Räuberleben - Lukas Hartmann

  • Räuberleben
    Lukas Hartmann
    Diogenes
    ISBN: 978-3257068061
    345 Seiten, 22,90 Euro


    Über den Autor: Lukas Hartmann, geboren 1944 in Bern, studierte Germanistik und Psychologie. Er war Lehrer, Journalist und Medienberater. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Spiegel bei Bern und schreibt Bücher für Erwachsene und Kinder. Mit seinen Romanen (zuletzt“ Finsteres Glück“) steht er regelmäßig auf der Schweizer Bestseller-Liste. Für „Bis ans Ende der Meere“ wurde er 2010 mit dem Sir Walter Scott-Literatur-Preis ausgezeichnet.


    Inhalt: Gesucht: Hannikel, Zigeuner, ungefähr 40 Jahre alt, etwa 5 Schuh und 2 Zoll groß, von Gesicht schwarzbraun, gibt sich als Jäger aus. Unter den Räubern, die Ende des 18. Jahrhunderts Angst und Schrecken verbreiten, ist Hannikel einer der gefürchtetsten. Vor seinem Namen zittert im Schwarzwald und im Elsass jedes Kind. Nun ist er auf der Flucht, mit seinen loyalsten Männern, mit Frauen und Kindern. Wo soll er für seine Sippe einen sicheren Ort finden?


    Jacob Schäffer, der Oberamtmann von Sulz, ist besessen von einer Mission: Räubern, Gaunern und Zigeunern das Handwerk zu legen. Nach einem Ehrenmord ist er Hannikel endlich auf der Spur – in Chur, in Graubünden wurde er gesichtet. Wilhelm Grau, Schäffers Schreiber, ist bei der Jagd auf die Hannikel-Bande von Anfang an dabei. Immer schwerer fällt es ihm jedoch, diese Menschen als bloße Verbrecher zu sehen – besonders Dieterle, Hannikels elfjährigen Sohn.


    Meine Meinung: Lukas Hartmann hat mit diesem Roman die Geschichte um Hannikels Räuberbande neu belebt. In seinem Nachwort schreibt er, dass sie durch viele historische Quellen gut erschlossen ist und es reichlich Literatur dazu gibt. Man merkt die gute Recherche und den Willen des Autors, die Geschehnisse genau zu rekonstruieren. Er lässt den Schreiber Grau als Erzähler auftreten, ist der es doch auch, der die gesamten Vorfälle für Schäffer schriftlich festhalten und seine ganze Korrespondenz in diesem Fall führen muss. Grau wiederum erzählt nicht nur, was geschehen ist – er schreibt an einen „stummen Leser“, einen Professor, der ihm bei seinem Hobby, Insekten zu klassifizieren, hilft. So sind die Geschehnisse nicht ganz chronologisch aufgeführt. Der erste Brief, der fast schon alles zusammenfasst, wäre meiner Meinung nach am Ende besser aufgehoben gewesen, doch das ist nur meine Meinung.
    Insgesamt lassen Schreibstil und gewählte Briefform den Roman ziemlich altbacken wirken. Das tut dem Lesefluss der interessanten und gut recherchierten historischen Fakten zwar keinen Abbruch, doch war ich schon erstaunt darüber, dass ich ein neues Buch in den Händen hielt, denn ich fühlte mich beim Lesen oft in meine Kindheit zurückversetzt in der Lehrbücher und Schulfunk in ähnlichem Stil Geschichte aufbereiteten. Wer geschichtlich interessiert ist und sich mit dem Schreibstil anfreunden kann, der bekommt einen kleinen Einblick in die Gesellschaft und in die Rechtsprechung der Zeit um 1787.

  • Ich kann mich Eskalinas Meinung leider nicht anschließen. "Bis ans Ende der Meere" war eines meiner Highlights aus dem letzten Jahr, und deswegen habe ich mich auf dieses Buch sehr gefreut. Aber ich breche nach 100 Seiten ab, da ich es einfach nur langweilig und uninteressant finde.
    Schade.

  • In der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts trieb in Württemberg die Hannikelbande ihr Unwesen. Diese Räuberbande, die bevorzugt evangelische Pfarrhäuser und jüdische Mitbürger ausraubte, stand unter der Anführerschaft des Sinto Jakob Reinhard(t) (1742-1787), genannt Hannikel .
    Der Sulzer Oberamtmann Schäffer wollte sich als erfolgreichster Räuberjäger der Zeit hervortun und vor allem den berüchtigten Hannikel zur Strecke bringen.
    Der gut recherchierte Roman "Räuberleben" ist größtenteils aus der Perspektive von Schäffers Schreiber Wilhelm Grau erzählt. Grau, der sich in seiner knapp bemessenen Freizeit als Hobby-Entomologe betätigt, führt einen Briefwechsel mit einem bekannten dänischen Insektenforscher und berichtet in seinen Briefen dem Brieffreund auch über die Jagd auf, die Verhaftung und Hinrichtung des Hannikel und über seine Gedanken zu den gesellschaftlichen Verhältnissen seiner Zeit.
    Weitere Erzählstränge berichten aus der Perspektive des 13-jährigen Dieterle, Hannikels Sohn, der sehr an seinem Vater hängt und kontrastiv aus der Sicht des württembergischen Herzogs Carl Eugen . Der Herzog ist ein von seinen Privilegien weitgehend verdorbener Mensch, der grundsätzlich den Inhalt der Staatskasse lieber für großartige Lustjagden und derlei Vergnügungen des Adels ausgibt, als für karitative Zwecke, wie etwa die Instandsetzung/Verbesserung der bestehenden Waisenhäuser. Er glaubt fest an die bestehende Gesellschaftsordnung und möchte mit Leuten, die diese in Frage stellen - seien es Schriftsteller mit sozialkritischen Ideen wie Schiller oder "kleine Leute", die sich ihnen nicht zustehende Dinge herauszunehmen versuchen - kurzen Prozess machen. Seine zweite Frau Franziska ist dagegen eher von christlicher Nächstenliebe geprägt und versucht, mildernd auf den unsensiblen Herzog einzuwirken.
    Die Zigeunersippe um Hannikel wird hier, durch die Augen des Schreibers Grau gesehen, als Menschen wie andere auch dargestellt: sie haben Verbrechen begangen, aber diese Verbrechen sind nachvollziehbar. Da die Sinti überall Vorurteilen begegnen und ihre Versuche, eine feste Anstellung zu bekommen und sesshaft zu werden, mehrfach gescheitert sind, bleibt ihnen kaum eine andere Art des Überlebens als durch Diebstahl, Wahrsagerei etc. Der Herzog, der Amtmann und die Geistlichen mahnen eine Rückkehr auf den rechten Weg an, geben aber keinerlei Ratschläge darüber, wie das bewerkstelligt werden soll. Allein der Schreiber macht sich Gedanken um das Wohl der Zigeunersippe, die ihn durch ihren Familienzusammenhalt beeindruckt; als nur kleines Rädchen im Getriebe kann er aber nichts ausrichten, zumal er auf seine Anstellung beim Amtmann Schäffer angewiesen ist.
    Der Erzählstil des Autors hat mir sehr gefallen, da er die Ausdrucksweise der Zeit sehr authentisch vermittelt. Er hat sich mit den reichlich vorhandenen Quellen und Materialien zu diesem historischen Fall intensiv beschäftigt und verweist den Leser in einem Nachwort auf seine Homepage, auf der man weitere Informationen entnehmen kann.
    Den Aufbau des Romans kann ich nicht ganz nachvollziehen. Der Prolog spielt im Jahr 1794, als Sulz nahezu vollständig durch einen Brand zerstört wird, dieser Brand steht aber in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geschichte der Hannikelbande. Der Hauptteil geht dann in der Zeit zurück, als die Bande gejagt, verhaftet und die Anführer verurteilt werden. Ein kurzer Epilog berichtet über das weitere Schicksal des Schreibers und anderer Amtspersonen.
    "Räuberleben" ist trotz der historischen Korrektheit meiner Meinung nach eher ein sozialkritischer als ein historischer Roman, für den ich eine ausdrückliche Empfehlung an sozialgeschichtlich interessierte Leser gebe.
    8 Punkte