Ein Licht ganz am Ende des Tunnels
Ich habe Barbara Pachl-Eberhart, die Autorin dieses zutiefst ergreifenden Buches, im Fernsehen zum ersten Mal kennen gelernt. Sie wurde im Rahmen eines Themenabends zu „Tod und Sterben“ interviewt, und was sie dort sagte und ausstrahlte, hat mich ins Innerste getroffen. Nach der Sendung wusste ich, ich musste mich nach diesem Buch umsehen.
Barbara Pachl-Eberhart ist Österreicherin, und von Berufs wegen beileibe keine Autorin. Bevor der traurige Anlass, dieses Buch zu schreiben, überhaupt entstand, war sie als Klinik-Clown tätig, der todkranke Kinder im Spital besucht, und ihnen Mut macht. Auch ihr Mann Helmut, genannt Heli, war Clown, und die Fröhlichkeit und Zuversicht dieses Berufsstandes scheinen beide geteilt zu haben. Sicher hat sie auch aus dieser Quelle die unglaubliche Kraft bezogen, die sie zu diesem Buch inspirierte.
Was war geschehen? Sicherlich das Fürchterlichste, das sich eine Mutter und Ehefrau vorstellen kann. Am Gründonnerstag 2008 verlor Barbara Pachl-Eberhart bei einem tragischen Verkehrsunfall ihre gesamte Familie. Ihr Mann Heli war mit den Kindern Thimo (7) und Fini (2) im familieneigenen Clownbus unterwegs, und gerade mit diesem für Fröhlichkeit stehenden Fahrzeug überfuhr er einen unbeschrankten Bahnübergang... den Rest kann man sich vorstellen. Heli war sofort tot; Fini verstarb drei Tage später im Spital, und Thimo, der sowieso schwerstverletzt und hirntot war, hat Barbara dann voller Liebe und Akzeptanz gehen lassen, indem sie alle Schläuche entfernen ließ.
Das ist allein noch kein Grund, ein Buch zu schreiben. Aber bereits aus dem oben Gesagten sollte deutlich geworden sein, dass Barbara Pachl-Eberhart eine äußerst ungewöhnliche Frau ist. 5 Tage nach dem Unglück setzte sie sich an ihren Schreibtisch, um halb aus Pragmatismus, halb aus Verzweiflung eine Rundmail an sämtliche Kontakte und Freunde zu schreiben. Darin rekapitulierte sie das Geschehene, schilderte ihre Trauer, aber auch ihre Zuversicht, und warb um Verständnis und Hilfe. Diese Mail hat ihr selber Kraft gegeben, und sie sorgte auch in Österreich für einiges Aufsehen – da sie schließlich auch an berufliche Kontakte, wie Zeitungen, ging. Binnen kürzester Zeit war Barbara Pachl-Eberhart so etwas wie eine lokale Berühmtheit, und sie beschloss, diesen Heimvorteil zu verwenden, um noch mehr Menschen mit ihren Gedanken Mut zum Thema Tod und Sterben zu machen. Ungefähr ein Jahr lang beobachtete sie sich, und schrieb alles (oder so gut wie alles) nieder, was sie erlebte, durchlitt und aufarbeitete. Das Ergebnis ist nun ein Buch, knapp 400 Seiten stark, voller Emotionen, voller Tragik, aber auch paradoxerweise voller Poesie und Einsicht.
Eine so persönliche und dramatische Geschichte hat man eigentlich nicht zu bewerten. Daher will ich meine Rezension auch nur als meinen persönlichen Versuch verstanden wissen, mich mit dem Gelesenen auseinander zu setzen. Wenn ich überhaupt etwas „bewerte“, dann nur das Buch „als Buch“, als in Sprache gekleidetes Produkt. Nicht das hier Geschilderte!
Da wäre zunächst einmal die Struktur des ganzen Buches. Die ist nicht geradlinig, nicht auf Spannung oder Tränendrüsen getrimmt (obwohl man natürlich mehr als einmal zu Tränen gerührt wird, aber das kommt ganz von selbst). Sie folgt auch keinem offensichtlichen Plan. Alles erwächst eher organisch aus dem Trauerprozess, den Barbara Pachl-Eberhart durchlebt hat. Eine grobe Chronologie ist erkennbar. Sie beginnt, sehr flüchtig, damit, wie sie ihren Mann kennenlernte, und wie sie eine Familie gründeten. Gerade genug Worte, um einen Einblick in beide Charaktere zu erhalten, und gerade wenig genug, um keine Intimsphäre zu verletzen.
Es folgt, natürlich, der Unglückstag, die Geschehnisse darum herum, und die besagte und mittlerweile berühmte Rundmail, die in vollem Wortlaut abgedruckt ist. Schon allein dafür gebührt der Autorin meine persönliche Hochachtung! Doch nach diesem Punkt lässt sie sich beim Schreiben völlig von ihren Gefühlen leiten, und das wirkt auf den Leser sehr organisch und natürlich. Sie gruppiert immer wieder etliche Texte zu einem Kapitel, und gibt ihm einen aussagekräftigen, teils auch poetischen Titel. Innerhalb der Kapitel wechseln die Textsorten; es sind teils Tagebuchauszüge, Briefe, Mails, Reflexionen, Träume, aber auch Rückblicke, was damals geschah.
Ich möchte nur einige Geschehnisse beispielhaft erwähnen. Mit zum Eindrücklichsten, was ich je gelesen habe, gehört sicherlich die Schilderung der Beerdigung, der Planung und Durchführung. Barbara Pachl-Eberhart hatte den Mut, gänzlich ihren eigenen Vorstellungen zu folgen, und sich von klassischen Vorgaben zu lösen. Sie nennt es ein „Seelenfest“, und macht daraus eine bunte und fröhliche Feier für drei großartige Menschen, mit denen sie leben durfte. (Hier habe ich zum ersten Mal wirklich geheult!) Ferner erwähnenswert ist die eindringliche Schilderung ihres Weges zurück ins Leben, der sowohl Perioden von Glückseligkeit und Nachdenklichkeit, als auch Depressionen umfasste. Und, letzten Endes, auch eine neue Partnerschaft. Hier habe ich zum zweiten Mal geweint – weil sie nämlich, bevor sie diese neue Partnerschaft einging, ihren Mann Heli mehrfach in ihren Tagebucheinträgen um „Erlaubnis“ bat...
Aber man wird diesem Buch sicher nicht gerecht, wenn man es nacherzählt. Ich möchte lieber darauf hinweisen, was dieses Buch für mich so einzigartig macht. Das sind zum Einen der unglaubliche Mut der Autorin, die Zuversicht, dass alles im Leben einen Sinn hat. Es ist die unverbrüchliche Liebe zu ihrer Familie, die sie nie verlassen hat, und die ihr Kraft über den Tod hinaus gibt. Und es ist der Durchbruch zu einer persönlichen, spirituellen Weltsicht, der – vielleicht – erst durch dieses Unglück möglich wurde. Die Autorin reflektiert gründlich und sensibel über so wesentliche Dinge wie Schicksal, den Sinn des Lebens, die Reise der Seele, und Reinkarnation. Und auch über die Schuldfrage! Sie schreibt sogar einen Brief an den Lokführer, um ihn von allen Vorwürfen zu entlasten! (Tränenquelle Nr. 3 für mich)
Ich habe schon Stimmen von Lesern gehört, die sagten, das Buch sei ihnen stellen weise „arg spirituell“ gewesen. Aber das spricht ja nicht grundsätzlich gegen das Buch! Es schildert eben, so wie es war, den Weg einer Frau, die unvermindert an den Sinn ihrer Existenz glaubt, auch unter widrigsten Umständen. Und wenn eben Spiritualität dazu gehört – wer bin ich denn, das zu bewerten? Im Gegenteil, mich hat das sehr berührt. Alles wirkt authentisch, und unmittelbar aus dem Leben gegriffen.
Die einzige Einschränkung, die ich wirklich machen würde, ist die, dass man das Buch vielleicht besser nicht „verschlingen“ sollte. Es liest sich zwar leicht, und sicher verführt die Dramatik der Ereignisse dazu, schnell ans Ende gelangen zu wollen. Aber damit tut man sich als Leser letztlich keinen Gefallen. Es ist wie bei reichhaltigen Speisen: zu viel und zu schnell verursacht oft Bauchweh. Doch das sind ja die Speisen nicht schuld! Und hier liegt auch der Grund, warum ich doch 5 Sterne vergebe, und nicht, wie im ersten Moment der Selbstbefragung, nur 4. Denn genau das war mein Fehler. Ich hatte es eben verschlungen, und fühlte mich danach ein wenig überfahren, vielleicht auch übersättigt. Aber nun, einige Tage danach, kann ich nur sagen, dass dies eines der Bücher ist, die ich nie, niemals, in meinem Leben vergessen werde. Es wird bei mir bleiben, und wird mich weiter mit Hochachtung erfüllen für eine Frau, die aus ihrem Unglück ein großes Glück gemacht hat – nämlich das Glück für uns Leser, an ihrer Weisheit teilhaben zu dürfen.
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ich möchte noch einmal betonen, dass ich diese Rezension im Wesentlichen für mich geschrieben habe. Sicher mag sie mancher zu lang finden. Aber für mich war es eine Verarbeitungshilfe.