehlung von mir.

  • J.M.Coetzee gewinnt so viele Preise und wird so wenig gelesen, obwohl er wirklich gut lesbar ist. Verrückt. Einer der vom breiten Lesepublikum meistunterschätzten Nobelpreisträger überhaupt.


    Danke für die Rezi. Tja, das Buch ist schon lange auf dem Markt und selbst ich habs schon ewig auf dem Radar ohne es gelesen zu haben ... SCHANDE!

    Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen, und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?
    Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)

  • Zitat

    Original von aadam
    J.M.Coetzee gewinnt so viele Preise und wird so wenig gelesen, obwohl er wirklich gut lesbar ist. Verrückt. Einer der vom breiten Lesepublikum meistunterschätzten Nobelpreisträger überhaupt.


    Woher hast du denn diese Informationen? Ich meine, gibt es zu deinen Aussagen irgendeine Statistik oder ist das ganz alleine dein persönlicher Eindruck?


    Also ich lese J.M. Coetzee sehr gerne, habe auch schon einige Bücher von ihm gelesen und "Tagebuch eines schlimmen Jahres" steht bei mir schon im SUB. :wave

  • Zitat

    Original von buzzaldrin


    Woher hast du denn diese Informationen? Ich meine, gibt es zu deinen Aussagen irgendeine Statistik oder ist das ganz alleine dein persönlicher Eindruck?


    Also ich lese J.M. Coetzee sehr gerne, habe auch schon einige Bücher von ihm gelesen und "Tagebuch eines schlimmen Jahres" steht bei mir schon im SUB. :wave


    Gefühlsmäßig würde ich Coetzee auch als relativ viel gelesen einstufen. Zumindest zu Zeiten von "Schande" habe ich wirklich viele Leser über ihn reden gehört, die ihn auch gelesen haben (wobei ich damals noch häufiger in Literaturhäusern zu Gast war). Tatsächlich war er einer der wenigen Nobelpreisträger, die ich schon vor der Preisvergabe kannte und gelesen habe.

  • Zitat

    Original von Googol
    Gefühlsmäßig würde ich Coetzee auch als relativ viel gelesen einstufen. Zumindest zu Zeiten von "Schande" habe ich wirklich viele Leser über ihn reden gehört, die ihn auch gelesen haben (wobei ich damals noch häufiger in Literaturhäusern zu Gast war). Tatsächlich war er einer der wenigen Nobelpreisträger, die ich schon vor der Preisvergabe kannte und gelesen habe.


    :write


    Ich glaube, dass bei mir zumindest Coetzee auch einer der wenigen Nobelpreisträger ist, von dem ich nicht nur gehört hatte, sondern von dem ich auch wirklich etwas gelesen habe. Da gibt es meiner Meinung nach in der Tat Nobelpreisträger, die sowohl unbekannter sind, als auch weniger gelesen werden. Spontan fällt mir da vielleicht J. M. G. Le Clézio ein, dessen Namen ich nicht einmal kannte vor der Preisverleihung.

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    ..., dessen Namen ich nicht einmal kannte vor der Preisverleihung.


    So ging es mir mit Jose Saramago, obwohl von ihm auch schon vor dem Nobelpreis einige in Bücher in Deutsch übersetzt waren.


    Durch den Nobelpreis hat er jede Menge Aufmerksamkeit bekommen.


    Bei Coetzee habe ich den Eindruck, dass sich sein Status vergleichsweise nur geringfügig verändert hat.