Ehrlich gesagt, ist mir vor dieser Rezi ein wenig Bange, steckt doch dieses Buch so voller Ideen, voller Wissen und voller spannender Denkansätze, dass ich ihm sicherlich nicht gerecht werden kann. Nun denn, ich versuche es dennoch einmal:
Der Stanford-Wissenschaftler und ehemalige Angestellte der Weltbank Raj Patel übt hier eine grundlegende Kritik an den Mechanismen der Preisbildung in unserer Gesellschaft und denkt klug und fundiert darüber nach, warum der Markt so grandios daran scheitert, den Dingen einen angemessen Preis zuzuordnen.
Das Buch beginnt mit einer kleinen Kulturgeschichte der Marktwirtschaft, wie die Vorstellung von Eigentum entstand und welche Folgen die Umwandlung von Gemeinbesitz, Allmende, also Ressourcen, die von allen Mitgliedern einer Gemeinschaft nach bestimmten Regeln benutzt werden können, auf die Gesellschaft hatte. Zwar ermöglichte das die industrielle Revolution, sorgte aber gleichzeitig dafür, dass Wohlstand immer nur auf Kosten anderer erwirtschaftet werden kann. Zur Erklärung bemüht er nicht nur Marx und Keynes, sondern zeigt auch überraschende Erkenntnisse des Säulenheiligen der Marktliberalen, Adam Smith, der offensichtlich die Gefahren und Fehler einer freien, unregulierten Marktwirtschaft schon viel deutlicher erkannte, als die Neoliberalen wahrhaben wollen, die ihn heute doch so gerne im Munde führen.
Indem Ressourcen in Privateigentum übergingen entstand das Problem, dass ihnen ein Preis zugeordnet werde musste, um sie handeln zu können. Seltsamerweise ist es uns in Mark und Blut übergegangen, dass „die unsichtbare Hand des Marktes“ ein sinnvoller Mechanismus sein soll, diesen Preis realistisch abzubilden, unabhängig von Gebrauchswert und Produktionskosten. Das Versagen dieser dubiosen unsichtbaren Hand zeigt Patel nicht nur an so offensichtlich teuren, wie absolut nutzlosen Finanzprodukten, sondern auch am Ausverkauf der Dritten Welt oder dem Problem der Ernährung der Weltbevölkerung. Gleichzeitig macht er deutlich, dass die freie Marktwirtschaft eine Illusion ist, dass die Reichen und Mächtigen diese Mechanismen durchaus zu manipulieren wissen und so ihren Reichtum auf Kosten der Öffentlichkeit vermehren. Gleichzeitig werden externe Kosten, wie sie durch Umweltverschmutzung und Ausbeutung entstehen, sozialisiert.
Neben der gründlichen Analyse, warum die Welt so ungerecht werden konnte, wie sie ist, zeigt er aber auch Lösungswege. Sein Ansatz ist dabei die Stärkung der Allmende, also gemeinschaftlich genutzter Ressourcen. Dass dieser Ansatz schon erfolgreich in einem wichtigen Lebensbereich umgesetzt wurde, zeigt er am Beispiel des Internets: Open Source Bewegung, aber auch Plattformen wie Wikipedia, leben von einem Geben und Nehmen, in diesem Fall von Informationen. Freiheit bedeutet hier nicht die Freiheit zum Konsum (weswegen Großteile der Erdbevölkerung in bitterer Unfreiheit leben) sondern Freiheit, Dinge zu tun und zu verändern.
Damit macht Patel auch klar, dass nicht ein sozialistischer Weg wie die Verstaatlichungen in der Sowjetunion gemeint sein können, wenn es um die „Vergesellschaftung“ von Ressourcen geht. Vielmehr ist eine basisdemokratische Kultur zu entwickeln, in der nicht mehr der, der das Geld hat, die Macht hat, sondern wo beginnend auf der unteren Ebene demokratisch über die Nutzung und Aufteilung der Ressourcen verhandelt wird. Dass das nicht die sozialromantische Träumerei eines linken Intellektuellen ist, zeigt Patel an vielen kleinen Beispielen, angefangen bei Bürgehaushalten in brasilianischen Städten, bis hinzu lokal organisierten Genossenschaften in Indien, wo landlose Frauen es gemeinsam geschafft haben, sich eine landwirtschaftliche Lebensgrundlage zu erkämpfen.
Alles in allem ist sein Buch auch ein leidenschaftliches Plädoyer gegen den Rückzug ins Private, für eine Rückeroberung des öffentlichen Raumes durch die dort lebenden Menschen.
„The Value of Nothing“ ist ein großartiges Sachbuch, dass mir einige neue Blickwinkel auf den Lauf der Dinge gezeigt hat, angefangen beim täglichen Miteinander bis hin zu den Aufgaben, die die Menschheit in naher Zukunft wird lösen müssen. Aber obwohl dieses Buch streckenweise wirklich frustrierend ist, etwa was die Macht der Konzerne angeht oder die Verquickungen von Politik und Industrie (obwohl das ja eigentlich nichts Neues ist), ist es ein durch und durch hoffnungsvolles Buch, dass einen darin bestärkt, die Dinge nicht einfach hinzunehmen, wie sie sind, sondern das es immer noch Möglichkeiten gibt, die Welt zu einer besseren zu machen. Schön, dass auch so kluge Menschen wie Ray Patel daran glauben.