Ganz liebenswerterweise hat mercymelli ihr Exemplar von "Der kalte Traum" wandern lassen - siehe hier - und ich habe jetzt über eine Woche noch über das Buch nachgedacht, alles sacken lassen und versuche nun mal, meine Gedanken aufzuräumen...
DAS BUCH (amazon.de)
Rottweil, eine idyllische Stadt in Schwaben: Sasa Jordan steht vor dem Hof der Familie Bachmeier und wartet. Sie sehen ihn von drinnen. Aber er wartet ab. Er hat Zeit. Zeit ist alles, was er braucht, bis sie zermürbt sind bis sie ihm freiwillig geben, was er will.
Thomas Cavar war Deutscher. Gerade hatte er sein Abitur bestanden, die Zukunft wirkte vielversprechend. Doch dann kam der Krieg, der alles änderte: War nicht Kroatien seine richtige Heimat? Musste er nicht kämpfen für die Unabhängigkeit? Thomas Cavar kämpfte und fiel. Jetzt, fünfzehn Jahre später, tauchen plötzlich Fragen zu seinem Tod auf: Yvonne Ahrens, Journalistin in Zagreb, stößt auf Hinweise zu kroatischen Kriegsverbrechen und auf einen Soldaten, der daran beteiligt gewesen sein soll. Richard Ehringer, Ex-Politiker, bittet seinen Neffen bei der Polizei in Berlin, mehr über Cavars Kriegseinsatz herauszufinden. Und Sasa Jordan, kroatischer Geheimdienstler, forscht in Rottweil nach. Dort, wo alles begann. Irgendjemand muss etwas über Cavar wissen, zum Beispiel, ob er noch lebt. Eine kaltblütige Hetzjagd beginnt.
DER AUTOR (amazon.de)
Oliver Bottini, geb. 1965 in Nürnberg, Studium der Literaturwissenschaft und Psychologie, Ausbildung zum Kung-Fu- und Qi-Gong-Meister. Seit vielen Jahren widmet er sich dem Studium des Buddhismus und hat bereits mehrere Arbeiten zum Thema publiziert. Als Krimi-Autor wurde er mit der Kommissarin Louise Bonì-Reihe mehrfach mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet und für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert. Er lebt als Redakteur und Buchautor in München.
MEINE MEINUNG
Mercymelli hatte mich schon "vorgewarnt", dass es sich bei dem Buch um keine leichte Kost handelt, und ich kann ihr hier nur absolut zustimmen.
Man liest "Der kalte Traum" nicht einfach so nebenbei, das würde der durchaus komplexen und auch manchmal komplizierten Geschichte (vor allem mit den für die meisten mitteleuropäischen Augen doch eher gewöhnungsbedürftigen Namen der Kroaten, Serben und sonstigen handelnden Personen aus der Balkan-Region) nicht gerecht werden und auch nicht den notwendigen Respekt zollen.
Für mich war der Start ins Buch sehr verworren, auch fast in der Mitte des Buches war ich immer noch am überlegen, wie denn nun alles miteinander verwoben ist, wie welche Erzählperspektive nun in das "große Ganze" hineinpasst.
Toll fand ich die Schilderungen über ganz Europa verteilt: Die Sicht von der Journalistin Yvonne Ahrens in Zagreb genauso wie die fast schon Roadmovie-ähnliche Tour von Richard Ehringer durch Deutschland. Beide stochern in einen scheinbar toten Ameisenhaufen, und erleben mehr oder weniger ihr blaues Wunder, was da doch noch für Leben, Trubel und Intrigen vorhanden sind.
Oft wirkte für mich die Geschichte um Thomas Cavar fast schon in den Hintergrund gerückt, da Oliver Bottini auch viel Hintergrundwissen um den Balkankonflikt (und nicht nur um den letzten Krieg dort) mit verarbeitet hat. Manche Stellen im Buch musste ich also gut und gerne doppelt lesen, um überhaupt noch zu wissen, was denn nun genau noch mal wo passiert war, um zu verstehen, warum denn nun etwas genau so passiert ist, wie es passierte.
Und ja - das Ende... (nein, kein Spolier!)
Mein erster Gedanke war: Tja, so kanns gehen. Aber gleich hinterher schoss mir die Idee durch den Kopf, dass mit einer anderen Auflösung - egal wie diese nun ausgesehen hätte - das Buch nicht so zum Nachdenken angeregt hätte, wie es denn nun der Fall war.
Es ist ein wunderbares Buch über die Sinnkrise "Heimat", aber auch über die oft sinnlosen Versuche, eine Parallelheimat aufzubauen, oder eine Heimat zu sehen, wo eigentlich keine mehr ist. Oliver Bottini hat mir klar gemacht, dass es oft einfach nur noch Heimat in den Köpfen gibt, und dass das Festhalten an Althergebrachtem eben nicht zwangsläufig das Beste ist, auch wenn dieser Loslösungsprozess mehr als schmerzhaft ist. Und ich habe eindeutig viel über eine Region gelernt, die mir bislang nur als Urlaubsziel bekannt war...